Table Of ContentGert-Jo achim Glaeßner
Sozialistische Systeme
Studienbücher zur Sozialwissenschaft Band 44
Gert-Joachim Glaeßner
Sozialistische Systeme
Eiriführung in die Kommunismus
und DDR-Forschung
Westdeutscher Verlag
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Glaessner, Gert-J oachim:
Sozialistische Systeme: Einf. in d. Kommunismus
u. DDR-Forschung/Gert-Joachim Glaessner. -
Opladen: Westdeutscher Verlag, 1982.
(Studienbücher zur Sozialwissenschaft; Bd. 44)
ISBN 978-3-531-21546-4 ISBN 978-3-322-97121-0 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-97121-0
NE:GT
© 1982 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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ISBN 978-3-531-21546-4
Inhalt
Einleitung 9
Teil I
Ansätze der Kommunismus-und DDR-Forschung
1. Zum historisch-politischen Kontext der Kommunismus-
und DDR-Forschung in der Bundesrepublik ........ 16
1.1 Das antikommunistische Syndrom .............. 16
1.2 Entspannungspolitik und Koexistenz ......... 26
1.3 Die "deutsche Frage" und die DDR . . . . . . . . . . 34
2. Das Konzept Totalitarismus . . . . . . . . . . . . 44
2.1 Enstehung ............................. 44
2.2 Totalitarismusmodelle ..................... 50
2.3 Totalitarismus als Grundlage einer politischen Soziologie
sozialistischer Systeme ............... ,...... 63
2.4 Revision des Totalitarismuskonzepts ............. 70
2.5 Neototalitarismus ......................... 78
3. Entwicklung zur "Modernität": Das Konzept sozialisti-
sche Industriegesellschaft .................... 88
3.1 Enstehung ............................. 88
3.2 Modernisierung und politische Entwicklung ....... 93
3.2.1 Sozialer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
3.2.2 Modernisierung .......................... 99
3.2.3 Politische Entwicklung .................... 104
3.2.4 Politische Kultur .......................... 121
3.3 Sozialistische Industriegesellschaft .............. 130
3.4 Konvergenz der Systeme? .................... 142
4. Marxistische Kritik des "realen Sozialismus" ........ 148
4.1 Enstehung .............................. 148
4.2 Die Asiatische Produktionsweise und der reale Sozialis-
mus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 152
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4.3 Die These von der Restauration des Kapitalismus 158
4.4 Die Entartungsthese .................. . 161
4.5 Etatismus ........................... . 164
4.6 Sozialismus oder Übergangsgesellschaft? ....... . 167
4.7 Die Bürokratie - eine neue Klasse? .......... . 175
5. Zwischenresümee 191
Teil 1I
Oberlegungen zu einer politischen Soziologie
des "realen Sozialismus"
1. Methodische Probleme 198
1.1 Länderstudien oder vergleichende Kommunismusfor-
schung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 198
1.2 Über das Selbstverständnis der marxistisch-leninistischen
Geschichts- und Gesellschaftswissenschaft und den Um-
gang mit ihren Ergebnissen ................... 204
2. Konstitutionsbedingungen der sozialistischen Systeme 217
2.1 Gesellschaftliche Zielstellung und das Verhältnis von
Politik und Ökonomie ...................... 218
2.2 Macht und Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 229
3. Politisch-gesellschaftliche Konflikt-und Problem lagen 241
3.1 Institutionalisierung und Formalisierung 250
3.2 Differenzierung und Spezialisierung . . . . . . . 257
3.3 Rationalisierung und Effektivierung ...... 263
3.4 Verrechtlichung........................ 268
Schlußbemerkung .......................... 275
Anmerkungen ......... . 278
Bibliographie ......... . 295
Personenregister 313
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Für Christel Fuchs
Die Philosophen sind Gewaltti:iter, die keine
Armee zur Verfügung haben und sich des
halb die Welt in der Weise unterwerfen, daß
sie sie in ein System sperren.
(Robert Musil)
Einleitung
Wann und wo immer Wissenschaftler, Publizisten, Lehrer oder Er
wachsenenpädagogen zusammenkommen, um über die Behandlung
und die Wahrnehmung des politischen und gesellschaftlichen Ge
schehens in der Sowjetunion, den Staaten Osteuropas und der DDR
in Wissenschaft, Massenmedien und der politischen Bildung zu dis
kutieren, macht sich Unsicherheit breit. Selbstkritisch wird ange
merkt, daß die eigenen Kenntnisse, trotz oft jahrelanger Beschäf
tigung mit diesen Ländern und ihren gesellschaftlichen Systemen,
unzureichend sind. Freilich gibt es auch Zeitgenossen, die alles
schon immer ganz gen au gewußt haben und die sich die Wirklich
keit so "hinbiegen", daß sie in ihr tradiertes Interpretationsschema
paßt. Aber oft überwiegt doch die Skepsis gegenüber den eigenen
Erkenntnismöglichkeiten, vor allem aber der Fähigkeit, prognosti
sche Aussagen zu machen. Wer hätte schon im Frühsommer des
Jahres 1980 die Vorstellung für realistisch gehalten, daß es in Polen
parteiunabhängige Gewerkschaften geben könnte , und wer würde
im Dezember 1980 eine Prognose über den Ausgang dieses Experi
mens wagen können.
Dieses Beispiel verweist bereits auf drei zentrale Fragen jeder
Analyse der sozialistischen Systeme:
1. Welche Merkmale sind typisch und unverzichtbar für die poli
tischen Systeme, die sich am Vorbild der Sowjetunion orien
tieren und die sich als die einzig mögliche Form des Sozialis
mus verstehen?
2. Welche Bedeutung haben die unterschiedlichen historischen Er
fahrungen, die nationalen Eigenheiten und die kulturellen Tradi
tionen und wie prägen und modifizieren sie den allgemeinen
systemspezifischen Entwicklungsprozeß?
3. Welchen Einfluß haben die Funktionszusammenhänge hochin
dustrialisierter und hoch technisierter Gesellschaften auf einen
Systemtyp, der - zumindest von seiner Herkunft - eher für
die Entwicklung eines politisch, ökonomisch und kulturell
zurückgebliebenen Landes als für eine komplexe industrielle
Gesellschaft gedacht war?
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Zu allen diesen Problemen gibt es eine Vielzahl von empirischen
Untersuchungen, theoretischen Reflexionen und konzeptionellen
Entwürfen, die hier unter dem Überbegriff "Kommunismusfor
schung" zusammengefaßt werden.
Der Begriff Kommunismusforschung wurde in Abgrenzung zur
"Sozialismusforschung" gewählt, die im Verständnis des Autors
alle politischen Bewegungen, Parteien und Staaten untersucht,
die für sich den Begriff"sozialistisch" in Anspruch nehmen. Sozia
lismusforschung macht sich neben der empirischen Analyse dieser
Bewegungen, Parteien, Staaten auch Gedanken über die Möglich
keiten und Perspektiven einer sozialistischen Gesellschaft, ohne
sich auf die Sowjetunion und die Staaten Osteuropas oder andere
bereits existierende Sozialismen zu beschränken. Kommunismus
forschung hingegen wird als der Teil der Sozialismusforschung ver
standen, der sich mit den kommunistischen Parteien und Organi
sationen und den Ländern befaßt, in denen kommunistische Par
teien die Macht ausüben. In diesen Ländern wird der Sozialismus
nur als Durchgangsstufe zur kommunistischen Endgesellschaft be
griffen. Zur Kommunismusforschung zählen auch einige ihrer
speziellen Zweige wie die "Osteuropaforschung" und die "DDR
Forsch ung" .
Einer ähnlichen Erläuterung bedarf der Begriff "sozialistische
Systeme". Gemeint sind die Sowjetunion und die Gesellschafts
systeme und Staaten, die sich am sowjetischen Modell orientieren
oder denen dieses Modell oktroyiert worden ist. Deswegen werden
sie auch etwas pauschalisierend als "sowjetsozialistisch" bezeich
net (wobei die Unterschiede gegenüber nichtsowjetischen Sozialis
muskonzeptionen in jedem Einzelfall zu überprüfen sind).
In Abgrenzung von anderen, vor allem demokratisch-soziali
stischen Vorstellungen bezeichnen sich diese Systeme seit gerau
mer Zeit selbst als "real-sozialistische Gesellschaften", ein Begriff,
der die Irrealität jeder anderen als der eigenen Position suggerieren
soll.
Diese Definitions- und Abgrenzungsversuche zeigen bereits, daß
eine Vielzahl von Faktoren in die Analyse der sozialistischen Sy
steme einfließt. Daher verwundert es nicht, daß Kommunismus
forschung nahezu immer - zumindest intentional - in terdisz i
pliniire Forschung ist; hier gehen politologische, soziologische,
wirtschaftswissenschaftliche, juristische, historische, philosphische
und psychologische Fragestellungen eine Synthese ein - was nicht
ausschließt, daß es auch eine Vielzahl von Einzelstudien gibt, die
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sich im Kontext ihrer jeweiligen Disziplin bewegen und auf Inter
disziplinarität bewußt verzichten.
Auf ein weiteres Problem gilt es hinzuweisen: warum wird der
DDR in diesem Buch eine besondere Stellung eingeräumt?
In der bisherigen Erforschung der sozialistischen Systeme ist
nicht immer deutlich genug unterschieden worden zwischen sy
stemspezifischen Merkmalen und solchen, die den einzelnen Ländern
je unterschiedlich eigen sind. So wird die DDR (positiv oder nega
tiv) als Exponent eines anderen, dem unseren konträren Gesell
schaftssystems begriffen. Sie wird aber zugleich auch als eine Ge
sellschaft gesehen, die, auf einer entwickelteren ökonomisch-tech
nischen Basis als die anderen Länder, selbst als die Sowjetunion,
deren politische Strukturen sie übernommen hat, gleichwohl nur aus
den Besonderheiten der deutschen Geschichte und der in Deutsch
land entwickelten politischen Kultur zu verstehen ist. Ähnliche
Einschränkungen gelten für Polen, die CSSR, Ungarn usw. Die
DDR - und in anderer Weise auch die übrigen Staaten Osteuropas -
sind wohl in der Tat mehr als nur exemplarische Fälle einer all
gemeinen Entwicklung. Wäre dies so, würde es genügen, sich allein
mit der UdSSR als der dominanten Macht des "realsozialistischen"
Systemverbundes zu befassen. Erst die Analyse der vielfältigen For
men und Ausprägungen des Sozialismus sowjetischen Typs ermög
licht aber ein differenziertes und wirklichkeitsnahes Urteil. Die DDR
eignet sich dazu in besonderer Weise. Sie ist nicht nur - neben der
CSSR - der entwickeltste Staat des RGW, sondern sie ist, trotz
aller Gemeinsamkeiten mit den anderen sozialistischen Staaten
(in der Ideologie, in gemeinsamen Vorstellungen über die Struk
tur und Funktion des politischen Systems, der ökonomischen
Prozesse usw.), so stark durch ihre besonderen nationalen und
historischen Bedingungen geprägt, daß die Spannbreite möglicher
Entwicklungen des "realen Sozialismus" als Sytemtypus, seine
Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit, bei einer Gegenüberstellung
der DDR und der Sowjetunion besonders deutlich gemacht werden
kann. Wenn im weiteren Verlauf von Kommunismus- und DDR
Forschung gesprochen wird, so geschieht dies in der Absicht, die
allgemeinen Positionen der Kommunismusforschung daraufhin
zu überprüfen, ob und inwieweit sie für die DDR-Analyse bereits
genutzt werden bzw. für sie fruchtbar gemacht werden können.
Umgekehrt ist zu fragen, inwieweit sich die Ergebnisse von "area
studies" wie der DDR-Forschung für die allgemeine Analyse, vor
allem für die vergleichende Kommunismusforschung anwenden
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