Table Of ContentStaat – Souveränität – Nation
Rüdiger Voigt Hrsg.
Staatsgeheimnisse
Arkanpolitik im Wandel der Zeiten
Staat – Souveränität – Nation
Beiträge zur aktuellen Staatsdiskussion
Herausgegeben von
R. Voigt
Netphen, Deutschland
S. Salzborn
Göttingen, Deutschland
Weitere Bände in dieser Reihe:
http://www.springer.com/series/12756
Zu einem modernen Staat gehören Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk
(Georg Jellinek). In Gestalt des Nationalstaates gibt sich das Staatsvolk auf einem
bestimmten Territorium eine institutionelle Form, die sich über die Jahrhunder
te bewährt hat. Seit seiner Etablierung im Gefolge der Französischen Revolution
hat der Nationalstaat Differenzen in der Gesellschaft auszugleichen vermocht, die
andere Herrschaftsverbände gesprengt haben. Herzstück des Staates ist die Souve
ränität (Jean Bodin), ein nicht souveräner Herrschaftsverband ist kein echter Staat
(Hermann Heller). Umgekehrt ist der Weg von der eingeschränkten Souveränität
bis zum Scheitern eines Staates nicht weit. Nur der Staat ist jedoch Garant für Si
cherheit, Freiheit und Wohlstand der Menschen. Keine internationale Organisation
könnte diese Garantie in ähnlicher Weise übernehmen.
Bis vor wenigen Jahren schien das Ende des herkömmlichen souveränen Natio
nalstaates gekommen zu sein. An seine Stelle sollten supranationale Institutionen
wie die Europäische Union und – auf längere Sicht – der kosmopolitische Welt
staat treten. Die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zu weiterer Integration
schwindet jedoch, während gleichzeitig die Eurokratie immer mehr Macht anzu
häufen versucht. Die demokratische Legitimation politischer Entscheidungen ist
zweifelhaft geworden. Das Vertrauen in die Politik nimmt ab.
Wichtige Orientierungspunkte (NATO, EU, USA) haben ihre Bedeutung für die
Gestaltung der Politik verloren. In dieser Situation ist der souveräne Nationalstaat,
jenes „Glanzstück occidentalen Rationalismus“ (Carl Schmitt), der letzte Anker, an
dem sich die Nationen festhalten (können). Dabei spielt die Frage nur eine unter
geordnete Rolle, ob die Nation „gemacht“ (Benedict Anderson) worden oder ur
sprünglich bereits vorhanden ist, denn es geht nicht um eine ethnisch definierte
Nation, sondern um das, was Cicero das „Vaterland des Rechts“ genannt hat.
Die „Staatsabstinenz“ scheint sich auch in der Politikwissenschaft ihrem Ende
zu nähern. Und wie soll der Staat der Zukunft gestaltet sein? Dieser Thematik will
sich die interdisziplinäre Reihe Staat – Souveränität – Nation widmen, die Mono
grafien und Sammelbände von Forschern und Forscherinnen aus unterschiedlichen
Disziplinen einem interessierten Publikum vorstellen will. Das besondere Anlie
gen der Herausgeber der Reihe ist es, einer neuen Generation von politisch interes
sierten Studierenden den Staat in allen seinen Facetten vorzustellen.
Rüdiger Voigt
Samuel Salzborn
Rüdiger Voigt
(Hrsg.)
Staatsgeheimnisse
Arkanpolitik im Wandel der Zeiten
Herausgeber
Rüdiger Voigt
Netphen, Deutschland
Staat – Souveränität – Nation
ISBN 9783658162344 ISBN 9783658162351 (eBook)
DOI 10.1007/9783658162351
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National
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Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Rüdiger Voigt
Arcana Imperii. Das Staatsgeheimnis als Instrument der Arkanpolitik . . . . . . . 5
Rüdiger Voigt
I Geschichte der Arkanpolitik
Das Geheimnis in der Politik. Die Genese der Arkanpolitik bei Niccolò
Machiavelli und Giovanni Botero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Konrad Göke
Legitimität der arcana imperii und des Diskurses. Über die
arcana imperii bei Gabriel Naudé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Norbert Campagna
Arcana, secreta, mysterii. Geheimkonstellationen in imperialen
Ordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Eva Marlene Hausteiner
V
VI Inhalt
II Arkanpolitik im Zeichen des Terrorismus
Das monarchische arcana imperii Prinzip versus das demokratische
Transparenzprinzip. Zum Verhältnis von Staat und bürgerlicher
Freiheit nach Snowden ............................................... 111
Bettina Koch
Zwang zur Konzession? Die Auswirkung der Schutzpflicht auf staatliche
Handlungsoptionen bei terroristischen Entführungen ................... 131
Jan Hecker
Imperium Arcanum? Realität und Mythos verdeckter Militäreinsätze
der USA ........................................................... 153
Jochen Kleinschmidt und Sebastian Huhnholz
III Staatsgeheimnisse in Demokratien
Das Geheimnis und die Demokratie. (In-) Transparenz als politische
Herausforderung im digitalen Zeitalter ................................ 179
Claudia Ritzi
Demokratie und Geheimnis .......................................... 205
Jörn Knobloch
Geheimdienste in liberaldemokratischen Staaten ........................ 225
Wolfgang Krieger
Autoren/Autorinnen ................................................. 237
Einleitung
Rüdiger Voigt
„Das Geheimnis wirkt als Schutz für
und Schutz gegen das Heilige.“
(Assmann/Assmann 1997, S. 7)
Nicht nur in den Kulturen indigener Völker (z. B. in der Südsee) gibt es Tabus, die
bei religiös-gesellschaft licher Strafe nicht gebrochen werden dürfen. Es handelt
sich dabei um Plätze, Gebäude, Natur und Kunstgegenstände, die als unantastbar
gelten (Dingeldein/Emrich 2015). So dürfen z. B. Frauen in diesen Kulturen die
geheiligten Plätze nicht betreten, geheiligte Gegenstände nicht berühren. In der
westlichen Welt gibt es ebenfalls Tabus, die aber eine andere Funktion haben. Sie
schützen ein Th ema vor dem Diskurs in der Gesellschaft , es kommt dann in der
öff entlichen Diskussion nicht vor. Wer das Th ema trotzdem behandeln möchte,
setzt sich dem Unwerturteil oder zumindest dem Unverständnis der Mehrheit aus.
Eine sachliche politische Diskussion ist somit nicht möglich.
Off ensichtlich können und dürfen die Bürger nicht über alles Bescheid wissen,
was mit Staat und Regierung zu tun hat. Th omas Hobbes hatte bereits im Titelbild
zu seinem Leviathan (1651) zum Ausdruck gebracht, dass es Bereiche der Macht
gibt, die dem Auge des Betrachters entzogen werden (müssen). Carl Schmitt hat
den Vorhang im unteren Mittelfeld des Frontispiz des Leviathan, das sich auf der
zweiten, dem Titelblatt gegenüberliegenden Seite befi ndet und einige Berühmtheit
erlangt hat, als Zeichen für die geheime Machtpolitik des Staates (Arcanum imperii)
gedeutet (Schmitt 1995). Aleida und Jan Assmann sprechen von einem „Schleier“,
wenn sie die Grenzen des Wissbaren bezeichnen wollen. In diesem geistigen Um-
feld ist auch das Staatsgeheimnis angesiedelt. Staatsgeheimnis und Öff entlichkeit
sind allerdings komplementäre Begriff e. Es ist daher auch sicher kein Zufall, dass
Geheimdienste und eine durch Zeitungen vermittelte bürgerliche Öff entlichkeit
ungefähr zur gleichen Zeit etabliert worden sind. Die Anfänge der Arkanpolitik
1
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R. Voigt, Staatsgeheimnisse, Staat - Souveränität - Nation,
DOI 10.1007/978-3-658-16235-1_1
2 Rüdiger Voigt
sind allerdings viel früher zu finden. Wenn man von der Antike absieht, finden
bereits mit Beginn der Neuzeit Diskussionen über die Zulässigkeit von (politischen)
Geheimnissen und von Handlungen des Fürsten, die den Rahmen allgemeiner
Zulässigkeitsregeln verlassen, statt.
Insbesondere in der Außenpolitik und noch stärker im Krieg soll bzw. darf
der Gegner nicht im Voraus die Strategie der Regierung kennen. Bestimmte
Informationen werden der Allgemeinheit nicht zugänglich gemacht, sondern als
schützenswerte Geheimnisse des Staates behandelt. Vor allem den Amtsträgern,
aber auch Privatpersonen, wird dann – bei Androhung von Strafe – verboten, diese
Geheimnisse auszuplaudern. Die Frage ist allerdings, ob dies – z. B. in innenpoliti-
schen Fragen – auch für die eigenen Staatsbürger gilt. Und wie weit darf die Fest-
legung von Geheimnissen gehen? Sind wirklich nur staatsrelevante Informationen
gemeint, bei deren Bekanntwerden der Bestand der Republik gefährdet wäre, oder
geht es auch um solche Informationen, deren Bekanntwerden den Machtanspruch
der Regierung und der in ihr vertretenen Parteien in Frage stellen könnten? Mit
anderen Worten: Dürfen die Herrschenden durch das Erklären von Informationen
zu „Staatsgeheimnissen“ ihre persönliche Machtposition sichern und womöglich
auf Dauer stellen? Oder ist nicht – umgekehrt – in einer liberalen Demokratie, die
auf dem Öffentlichkeitsprinzip beruht, nur äußerst sparsam von diesem Herr-
schaftsinstrument, der Arkanpolitik, Gebrauch zu machen?
In der Demokratie gilt zwar grundsätzlich das Öffentlichkeitsgebot, dennoch
gibt es auch hier das Staatsgeheimnis, das man – um in derselben Terminologie
zu bleiben – secretum nennen könnte. Der gewissermaßen hell beleuchteten Seite
der Macht, dem „guten Staat“, steht eine dunkle Seite, der „böse Staat“ gegenüber,
der notfalls mit Polizeigewalt nicht nur die staatliche Ordnung, sondern auch die
Herrschaft der Machthaber schützt. Der Titel „Staatsgeheimnisse“ für diesen Band
ist bewusst gewählt, er soll deutlich machen, dass damit mehr als der von Tacitus
stammende Begriff arcana imperii gemeint ist. Es liegt nämlich nahe, arcana imperii
mit der „guten Staatsräson“ in Verbindung zu setzen, wie es Tacitus vorgegeben hat.
Vor allem in seinem berühmtesten Werk Il Principe hat Niccoló Machiavelli diese
Diskussion später aufgegriffen. Dem Fürsten sind Herrschaftstechniken der arcana
imperii erlaubt, die dem Bürger verboten sind, wie z. B. Lügen, Täuschen, Tarnen
und Vertuschen. Allerdings handelt es sich dabei um ein notwendiges Übel und
keineswegs um eine normale Regierungstechnik. Der Fürst darf sich auf die arcana
imperii vor allem dann berufen, wenn er damit das öffentliche Wohl schützt und
fördert. Die Erhaltung des bestehenden Gemeinwesens und seiner eigenen Macht
sind dabei zwar zulässig, aber dem Gemeinwohl nachgeordnet.
In drei Teilen wird die Arkanpolitik des Staates von ihrer Entstehung über ihre
Blütezeit und ihre Exzesse in Kriegszeiten bis zu ihrer vorgeblichen Abschaffung,
Einleitung 3
tatsächlich aber ihrer Wiederauferstehung in den liberalen Demokratien des Westens
im Zeichen des globalen Terrorismus behandelt. Dabei wird eine chronologische
Vorgehensweise innerhalb der Teile mit einer diachronen Betrachtungsweise im
Gesamtkonzept kombiniert. Die Autoren bzw. Autorinnen der Beiträge dieses
Sammelbandes sind Politik- und RechtswissenschaftlerInnen, HistorikerInnen,
SoziologInnen und PhilosophInnen.
Literatur
Assmann, A., Assmann, J. i.V.m. Hahn, A. und Lüsebrink, H.-J. (Hrsg) 1997. Schleier und
Schwelle. Bd. 1: Geheimnis und Öffentlichkeit. München: Wilhelm Fink.
Bredekamp, H. 2012. Thomas Hobbes Der Leviathan. Das Urbild des modernen Staates und
seine Gegenbilder 1651-2001. Berlin: Akademie Verlag.
Dingeldein, A., Emrich, M. (Hrsg.) 2015. Texte und Tabu. Zur Kultur von Verbot und Über-
tretung von der Spätantike bis zur Gegenwart. Bielefeld: Transcript.
Horn, E. 2007. Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und modern Fiktion. Frankfurt am
Main: Fischer.
Schmitt, C. 1995. Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag
eines politischen Symbols. 2. Auflage. Stuttgart: Klett-Cotta.
Simmel, G. 1923. Das Geheimnis und die geheime Gesellschaft (1908). In: Ders., Soziologie.
Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. 3. Aufl. München und Leipzig:
Duncker & Humblot.
Stolleis, M. 1980. Arcana imperii und ratio status. Bemerkungen zur politischen Theorie des
frühen 17. Jahrhunderts. Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht.
Stolleis, M. 1980. Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Studien zur Geschichte des
öffentlichen Rechts. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Tacitus: Annalen, 1. Buch, 6. Kapitel, 2. Buch, 36. Kapitel.
Westerbarkey, J. 2015. Geheimnisse. Dunkelkammern der Öffentlichkeit. Berlin: LIT-Verlag.
Description:einer politiktheoretischen und empirischen Perspektive. Konkret sind Arcana Imperii die Geheimnisse der Herrschaft einer Politik, die sich hinter verschlossenen Türen abspielt. Geheimdiplomatie, Geheimverträge und Geheimdienste kennzeichnen die dunkle Seite der Macht. Der Wirkungsraum ‚unsichtba