Table Of ContentSpuren der Avantgarde: Theatrum alchemicum
Theatrum Scientiarum
Herausgegeben von
Helmar Schramm (†), Ludger Schwarte, Jan Lazardzig
Wissenschaftlicher Beirat
Hartmut Böhme, Olaf Breidbach (†), Georges Didi-Huberman,
Peter Galison, Hans-Jörg Rheinberger, Wilhelm Schmidt-Biggemann
und Barbara Maria Stafford
Band 6
De Gruyter
Spuren der Avantgarde:
Theatrum alchemicum
Frühe Neuzeit und Moderne
im Kulturvergleich
Herausgegeben von
Helmar Schramm (†), Michael Lorber, Jan Lazardzig
De Gruyter
ISBN 978-3-11-030390-2
e-ISBN (PDF) 978-3-11-030419-0
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038799-5
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
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über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Einbandabbildung: Montage aus Johann Joachim Becher,
Opuscula Chymica rariora. Nürnberg 1719
Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier
Printed in Germany
www.degruyter.com
Vorwort der Herausgeber
Helmar Schramm, Begründer des Forschungsprojektes Theatrum Scien-
tiarum und der gleichnamigen Buchreihe, ist nach langer und schwerer
Krankheit am 28. September 2015 verstorben. Die Fertigstellung des
vorliegenden Bandes, die mehrfach verschoben werden musste, hat er
trotz der schwierigen Zeit nie aus den Augen verloren. Der Band wurde
gewissermaßen zum Symbol, dass es noch etwas zu erledigen gibt,
sobald die Krankheit überstanden ist. An diesem Vorhaben hat Helmar
bis ganz zum Schluss festgehalten.
Dass dieser Band nun erscheinen kann, ist fast ein kleines Wunder.
Acht Jahre nach unserer Konferenz, aus der dieser Band hervorgeht,
war der Walter de Gruyter-Verlag freundlicherweise immer noch be-
reit, die Publikation zu realisieren. Unser Dank gilt hier insbesondere
Frau Susanne Rade und Frau Dr. Manuela Gerlof. Des Weiteren gilt
unser Dank vor allem den Autorinnen und Autoren der Beiträge in die-
sem Band. Sie waren bereit, zum Teil Jahre nach Abfassung ihres Bei-
trags im Rahmen der neuerlichen Redaktion zur diesjährigen Druckle-
gung sich auf geringfügige Korrekturen zu beschränken. Zudem haben
sie den Herausgebern größtes Vertrauen entgegengebracht, behutsam
jene Aktualisierungen vorzunehmen, die in der Zwischenzeit unerläss-
lich geworden waren. Wo Online-Inhalte unter der ursprünglichen Web-
Adresse nicht länger verfügbar waren und keine alternative Quelle an-
gegeben werden konnte, wird das Datum des letzten Nachweises ange-
führt.
Die Buchreihe Theatrum Scientiarum hat es sich zum Ziel gesetzt,
auf neuartige Weise entscheidende Schnittstellen von Kunst und Wis-
senschaft in den Blick zu nehmen. Die fokussierten Fragestellungen er-
wachsen aus den kulturellen Umbrüchen unserer Zeit. Sie sind von der
Überzeugung getragen, dass sich ein Verständnis des Zusammenwir-
kens heutiger medialer Konfigurationen wissenschaftlicher Programme
und künstlerischer Praxis erst vor dem Hintergrund historischer Lang-
zeitprozesse erschließt. Hatten sich unsere Forschungen zunächst auf
die systematische Sondierung von Schauplätzen, Instrumenten und Ver-
suchsanordnungen experimentellen Wissens im 17. Jahrhundert kon-
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VI Vorwort
zentriert, so ging es uns anschließend darum, Interferenzen von Kunst
und Wissenschaft im Lichte aufschlussreicher Relationen zwischen baro-
cker Experimentalkultur und den Avantgardebewegungen des 20. Jahr-
hunderts zu erhellen. Weit reichende Vernetzungen performativer Wis-
senskulturen im historischen Raum sind meist durch kulturprägende
Blickschranken aus der Geistesgegenwart von Wissenschaft, Kunst, Po-
litik und Alltagsleben verdrängt worden. Wenn sich unsere Erforschung
von Experimentalkünsten des 17. Jahrhunderts an Spuren der Avant-
garde orientiert, gehen wir von der These aus, dass sich Avantgardebe-
wegungen des 20. Jahrhunderts – ungeachtet ihres Scheiterns – als groß
angelegte Experimentalanordnung deuten lassen, programmatisch ge-
richtet auf die radikale Infragestellung solcher kulturprägender Blick-
schranken. So gesehen erscheint experimentelle Kunst hier neben der
Wissenschaft als originäre Form performativen Wissens und als Produk-
tionsweise virulenter Fragestellungen, die sich in letzter Konsequenz
gerade auf frühe Anzeichen der Moderne bzw. auf das Entstehen der
modernen Wissenschaft und Kunst richten.
Der sechste Band der Theatrum Scientiarum-Reihe vereint die Er-
gebnisse unserer gleichnamigen internationalen Konferenz „Spuren der
Avantgarde: Theatrum alchemicum“, die im November 2007 im Rah-
men unseres Forschungsprojektes „Theatrum Scientiarum“ im Sonder-
forschungsbereich 447 „Kulturen des Performativen“ an der Freien Uni-
versität Berlin in Kooperation mit dem Hamburger Bahnhof – Museum
für Gegenwart ausgerichtet wurde. Dies wäre nicht möglich gewesen
ohne die großzügige Förderung durch die Freie Universität Berlin, die
Deutsche Forschungsgemeinschaft sowie die Fritz Thyssen Stiftung.
Dem Hamburger Bahnhof, namentlich Herrn Prof. Dr. Eugen Blume,
ist für die freundliche Gastgeberschaft während der Konferenz zu dan-
ken. Die anregende Atmosphäre trug ganz wesentlich zum Gelingen der
Konferenz bei.
Eine Publikation zur Geschichte der Alchemie, die versucht, Frühe
Neuzeit und Moderne in Dialog zu bringen, geht erhebliche Risiken
ein. Schon für die frühneuzeitliche Alchemie lässt sich kaum verbind-
lich definieren, was die Alchemie eigentlich ist. Stattdessen wird mittler-
weile von einer Vielzahl von Alchemien ausgegangen, was sich wiede-
rum in einer heterogenen Alchemieforschung niederschlägt, in der poe-
tologische, ideengeschichtliche, wissenschaftshistorische und religions-
wissenschaftliche Forschungsansätze einander ergänzen. Beim Ver-
such, hierbei auch die zahlreichen Bezüge auf Alchemie, die sich in den
Arbeiten der historischen Avantgarden und Neo-Avantgarden finden,
zu berücksichtigen, verkompliziert sich die Aufgabe ganz beträchtlich.
Vorwort VII
Aus der Perspektive der Mittelalter- und Frühneuzeitforschung wiegt
der gelegentlich erhobene Vorwurf schwer, die Arbeiten der avantgar-
distischen Künstlerinnen und Künstler und zum Teil auch deren wis-
senschaftliche Aufarbeitung zeichneten sich vor allem durch ein man-
gelndes historisches Bewusstsein für das alchemische Quellenmaterial
und die konkreten Umstände seiner Entstehung aus. Der auf das 20. Jahr-
hundert gerichtete kunstwissenschaftliche Blick interessiert sich hinge-
gen stärker für die ungeheure poetische Kraft, die in und durch die Ar-
beiten von avantgardistischen Künstlerinnen und Künstlern unter expli-
zitem Rekurs auf alchemische Traktate und Bildmaterialien freigesetzt
wird. Daran ändert auch nichts, dass diese Kraft oftmals aus höchst pro-
duktiven Missverständnissen resultiert. Solche Missverstände sind häu-
fig bereits in den von den Künstlerinnen und Künstlern benutzten Quel-
len aus dem 19. Jahrhundert angelegt, in denen eine dem modischen
Zeitgeist entsprechende Esoterisierung betrieben wird, in deren Rahmen
die Inhalte der zahlreich neu aufgelegten mittelalterlichen und frühneu-
zeitlichen Alchemietraktate in den neu angefertigten Übersetzungen
zum Teil regelrecht entstellt werden.
Einige Beiträge in diesem Band widmen sich explizit der Verbin-
dung von Früher Neuzeit und Moderne, während sich andere ganz auf
einen der beiden fokussierten Zeiträume konzentrieren. Die Gesamt-
konzeption des Bandes ist aber darauf angelegt, das Forschungsfeld Al-
chemie zwischen Früher Neuzeit und Moderne zu kartographieren. Die
einzelnen Beiträge ergänzen sich häufig ganz überraschend und eröff-
nen auf diese Weise gänzlich neue Perspektiven. Zugleich geraten sie
aber auch immer wieder in heftigen Widerspruch. In der durchaus span-
nungsgeladenen Vielfältigkeit, die aus dem Zusammenspiel und den
Differenzen der in diesem Band entwickelten Sichtweisen und Argu-
mente resultiert, zeichnet sich – so unsere Überzeugung – die Innovati-
vität unseres diachronen kulturkomparatistischen Forschungsansatzes
ab.
Die Anordnung der einzelnen Beiträge folgt vor diesem Hintergrund
thematischen und chronologischen Schwerpunktsetzungen. Nach einem
Einstieg in die größeren politischen bzw. religiös-spirituellen Dimensio-
nen der frühneuzeitlichen Alchemie folgen Einzelfallstudien aus den
Laboren und Werkstätten des 17. Jahrhunderts. Anschließend werden
jene theatralen Dimensionen in der frühneuzeitlichen Alchemie stärker
fokussiert, die sich auch außerhalb des Labors in dramatischen Texten
sowie im Theater als Institution und zugleich auch als Metapher für en-
zyklopädische Wissensräume niederschlagen. Nicht zuletzt aufgrund
eines neuen Verständnisses von Stoffen in der Naturwissenschaft, wie
VIII Vorwort
die folgenden Beiträge zeigen, wird die Alchemie in der Moderne, ver-
stärkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, immer mehr ausschließlich zum
Gegenstand bzw. Bezugspunkt einer avantgardistischen Kunst, wobei
hier der Schwerpunkt auf Literatur und Theater liegt. Während aber die
Alchemie-Bezüge der historischen Avantgarden insbesondere auf sprach-
licher bzw. konzeptueller Ebene erfolgen, rückt in den Bildenden und
Darstellenden Künsten der Neo-Avantgarden die Materialität des Werk-
stoffs bzw. Ereignishaftigkeit des Körpers nochmals wesentlich stärker
in den Vordergrund. Mit dieser Aufwertung der Performativität in den
(neo-)avantgardistischen Künsten, in welcher der Akt der Transforma-
tion von Materialien bzw. die Prozesshaftigkeit des Ereignisses als ei-
genständiger produktions- bzw. wirkungsästhetischer Wert dem klassi-
schen, rezeptionsästhetisch gefassten Werkbegriff gegenübergestellt wer-
den, eröffnen sich die vielschichtigen Bezüge zum alchemischen Opus
magnum – hier verstanden als ein unabschließbares Philosophieren mit
Materialien, das mit dem Konkreten zugleich einen darüber hinauswei-
senden poetischen Überschuss erzeugt.
Ein so arbeitsreiches Unternehmen wie diese Buchreihe wäre nicht
zu realisieren ohne ein Netzwerk von verlässlichen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern. Hervorzuheben sind an dieser Stelle die Übersetzerinnen
und Übersetzer (sie werden am Ende der entsprechenden Beiträge na-
mentlich erwähnt) sowie Birte Durston, die das Personenregister erstellt
hat. Martin Müller und Gerke Schlickmann ist für die umsichtige Lek-
toratsarbeit zu danken.
Als Einleitung zu diesem Band haben wir uns für einen Beitrag von
Helmar Schramm über Alchemie und Theater entschieden, der bereits
1995 publiziert wurde. Denn dieser Beitrag steht mit am Beginn seiner
langjährigen Begeisterung für und Beschäftigung mit Fragen von Thea-
tralität, Experiment und Wissen/schaft am Schnittpunkt von Früher Neu-
zeit und Moderne. Aus eben dieser Begeisterung ist unser Forschungs-
projekt Theatrum Scientiarum sowie die gleichnamige Buchreihe, die
„Theatrum alchemicum“-Tagung im Jahr 2007 und schließlich auch
dieser Band hervorgegangen. Dass Helmar, unser beider Doktorvater
und Freund, die Publikation dieses Bandes nicht mehr erleben kann,
schmerzt uns sehr.
Berlin, September 2016 Michael Lorber
Jan Lazardzig
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Herausgeber ......................................................................... V
Inhaltsverzeichnis ..................................................................................... IX
Helmar Schramm
Einleitung: Das offene Buch der Alchemie
und die stumme Sprache des Theaters ...................................................... XIII
Hanns-Peter Neumann
Utopien der Alchemie ............................................................................... 1
Volkhard Wels
Der Geist des Lebens.
Spiritualismus als Mittelpunkt der paracelsistischen Theoalchemie ........ 28
Wilhelm Schmidt Biggemann
Die Darstellung des Empyräums in
Heinrich Khu‐nraths Amphitheatrum Sapientiae Aeternae ....................... 63
William R. Newman
Der Symbolismus und die Geheimhaltung der Alchemie:
Libavius’ Haus der Chemie ...................................................................... 88
Koen Vermeir
Die Wiederherstellung von Pluto.
Theatralität in alchemistischen Praktiken der Frühen Neuzeit ................. 112
Tara Nummedal
Spuren der alchemischen Vergangenheit.
Das Labor als Archiv im frühneuzeitlichen Sachsen ............................... 154
X Inhaltsverzeichnis
Michael Lorber
Theatrum Naturae & Artis – Johann Joachim Bechers
Reformpädagogik als alchemisches Unterfangen .................................... 174
Lawrence M. Principe
Bühnen der Alchemie.
Theaterdrama innerhalb und außerhalb des Laboratoriums ..................... 228
Gerald Reuther
Kosmos der kleinen Dinge. Zur Rolle des Experimentierens
zwischen Alchemie und Naturphilosophie ............................................... 252
Helmut Gebelein
Alchemie und Theater .............................................................................. 280
Jens Soentgen
Stoffe ........................................................................................................ 298
Freddie Rokem
Strindbergs Transformationen der Alchemie:
Gold, Wahnsinn und das Hebräische ........................................................ 320
Didier Kahn
Antonin Artaud und Das alchimistische Theater ..................................... 356
Wilhelm Kühlmann
Paul Celan und andere: Alchemie als Modell
poetischer Imagination im 19. und 20. Jahrhundert ................................. 383
Leszek Kolankiewicz
Jerzy Grotowskis Theatrum alchemicum ................................................. 421
Jean-Marc Mandosio
„Die Formel zum Umsturz der Welt“.
Alchemie bei den Situationisten und danach ............................................ 436
Barbara Gronau
Blutwurst, Eisen und ‚Antichemie‘ –
Transformationen des Materials bei Joseph Beuys .................................. 457
Ulli Seegers
Werkbegriffe.
Vom Großen Werk zum erweiterten Kunstbegriff ................................... 474