Table Of ContentHeidelberger Taschenbticher Band 97
Wolf D. Keidel
Sinnespbysiologie
Teil I
Allgemeine Sionespbysiologie
Visuelles System
Mit 158 Abbildungen
Springer-Verlag
Berlin· Heidelberg· New York 1971
Dr. med. WOLF D. KEIDEL, o. Professor fUr Physiologie und Vorstand
des I. Physiologischen Instituts der Friedrich-Alexander-UniversiHit.
ISBN-13: 978-3-540-05558-7 e-ISBN-13: 978-3-642-96084-0
DOl: 10.1007/978-3-642-96084-0
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Softcover reprint of the hardcover 1 st edition 1971
Library of Congress Catalog Card Number 70-171478.
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durften.
Herstellung: Oscar Brandstetter Druckerei KG, 62 Wiesbaden
Meinem Lehrer Otto F. Ranke
Vorwort
Das vorliegende Biichlein stellt eine Zusammenstellung vieler Gesprache
dar, die im Zusammenhang mit Vorlesungen, Praktika und Forschungs
diskussionen am I. Physiologischen Institut Erlangen in den letzten
15 Jahren geftihrt worden sind. Dieser Band behandelt die Axiomatik,
die allgemeine Sinnesphysiologie und das visuelle System. In einem
zweiten Bandchen sollen Gehor, Gleichgewichtssinn, Hautsinne und
chemische Sinne eine ahnliche Darstellung erfahren. Ohne Frage be
deutet in der heutigen Zeit eine solche Synopsis ein Wagnis. Wir glauben
uns dazu jedoch vor allem deshalb berechtigt, weil an den Autor in den
letzten Jahren immer wieder der Wunsch nach einer solchen Darstellung
aus den verschiedensten Kreisen herangetragen worden ist. So wendet
sich das Biichlein sowohl an die Studierenden der Medizin und Zahn
medizin, wie auch an Psychologen, Naturwissenschaftler, Technologen
und interessierte Vertreter aller Fachgebiete, die sich in irgendeiner
Weise mit diesem eigenartigen Teilgebiet der Selbsterkenntnis des
Menschen beschaftigen. Die Sinnesphysiologie betrachtet heute so viele
Grundfragen menschlicher Lebensfunktionen, daB sie nach unserer
Auffassung eher Grundlegendes als Detailliertes auszusagen hat. So
wiinschen wir dem Biichlein, das ich zugleich OTTO F. RANKE, dem
Menschen widmen mochte, der mich auBer Herro GEORG v. BEKESY,
NORBERT WIENER und WALTER A. ROSENBLITH am profundesten zum
Nachdenken iiber die Sinnesphysiologie und die menschliche Communi
kation angeregt hat, eine wohlwollende Aufnahme beim Leser. Herrn
SIEGFRIED KALLERT und Frau ILSE KUTSCHAu, die mir bei der Vorberei
tung des Bandchens entscheidend und selbstlos geholfen haben, gilt
neben Herro KARL BURIAN, dem die sorgfliltige Ausftihrung der Zeich
nungen zu danken ist, mein besonderer Dank. Das Biichlein ware ohne
den AnstoB durch den Verleger, Herrn Dr. H. GOTZE, nicht entstanden
und hatte ohne das groBziigige Eingehen auf aIle Ausstattungswiinsche
durch den Springer-Verlag im Rahmen der Heidelberger Taschenbiicher
nicht seine ansprechende auBere Form finden konnen. Auch daftir habe
ich in besonderem MaB zu danken.
Erlangen, im Juli 1971 WOLF D. KEIDEL
VII
Inhaltsverzeichnis
A. Einftihrung . . . . . . . . . . . .
Kritische Betrachtung der Grundbegriffe . 2
"Probabilistic Approach" 3
Raum und Zeit. . . . . 4
BewuBtsein . . . . . . 6
"I Psychologischer Aspekt 6
Physiologischer Aspekt 13
Modalitat 13
Qualitat. . . . . . . 14
Quantitat . . . . . . 15
Information - Informationstheorie - Informationsverarbeitung in
Organismen . . . . . . . . . 16
B. Allgemeine Sinnesphysiologie . 25
Quantifikation der Empfindungsstarke . 25
Weber-Fechner'sches Grundgesetz . . 27
Stevens'sche Potenzfunktion . . . . . 30
Bedeutung des Exponenten "n" der Stevens'schen Potenzfunktion und
Erklarung ihrer Gtiltigkeit. . . . . . . . . . 33
Larmbewertungsschemata . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Sinneserlebnis - Empfindung und Wahrnehmung . . . . . . . 44
Verschltisselung der Information im Sinnesorgan ("Kodierung") 47
Wirkungsgradveranderung der Informationsleitung durch efferente,
deszendierende Fasersysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . 52
Kodierung im Rezeptor und Informationsleitung in der Einzelfaser 64
Informationsleitung in der Nervenfaser 71
Dekodierungsprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Einteilung der Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
Psychophysische Schwellenmessungen. Schwellenarten der Sinnesorgane 88
1. Absolutschwellen. . . 90
2. Intensitatsschwellen. . . . . 91
3. Unterschiedsschwellen 93
Sukzessivunterschiedsschwelle 93
IX
Simultanunterschiedsschwelle 94
4. Ortsschwellen . 97
5. Zeitschwellen . . 99
6. Raumschwellen . 100
Sinnesmannigfaltigkeit 102
c.
SpezieUe Sionesphysiologie des Auges 104
I. Antransportorgan . . . . . . . . 104
Physiologische Optik des Antransportorganes 109
1. Brechungsgesetz . . . . . . . . . . . 110
2. Abbildung durch einfache optische Systeme. 112
3. Abbildung durch Linsen. . . . . . . . . 114
4. Abbildung durch komplizierte (= zusammengesetzte)
optische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . 116
5. Abbildungsfehler durch Linsen . . . . . . . . . . 118
6. Krtimmungsradien der brechenden Fliichen des Auges 124
7. Messung der Krtimmungsradien. Ophtalmometer 124
8. Augenfehler . . . . . . 127
9. Akkommodationsvorgang 132
10. Augenspiegel. 139
11. Pupillenweite. . . . . . 142
II. Transformationsorgan (Netzhaut) 144
1. Absolut- und Intensitiitsschwelle 147
Dunkel-und Helladaption 149
2. Unterschiedsschwellen. . 155
3. Zeitschwelle . . . . . . 161
4. Ortsschwelle (Sehschiirfe) 166
a) Abhiingigkeit der Sehschiirfe vom betrachteten Objekt . 166
b) Abhiingigkeit der Sehschiirfe vom Ort der Abbildung
auf der Netzhaut. . . . . . . . . . . . . . . . . 167
c) Abhiingigkeit der Sehschiirfe von der Beleuchtungsstiirke.. 169
d) Abhiingigkeit der Sehschiirfe vom Leuchtdichtenquotienten . 171
Messung der Sehschiirfe 171
Simultankontrast . 173
5. Gesichtsfeld . . . . . 178
6. Bewegungsschwelle . . 180
7. Raumschwelle (stereoskopisches Sehen) 181
Pulfricheffekt. . . . . . . . 188
8. Farbensehen. . . . . . . . 190
Farbkreisel und Anomaloskop 195
Sehbahn. . . . . . . . . . 198
x
9. Objektive Erscheinungen am Auge 200
Elektroretinogramm. . . . . . . 201
Aktionspotentiale des Sehnerven . 203
10. Blendung im Kraftfahrzeugverkehr 210
11. Optische Sinnestauschungen 214
Literaturverzeichnis. . . . . . . . 221
Namen-und Sachverzeichnis. . . . 223
Quellenverzeichnis der Abbildungen . 227
XI
A. Einftihrung
AIle Informationen tiber die Umwelt wie tiber unseren eigenen Korper
erhalten wir vermittels unserer Sinnesorgane. Unser BewuBtsein, Aus
druck normaler Funktion des gesamten Zentralnervensystems, tibersetzt
alles, was unsere Sinnesorgane aufnehmen, in Empfindungen und Wahr
nehmungen, in Phiinomene und BewuBtseinsinhalte, die unser Wach
empfinden zumindest eben so ausftillen wie un sere Gedanken. la, geht
man dieser Problematik auf den Grund, so zeigt sich, daB weder die
klassische Unterteilung der Hirnfunktion in Motorik und Sensorik,
also in die Einleitung von Handlungen und Verhaltensweisen einerseits
und in Wahrnehmungen andererseits, noch die Standarddarstellung der
Psychologie und Philosophie, niimlich die Trennung in Gedanken und
Geftihle, liinger haltbar sind. Vielmehr bedarf dies alles einer neuen Ord
nung, welche sich auf den gleichzeitigen Ablauf von drei vollig vonein
ander verschiedenen Grundfunktionen der Physiologie der Sinne und
der Sinnesempfindungen sttitzen muB, niimlich von 1. Energietransfor
mationen, 2. Informationsverarbeitungen und 3. BewuBtseinsinhalten
(Abb. 1).
Schicht Elementar- Me8gro8e Dimension
einheit
. Empfindungs- % (Schwelle)
Bewul3 tsem stulr e -LI, i- ; LAJ t; LII f·
I
Abb. 1. Dreischichteneintei Zeit
Information Signal bit
lung bewul3ter Empfindungen (oder Raum)
des Menschen in Energie, In
Energiequant Raum und
formation und Bewul3tseins Energie LIE erg Zeit
inhalt (etwa Empfindung)
Eine Einftihrung in die hieraus ableitbare moderne Problematik und in
die betriichtlich hOhere Obersichtlichkeit der gedanklichen Einordnung
dieser drei Grundfunktionen, die in verschiedene Schichten eingestuft
werden konnen, solI das Anliegen des vorliegenden klein en Btichleins
sein.
1
Kritische Betrachtung der Grundbegriffe
Die klassische Philosophie und Psychologie hat sich groBe Miihe damit
gemacht, Sinnes- und Hirnfunktion auseinanderzuhalten und noch
obendrein von Willensintentionen, wir wiirden heute sagen, von Ver
haltensweisen als "motorischen" Anteil vom "sensorischen" abzu
trennen. SCHOPENHAUER's "Wille" und "Vorstellung" sind dafUr eben
so beispielhaft wie DESCARTES' "res cogitans" und "res extensa". (Abb. 2)
philosophischer triviale Dimension
Begriff Bezeichnung
res Geist ?
cogitans Bewu13tsein
•
res Materie Raum Abb. 2. Descartes'sche Einteilung
extensa Masse und
der Struktur der Lebewesen in die
Energie Zeit "res cogitans" und die "res extensa"
Strahlung
Auch die theoretische Sinnesphysiologie unserer Tage geht, wenn auch
mit Vorzeichenwechsel gegeniiber dem Locke'schen und Hume'schen
Sensualismus, von dieser Einteilung aus, betont aber im Gegensatz zu
der oben geschilderten dualistischen Auffassung der materiellen und
geistigen Vorgiinge die Einheitlichkeit, eine Art Neo-Holismus also,
nach welcher beide Dinge ein und dieselbe Sache nur von verschiedenem
Standpunkt aus seien (HENSEL).
Dennoch vermag dieser Versuch einer konstruktiven Homogenisierung
des Leib-Seele-Problems, dessen iiberzeugendste Fassung bei SPINOZA
in der Art des "psycho-physischen Parallelismus" zu finden ist, die
tatsiichlich vorliegende Denkschwierigkeit nur zu verschieben, nicht
wirklich aufzulosen. Die Einteilung im Rahmen wissenschaftlicher Un
tersuchungsverfahren: Physik fUr den Reiz und zum Teil fUr die Funk
tion des Sinnesorgans selbst, Physiologie fUr die auf den Organismus
bezogenen und ihm eigentiimlichen Stoffwechselprozesse und Psycho
logie fUr die uns bewuBt werdenden Sinnesempfindungen und Wahr
nehmungen, befriedigt heute nicht mehr: Der bekannte Ausspruch des
Anatomen VIRCHOW, "er habe schon Tausende von Gehirnen seziert,
aber noch niemals eine Seele gefunden", ist nicht bloB zeitgebunden
dem materialistisch-positivistischen Denken verhaftet und etwa im
Haeckel'schen Sinne gesprochen, lost vielmehr das Problem im Endeeben
sowenig wie die Anschauung jenes beriihmten zeitgenossischen Physio
logen, der fUr seine Wissenschaft das Kausaldenken des Naturwissen
schaftlers, fiir seine person lichen Gefiihle und ethischen Antriebe ein
2