Table Of ContentStefan Breuer
Sozialgeschichte des Naturrechts
Bei trage zur sozialwissenschaftlichen Forschung
Band 42
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Stefan Breuer
Sozialgeschichte des Naturrechts
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
CIP-Kurztitelaufnähme der Deutschen Bibliothek
Breuer, Stefan:
Sozialgeschichte des Naturrechts / Stefan Breuer.
- Opladen: Westdeutscher Verlag, 1983.
(Beiträge zur sozialwissenschaftlichen
Forschung; Bd. 42)
ISBN 978-3-531-11631-0
NE: GT
© Springer Fachmedien Wiesbaden 1983
Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1983
Lengericher Handelsdruckerei, Lengerich.
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ISBN 978-3-531-11631-0 ISBN 978-3-663-14314-7 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-14314-7
I n hal t s v e r z e i c h n i s
Einlei tung •..•..•••.•..•••.....•.•.••..............
Erstes Buch : Naturrecht und naturwlichsige Vergesellschaftung
Erstes Kapitel: Synchronie und Diachronie der feudalen
Gesellschaft
1. Synchronie •....••••......••....•...•.•• 25
2. Diachronie ...•.•....•.•....•......•.••• 35
Zweites Kapitel: Naturrecht und Religion im okzidentalen
Feudalismus
1. Die gesellschaftliche Formbestimmtheit des
Christentums •....••••........•......... 46
2. Das relative Naturrecht der Kirche...... 59
3. Das absolute Naturrecht der Haresien.... 76
3.1 Der Traum vom Millennium ........... 76
3.2 Der Kampf urn das Millennium ........ 84
3.2.1 Die Taboriten •• ••. ... ..• ...•. 84
3.2.2 Die radikale Reformation ..... 95
4. Protestantisches Naturrecht : Realisation
und Dislokation des Christentums ....... 110
Drittes Kapitel: Naturrecht und Patrimonialstaat
1. Genesis und Struktur des westeuropaischen
Patrimonialstaates .•........•....••.... 124
2. Naturrecht und Patrimonialstaat im Frank-
reich des 16. Jhs. ......•••......•••... 137
2.1 Frankreich im 16. Jh. •...•....•..•. 137
2.2 Die calvinistischen Monarchomachen.. 149
2.3 Souveranitat und Naturrecht bei
Jean Bodin .••.•••.•...•.......•.... 160
3. Der preuBische Absolutismus und das All-
gemeine Landrecht von 1794.............. 171
3.1 Der preuBische Absolutismus •..•.... 171
3.2 Das 'preuBische Naturrecht' und das
Allgemeine Landrecht •••............ 187
3.2.1 Grundelemente des 'preuBischen
Naturrechts' (Pufendorf, Thoma-
sius, Wolff) ......•.•.•...•.. 187
3 • 2 . 2 Das ALR von 1 794 .....••...•.. 1 9 (j
4. Naturrecht, Patrimonialstaat und Ratio-
nalisierung ......•...•................. 210
Viertes Kapitel: Das Naturrecht der Bauern
1. Einleitung ..•..•.•.•.•••.•............. 216
2. Der englische Bauernaufstand von 1381... 223
3. Der deutsche Bauernkrieg von 1524/25.... 236
4. Die Bauern in der franzosischen Revo-
lution von 1789 ..•••.•.••...•.•.....•.. 251
5. Die Ambiguitat des bauerlichen Natur-
rechts.................................. 265
-VI-
Zweites Buch Naturrecht und reine Vergesellschaftung
Erstes Kapitel: Das Naturrecht der Burger
1. Zur Soziogenese des formalen Naturrechts 271
2. Die 'Produktion des vereinzelten Einzelnen':
Der Zerfall der naturwUchsigen Vergesell-
schaftung in England •••....•••••••.••••••••. 291
3. Die Antwort des 'Leviathan' : Thomas Hobbes.. 309
4. Naturrecht und Besitzindividualismus :
John Locke................................... 326
5. Die Implementierung des burgerlichen Natur
rechts
5.1 England................................. 347
5.2 Das Naturrecht in der amerikanischen
Revolution •....••.•.••••.•••..•••••••••• 357
5.3 Das Naturrecht in der konstitutionellen
Phase der franzosischen Revolution .•.••• 376
Zweites Kapitel: Das Naturrecht der Kleinburger
1. Zur Soziogenese des kleinburgerlichen Natur-
rechts ..•.•..••.•....••.•••••••.•.••••.•••.. 401
2. Die Leveller •..••.•.....•..•••.••.•...•••••. 409
3. Rousseau ..•••.••..•••.•.•.••.••..•••..•.•.•• 433
4. Das kleinburgerliche Naturrecht in der fran
zosischen Revolution
4.1 Die Sansculotten ....•....•...•••...••••• 463
4.2 Die Jakobiner............................ 475
5. Zur historischen Funktion des kleinburger-
lichen Naturrechts .•.•...•.•••.••••••..•••.• 494
Drittes Kapitel: Vollendung und Ende des Naturrechts
1. Einleitung •.•••...••.••....•••.••.•••.•.•.•• 501
2. Der Leviathan des Rechts und die Evolution
der moralischen Welt: Immanuel Kant .•••.••• 507
3. Das Naturrecht in der 'Naturwelt des Geistes';
Hegels Rechtsphilosophie •.•••.•.••••.•.•..•. 529
4. Marx oder die Wahrheit des burgerlichen Natur-
rechts.. .••. .•••. ..••..• •••• ••..••••••.••••• . 557
SchluBbetrachtung: Vom Naturrecht zum Nihilismus.... 596
Anmerkungen .••••••••••..•••.••••••••••.•.••••••.••• 602
Literaturverzeichnis .......•••.•.......•.•..•..•.•. 664
-1-
Einleitung
"De iure naturae multa fabulamur" - diese Feststellung Martin
Luthers hat nach viereinhalb Jahrhunderten nichts von ihrer
GUltigkeit verloren (1). Zwar ist es in der Jurisprudenz
trotz einer kurzen Scheinrenaissance nach dem Zweiten Welt
krieg stiller geworden urn das Naturrecht, das gegenwartig
der schon von Max Weber registrierten "fortschreitenden
Zersetzung und Relativierung aller metajuristischen Axiome
liberhaupt", teils "durch den juristischen Rationalismus selbst,
teils durch die Skepsis des modernen Intellektualismus im
allgemeinen", anscheinend endgliltig zum Opfer gefallen ist
das Recht, heiBt es bei Weber, "ist heute allzu greifbar in
der groBen Mehrzahl und gerade in vie len prinzipiell beson
ders wichtigen seiner Bestimmungen als Produkt und technisches
Mittel eines Interessenkompromisses enthlillt", als daB es
weiterhin jene Aura Uberpositiver Legitimitat in Anspruch
nehmen konnte, die das Naturrecht den groBen Rechtssystemen
der Vergangenheit verlieh (2).
DafUr ist in der Politik yom Naturrecht umso mehr die Rede.
Naturrechtliche Axiome spielen eine wichtige Rolle in der
ideologischen Auseinandersetzung zwischen den groBen Macht
blacken, sie beherrschen die Debatten Uber 'Grundwerte' und
'unverauBerliche Rechte', sie bestimmen die verfassungspoli
tischen Konflikte und die wissenschaftlichen Diskurse Uber
, Legitimationskrisen' und die 'Wahrheitsfahigkeit praktischer
Fragen'. Revoltierende Minderheiten agieren im Namen eines
'Naturrechts auf Widerstand', wie es Herbert Marcuse fUr die
BUrgerrechtsbewegungen der sechziger Jahre reklamierte (3),
Tribunale, internationale Konferenzen und Deklarationen
Uber Grund- und Menschenrechte wechseln einander ab,
Diktatoren wetteifern in dem BemUhen, sich von unabhangi-
gen Untersuchungskommissionen ihre Humanitat und Liberalitat
bescheinigen zu lassen. Kaum ein Staat, der heute noch eine
Verfassung zu verabschieden wagte, die ihn nicht als wahr-
-2-
haften und unverbrUchlichen Garanten der Menschenrechte aus
wiese; kaum ein Prasident, Kanzler, Generalsekretar oder
Juntachef, der nicht von Zeit zu Zeit in flammenden worten
auf Grundrechtsverletzungen im anderen Land oder Lager ver
wiese und demgegenUber die eigene Praxis herausstellte : das
Naturrecht ist zum zentralen Ideologem des politischen Tages
kampfes geworden, dessen unablassige BeschwBrung, wie Erik
Wolf bemerkt, zwiespaltige GefUhle weckt: "ein 'problemati
sches' Empfinden von Nicht-zu-Fassendem, das jedem Versuch
eindeutiger Bestimmung sich entzieht, jedem Willen zur Ein
ordnung widersteht. Sein Anspruch unbedingter Geltung erweckt
zwar Aufmerksamkeit und Anteilnahme, weil jedermann sich des
NatUrlich-Richtigen gern vergewissern mBchte, aber auch Zwei
fel und Ablehnung, weil niemand einer verbindlich gemeinten
Aussage darUber ganz zu trauen vermag. Urn so starker mUBte
die Uberzeugende Kraft einer wissenschaftlichen Lehre vom
Recht der Natur als allgemeingUltiger Ordnung menschlichen
Gemeinschaftslebens sein - und doch : wie vielerlei solcher
Lehren gibt es, wie uneins sind ihre Vertreter, wie wenig
lebensmachtig bewahren sie sich, wie spot ten ihre Verachter
Uber sie als Beispiele eines RUckfalls in 'the childhood of
civilization' und nennen ihr Denken 'typically infantile' I"
(4).
Auch der Blick in die Geschichte des Naturrechts ist nicht
eben dazu geeignet, dieser UngewiBheit und Unsicherheit ab
zuhelfen. Zweieinhalbtausend Jahre lang lBste im Okzident
e!ne Version des Naturrechts die andere abo Im Namen des
Naturrechts protestierten in der Antike soziale Reformer
und Philosophen gegen gesellschaftliche Ungleichheit und
die tibermacht der Reichen, k~pften im Mittelalter Haretiker,
Handwerker und Bauern fUr das 'gBttliche Recht' und die Rechte
des 'gemeinen Mannes', forderten im 17. und 18. Jh. die revo
lutionaren BUrger die Garantie der unteilbaren und unverauBer
lichen Menschenrechte. Dahei war das Naturrecht keineswegs
nur, wie Max Weber meint, die "spezifische Legitimitatsform
der revolutionar geschaffenen Ordnungen" (5). Es wirkte,
worauf vor allem Hans Kelsen den Akzent gelegt hat, ebensosehr
-3-
konservativ, als ldeologie der bestehenden Herrschaftsformen
par excellence (6). lm Namen des Naturrechts polemisierte
Platon gegen eine Entwicklung, die zur Nivellierung des nach
seiner Auffassung naturgegebenen Unterschieds zwischen Herren
und Sklaven tendierte, rechtfertigte Cicero die Herrschaft
der 'summi virtute et animo' liber die Schwacheren, deren
Wille es schlieBlich sei, zu gehorchen, und identifizierte
die Stoa, wie spater auch die christliche Kirche, das natlir
liche mit dem positiven Recht des status corruptus mit seinen
gesellschaftlichen Unterschieden und seiner Sanktionen statu
ierenden Zwangsordnung. Zahllose Philosophen und Theologen
konstruierten eben so zahllose Systeme, die das sittliche
Verhalten und die politische und soziale Ordnung ein
fli~
allemal regeln sollten. Zahllose Gesetzgeber beanspruchten
seit Solon, die 'erhabenen Satzungen der dike' verwirklicht
und jedem Stand und jedem Einzelnen das ihm Zukommende zu
geteilt zu haben. Und ebenso zahllose Erhebungen und Revolu
tionen warfen im Namen neuer Interpretationen des Naturrechts
die positiven Ordnungen wieder urn und installierten neue
Positivitaten. Vom 5klavenhandel bis zum nationalsozialisti
schen Regime, von der Kastration der Kirchensanger bis zur
Kleiderordnung im absolutist is chen Wohlfahrtsstaat gibt es
keine Form von Herrschaft und Unterdrlickung, die nicht natur
rechtlich legitimiert worden ware; und keine revolutionare
Bewegung, die sich nicht selbst als Bannertrager des 'natlir
lichen Rechts' angepriesen hatte, wie repressiv ihre eigene
Prax~s auch sein mochte. Die Geschichte des Naturrechts
scheint vor allem dies zu lehren : daB die unendlichen Meta
morphosen naturrechtlicher Sinnsetzungen sehr viel darliber
aussagen, was unterschiedliche Gruppen, Klassen, lndividuen
zu unterschiedlichen Zeiten flir die unwandelbare Natur der
Dinge hielten; jedoch so gut wie nichts darliber, worin diese
denn nun 'objektiv' besteht. Ernst Topitsch hat daher das
Fazit gezogen : "Die Naturrechtslehren stellen also im we
sentlichen Systeme von Zirkelschllissen und Leerformeln dar,
die zur Verteidigung oder Bekampfung jeder nur denkbaren,
bestehenden oder erwUnschten Rechts- und Sozialordnung ge
braucht werden konnen und dieser ihrer uneingeschrankten