Table Of ContentHans-Peter KuhniHarald Uhlendorff
Lothar Krappmann (Hrsg.)
Sozialisation zur Mitbürgerlichkeit
Hans-Peter Kuhn/Harald Uhlendorff
Lothar Krappmann (Hrsg.)
Sozialisation zur
Mitbürgerlichkeit
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2000
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
ISBN 978-3-8100-2913-3 ISBN 978-3-663-11425-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-11425-3
© 2000 Springer Fachmedien Wiesbaden
UrsprOnglich erschienen bei Leske + Budrich. Opladen 2000
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Inhaltsverzeichnis
Widmung.................................................................................................. 9
Sozialisation zur Mitbürgerlichkeit - Konzeption des Buches ............... 11
I. Ansätze zu politisch relevanten Handlungskompetenzen in
persönlichen Beziehungen: Familie und Freunde
Bedingungen mitbürgerlichen Engagements: Interaktionserfahrungen
in der Familie und Verantwortungsübernahme durch Heranwachsende
Beate Schuster, Harald Uhlendorff, Brita Schmidt und Angelika Traub ... 19
Autoritäre Reaktion und Erziehungsstil: Zur Entwicklung autonomer
Persönlichkeit
Hilke Rebenstorf, Christine Schmid und Hans-Peter Kuhn ..................... 37
Kooperation und Konkurrenz unter gleichrangigen Partnern
Maria von Salisch .................................................................................... 59
Politische Sozialisation in Kindheit und Jugend durch Partizipation
an alltäglichen Entscheidungen - ein Forschungskonzept
Lothar Krappmann .................................................................................. 77
II. Wege in die mitbürgerliche Verantwortung
Soziales Engagement Jugendlicher: Überlegungen zu einer
technologischen Theorie der Programmgestaltung
Manfred Hofer und Monika Buhl............................................................. 95
Die Kinder der Friedensbewegung: Lebenswege in die
Politikverdrossenheit?
Klaus Boehnke, Daniel Fuß und Mandy Rupf .......................................... 113
Gesellschaftliches Engagement Jugendlicher und junger Erwachsener:
Einblicke in die Tradition der Shell Jugendstudien
Ludwig Stecher und Jürgen Zinnecker ................................................ .... 133
Der ostdeutsche Gemeinschaftssinn - Mythos oder Realität?
Dieter Kirchhäfer ..................................................................................... 151
Haltungen Jugendlicher gegenüber Ausländern und Ausland:
Verschiedene Aspekte und differentielle Einflüsse
Peter Noack und Bärbel Kracke .............................................................. 171
III. Institutionelle Orte politischer Sozialisation
Wieviel Autonomie besitzen Kinder? EinVergleich der Perspektiven
von Kindern und ihren Erziehungspersonen
Dietmar Sturzbecher, Winfried Langner und Christine Waltz ................. 197
Bildungsexpansion und politische Kultur in der Bundesrepublik
Ursula Hoffmann-Lange .......................................................................... 219
Schülerselbstverwaltung in der Weimarer Republik
Hanno Schmitt ......................................................................................... 243
Die Entwicklung politischer Einstellungen von Jugendlichen im
Zusammenhang mit unterschiedlichen (Aus-)Bildungswegen
Karin Weiss, Katrin Isermann und Janette Brauer .................................. 259
IV. Internationale Perspektiven
Die Entwicklung politischen Bewußtseins durch gemeinnützige
Tätigkeit und enge Beziehungen
James Youniss ......................................................................................... : 281
Rechtsextreme Einstellungen und gewalttätiges Verhalten unter
Jugendlichen in Israel
Zvi Eisikovits, Gustavo S. Mesch und Gideon Fishman ........................... 289
Sozialisation zu Demokratie und Staats bürgerlichkeit:
Der Fall Palästina
Bernard Sabella ....................................................................................... 303
Autorinnen und Autoren ....... .................................................................... 313
Widmung
Dieses Buch ist Hans Oswald zu seinem 65. Geburtstag gewidmet. Hier wer
den wichtige Beiträge zum Thema der Sozialisation politischer Handlungsfä
higkeit zusammengestellt, also zu einem Forschungsbereich, dem sich Hans
Oswald intensiv zugewendet hat. Die Autoren und Herausgeber wollen damit
sein Wirken als Forscher und Hochschullehrer würdigen und ihre persönliche
Zuneigung ausdrücken. Hans Oswald hat viele von uns als Kollege oder
Mentor auf den beruflichen Lebenswegen begleitet. Dafür danken wir ihm.
Hans Oswald war nach seinem Studium der Germanistik - mit den Ne
benfächern Geschichte und Politische Wissenschaften - einige Jahre als
Gymnasiallehrer in FreiburglBreisgau tätig. Danach arbeitete er zunächst als
Assistent bei Prof. Bergstraesser am Institut für Politische Wissenschaft,
später bei Prof. Popitz am Institut für Soziologie der Universität Freiburg, wo
er 1965 mit einer soziologischen Dissertation promovierte. Von 1973 bis
1994 wirkte er als Professor für ,Soziologie der Erziehung' an der Freien
Universität Berlin, seit 1994 als Professor für ,Erziehungs- und Sozialisations
theorie' an der Universität Potsdam.
Sozialisation versteht Hans Oswald - in Anlehnung an den symbolischen
Interaktionismus und in der Tradition von Jean Piaget - vor allem als eine
Leistung des Kindes und Jugendlichen selbst, vollbracht in ko-konstruktiven
Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen und Erwachsenen. Diese Über
zeugung liegt seinen vielfältigen wissenschaftlichen Arbeiten zugrunde. Aus
der Fülle seiner Forschungsprojekte möchten wir hier nur die beiden anspre
chen, von denen wir glauben, daß sie Hans Oswald besonders am Herzen lie
gen. Zu den ,beglückendsten und erkenntnisträchtigsten Erlebnissen' seiner
Forscherlaufbahn zählt er selbst seine Arbeit mit Kindern im Projekt ,Alltag
der Schulkinder'. Gemeinsam mit Lothar Krappmann beobachtete er Kinder
und ihre Interaktionen mit Gleichaltrigen in Schulklassen, auf dem Pausenhof
und im Schullandheim. Hans Oswald konzentrierte sich dabei auf die Per
spektive der Kinder, analysierte, welchen Sinn sie selber mit ihrem Handeln
verbinden, und deckte unbekannte Seiten einer eigenständigen Kinderwelt
auf. Hans Oswalds viel gelesene Arbeiten zur Problematik des Helfens, also
10 Widmung
über die vielen verweigerten und nur widerwillig gegebenen oder angenom
menen Hilfen in der Kinderwelt, zum Miteinander und Gegeneinander von
Jungen und Mädchen in der mittleren Kindheit, oder seine Arbeiten zu den
rauhen Spielen unter Kindern (rough and tumble play) entspringen dem in
tensiven Bemühen, den Absichten und Handlungsbedingungen, wie Kinder
sie selber sehen und erleben, gerecht zu werden. Rauhe Spiele, bei denen die
Gefahr besteht, daß sie ,umkippen', machen den Kindern oft besonders viel
Spaß. Wenn sie vergnüglich enden, haben Kinder gelernt, aufeinander zu
achten und Grenzen einzuhalten. Insofern spricht viel für die sozialisatorische
Relevanz dieser Spiele. Diese rauhen Spiele werden derzeit im Zuge der Be
sorgnis vor steigender Gewalt an der Schule oft fehlinterpretiert. Hans Os
wald ruft hier die Erwachsenen zu Besonnenheit auf.
In dem zur Zeit laufenden Forschungsprojekt über die politische Soziali
sation von Jugendlichen in Brandenburg und den Paralleluntersuchungen in
Israel und auf der Westbank (Palästina) wird verfolgt, wie Heranwachsende
ihre politische Identität konstruieren und zu tragenden Mitgliedern einer de
mokratischen Zivilgesellschaft werden. Politische Sozialisation im Nahen
Osten in ihrer Abhängigkeit vom Friedensprozeß und friedlicher Koexistenz
von Israelis und Palästinensern wird mit den Prozessen politischer Sozialisa
tion in Brandenburg verglichen. In Brandenburg herrschen weniger gewalt
same Bedingungen, dennoch wird von vielen die politische Identifikation von
Jugendlichen mit den demokratischen Institutionen als gefährdet einge
schätzt. Ähnlich wie bei der Diskussion über ,Gewalt unter Kindern' vertritt
Hans Oswald beim Thema der ,rechtsextremen Jugendlichen in den Neuen
Bundesländern' eine exakt begründete, auf verläßliche Daten gestützte und
vor voreiligen Verurteilungen warnende Haltung. Er will auf keinen Fall zu
lassen, daß eine ganze Generation in Verruf gerät.
Als Mitglied des International Steering Committees für die Durchfüh
rung der Civic Education Study der IEA (International Association for the
Evaluation of Educational Achievement) wird sich Hans Oswald in den
kommenden Jahren weiterhin an der Erforschung politischer Sozialisation im
internationalen Rahmen beteiligen. Wir wünschen ihm für dies und für die
vielen weiteren Arbeiten, die er sich noch vorgenommen hat, allen Erfolg.
Sozialisation zur Mitbürgerlichkeit -
Konzeption des Buches
In diesem Band stellen zahlreiche Autorinnen und Autoren dar, wie in Kind
heit, Jugend und jungem Erwachsenenalter Kompetenzen und Handlungsdis
positionen herausgebildet werden, mit denen Menschen als Bürger im öffent
lichen Raum ihre Interessen in politischen Gestaltungs- und Entscheidungs
prozessen erfolgreich vertreten können und damit das demokratische Ge
meinwesen stützen. Soziale Interaktionen in der Familie und unter Gleichalt
rigen, Erfahrungen aus Schule und Berufsausbildung werden im Hinblick
darauf untersucht, inwieweit in ihnen die Beteiligung an politischen Prozes
sen vorbereitet wird. Durch die Schilderung der Situation in Ost- und West
deutschland, in Israel, Palästina und den USA werden kulturell vergleichende
Perspektiven eröffnet.
In den Beiträgen wird der Frage nachgegangen, inwieweit Kompetenzen
und Dispositionen, die durch Erfahrungen in Interaktionen und Beziehungen
entstehen, auch Bedeutung für die Genese der Handlungsfähigkeit des Men
schen als Mitbürger eines Gemeinwesens haben. WeIche Aspekte von Sozia
lisations- bzw. Entwicklungsprozessen sind auch für politisches Handeln in
gesellschaftlichen Gruppen wie Parteien, Bürgerinitiativen oder sozialen
Projekten oder als Staatsbürger relevant? Dieser Themenkomplex fordert eine
interdisziplinäre Herangehensweise geradezu heraus. Deshalb freuen sich die
Herausgeber, daß sie Pädagogen, Politikwissenschaftler, Psychologen und
Soziologen zur Mitarbeit gewinnen konnten.
Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist in zwischenmenschliche
Interaktionen eingebettet. Dabei werden diese Kinder und Jugendlichen als
aktiv Handelnde betrachtet, die am Aufbau ihrer Identität, ihrer Kompetenzen
und Dispositionen, also in ko-konstruktiven Auseinandersetzungen mit ande
ren, selber beteiligt sind. Es ist reizvoll, zu untersuchen, ob diese Entwick
lungskonzepte auch dazu beitragen, die politische Dimension entstehender
Kompetenzen und Haltungen Heranwachsender zu begreifen. Diese Perspek
tive scheint deswegen besonders nahezuliegen, weil das demokratische Ge
meinwesen ebenfalls auf die Aktivität seiner Bürger angewiesen ist und von
ihnen gemeinsam erbrachte, abgestimmte Leistungen, also Ko-Konstruk-
12 Sozialisation zur Mitbürgerlichkeit - Konzeption
tionen verlangt. Allerdings ist wichtig, daß eine solche Sichtweise politischer
Sozialisation sorgfältig überlegt, möglicherweise durch andere Ansätze er
gänzt und gegebenenfalls eingegrenzt wird, um nicht einseitig einer Soziali
sationsvorstellung zu verfallen, die sich zwar für die Aufklärung der kogniti
ven und der sozialen Entwicklung als fruchtbar erwiesen hat, sich aber doch
auch der Kritik alternativer Siehtweisen stellen muß.
Der Blick sollte dabei sowohl auf familiale Prozesse fallen als auch auf
die Interaktionen und Beziehungen unter Gleichaltrigen. In Kindheit und Ju
gend sind Eltern und Gleichaltrige wichtige Interaktionspartner der Heran
wachsenden. Eltern reagieren bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgabe
auf die wachsenden Fähigkeiten und Autonomieansprüche ihrer Kinder mit
mehr oder weniger großer Aushandlungsbereitschaft. Kinder haben dadurch
unterschiedliche Chancen, die ihnen eröffneten Freiräume mitzugestalten und
auf diese Weise die familiären Interaktionen und Beziehungen zu beeinflus
sen. Erste Erfahrungen folgenreicher Wirksamkeit können entstehen. In der
Interaktion mit anderen Kindern und engeren Freunden wird die Verschie
denheit der in der Familie erfahrenen Realität deutlich. Im Spiel und anderen
gemeinsamen Aktivitäten tauchen neuartige Probleme auf, die Kinder aus ei
genem Vermögen zu regeln versuchen. Dabei prallen oft die verschiedenen
Interessen hart aufeinander. Vom Rückzug aus der Kooperation bis zu Ver
trauen auf gute gemeinsame Lösungen reichen die Reaktionen der Kinder.
Dem Themenbereich ,Familie' wenden sich die beiden ersten Aufsätze
zu. Beate Schuster, Harald Uhlendorff, Brita Schmidt und Angelika Traub
untersuchen Entscheidungsbefugnisse von Kindern und familiale Aushand
lungsprozesse als Voraussetzungen für spätere mitbürgerliche Verantwor
tungsübernahme. Die Rolle des elterlichen Erziehungsstils bei der Entwick
lung von autoritären Einstellungen im Jugendalter analysieren Hilke Reben
storf, Christine Schmid und Hans-Peter Kuhn. Sozial-emotionale Prozesse
unter den Gleichaltrigen behandelt der Beitrag von Maria von Salisch. Sie
wendet sich dem Ärger und den gegenseitigen Abwertungen zu, die Koope
ration schwer belasten können. Die Bewältigung dieser frustrierenden Emo
tionen ist daher eine wichtige Voraussetzung auch für gemeinsames mitbür
gerliches Engagement. Lothar Krappmann entwickelt ein Konzept ange
wandter Sozialisationsforschung, in der untersucht wird, wie durch eine ver
mehrte Partizipation von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungen in
Familie, Kindertagesstätte, Schule und Einrichtungen der Kommune und der
Jugendhilfe Aspekte der sozialen Handlungsfähigkeit gestärkt werden kön
nen, die auch für die spätere Teilnahme der herangewachsenen Bürger an po
litischen Prozessen wichtig sind.
Wege in die mitbürgerliche Verantwortung oder der Abwendung von
der Politik werden im zweiten Teil des Buches dargestellt. Manfred Hofer
und Monika Buhl entwickeln theoretisch fundierte Kriterien für Program
me, die Heranwachsende in freiwillige soziale Tätigkeiten einbinden und
die, wie Erfahrungen mit solchen Programmen zeigen, zu deren Identi-