Table Of ContentHans Jiirgen Krysmanski
Soziologie und Frieden
Hans Ji irgen Krysmanski
Soziologie und Frieden
Grundsatzliche Einfuhrung
in ein aktuelles Thema
Westdeutscher Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Krysmanski, Hans J.:
Soziologie und Frieden: grundsatzliche Einfiihrung
in ein aktuelles Thema / Hans Jiirgen Krysmanski. -
Opladen: Westdt. Verl., 1993
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© 1993 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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Umschlaggestaltung: Dieter Biirkle, Darmstadt
Gedruckt auf saurefreiem Papier
ISBN-13: 978-3-531-12384-4 e-ISBN-13: 978-3-322-83957-2
DOl: 10.1007/978-3-322-83957-2
INHALT SVERZEICHNIS
Vorwort 8
1 Einleitnng 10
2 Krieg nnd Frieden: Phlinomenologisches 12
2.1 Vielfalt der Bezeichnungen und Begriffe ... 12
2.2 TOLSTOI und CLAUSEWITZ: 1st Krieg Katastrophe oder Fortsetzung
der Politik mit anderen Mitteln? 12
2.3 Erscheinungsformen von Krieg: Kein Krieg ist wie der andere 14
2.4 Friedensutopien und -begriffe: Vom Gottesfrieden
zur Friedensstiftung 20
2.5 Frieden und Alltag: Gelebte Konflikte, gelebter Frieden 25
3 Einige Grundlagen der Friedenswissenschaft
im 18. nnd 19. Jahrhnndert 28
3.1 Die Gesellschaftswissenschaften im friedlichen Kern
ihres Gegenstands 28
3.2 Schotten und Englander machen die Rechnung auf 30
3.3 Franzosen entdecken die friedliche Demokratie
des Industrialismus 35
3.4 Die klassische deutsche Philosophie: Krieg und Frieden von innen 38
3.5 Der Historische Materialismus: okonomische und
soziale Konflikte 47
4 Die Zuspitzung friedenswissenschaftlicher Fragestellungen
im 20. Jahrhundert 56
4.1 Schlaglichter 56
4.2 Kriegsideologien: ein Erbe des 19. Jahrhunderts 56
4.3 Volkerrecht und internationale Beziehungen im Feuersturm 59
4.3.1 Formales und materiales Naturrecht 59
4.3.2 Zur Verrechtlichung internationaler Beziehungen 61
4.4 Weltgesellschaft als Imperialismus und GeMuse der Horigkeit 63
4.5 Die Lehren der Soziologen aus dem Ersten Weltkrieg 64
4.6 Behemoth: Erkliirungen zur Struktur und Funktion
des Faschismus 66
6 Inhaltsverzeichnis
5 Institutionalisierungen der Friedenswissenschaft 70
5.1 Hat die Atornbornbe alles verandert? 70
5.2 Verteidigungs-, Sicherheits-und andere Intellektuelle 70
5.3 Zurn Beispiel: Journal of Conflict Resolution 76
5.4 Griindungsgeschichten 80
5.5 Das Ende des Kalten Krieges: Neuanfiinge? 83
6 Neuere Problemfelder interdiszipliniirer Friedensforschung 88
6.1 Problerndirnensionen 88
6.2 Internationale Konflikte und globale Problerne 90
6.3 Innergesellschaftliche Konflikte 96
6.4 Intra-und interpersonale Konflikte 104
6.5 Wissenschaftsentwicklung und -organisation 105
7 Soziologie und Weltkontliktsystem 110
7.1 Schliisselwissenschaft Soziologie? 110
7.2 Die Entstehung eines Weltkonfliktsysterns 112
7.2.1 Befehlsgesellschaften 115
7.2.2 Zivilgesellschaft und Intellektuelle 117
7.3 Der Zusarnrnenhang inner-und zwischengesellschaftlicher
Konflikte 120
7.3.1 Die wichtigsten sozialen Akteure
irn gesellschaftlichen Konfliktgeschehen: Klassen 123
7.3.2 Theorien des Klassenkonflikts 124
7.3.3 Schichten-und Klassenkonflikte -weltweit 131
7.3.4 Offene Fragen einer (Klassen-) Konfliktanalyse 139
7.4 'Mensch, Gesellschaft, Biosphiire' 142
8 Neuorientierungen soziologischer Theorie 146
8.1 Die Beeinflussung theoretischer Sichtweisen
durch die Friedensproblernatik 146
8.2 Weltgesellschaft: Global denken, lokal handeln 149
8.3 Strukturelle Gewalt: Die Verhinderung von Veriinderung 152
8.4 Positiver Frieden: Theorien auf dern Wege
zu ideologischer Toleranz 155
8.5 Kriegsursachen: Nicht nur Kriege werden gernacht... 157
8.6 Zurn Verhiiltnis von Staat und Gesellschaft 160
8.7 Der ProzeB der Zivilisation 162
Inhaltsverzeichnis 7
9 Friedensstrategien nnd Szenarien: Znr Soziologie
der Friedensbewegung 165
9.1 Die Frage nach den Akteuren 165
9.2 Humanismus und Gerechtigkeit:
Das bildungsbiirgerliche Szenarium 165
9.3 Der Lysistrata-Effekt: Frauenemanzipation und Pazifismus 169
9.4 Christen: Der auf die Erde geholte Gottesfrieden
als realpolitische Strategie 172
9.5 Wider die Unfriedlichkeit des Kapitalismus:
Strategien der Arbeiterbewegung 175
9.6 Die WissenschaftlerInnen-Friedensbewegung 180
9.7 Moderne Friedensbewegung: Von der Utopie zum Mitregieren 186
10 Die Machbarkeit des Friedens 191
10.1 Die Frage nach den Bedingungen 191
10.2 Am Frieden verdienen: Umorientierung der Industriepolitik 192
10.3 Aktive Wissenschaftspolitik: Frieden ist machbar. .. 197
10.4 Internationale Organisationen: Weltgesellschaftliche Akteure 201
10.5 Das Bewegen von Regierungen: Widerstande
und M6glichkeiten der internationalen Friedenspolitik 204
10.5.1 Militar-Industrie-Komplexe 205
10.5.2 Verfahren und Instrumentarien der Friedenspolitik 209
11 Soziologie nnd die Grundlagen eines 'zivilen Friedens' 216
11.1 Ein AnlaB: 1989/1990 216
11.2 Ende der Systemauseinandersetzung? 217
11.3 Die nachste Krise kommt bestimmt 222
11.3.1 Die 'konservative' Krisenbewaltigungsstrategie 224
11.3.2 'Alternative' Krisenbewaltigungsstrategien? 229
11.3.3 Die 'sozialreformerische' Krisenbewaltigungsstrategie 233
11.4 Sozialreformen auf dem Weg zum zivilen Frieden:
Sozialpolitik und Industriepolitik 236
11.5 Umrisse eines Weltkonfliktsystems 241
Literatnrliste 245
Personen-nnd Sachregister 253
VORWORT
Der soziale Wandel ist zum reillenden Strom geworden. Es fallt schwer daran
festzuhalten, daB bestimmte Grundprobleme gesellschaftlicher Entwicklung bleiben,
daB die Kontinuitaten soziologischer Theorie und Analyse iiberwiegen.
Diese Einfiihrung in die soziologische Friedensproblematik fallt in die Zeit der
Auslaufer des Golf-Kriegs von 1991, einer Ziisur in der Entfaltung von Weltinnen
politik. Dieses Ereignis hat die Friedensbewegung, der ieh mich zugehOrig ruhle,
durch das geteilte Meer des Persischen Golfs geruhrt und man weill bis heute nicht
zuverlassig, ob die Wogen iiber ihr zusammengeschlagen sind oder nicht.
Die 6ffentliche Diskussion, die sich im Strom der Zeit zurechtzufinden sucht, hat ei
nige soziologisch relevante Themen weiter geruhrt als in diesem Text. Zu diesen
Themen gehOren insbesondere das Verhaltnis von 'One World' und 'barbarischem
Nationalismus' und die sich abzeichnenden neuen Konfliktfronten einer 'Festung
Europa'.
Auch die (welt)6konomischen und, was 'Friedenspolitik' angeht, die sozialpsycholo
gischen und mediensoziologischen Aspekte sind in der folgenden Darstellung zu
kurz gekommen -wie iiberhaupt die 'inneren' und 'auBeren' Dimensionen des Welt
konfliktsystems in ihren Umrissen erst aufzuscheinen beginnen und weniger der
'Uberfiieger' als der genauen und ehrlichen 'Nachpriifer' bedurfen.
Fur michsteht diese Skizze in der Kontinuitat meiner 'Soziologie des Konflikts' von
1971 und meiner Strukturanalyse des bundesrepublikanischen Kapitalismus ('Ge
sellschaftsstruktur der Bundesrepublik') von 1982.
Ich widme das Buch den Soziologinnen und Soziologen, die in diesen zwanzig Jah
ren versucht haben, entgegen dem soziologischen 'Mainstream' die Entwicklungen
in der ehemaligen DDR ernstzunehmen und als ein Moment umfassenderer Verge
sellschaftungsprozesse, die nur in Jahrhunderten abzurechnen sind, zu begreifen.
DaB sie nicht nur eine Phase relativer Stabilitat in Europa begleiteten, sondern auch
ein 'gesellschaftswissenschaftliches' Experiment honorierten, ohne dessen Bedin
gungen zureiehend gepriift zu haben, bleibt ihr (und mein) Problem.
Die voraufgehende Sozialwissenschaftlergeneration, die den Nationalsozialismus
unmittelbar zu verarbeiten hatte - rur mich vor allem Wolfgang Abendroth und
Helmut Schelsky -, hat diese Sympathien rur eine DDR, die unter der Lasung 'Nie
wieder Faschismus, nie wieder Krieg' begann, sieher besser verstanden als die Jun
geren, denen heute Ostkolonisatoren auf den Medien-Markten hastige Informatio
nen und Deutungen aufdrangen.
Vorwort 9
Diesen Jiingeren also sei wenigstens gesagt, daB Soziologie und Friedensproblem
seit langem eine komplizierte und innige Beziehung pflegen, an der auch die
deutsch-deutsche Geschichte der letzten Jahrzehnte ihren Anteil hat.
Miinster, Februar 1992
H.J .Krysmanski
1 EINLEITUNG
Forschung rur den Frieden ist ein akzeptiertes und wachsendes Tatigkeitsfeld
interdisziplinarer, praxisorientierter Wissenschaft. Auf Gebieten wie der Riistungs
kontrolle, der Technikfolgenabschatzung und der Verankerung der gesell
schaftlichen Verantwortung von Wissenschaft ist die Kooperation zwischen Natur-,
Geistes- und Gesellschaftswissenschaften weit vorangeschritten, ja vorbildlich. Der
Weg zu einer friedenswissenschaftlichen Neuorientierung wird von Vertreterinnen
und Vertretern vieler Disziplinen eingeschlagen.
Es gab Verbesserungen im weltpolitischen Klima und gewisse Fortschritte im Frie
dens- und EntspannungsprozeB. Aber das zarte neue politische Denken hinter die
sen ersten positiven Entwicklungen verlangt Unterstiitzung durch interdisziplinare
Forschung, durch 'Friedenslehre' und Bildung. Internationale Konfliktfelder dehnen
sich aus.
Der AufriistungsprozeB, insbesondere in der Dritten Welt, ist nicht gestoppt. Mit der
europruschen Integration und vor allem mit den dramatischen Entwicklungen in Ost
europa kommen neue zwischen- und innergesellschaftliche Probleme auf uns zu. Die
naturwissenschaftlich-technische 'Revolution' erzeugt -als 'Konflikt mit der Natur' -
die Notwendigkeit der Risiko-und Technikfolgenabschatzung.
Die Soziologie hat eine lange Tradition in der Analyse sozialer Konflikte. Die So
ziologie ist aber auch, seit ihren Anfangen, eine Disziplin, die sich ihren Gegenstand
letztlich nur als eine, urn es zuzuspitzen, 'friedliche Industriegesellschaft' (mit zu
nehmend 'postindustriellen', kulturvollen Elementen) vorstellen kann.
Mit anderen Worten: die Soziologie als eine Wissenschaft, die im 19. lahrhundert
aus dem allgemeinen VergesellschaftungsprozeB und seinem Problemdruck
hervorgewachsen ist, stellt das Problem des Friedens auf eine spezifische und
grundlegende Weise: ihr Gegenstand verlangt von ihr, daB sie sich maBigend und
Verbesserungsvorschlage machend urn ihn bemiiht -dann geht es auch ihr gut. Nicht
alle Wissenschaften sind so innig vom Wohlergehen ihres Gegenstandes abhangig.
Das Interessante dabei ist, daB rur die Soziologie und die Sozialwissenschaften
tiberhaupt neben Fragen der 'Harmonisierung' und 'Ordnung' so auch immer die
Frage nach den Ursachen sozialer Konflikte und ihrer Oberwindung im Mittelpunkt
stand, daB also 'Frieden' immer tiber 'Risiken' und 'Widerspriiche' vermittelt und
damit realistischerweise als ein ProzeB - als ein ProzeB der Zivilisation - gesehen
wurde.
Eine so1che Sichtweise ist niitzlich, wenn auf allen Ebenen einer gesellschaftlichen
Praxis, wie man sie sich widerspriichlicher, gewaltdurchwirkter und konflikttrachti-
1 Einleitung 11
ger kaum vorstellen kann, in Fahigkeiten der Konfliktl6sung und in 'Frie
densstrategien' eingeiibt werden solI.
Der folgende Text halt sich im wesentlichen an diese Sicht der Aufgaben und M6g
lichkeiten der Soziologie, ja er versucht, in seinem Duktus und in den gewahlten
Beispielen eine 'friedliche Soziologie' vorzufiihren.
In zwei Kapiteln jedoch, die sich mit den 'Eingriffsm6glichkeiten' der Soziologie als
Wissenschaft und als Disziplin in Friedenswissenschaft und Friedenspolitik
beschaftigen - in den Kapiteln 'Soziologie und Weltkonfliktsystem' und 'Soziologie
und die Grundlagen eines zivilen Friedens' -muBten schon etwas deutlicher die spe
zifische Erfahrung des Verfassers und seine eigenen Forschungsergebnisse einge
bracht werden.
Das fiihrt dazu, daB diese Kapitel in ihrer Argumentation und im ausgebreiteten
Material einen etwas hOheren Schwierigkeitsgrad als die anderen haben, daB hier im
Grunde auf die ganze Geschichte, die politischen Implikationen und auf vielfaltige
theoretischen Kontroversen der Soziologie Bezug genommen wird, die im Rahmen
einer solchen Einfiihrung gar nicht zureichend behandelt werden k6nnen.
Die zum Teil nur skizzenhaften Hinweise auf breite soziologische Diskussionen sol
len, auch dort, wo sie mit 'Reizworten' durchsetzt sein m6gen oder verkiirzt sind, zur
weiteren Beschaftigung mit Antworten der Soziologie auf diese Fragen anregen.