Table Of ContentFORSCHUNGSBERICHTE DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN
Nr.1874
Herausgegeben im Auftrage des Ministerpräsidenten Heinz Kühn
von Staatssekretär Professor Dr. h. c. Dr. E. h. Leo Brandt
DK 543.42.001.5 :547.42 -145.2 :547.964.4 -145.2 :547.466 -145.2: 661.18
Dr. rer. nato Man/red Spei
Deutsches Wolljorschungsinstitut an der Techn. Hochschule Aachen
Spektroskopische Untersuchungen
an wäßrigen Lösungen von Carbonamiden,
Alkoholen, Tensiden und Peptiden
WESTDEUTSCHER VERLAG KÖLN UND OPLADEN 1967
ISBN 978-3-663-04146-7 ISBN 978-3-663-05592-1 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-05592-1
Verlags-Nr. 011874
© 1967 by Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen
Gesamtherstellung : Westdeutscher Verlag
Inhalt
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1. Einleitung:
Der Zusammenhang zwischen hydrophoben Bindungen und der
nativen Proteinstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
2. Bisherige Ergebnisse ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.1 Die Struktur des reinen Wassers ................................. . 7
2.2 Veränderungen der Wasserstruktur beim Lösen von Molekülen mit
hydrophoben Seitenketten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.3 Modellversuche zur Deutung der Proteinstabilität in wäßriger Lösung. 9
2.4 Indirekte Nachweise der hydrophoben Bindungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.41 Globulärproteine................................................ 9
2.411 Verschiebungen der pK-Werte .................................... 9
2.412 Unvollständiger Deuteriumaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 10
2.413 Erniedrigung der Umwandlungstemperatur der Ribonuclease ......... 10
2.414 Löslichkeit von Kohlenwasserstoffen in wäßrigen Proteinlösungen . . . .. 10
2.415 Denaturierungsstudien von Proteinen im Ultraviolettbereich .... . . . . .. 10
2.416 Denaturierungsstudien von Proteinen mit Hilfe der hochauflösenden
Kernresonanzspektroskopie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11
2.42 Faserproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.43 Bisherige Untersuchungen an Tensiden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11
2.5 Kritische Betrachtung der bisherigen Ergebnisse .................... 12
3. Ausgangspunkt dieser Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 13
4. Grundlagen der hier angewandten spektroskopischen Untersuchungsmethoden 13
4.1 Nahe Infrarotspektroskopie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 13
4.2 Ultraviolettspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 14
4.3 Kernmagnetische Resonanzspektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 14
5. Experimenteller Teil .................................................. 15
5.1 Apparate. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . •. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 15
5.2 Substanzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 16
5.3 Meßmethoden zur Bestimmung der Verschiebungen der CH2-Banden der
Carbonamide, Alkohole und Tenside im nahen Infrarotbereich ........ 17
6. Ergebnisse eigener Messungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
6.1 Verdünnungsreihen von sekundären Amiden in Wasser und schwerem
Wasser zur R~stimmung der Verschiebungen von CH-Banden . . . .. .. .. 18
6.11 Zuordnung der CH-Banden im Ober- und Kombinationsschwingungs-
bereich ........................................................ 18
3
6.12 Meßergebnisse.................................................. 20
6.121 N-Äthylacetamid ... ........................................ ..... 20
6.122 N-Propylacetamid ...................................... ... . ... .. 21
6.123 N-Butylacetamid .............................. .................. 21
6.124 N-Methylpropionamid ...... ....... ............... ...... . ... ... .. 23
6.2 Prüfung auf Spektralverschiebungen der eH-Banden in Lösungen von
Alkoholen in Wasser und schwerem Wasser ........................ 23
6.3 Kernmagnetische Resonanzuntersuchungen von sekundären Amiden und
Alkoholen zur Bestimmung von eventuell auftretenden Assoziations-
verschiebungen ................................................. 24
6.4 Aliphatische Tenside im nahen Infrarotbereich ...................... 24
6.41 Natrium-Hexylsulfat............................................. 25
6.42 Natrium-Octylsulfat............................................. 25
6.43 Natrium-Decylsulfat............................................. 27
6.44 Natrium-Dodecylsulfat........................................... 27
6.5 Ultraviolettspektren von Insulinpeptiden in Wasser und 8 m
Harnstofflösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 28
6.6 Bestimmung der Rotverschiebungen aromatischer Tenside oberhalb der
kritischen Micellbildungskonzentration im Ultraviolettbereich . . . . . . . .. 32
6.61 Dimethyl-cetyl-benzyl-ammoniumchlorid........................... 32
6.62 NP 9: p-Nonylphenyl-nonaglykoläther ............................. 33
7. Zusammenfassende Diskussion 34
8. Danksagung ......................................................... 37
9. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 37
4
Zusammenfassung
1. Von verschiedener Seite wurde die Hypothese aufgestellt, daß nicht nur Proteine,
sondern auch kurze Peptide und sogar Alkohole durch hydrophobe Wechselwirkungen
mit dem Lösungsmittel Wasser aggregieren. Bei Micellbildung ist sowohl im nahen
Infrarotbereich als auch im Ultraviolettbereich eine Rotverschiebung, bei Auflösung
der Micellen (Denaturierung) eine Blauverschiebung zu erwarten. In der vorliegenden
Arbeit sollte die Hypothese der hydrophoben Wechselwirkungen durch spektrosko
pische Untersuchungen an niedermolekularen einheitlichen Verbindungen experimentell
geprüft werden.
2. Zum direkten Nachweis der hydrophoben Bindungen durch spektrale Verschiebung
der eH-Banden wurden Alkohole, sekundäre Amide und Natrium-alkylsulfate verwandt.
3. Zum indirekten Nachweis durch spektrale Verschiebungen chromophorer Gruppen
dienten Insulinpeptide (bzw. Insulinketten und kristallisiertes Rinderinsulin als Ver
gleichssubstanzen). Ebenfalls zum Vergleich wurden noch die beiden aromatischen
Tenside Dimethyl-cetyl-benzyl-ammoniumchlorid und p-Nonylphenyl-nonaglykolätl:er
verwandt.
4. Die Versuche zum direkten Nachweis der hydrophoben Bindungen wurden mit
Hilfe der nahen Infrarotspektroskopie und der hochauflösenden Kernresonanzspek
troskopie durchgeführt, die indirekten Beweise mit Hilfe der Ultraviolettspektroskopie.
5. Es wurde gefunden, daß Alkohole und sekundäre Amide in wäßriger Lösung noch
nicht aggregieren. Bei Natrium-hexyl-sulfat, Natrium-octylsulfat und Natrium-decyl
sulfat treten oberhalb der kritischen Micellbildungskonzentration Rotverschiebungen
von 3 bis 5 nm auf. Dies ist der erste direkte infrarotspektroskopische Nachweis hydro
phober Bindungen bei Alkylsulfaten. Die Kleinheit des gemessenen Effektes bestätigt
die Annahme von KAUZMANN, daß die Ausbildung von hydrophoben Bindungen ein
Entropie-Effekt ist.
6. Insulinpeptide mit hydrophoben aromatischen Seitenketten verhalten sich beim über
führen von Wasser in eine 8-m-Harnstofflösung wie das geschützte Aminosäurederivat
N-Acetyl-tyrosin-methylamid. Es tritt eine Rotverschiebung von 0,6 bis 0,7 nm auf.
Kristallisiertes Rinderinsulin ergibt bereits eine für Proteine charakteristische Blauver
schiebung von 0,4 nm. Das Buntesalz der B-Kette nimmt mit 0,2 nm Rotverschiebung
eine Mittelstellung zwischen Insulin und Insulinpeptiden ein, während das Buntesalz
der A-Kette mit 0,4 nm Rotverschiebung sich fast wie die Insulinpeptide bzw. N-Acetyl
tyrosin-methylamid verhält. Insulinpeptide liegen also in wäßriger Lösung noch nicht
in Form von »hydrophoben Assoziaten« vor.
7. Mit Hilfe der beiden aromatischen Tenside Dimethyl-cetyl-benzyl-ammoniumchlorid
und p-Nonylphenyl-nonaglykoläther konnte aber gezeigt werden, daß man prinzipiell
auch bei niedermolekularen Modellsubstanzen Assoziationen durch Bandenverschie
bungen nachweisen kann. Bei der Assoziation von p-Nonylphenyl-nonaglykoläther tritt
oberhalb der kritischen Micellbildungskonzentration eine maximale Rotverschiebung
von 2,5 nm auf; dies entspricht einer Denaturierungsblauverschiebung von 2,5 nm.
Das Beispiel zeigt, daß man die bei Proteinen auftretenden Blauverschiebungen fast
quantitativ mit Hilfe der Theorie der hydrophoben Bindungen erklären kann.
5
1. Einleitung:
Der Zusammenhang zwischen hydrophoben Bindungen
und der nativen Proteinstruktur
Viele Proteine liegen in wäßriger Lösung in globulärer Konformation vor und entfalten
sich erst beim Denaturieren. Es erhebt sich daher die Frage, weshalb diese Proteine in
wäßriger Lösung in einer entropisch ungünstigen Form vorliegen und erst nach dem
Denaturieren eine entropisch begünstigte Form annehmen.
PAULING und MIRSKY [1] nahmen an, daß Wasserstoffbrücken zwischen den Carbon
amidgruppen für die globuläre Konformation der Proteine verantwortlich sind und
glaubten, die reversible Proteindenaturierung mit Harnstoff komme dadurch zustande,
daß Harnstoff zu den Peptidbindungen stärkere Wasserstoffbrücken ausbilde als Wasser
und deshalb im Gegensatz zu Wasser die Wasserstoffbrücken zwischen den Peptid
bindungen spalten könne. J. B. SPEAKMAN [2] wies auf die stabilisierende Wirkung von
Ionenpaarbindungen zwischen sauren und basischen Aminosäureresten hin.
Die Theorie von PAULING wurde zuerst von SCHELLMAN widerlegt [3]. Inzwischen
konnten KLOTZ und FRANZEN [3a] außerdem infrarotspektroskopisch zeigen, daß
Wasserstoffbrücken zwischen zwei Carbonamidgruppen nicht stärker sind als die
»gemischten« Wasserstoffbrücken zwischen Wasser und Carbonamidgruppen. Weiter
hin ist bekannt, daß elektrostatische Wechselwirkungen in Lösungsmitteln mit hohen
Dielektrizitätskonstanten sehr schwach sind; folglich läßt sich allein durch Ionenpaar
bindungen auch nicht die Stabilisierung einer bestimmten Struktur von Proteinen in
wäßriger Lösung erklären [4].
Nachdem die Theorien von PAULING und SPEAKMAN auf Grund dieser experimentellen
Ergebnisse nicht mehr vertretbar waren, führte KAUZMANN [5] den Begriff der »hydro
phoben Bindungen« in die Proteinchemie ein. Das Prinzip der hydrophoben Bindungen
kann man mit Hilfe von zwei thermodynamischen Gleichungen veranschaulichen:
(1) dGo = dHo - T dSO
(2) dGo=-RTlnK
(0 = Standardgrößen bei 298°K und 760 Torr)
Hierzu betrachten wir die Überführung eines Kohlenwasserstoffs (KW) aus einem
organischen Lösungsmittel (Tetrachlorkohlenstoff) in eine wäßrige Lösung, z. B. durch
Ausschütteln einer kohlenwasserstoffhaltigen Tetrachlorkohlenstofflösung mit Wasser:
(KW)CC14 ~ (KW)H20
(KW)H 0 = K (Nernstscher Vertet. lungssatz)
___.: :..2 _
(KW)CCl
4
Zwei Ergebnisse dieses Versuchs sind wichtig:
a) Die überführung ist exotherm; d. h. dHo < O.
b) Obwohl dHo < 0 ist, wird nur wenig Kohlenwasserstoff in die wäßrige Lösung
überführt; d. h. K < 1.
Mit Hilfe von GI. (2) erkennen wir, daß dGO > 0 wird. Setzen wir nun diese beiden
gefundenen Werte in GI. (1) ein, dann muß dSo < 0 werden:
(1) dGo = dHo - T ßSo
>0 <0-+<0
6
d. h. beim Lösen eines Kohlenwasserstoffs in Wasser nimmt die Ordnung des Systems
zu; deshalb kommt die Überführung trotz exothermer Wärmetönung so schnell zum
Stillstand.
Da nun Proteine 30-40% Aminosäurereste mit aliphatischen und aromatischen Kohlen
wasserstoffseitenketten enthalten, nimmt KAUZMANN an, daß sich diese hydrophoben
Seitenketten zu Micellen zusammenschließen, um so die Kontaktfläche mit dem Wasser
zu reduzieren.
Bisher gibt es nur einen direkten Nachweis der hydrophoben Bindungen: die Röntgen
strukturanalyse des Myoglobins durch KENDREW et al. [6]. Danach sind beim Myoglobin
alle Phenylalanin- und Methioninreste in das Molekülinnere gerichtet. Alle Lysin-,
Arginin- und Asparaginsäurereste sind nach außen gewandt. Das Myoglobinmolekül
ist dicht gepackt, und im Inneren des Moleküls befinden sich nur wenig Wassermoleküle.
Da die lokale Dielektrizitätskonstante innerhalb der hydrophoben Bereiche geringer ist
als die des Wassers, können sich hier nun auch Wasserstoffbrücken und Salzbrücken als
proteinstabilisierende Nebenvalenzbindungen ausbilden. Man kann daher bei Protein
molekülen nur noch eine Gesamtaussage über die Summe aller Nebenvalenzkräfte
machen und keinen Einzelbetrag, z. B. den der hydrophoben Bindungen, separat be
stimmen.
Die Ausbildung hydrophober Bindungen ist eine direkte Folge der ungünstigen Wech
selwirkungen hydrophober Aminosäureseitenketten mit Wasser. Deshalb wird im fol
genden Kapitel zuerst die Struktur des reinen Wassers und die Veränderung der Wasser
struktur bei Lösungen von Kohlenwasserstoffen diskutiert.
2. Bisherige Ergebnisse
2.1 Die Struktur des reinen Wassers
In jüngster Zeit sind in Zusammenhang mit den hydrophoben Bindungen neue Arbeiten
über die Struktur des Wassers publiziert worden. Hervorzuheben ist die statistisch
thermodynamische Arbeit von NEMETHY und SCHERAGA [7], die sich bei ihren Rech
nungen auf das »Cluster-Modell« von FRANK und WEN [8] stützen. Nach diesen Autoren
existieren neben Assoziaten noch monomere H 0-Moleküle, die mit den Assoziaten
2
in einem dynamischen Gleichgewicht stehen (»flickering cluster«). In diese°m System
werden fünf verschiedene Arten von Wassermolekülen mit 4, 3, 2, 1 und Wasser
stoffbrücken unterschieden. Auf die Unterschiede der Energieniveaus der einzelnen
Assoziationsstufen wenden NEMETHY und SCHERAGA das Prinzip der Aquidistanz an.
Die Ergebnisse ihrer Rechnung stehen teilweise in krassem Widerspruch zu einigen
ooe
experimentellen Daten: Sie finden mit ihrer Rechnung, daß bei in flüssigem Wasser
der Anteil der freien OH-Gruppen 47% beträgt, während LUCK [9] mit Hilfe von NIR
Untersuchungen in Abhängigkeit von der Temperatur einen Wert von 9% findet; aus
DK-Messungen in Abhängigkeit von der Temperatur leiten HAGGIS, HASTED und
BUCHANAN [10] ebenfalls einen Wert von 9% ab. Man sieht also, daß beim Schmelzen
des Eises nur ein geringer Bruchteil der Wasserstoffbrücken zerstört wird, was für alle
Lösevorgänge in Wasser von großer Bedeutung ist.
7
2.2 Veränderungen der Wasserstruktur beim Lösen von Molekülen
mit hydrophoben Seitenketten
Wie bereits in der Einleitung herausgestellt wurde, bewirken hydrophobe Reste eine
Strukturerhöhung des Wassers. Dies ist aus einer Arbeit von FRANK und EVANs [11]
bekannt, die das thermodynamische Verhalten von kohlenwasserstoffhaitigen wäßrigen
Lösungen untersuchten und feststellten, daß beim Lösen von Kohlenwasserstoffen in
Wasser eine starke Volumenkontraktion eintritt und die Lösung dem Lösungsmittel
gegenüber eine stark erhöhte spezifische Wärme und Verdampfungswärme besitzt. Sie
kamen zu dem Schluß, daß das Wasser beim Lösevorgang eine »Abkühlung« erfährt
und prägten den Begriff der »Eisberge um die Kohlenwasserstoffmoleküle«, was etwa
den Gashydraten entspricht. Die erhöhte spezifische Wärme sollte dazu nötig sein, die
Eisberge zum Schmelzen zu bringen.
Diese Eisberghypothese wurde von KLOTZ [12] bei der Erklärung der hydrophoben
Bindungen verwendet. Die apolaren Reste sollen in Lösung von einem »eisartigen
Käfig« umgeben sein und sich nicht zu Micellen zuschließen. Die treibende Kraft zur
Ausbildung der »Klotzschen« hydrophoben Bindungen ist ein Enthalpie-Effekt, da bei
der »Eisbergbildung« Erstarrungswärme an die Umgebung abgegeben wird. Für glo
buläre Proteine helicaler Tertiärstruktur ist aber die These von KAUZMANN viel wahr
scheinlicher, daß es sich um einen Entropie-Effekt handelt, da .:lSO ~ 0 ist, während
.:lHo ~ 0 ist.
Bisher haben wir uns lediglich mit der Aussage begnügt, daß Kohlenwasserstoffe eine
Strukturerhöhung des Wassers bewirken, aber noch nicht gesagt, welcher Art diese
Strukturerhöhung ist. Nach den Theorien von NEMETHY und SCHERAGA [7] und von
KLOTZ [12] soll die Zahl der Wasserstoffbrücken zunehmen, da das Wasser einen »eis
artigeren Charakter« annimmt und mit sinkender Temperatur die Zahl der Wasserstoff
brücken zunimmt. Wasserstoffbrücken kann man besonders gut mit Hilfe der hochauf
lösenden Kernresonanzspektroskopie untersuchen: Da beim Erhitzen eine Depolymeri
sation eintritt, wird die diamagnetische Abschirmung der Protonen geringer, und das
NMR-Signal wird zur höheren magnetischen Feldstärke - zum »Dampfförmigen« hin
verschoben.
CLIFFORD und PETHICA [13] untersuchten wäßrige Lösungen der Na-Alkylsulfate mit
Alkylresten von C2 bis C12 und stellten dabei überraschend fest, daß ab C4 eine Ver
schiebung des Wassersignals zum »Dampfförmigen« hin erfolgt und nicht, wie nach
den bisher diskutierten Vorstellungen [7, 12] zu erwarten wäre, zum »Eisartigen«.
Zu ähnlich überraschenden Ergebnissen kommen HERTZ und SPALTHOFF [14], die nach
derselben Methode wäßrige Lösungen von Tetraalkylammoniumsalzen untersuchten.
Zur Klärung dieses scheinbaren Widerspruchs haben HERTZ und ZEIDLER [15] mit
Hilfe der Spin-Echo-Technik die Umorientierungszeiten der Wassermoleküle (D20)
in Lösungen von Tetraalkylammoniumsalzen, fettsauren Salzen, Fettsäuren, Alkoholen,
Ketonen und Nitrilen gemessen und festgestellt, daß die Umorientierungszeiten der
D20-Moleküle in unmittelbarer Nähe von Alkylresten zunehmen. So ist also experi
mentell sichergestellt, daß diese Wassermoleküle einen Teil ihrer Bewegungsenergie
verlieren. Es ist möglich, daß tatsächlich eine Depolymerisation eintritt, aber durch
Einlagerung des Alkylrestes die Bewegungsenergie der depolymerisierten Wassermole
küle geringer ist als die der assoziierten Moleküle, die sich nicht in der Nähe eines
Alkylrestes befinden, oder die Zahl der Wasserstoffbrücken nimmt zwar zu, aber die
Wasserstoffbrücken sind nicht tetraedrisch angeordnet und haben einen »kovalenteren
Charakter« als normale Wasserstoffbrücken [15].
8
2.3 Modellversuche zur Deutung der Proteinstabilität in wäßriger Lösung
Da die Paulingsche Deutung [1] der Denaturierung von Proteinen in Harnstoffl ösungen
nicht mehr zutreffend ist, versucht man diese Denaturierung anders zu erklären. WET
LAUFER [16] et al. bestimmten aus Löslichkeitsmessungen die freien Überführungs
enthalpien von 8 reinen Kohlenwasserstoffen von Wasser zu einer 7-m-Harnstoff- und
einer 4,9-m-Guanidinhydrochlorid-Lösung
+
IlGt R:! RT In (KW)H20
(KW)urea
(Aktivitäts koeffizienten werden vernachlässigt)
Da Kohlenwasserstoffe in einer 7-m-Harnstoff-Lösung bedeutend besser löslich sind
als in Wasser, wird IlGt ~ 0, und WETLAUFER schließt daraus, daß die Denaturierung
in demselben Maß durch die günstige Solvatisierung der hydrophoben Reste in Harn
stofflösungen zustande kommt wie durch die Solvatisierung der »eingegrabenen«
polaren Gruppen.
Ähnliche Löslichkeitsstudien nahmen TANFORD et al. [17-19] an Aminosäuren und
Peptiden vor und berechneten den Beitrag der hydrophoben Seitenketten, indem sie
vom gefundenen Wert den Wert des Glycins subtrahierten. Auf Grund dieser Unter
suchungen kommt T ANFORD zu dem Schluß, daß man die Stabilität von globulären
Proteinen in wäßriger Lösung schon allein mit den hydrophoben Bindungen erklären
kann, ohne die noch zusätzlich vorhandenen Wasserstoffbrücken, Salzbrücken und
Cystinbrücken zu berücksichtigen.
Wie neuere Untersuchungen von ROBINSON und ]ENCKS [20] gezeigt haben, ist diese
Annahme etwas gewagt. Sie bestimmten die Löslichkeit von Acetyltetraglycinäthylester
in Wasser, Äthanol und Harnstoffläsungen und fanden, daß nur in Harnstoffläsungen
eine Läslichkeitserhähung gegenüber Wasser auftrat. Ihrer Ansicht nach wird die
Denaturierung von Proteinen in Harnstofflösung primär von einem »nichthydrophoben «
Effekt hervorgerufen.
Am wahrscheinlichsten dürfte wohl doch die Annahme von WETLAUFER sein, daß beide
Effekte nahezu im gleichen Maße für die Denaturierung verantwortlich sind.
2.4 Indirekte Nachweise der hydrophoben Bindungen
2.41 Globulärproteine
Neben dem einzigen Nachweis der hydrophoben Bindungen durch KENDREW et al.
gibt es noch viele indirekte Nachweise, die sich auf durch hydrophobe Bindungen ver
ursachte Sekundäreffekte stützen. Die Eigenschaften funktioneller Gruppen sind von
der Dielektrizitätskonstanten ihrer Umgebung abhängig. Wenn diese Gruppen in
hydrophobe Bereiche eingeschlossen sind, treten viele Anomalien auf.
2.411 Verschiebungen der pK-Werte
Rinderpankreas-Ribonuclease besitzt sechs Tyrosinreste: 3 phenolische OH-Gruppen
haben einen normalen pK-Wert von", 10, während der scheinbare pK-Wert der rest
lichen OH-Gruppen über 12 liegt. Beim Ovalbumin kommt dies noch besser zum
Ausdruck; hier lassen sich von neun Tyrosingruppen nur zwei normal titrieren (Neu
berger-Crammer-Effekt [21]).
Nun weiß man, daß Wasserstoffbrücken und elektrostatische Effekte ebenfalls pK
Verschiebungen bewirken können. TANFORD [22] nimmt aber an, daß es sich dann um
9