Table Of ContentSprache und Bewußtsein Die erste Revolution
der Denkungsart
Dr. phil. Brunø Liebrucks KANT: Kritik der reinenVernunft
Band 4/5 von
Zwei Revolutionen der Denkungsart Dr. phil. Bruno Liebmcks
B cl 4 0. Professor an der
an Johann-WolfgangGoethe-Universitat
Die erste Revolution der Denkungsart FrankfurtamMai“
KANT: Kritik derreinen Vernunft
Akademische Verlagsgesellschaft - Frankfurt am Main Akademische Verlagsgesellschaft - Frankfurt am Main
1968 1968
Corrigenda
S.XIV. Zeile z vonunten. StattNamensregister lies: Namenregister
S. 69 Zeile I1 von unten. Stattda durch lies: dadurch
S. 87 Zeile I vonoben. Statt ››wie« lies: »wie
Inhaltsverzeichnis
S. 87 Zeile I4 vonunten. StattMannigfaltigen in dieEinheit lies: Mannig-
faltigen, indieEinheit
S. 93 Zeilez vonoben. Stattkategorísche lies: kategoriale
S. roo Zeile ıovonoben. Stattauslösen lies: auflösen. Vorwort zu Band 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
S. 104 Zeile I2 vonoben. StattdererstenAntinomie lies: deserstenWider-
streits A. Vorrevolutioniire Theorien
S. 104 Zeile23 vonoben. Statt ››k«, ››l«Jies: ››l«, ››k«_
S. 107 Zeile I4 vonunten. StattdieerstemathematischeAntinomie lies: den Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
ersten mathematischenWiderstreit 1. N1cotA1HARTMANNSMetaphysik derErkenntnis
S. 141 Zeile 4 vonoben. Statt Aund B lies: AB 2. HUSSERLSsechste logische Untersuchung . . . . . . . _
S. 235 Zeile8 vonunten. Statt= 1 lies: = i.
S. 338 Zeile 15 vonunten. Hinter dazu füge ein: nur B. DieersteRevolutionderDen/emzgsart
S.370 Zeile 19 vonunten. Statt 346 lies: B46
S.417 Zeile aovonoben. StattDenken lies: Denkens. I. Teil:\X/as KANTverbietet . . . . . . . . . . . . . .-
S.452 Zeile 2 von unten. Statt die die Leiter herstellt lies: der die Leiter
herstellt. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
S. 522 Zeile zovonoben. Statt Handlungs lies: Handlung. 1. DieAntinomiederreinenVernunft . . . . . . . . . . .
2. Das Ideal der reinen Vernunfl: . . . . . . . . . . . . . . .
3. Von denParalogismen der reinenVernunft . . _ . .
II. Teil: Was KANT inAnspruch nimmt
1. Die transzendentaleÄsthetik . . . . . . . . . . . . . . _ _
2. DietranszendentaleLogik . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Phaenomenaund Noumena . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. DieAmphibolie derReflexionsbegriffe . . . . . . . .
Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . _ .
Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . _ .
__ ©. 1968 Akade-misc_,he Verlagsgese'llschaaftucFlia1n11lšlf1iırte0ífxaittetan›ziieses Buch_ oder
Ohne ausdrucklıche Genehmllšuffb des Vfflages 151 ei I Mikmšopíe) zuverviençälngen
Teile daraus aufphotomechanıschem Wege (Photo 0P1e› b Ok Eschwene
Printed in Germany. Gesamthcrstellung: Poeschel SL Schulz-Schom urb , e
Inhaltsverzeichnis der Bände 1 bis 3
Bund Z: Einleitung-Spannweite desProblems
I. I-tsaneııs Einsatz
II. Sprache als Handlung:
ARNOLD GEHLENSAHIWOYLaufHERDER
III Sprache als Kontaktform (Rfivıšsz)
IV. AnnäherungansDialektische (Rossi)
V. Drei weitereBestimmungen
VI. Sprache und Mythos I
VII. Sprache alsBild
VIII. Bezeichnendes und Bedeutendes
IX Sprache und Erkenntnis
X Spradıe als symbolische Form
XI Sprache undMythos II
XII Sprache als Zeichen (1sünı.ER)
Band2:Sprache- „WILHELMVONHUMBOLDT“
I Kategorien
II. Sprache
III. Sprache und Wahrnehmung
IV. Die Subjekt-Objektbeziehungin der Sprache
V. Äußeres und Inneres
VI. Idealrealität. Realidealität
VII. Vor der Grenze zur Dialektik
VIII. Geschichtlichkeit
IX. Bewußt-Sein
X. Spracheund Denken
XI. Lautformund Sprachform
XII. SprachbauundWeltansicht
XIII. Individualität und Gesellschaft
XIV. Sprache und SchriPt
XV. Sprache undKunst
Band3: Wege zumBewußtseinim Raum
vonKANT, HEGELundMARX
A. Metuphysisches Vorspiel
I. Grundbegriffe
II. Positivität
III. Leben und Schicksal
B. Kritik
I. DerBegriff des Zwecks bei KAN1' undHecızı.
II. Sittlid1keit
C. Werlebt aufdieserErde?
Recht, Moralität und Sittlichkeit beiıiıscıat
Vorwort zu Band 4
Dieser Band beginnt mit einer Modellvorstellung, die in Form einer These vorge-
tragen wird, die ihrerseits einen Sdıritt auf die Sprachlichkeit des menschlichen
Denkens zugeht. Sie lautet: Die uneingeschränkte Gültigkeit des Denkens unter
den Gesetzen der formalen Logik ist aufdas GebietderPositifvität einzuschränken.
Über dieWahrheit oder Unwahrheit dieser These ist zunächstnichts auszumachen.
ZumGebietder Positivitätgehören: diestrengenWissenschaften, daspositiveRecht
und jede Philosophie, die als Wissenschaft auftritt. Zu ihm gehören nicht: die
menschlich-sprachliche Wirklichkeit, die Bedingungen der Möglichkeit formallogi-
schen Denkens wie dieses selbst. DasformallogischeDenkengehörtdeshalb nicht zu
ihm, weil es zur Voraussetzung etwas hat, was in der Kantischen Diktion „Be-
dingung der Möglichkeit des Verstandes und der Verstand selbst“ heißt. Das von
mir hier in Anführungszeichen Gesetzte ist der existierende Begriff I-IEGELS, der in
jedemformallogisdıenDenkakt amWerkist unddieGültigkeitderDenkinhaltebe-
stimmt. Der Mensch hat nidıt dieMöglichkeit, aufverschiedeneWeisen zu denken,
wenngleich im 4. und 5. Band von „Sprache und Bewußtsein“ von zwei Revolu-
tionen der „Denkungsart“ gehandeltwird. Die zweite Revolution der „Denkungs-
art“ bestehtin demAufweis, daß Denkennichtetwasist, wasvoneinerArtist.
Der Mensch hat niemals anders als dialektisdı gedacht. Er denkt auch dort dia-
lektisch, wo er diesen dialektischen Charakter mit Notwendigkeit denkend ver-
deckt: im Reich der Positivität. Er denkt auchdortdialektisch, Woer dasjeweilige
positive Recht aus der Spannung zwischen Recht, Moralität und Sittlichkeit her-
stellt. Die Erläuterung der These, daß dieDialektik sich nicht auf dem Fundament
eines so genannten formalen Denkens erhebt, sondern die Weise ist, in der dieses
Denken selbst zu seinem Fiírsidasein gelangt, gehört sowohl zu Band 4 wie Band 5
von „SpracheundBewußtsein“.
Die Arbeit des vierten Bandes besteht in dem Versuch, KANTS Einführung der
„transzendentalenLogik“ als ersten,vonihmnichtgesehenenSchritt zurEinschrän-
kung des Absolutheitsanspruches des formallogischen Denkens in Richtung auf
seine Selbsterkenntnis aufzuweisen. Der Absolutheitsanspruch des formallogischen
;Denkens liegt in der Annahme, daß der Satz, es sei nichts von ihm selbst her ver-
;ständlich, eine Ausnahme habe. Die formale Logik hält sich für autark, also aus ihr
,selbst her verständlich. Diese Annahme besteht in der als „selbstverständlich“
ilangesehenen Meinung, daß der Mensch, wenn er formallogisch denkt, nicht dialek-
itisch denkt, daß die formallogische Charakterisierung dieses Denkens selbst seine
ierschöpfende oder doch dem Menschen einzig mögliche Darstellungsweise von ihm
l'
X VorwortzuBand4 VorwortzuBand4 XI
wohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnis:/ırt von Gegenständen, in-
sei Erschöpfend dargestellt ist der Bereich allgemeiner Gültigkeit. Dieser Berßifih
I ck; sich nicht auf die Wirklichkeit des Menschen (genetivus subjectivus und sofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt“ (Kritik der reinen
eıšfretívus) Sondern auf eine \)(/il-kliçhkeit“, die zum Inbegriff solcher Substrat- Vernunft, B 25), eine solche vorherige Verständigung über das Erkennen, „eine
natürliche Vorstellung“. „Es ist eine natürliche Vorstellung, daß, eh in der Philo-
gOeišlífiständlichkeiten zuhercitef,wurde' die unter den Gültigkeitsgesetzen der for-
sophiean dieSache selbst, nämlich an das wirklicheErkennen dessen, was inWahr-
malenLogikstehen. ß _ KK D ensCh_
heit ist, gegangen wird, es notwendig sei, vorher über das Erkennen sich zu ver-
Unser Thema lautet in allen Bänden: „Sprache und Bewlp tseınà aåêiàanken
ständigen ...“ (HEGEL, „Phänomenologie des Geistes“, ed. Hori=Mi:isTisR, Felix
liche Bewußtsein kann nicht_von_einer solchen Zubereitung er š'°f_ en d Seiner
gebracht We,-dem Die Verdinglichung des menschlichen BewultsâinsIälıphhau zu Meiner, 1948, S. 63). In diesem Band wird versucht, das Verhältnis dieser beiden
Sätze zu einander zu bestimmen. Erst wenn der Hegelsche Satz als Anzeige der
Sprache im theoretischen und praktischen Weltverhalten ısgilal: _ erb dı Wirk-
zweiten Revolution gelesen und verstanden werden kann, besteht die Möglichkeit
betrachten, denallewissenschaftlicheBetrachtung ›1íıtNotwín ıgnelíš il' elídi keit
für das Bewußtsein, Bewußt-Sein zu denken. Ein solches Bewußtsein denkt noch
lichkeit dieser übergegenstandlichen „Gegenstände gelegt lat- 1°_ _° W g
clialektisch,nichtschonsprachlich.
dieses VorgehensistvonKANTerkanntworden.. In dieser Erkenntnis liegt dererste,
Wir haben in Band 1 und 2 das Bathos sprachlichen Denkens ausgebreitet und
von KANT nicht mehr erkannte Schritt zur Einschrankung seines in Anspruch ge-
im 3. Band das Reich der Positivität sowohl mit Hilfe Hearts wie einer kritischen
nommenenAbsolutheitscharakters. _ _ k ische
Betrachtung der „Kritik der teleologischen Urteilskraft“ und der „Kritik der prak-
Die Hybris der Absolutsetzung des forniallogischenıDenkens nimmt om.
tischen Vernunft“ KANTs, schließlich als Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie
Züge an wenn behauptet wird, Gott müsse, falls er ein denkendes Wesen sei, 50
abgesteckt. Es dehnt sich viel weiter aus. Heute hat es die absolute Herrschaft auf
dCHken_wie_ d_er Me.nsch› da er. sonst nichtdenkende's D'enken ausübtßs Sifh 21150" ddef, der Erde, sowohl in den Wissenschaften wie in der Politik und der Fortsetzung
contradictio in adjecto schulfdıg maílileskdaß ifo §1 elâlm 3::dííhíäškíšlivšlíeíí
solcher Politik nicht mehr als Krieg, sondern Völkervernichtungsveranstaltung,
k d d k , `nso ern er en e, H1 f- C1' gr“ =
inne. Die Ratlosigkeit in den höchsten Stellen ist komplett. Die Ahnung
ffıoffterifieltiiıfslhrlcheser,1,Deen1ken“ versinke, ist der der Konzeption ífines .BâgfilÄ:
. NiET2sci-iizs vom Nihilismus als dem unheimlichsten aller Gäste wagt sich nicht ans
sich ständig selbst zersetze, wobei auch das Wort „stan_d1g _Sınr_1 OS C- L_ _
TageslichtdesBegriffs, weileinsolcherBegriffdiezweiteRevolution derDenkungs-
Stelle der Möglichkeit einer anderen Auffassung ist die Wirklichkeit ihrer ıquı-
_ _ _ . - -~ ' k ' “ art selbst wäre. Die außerordentlichen Schwierigkeiten einer solchen Revolution,
dierunggetreten, welcheLiquidierungaberdievonHEGELsogenaišnte „f;1luSS11šStCı:__
die nurPhilosophie leisten kann,zwingen diebesten Geister zurHoffnung, es möge
seines sogenannten Begriffs schon selbst besorge. Der Ermor etc at SLC SC
nicht wahr sein, was sie vor sich sehen. Diese Lage ist derjenigen ähnlich, die zur
mordet,ohne esfreilichzubemerken. _ _ _ _ _' A Ch d_e trans-
Zeit des Faschismus uns keinen Augenblick daran zweifeln ließ, daß das metho-
Beweise haben ihren Platz innerhalb des Reiches derPositıvitat. u . fh
dische Vorgehen der damaligen deutschen Politiker zu einem zweiten Weltkrieg
zendentalen Beweise KANTs! Auf das Denken des Menschen werden Sie Slch H1 T
führen müsse, in der wir aber der Hoffnung nicht entsagen konnten, daß solche
beziehen konnen. Das Kantische Vorgehen wird hier deshalb .als eine Revolution
PrognosenmiteinemDenkfehlerbehaftetseien, weil die Vernichtung, nichtdesNa-
des Denkens über das Denken bezeichnet, weil seine Beweise uber den Bereich, in
tionalsozialismus, sondern eines großen Teiles von Deutschland drohte. Inzwischen
dem Beweise ihre Stelle haben, hınauszufuhren scheinen. Hegel wird dieses Reı
haben wir gelernt, eine solche Lage als Vorspiel zur heutigen Weltsituation anzu-
in der formalen Logik selbst entdecken. Nur wenn das Reich des menschlichen Ge-
. sehen. Wir hatten Gelegenheit, die Inferiorität aller bestimmten Hoffnung einzu-
dankens die Hölle des formallogischen Denkens durchstrahlt, sind uber sie .noch
sehenund dieunbestimmte,dieaufGottvertraut,nichtfahrenzulassen.
sinnvolle Aussagen möglich, sind wir selbst als Menschen noch nicht in ihr einge-
. . . ._ ~ ' d l - Wenn es hier überhaupt ein Heilmittel gibt, so ist es die Erkenntnis des Men-
sperrt wie einige Vorlauferbei DANTE. DANTB wußte. dëfß man auffl1eSef_Ef e _e
schen als des existierenden Begriffs. Dieser ist in der formalen Logik Nonsens. Sie
ben und doch schon in der Hölle sein kann. Diesem Wissen entspricät die zweite
lversteht ihre Begriffe als reine Formen zu Urteilen, Existenz nur als Existenz von
Revolution der „Denkungsart“ in den beiden Hauptwerken Hríiits. lieåer zwcıte
'feinerbestimmten,nurvonihrzubestimmendenForm.
Schritt artikuliert sich in der Fortfuhrung des Kantıschen.Den ens. a s Vestimšråffi
Die Notwendigkeit der Revolution der Kantisdien Revolution wird damit auf-
Negation seiner selbst. Wie KANT im ersten Satz der „Krlflk del' felgen d°m“Eín_
Ffrzuzeigen versucht, daß KANT im ersten Teil der „Kritik der reinen Vernunft“ das
die ganze Kritik sogleich ausspricht, so gibt auch I'-Ii:GE.i. im ersten_ ítzd 61'K,;itik
šımit Notwendigkeit in Anspruch nimmt, was er im zweiten Teil verbietet. Darin
leitung“ in die „Phänomenologie des Geistes gleich die ganze Kšıtlgs @tf_ Z al:
ifbesteht der Übergang zu HEGELS „Phänomcnologie des Geistes“, die dieseNotwen-
KANT sagte inderEinleitung derzweitenAusgabe (B. 1), daß alle 1' en: W
mit der Erfahrung „anfange“, oder „anhebt“ (ebd.)_, aber deshalb doc t§18 fxdigkeit ausspricht und in ihr die dialektische Bewegung des Begriffs findet. Dieser
der Erfahrung „entspringt“. HEGEL dagegen nennt mitBezug auf die Kantis hc C- Begriffistbereitseinandererals derKantische.EristderdesMenschen.
l Als menschlicher Begriff ist der Begriff endlich, als menschlicher Begriff ist er
stimmung der „transzendentalen Erkenntnis“ als einer solchen, „dıe sich nic t so-
VorwortzuBand4 XIII
XII VorwortzuBand4
Sinn der Emphase einer erreichten Letztbegründung wie auch den vermittelten
unendlich. Da er immer nur als menschlicher Begrifi und nicht in einer der beiden
des Gegenteils solcher Ernphase, die mit der Vertiefung der Einsicht in die Endlich-
Hinsichten auftritt, ist in der Endlichkeit seine Unendlichkeit, in der Unendlichkeit
keit des menschlichen Bewußtseins die im Schein der Tragödie verborgene Komödie
seine Endlichkeit mitzudenken: ein Denken, dessen Einübung allerdings nicht nur
ans Licht hebt. „Absolut“ heißt losgelöst. Die unmittelbare Losgelöstheit ist die
einer entsprechenden Kraft der Anstrengung des Begriffs bedarf, sondern auch des
Verblasenheit eines sogenannten Begriffs, dessen theoretische Sinnlosigkeit KANT
im 3. Band wenigstens angedeuteten Übergangs von der Moralität in die Sittlich-
aufgezeigt hat. Die vermittelte Losgclöstheit ist das Gegenteil davon, der mensch-
keit.
liche Begriff, die Losgelöstbeit von der unmittelbaren Losgelöstheit, die Rückkehr
Deshalb sei zunächst - unserem Zeitalter gemäß - auf die Endlichkeit des Be-
desAllgemeinen in dieSingularitätdesEinzelnen.
griífs als eines menschlichen hingewiesen. Wir wissen, daß wir sterben müssen.
Die formale Logik ist einer Brücke mit einem Geländer vergleichbar, auf das
Dieses Wissenschließt die VergänglichkeitunsererI-Iervorbringungen ein. DieKan-
man sich zwar nicht stützen kann, das aber zur Aktualisierung einer Stütze ver-
tische Kritik hätte die Aufgabe der ersten Revolution der Denkungsart erfüllt,
hilft. Das mit der Einsicht in den Abgrund unter ihr notwendige Schwindelgefühl
wenn das Bewußtsein von ihr das Bewußtsein jedes Philosophierenden wäre. Daß
wird im praktisch-technischen Interesse des Hinübergelangens als intellektueller
das bis heute keineswegs der Fall ist, zeigen wir an den Theorien NIcoLAı HART-
Schwindel angesehen. Über den Abgrund gelangt nur der, der ihn durchschritten
MANNsundHuss!-:RLs auf.Dieserglaubtesogar,schließlichnoch„radikaler“alsKANT
hat, was formallogisch unmöglich ist. Wie sollte ein nur endliches Bewußtsein einen
vorzugehen. Man kann sehen, daß der Unterschied von Ding an sich und Erschei-
Abgrund durchschreiten können? HAMANN sprach von einer „Brücke ohne Lehne“,
nung nicht begriffenwurde. Die Erscheinungwird als vordergründiges Ding an sich
nachdem er den Purismus des Kantischen Denkens aufgezeigt hatte. Damit ist die
mißverstanden, der Verstand soll nicht der „Natur“, sondern dem „Sein“ Gesetze
RichtungderDarlegungendiesesBandesangezeigt.
vorschreiben. KANT lehrte und glaubte bewiesen zu haben: die prinzipielle Unmög-
Die These von der Notwendigkeit der Einschränkung des absoluten Gültigkeits-
lichkeit der Erkenntnis der Dinge an sich als die erste Bedingung der Möglichkeit
anspruchs der formalen Logik kann deshalb nicht nur argumentierend begründet
von Erkenntnis. Die Kantischen Errungenschaften werden von mir ernst genom-
werden, weil die These mit dem Wort „Notwendigkeit“ anfängt. Wie soll es not-
men, ja er wird selbst an diesen seinen Errungenschaften gemessen, wie ich es mit
wendig sein können, Notwendigkeitscharaktere einzuschränken? Deshalb muß
demH1-:GELderRechtsphilosophiegetanhabe.
diese These sich den Gedankengang eines ganzen Werkes vor Augen halten, dessen
DieNotwendigkeitundWirklichkeit dialektischenDenkens ist nur auf demWeg
oberste Kategorie die der Notwendigkeit ist. Die Arbeit des vierten Baııdes von
über die äußerste Konsequenz KANTS zu gewinnen. Diese Stufe des Bewußtseins
„Sprache und Bewußtsein“ ist die Bestimmung der Nähe und des Ahstandes der
ist heute noch so aktuell, weil alle Welt sie - unter der Vokabel vom Zusammen-
„Kritik derreinen Vernunfl“ zu dieser These, die nicht um ihrer selbst willen, son-
bruch des deutschen Idealismus, vor allem der Hegelschen Philosophie _- so weit
dern als Aspekt aufgestellt wird, unter dem das theoretische Hauptwerk KANTS
verdrängt hat, wie es zur hemmungslosen Betätigung eines nur noch praktisch-
angesehen wird. Die „Kritik der reinen Vernunft“ ist unter der Führung der for-
technischen Denkens notwendig ist. Erst wenn Dialektik wieder im Bewußtsein der
malen Logik geschrieben, wenngleich die logische Form selbst transzendental-
Philosophierenden einen Platz hätte, könnte ihr Tod eintreten, der dann die Auf-
logisch bestimmt wird. Zum ersten Verständnis einer solchen These sind nicht nur
erstehung ihrer selbst als sprachliches Denken wäre - wie der Tod der Kantischen
einzelne Argumentationsreihen notwendig, sondern das Verständnis der „Kritik
Philosophie ihre Auferstehung als Dialektik ist. Aber auch das sprachliche Denken
der reinen Vernunfl“ auf einen Schlag, so wie wir den Sinn eines Sprachsatzes auf
hätte keinen Anspruch auf Ewigkeitsgeltung oder wie die schönen Ausdrücke auch
einenSchlagdenkenkönnen, MOZARTdagegendenSinn einesMusiksatzes aufeinen
immer lauten mögen. Könnte jemand zeigen, daß die Sprachlichkeit nicht die volle
Schlaghörenkonnte.
Charakteristik des menschlichen Bewußtseins als Bewußt-Sein hergibt, so würde
Die Einschränkung des Absolutheitsanspruches der formallogischen Gesetze
auch sie zum Moment herabsinken. Sie würde wie die früheren Stufen des Be-
scheint nur unter derVoraussetzung ihrer uneingeschränkten Geltung selbst möglich
wußtseins zwar niemals verlorengehen, aber nicht mehr das ganze Feld behaupten.
zu sein. Das ist der Satz. Bedient man sich dagegen der uneingeschränkten Geltung
Ewig scheint nur die Idee von Erkenntnis zu sein, wie sie einem Bewußtsein über-
der formalen Logik als Schlüssel für die Erforschung der Bedingungen der Mög-
haupt anstehen möchte. Hier bleibt die Einsicht, daß die später entdeckte Stufe des
lichkeit der menschlichen Erkenntnis, so wird man dafür die Einschränkung des ab-
Bewußtseins immer schon in den früheren Stufen am Werk war und daß erst ihre
soluten Geltungsanspruchs der formalen Logik, nämlich Dialektik, wie KANT sie
Erkenntnis wie ihr Erkanntwcrden die Verabschiedung der Macht ist, als die sie
definiert hat, in Anspruch nehmen müssen. Das ist der Gegensatz. Der Absolut-
in den früheren Stufen das menschliche Denken determinierte. Diese Mächte sterben
heitsanspruch der logischen Gesetze ist nur unter der Voraussetzung haltbar, daß
als absolute im emphatischen Sinn des Wortes, sobald sie erkannt werden, und er-
man ihn innerhalb des „Gebietes“ von Bewußt-Sein, relativ zu dem er Geltunghat,
fahren ihre Auferstehung als absolute Mächte im dialektischen Sinn des Wortes,
nicht etwa unter der Form einer neuen These aufgibt, sondern daß man entdeckt,
worin sie von der unmittelbaren Entgegensctzung von Subjekt und Objekt losge-
daß er dort niemals geherrscht haben leann, wenn dcr Absolutlieitsanspruch inner-
löst sind. „Absolut“ hat als dialektische Denkkategorie sowohl den unmittelbaren
XIV VorwortzuBand4
halbderWeltderPositivitätunangetastetbleibenkönnensoll.Absolutheitsanspruch
und Nichtabsolutheitsanspruch gleichen zwei Opponenten, die sich gegenseitig stüt-
zen. KANT gibteine indirekteDeduktion der Ansprüche der formalenLogik, indem
er in der Analytik zeigt, „wie die bloße logische Form unserer Erkenntnis den
Ursprung von reinen Begriffen a priori enthalten könne, welche vor aller Erfah-
rung Gegenstände vorstellen, oder vielmehr die synthetische Einheit anzeigen,
welchealleineineempirischeErkenntnisvonGegenständenmöglichmacht“ (A 321).
Das „Wie“ wird dadurch beantwortet, daß formale Logik solches als transzenden-
tale Logik bcsorgt. Die logische Form wird als die transzendentallogische Ver-
sammlung von Anschauungsmannigfaltigkeiten in die Einheit der transzendentalen
Apperzeption bestimmt. Die Bedingung der Möglichkeit dazu für den Menschen A. Vorrevolutionäre Theorien
ist nicht mehr die „logische Form“, auch nicht in ihrem transzendentallogischen
Auftreten, sondern dieErschleichungderSynthesis der Einheit dertranszendentalen
Apperzeption als einer wirklichen Denkbewegung über ihren reinen Prinzipien-
charakter hinaus. Diese Erschleichung muß unterbewußt bleiben, da ihre Verges-
senheit zu den obersten Bedingungen der Möglichkeit der Errichtung der Welt der
Positivität als der Welt der Erscheinungen gehört. Damit schließt sich der Kreis.
JedeAussageüberformaleLogik scheint dieseselbstvorauszusetzen, weshalb KANT
auch gesagt hat, man könne die Kategorien nicht definieren, weil man sie zu dieser
Definition schon voraussetzte. Aber er ist weiter gegangen. Er hat eine transzen-
dentallogische Bestimmung der logischen Form gegeben. Auf dieser seiner Leistung,
auf dieserDeduktion der Kategorien steht dieMöglichkeit, nach der Einschränkung
des absoluten Geltungsanspruchs der formalen Logik noch sinnvoll fragen zu kön-
nen. Deshalb wird die Kantintcrpretation dieses Bandes in der Form einer Re-
flexion über den Sinn der Einheit der transzendentalen Apperzeption im Durch-
gang durch die „Kritik der reinen Vernunft“ vorgetragen. Dieser Sinn ist bereits
dialektischerSinn, derseinerseitsaufSpracheundBewußtseinberuht.
Zu danken ist, wie immer, dem Verlag, vor allem Herrn Dietrich. Herr Dr.
HeinzRöttges trug die Hauptlast derKorrekturenmitHerrn Dr. Markis. Fräulein
Dr. Scheerstellte dasNamensregisterund dieHinweise zusammen.
Frankfurt am Main, im August 1968 BRUNO Lnsnıtucıts
Einleitung
Der dritte Band von „Sprache und Bewußtsein“ bewegte sich auf die Grenze zu,
an der cs fraglich wird, ob sprachliches Denken mit den Mitteln des formal-
logisdien Denkens oder der Kantischen Kritik erkennbar gemacht werden kann.
Die dabei immer mitgeführte Frage nach der Wahrheit ist zugleich die nach einem
Weltverhalten, das menschlich genannt werden kann. Zu solchem menschlichen Ver-
halten gehört nicht der im Ton des Vorwurfs erhobene Einwand, daß wir, wenn
wir für die Erkenntnis von Bewußt-Sein den Satz des zu vermeidenden Wider-
spruchs als gültig und nichtgültig ansehen, auch zugäben, daß wir dann unsere
Sätze als zugleich gültig und ungültig ansehen müßten und also dem Kritiker auch
die Behauptung zugeständen, wir hätten ebenso das Gegenteil von dem gesagt, was
wir gesagt haben. Ein solcher Einwand, der im Gewande der Menschenfreundlich-
keit gegenseitigen Verstehenwollens auftritt, ist in Wahrheit - d. h. wenn Wissen
sich nicht mehr als tedınisch-praktisches Herrschaftssystem begreift - gar kein Ein-
wand. Der Leser ist vielmehr nicht nur berechtigt, sondern sogar gehalten, zu allen
Sätzen, die in einer solchen Abhandlung ausgesprochen werden, die in diesen Sät-
zen schon enthaltenen Gegensätze zu bilden. In jedem Satz, der nicht mehr nur
über Gegenstände einer zur Positivität zubereiteten Wirklichkeit spricht, sondern
über Bewußt-Sein, steckt die Antinomie der Vernunft, die KANT nur dadurch ver-
meiden konnte, daß er Erkenntnis nur in der Welt der Erscheinungen stationierte.
Unter diesem reduzierten Erkenntnisbegriff steht auch der Einwand. Bewußt-Sein
gehört nicht zur Welt der Erscheinungen, wie wir mit KANT sehen werden. Die
menschliche Welt gehört auch nicht zur Welt der Erscheinungen, da es in ihr weder
Kausalität noch die die Kantische Welt der Erscheinungen konstituierenden Grund-
sätze gibt. Bewußt-Sein als die Einheit von Bewußtheit und diesem einzelnen Be-
wußtsein da mit der von ihm vor- und nachwissenschaftlich erfahrenen Welt ist
die Bedingung der Möglichkeit alles formallogischen Denkens. Der Satz: das for-
mallogische Denken ist in seiner wirklichen Betätigung und in seinem Geltungs-
charakter immer schon dialektisches Denken gewesen, darf nicht in den positiven
Satz verwandelt werden, der davon spricht, daß ein sogenanntes dialektisches
Denken das formallogische fundiere. Das Modell der Fundierung ist dem Hausbau
abgesehen, also einer technisch-praktischen Betätigung, und läßt dieses Moment
innerhalb desmenschlichen Denkens den Platz des ganzen Denkens einnehmen. Mit
dem Modell, unter dem von Fundierungsverhältnissen gesprochen wird, wird dem
nichtpositiven wirklichen Weltumgang des Menschen, den HUMBOLDT Geist nannte,
das Nessusgewand der Positivität übergeworfen. Er wird damit getötet. Wenn
2 VorrevolutionäreTheorien Einleitung 3
wir also sagen, das formallogische Denken sei in seiner wirklichen Betätigung und lutenbekleidete.Damit war der Wegdafürfreigemacht, daßWissensdiaftnurnoch
in seinem Geltungscharakter immer schon dialektisches Denken gewesen, so ver- als reine Technokratie ersdaeint, deren sogenannte Neutralität der inhaltslosen Be-
wechseln wir nidit zwei Gegenstandsbereiche, von denen der eine der Psychologie, stimmung der Sittlichkeit des Handelns entspridıt. Beide sind darin, sittlich ge-
deranderederLogikangehört(sieheHussızntsverschiedeneStellungnahmenzudie- sehen, böse; erkenntnismäßig gesehen, blind. Es gibt kein sittlich-neutrales theo-
sem Problem seit den „Logischen Untersuchungen“), sondern durchschauen die retisches Denken. Von jetzt ab sind daher die sittlichen Implikationen im Erkennt-
sehon stattgehabte Positivierung des Denkens selbst, das in zwei Gegenstände auf- nisproblem mitzudenken. KANT hat das in der Dimension seiner Fragestellung
gespalten wird, von denen der eine, die Aktivität, auch Akt geheißen, der Psy- sehoninder„KritikderreinenVernunft“ getan.
chologie zugehört, der andere, der Inhalt, der Logik zugesprochen wird. Daß da- jede Berufung auf eine nur wissenschaftliche Instanz appelliert an eine nicht
mit auch entschieden ist, daß ein solches noch Denken genanntes Verhalten Wirk- mehr menschliche Instanz, die, sobald sie zur Herrschaft gelangt, notwendig böse
lichkeit nicht erreichen kann, fällt dann nicht weiter ins Gewicht, weil die Inhalte ist. Nicht jede Macht ist böse. Aber nur die Macht im Dienste des Guten ist gut.
solche absoluter Wesensgeltung sein und die Akte gleichgültig sein sollen. Es han- Böse ist nicht nur die Macht im Dienste des Bösen, sondern schon die Macht um
delt sichum Gebilde, derenWurzeln abgeschnitten sind, die aber dafür, wenn schon ihrer selbstwillen, weil dann die absolute Herrschaft des Guten sowohl im empha-
nicht in wirklidier Blüte, so doch darüber hinaus in ewiger Geltung stehen sollen. tisch-platonischen wie im philosophisch-hegelischen Sinne nicht anerkannt ist. Nur
Vielmehr enthält der Satz, daß alles formallogische Denken dialektisches Denken in denRäumen dieserMachtsind wirfrei. AlsNaturwesen wären wir es auch dann
ist, schon den Gegensatz in sich, daß alles dialektische Denken formallogisches Den- nicht, wenn wir die Natur von Übermenschen hätten. Die Nichtanerkennung der
ken ist. Wir werden nicht mit dem Zauber neuer Argumentationsweisen aufwarten absoluten Macht des Guten ist die Verwechslung des ästhetisch Schönen mit der
oder garohne Argumentationen auszukommen suchen. DerArgumentationscharak- Schönheit der Natur und der Kunst. Sie ist in der Paradiesesgeschichte rnythisch
ter des Denkens ist ein Moment innerhalb seiner selbst. In diesem Sinne enthält dadurch ausgedrückt, daß Adam meint, Gott vormachen zu können, er höre ihn
der Satz, daß alles formallogische Denken dialektisches Denken ist, seinen Gegen- nicht, wenn dieser ihn ruft. Adam sieht nicht, daß Gott die Liebe ist, die den Men-
satz in sich. Er ist immer als mitausgesprodien anzusehen, wenngleich der Auf- schen niemals verläßt. Adam war es auch, der am Kreuz hing, an dem auch die
merksamkeitsstrahl manchmal von einem der beiden Sätze abgezogen werden muß. Ansicht, Gott habe den Menschen verlassen, gekreuzigt wurde. Gott ruft jeden
Die Notwendigkeit dazu liegt im Mitteilungscharakter des Denkens, d. h. in dem Menschen zu allen Zeiten, wenn auch in den stummen göttlichen Sprachen der
Moment seinerSpraehlichkeit, dasseinertechnisch-praktischenSeite angehört. Hätte Kunst, der Religionen und der für uns Menschen als nur endlichen Wesen stummen
Sprache dieses technisch-praktische Momentnidıt, so wäre es niemals zu seiner Ver- Offenbarung.
absolutierunggekommen. Ein wohlwollender Rezensent des ersten Bandes von „Sprache und Bewußtsein“
Es müßte daher gezeigt werden, daß Sätze, die ihr vergessenes Gegenteil nicht schrieb, es sei viel Weltanschauliches eingemischt, weil diese Hintergründe aufge-
in sich enthalten, ohne Bedeutung sind, sofern sie aufWirklichkeit als Wirklichkeit zeigt werden sollten. Hier scheint sich das zu wiederholen! Aber die Implikationen
und nicht nur auf ihre manipulierbare Seite hinweisen können sollen. Das Hinwei- von Sittlichkeit und Erkenntnis haben nichts mit bestimmten Weltanschauungen zu
sen auf die manipulierbare Seite der Wirklichkeit setzt ihre Affinität zu solchem tun. So lautet eine weitere, sich durch alle Bände von „Sprache und Bewußtsein“
technisch-praktischen Verhalten des Menschen voraus. Diese Affinität der Wirk- hindurchziehende These, daß nur die reine Theorie zugleich menschlich-praktisdi
lichkeit ist eine andere als die, die sie zum menschlichen Denken hat. Eine der ist, und daß das menschlich-praktische Verhalten nur in der Weise möglidi ist, in
Thesen dieses Bandes wird lauten, daß die Architektonik der reinen Vernunft bei dh' wir in den Räumen der reinen Theorie sitzen. Es sind das Räume, in denen
KANT eine technisch-praktische Architektonik geblieben ist. Wir können mit eini- man sich im Gegensatz zum Anschauungsraum KANTS in verschiedenen Weisen be-
gen Erörterungen des dritten Bandes sagen: sowohl die Bestimmung der Sitt- finden kann. Dieser Raum der reinen Theorie ist der Raum der Hegelschen Idee,
lichkeit wie die Bestiınınung des Begriffs der Existenz im theoretischen Feld muß /ifißr Raum einer Logik, die zugleich welthaltig ist, der also immer wieder der Vor-
im Gegensatz zu KANT an einen Inhalt gebunden sein. Die Bestimmung des Be- ,Üíırf zu machen ist, daß sie Logik und Metaphysik zugleich sei. In der Form des
griffs der Existenz als absolute Position dagegen ist die Grundbestimmung, ja 'wørwurfs würde der Einwand bedeuten, daß der Mensch keine Gedanken denken
das oberste Prinzip der Zubereitung der menschlichen Welt zur Welt der Positivi- lfllle, die auf Wirklichkeit hinweisen. Diese Idee hat das eminent Dialektisehe an
tät. Es bedurfte nicht der kritischen Phase des Kantischen Denkens, um diese Be- “Üh daß sıe auch als nichterfüllte schon erfüllt ist, weil die Bildung des Unter-
stimmung zu entdecken! Wir werden diese Bestimmung abgewandelt im obersten Üdhecles in der Bedeutung von Erfüllung und Nichterfüllung sie schon immer als
Prinzip der Erkenntnis, der Einheit der transzendentalen Apperzeption, wieder- :histierende in Anspruch genommen hat. Die Bildung des Unterschiedes kann aber
finden, vonder gleichfalls nurdas „daß ichbin“ ausgesagtwerden kann. Bei Frcı-:TE “Ur etwas ın Anspruch nehmen, was den Unterschied in sich enthält. Eine solche
kam heraus, daß eine solche Philosophie nichts anderes als „Wissenschafl:slehre“ ge- ßxistieı-endeIdeeistkeindaseienderGegenstand.
wesen war, die FICHTE dann seinerseits mit dem Prädikat des emphatischen Abso- Die oben angegebene Grenze wird in diesem Band überschritten. Dieser Über-
Einleitung 5
4 VorrevolutionäreTheorien
von ihm so genannten „vertikalen Sinn“ überschritten, wie einer der Unteroffi-
schritt wird erschlichen. Die Erschleichung zeigt sich schon im Stil unseres Vor-
Ziefe der Wachmannschafi sich erinnerte, so kann er sie schon deshalb nicht über-
gehens. Immer wieder gibt es Antizipationen, wie eben. Es wird nicht mathema-
Schritten haben, weil dort ja, wie mit Evidenz einsehbar, nichts ist, vor allem aber
tisch vorgegangen, wo das Resultat am Ende steht. Es wird sprachlich vorgegangen,
keine Gültigkeit mehr in Anspruch genommen werden könnte. Solchem Vorhaben
wobei das Resultat am Anfang und am Ende steht. Es ist sogar noch schlimmer: könne man daher nurmit jenem Bedauern zusehen, wie es schon immer zurNatur
die Erschleichung wird rehabilitiert. Es handelt sich also nicht um einen regulären solcher hier nochmit dem anachronistischen Ausdruck als „Unteroffiziere“ bezeich-
Grenzübergang. Dieser müßte sich Forderungen unterwerfen, deren Unwahrheit
netenMenschen liegt, die längst zu Funktionären einer Wissenschaft und einer Ge-
eingesehen ist. Es geht dabei um den Existenzbeweis des Menschen, der beim regu-
sellschaft avanciert sind, die ihrerseits die Menschen von Fortschritt zu Fortschritt
lären Übergang nach Ansicht der Zöllner diesseits der Grenze bleiben muß. Das
führen, der bald so groß sein mag, daß auch solche Aberrationen nicht mehr be-
Bewußt-Sein, das immer das Überschreiten dieser Grenze ist, stationiert den Men-
kämpft zu werden brauchen. Die inzwischen zu Menschen arrivierten Funktionäre
schen nicht einfach jenseits der Grenze, sondern sagt: es sei als menschliches Be-
brauchten dann nur noch auf die ad absurdum führenden Konsequenzen eines
wußtsein auch diesseits der Grenze immer schon jenseits ihrer gewesen. Denn wenn
soldien vertikalen Grenziiberganges hinzuweisen, um den vor ihren Augen Ver-
es nur jenseits gewesen wäre, so wäre es in Wahrheit nur in einem anderen Teil
schwundenen nichtmehr in einem Meer von Blut und Tränen, sondern in dem be-
des Diesseits gewesen. Die Grenzüberschreitung ist nidit die von einer Hälfte einer
kanntenAbgrund derLächerlichkeit versinkenzu lassen.
Ebene in die gegenüberliegende, sondern das Verlassen der „immanenten“ Grenze
So sdieint der Grenzgänger mit den Wächtern versöhnt. Aber nur deshalb, weil
beiderHälften. DieErwartung, daß solcheGrenzüberschreitung legitim zubewerk-
der wirkliche von ihnen nicht gesehen wurde, der von ihnen gesehene nicht der
stelligen wäre, entspricht mutatis mutandis dem Staunen darüber, daß Hitler in
wirkliche war. Der wirkliche scheint also doch über die grüne Grenze gegangen zu
einemhalbwegs zivilisiertenLand „legitim“ und nicht nur legal zur Machtkommen
sein. Dieser aber glaubt, die Wirklichkeit der Wächter und ihres Weltverhaltens
konnte. Solches „Staunen“ hat sich an die Stelle des thaumazein geschoben, dem
erkannt zu haben. Von diesem wird in diesemBand gehandelt, sofern es als Philo-
wir den Ursprung der Philosophie verdanken sollen, wobei sowohl der Ursprung
sophieaufgetreten ist. /
wie seine Erklärung verbraucht wurden. Philosophie entsprang seitdem auch dem
Mißtrauenund demMißtrauen in das Mißtrauen, was keineRückkehr zum tumben
Staunenwar.
Die Zitadellenwächter sitzen auf Waffen, die man nicht sieht. Sie sagen: willst
du hier hinübergehen, dann wirst du den Menschen diesseits der Grenze lassen.
Der Übergang, der kein einfaches Übergehen ist, sondern die Notwendigkeit dazu
in sich enthält, besteht in der Einsicht, daß der Mensch diesseits der Grenze ver-
schwunden ist. Für die Zitadellenwächter kann die Grenzüberschreitung nur eine
solche innerhalb der Ebene sein, die sie von oben her übersehen, d. h. zugleich be-
herrschen und nicht sehen. Sie kennen die Ebene nur noch als Inbegriff von For-
meln. Der Grenzgänger entgegnet, seine Weise, die Grenze zu überschreiten, be-
stehe darin, nicht entweder diesseits der Grenze oder jenseits der Grenze zu sein,
sondern darin, schon diesseits der Grenze jenseits zu sein und jenseits ihrer doch
auchdiesseitszusein.
In diesem Augenblidt zeigt sidi die Überlegenheit der Zöllner. Sie erklären,
nicht ohne eine gewisse schonsame Freundlichkeit, die ihnen aus dem Vorrat an-
geborener Milde immer zur Verfügung steht, daß sie einen Übergang, bei dem der
die GrenzeÜberschreitende diesseitsbleibt,wohlgestattenkönnten. Ja, sieerklären,
daß Gestatten und Verbieten hier gar nicht ihres Amtes sei. Wie sie die Ebene
übersahen, so übersehen sie jetzt audi den Grenzüberschritt. Und es ergibt sidi das
para doxan Philosophische, daß dieser Grenzgänger, indem er an den Wächtern
vorbeigeht, zugleich über die grüne Grenze geht. Die Zöllner sind darin beruhigt,
daß der sich als Grenzgänger doch wohl Mißverstehende innerhalb des ihm zu-
stehenden Territoriums geblieben ist. Für den Kaiser von China haben sich schon
viele gehalten. Sollte er allerdings der Meinung sein, er habe die Grenze in einem