Table Of ContentIrmela Schneider (Hrsg.)
Serien -Welten
Irmela Schneider (Hrsg.)
Serien -Welten
Strukturen US-amerikanischer Serien
aus vier Jahrzehnten
Westdeutscher Verlag
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Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt
Gedruckt auf säurefreiem Papier
ISBN 978-3-531-12703-3 ISBN 978-3-322-93853-4 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-93853-4
Inhalt
[rmela Schneider
Einleitung . .. .................................. 7
Norbert Mengel
Den Anfang macht die Ouvertüre. Entwicklungen von Serienvor-und
abspannen: Vom "notwendigen Übel" zum kreativen Freiraum-
und zurück ..................................... 19
[rmeta Schneider
Vom Ereignis zur Performance. Zur Erzählstruktur und Erlebnisfunktion
von Serien ..................................... 42
Ulrich Brandt
Schieß los! Erzählmuster amerikanischer Serien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
Heike Klippel
Alles total normal. Die Welt der sozialen Konflikte ................. 74
Udo Göttlich
Traditionalismus als Leitidee. Werte und Wertestruktur amerikanischer
Serien .......................................1 02
[rmela Schneider
Variationen des Weiblichen und Männlichen. Zur Ikonographie der
Geschlechter ....................................1 38
Ulrich Brandt
Den Zuschauer beim Händchen nehmen. Zur Narrativik moderierter
Sendungen mit Serieneinspielungen. ........1 77
Annette Brauerhoch
What's the Difference? Adaptionen amerikanischer Situation Comedies im
deutschen Fernsehen ................................1 95
Angela Krewani
Ein Überblick über Positionen der anglo-amerikanischen Serienforschung . .214
Anhang: Tabellen. . . . .225
Anhang: Serienregister . .237
Einleitung
[rmela Schneider
I.
Seit rund vier Jahrzehnten gehören US-amerikanische Serien zu den Konstanten
des deutschen Fernsehprogramms. Mit Titeln wie Auf der Flucht, Bonanza, Lassie,
Flipper, Dallas, Columbo oder Die Golden Girls verbindet heute jeder Fernseh
zuschauer Erinnerungen an Geschichten, an Schauspieler, an Seriengestalten, ihre
Eigenarten, Verhaltensweisen, Wertvorstellungen. Amerikanische Sichtweisen des
Erzählens, der Darstellung von Alltag und Erlebnissen, der Entwicklung und Lö
sung von Konflikten gehören zum kollektiven Wissen, und dieses Wissen bildet
einen Orientierungsrahmen für soziales Handeln im Alltag. Die Wahrnehmung von
Wirklichkeit, die von der Wahrnehmung der Wirklichkeit der Medien nicht mehr
länger getrennt werden kann, ist auch durch diese Serien geprägt. Spezifische, in
der amerikanischen Tradition angesiedelte Handlungsmuster, Werte, Normen, sind
heute Teil der Vorstellungen von Wirklichkeit. In der Teilhabe an Massen
kommunikation, die man mit Meyrowitz (1987, 95) als "para-soziale Interaktion"
bezeichnen kann, ist die Intimität mit Fernseh-Nachbarn wie Familie Schölermann
oder Familie Hesselbach seit den 60er Jahren um die Intimität mit Helden wie
Richard Kimble, Ben Cartwright oder Perry Mason angereichert worden. Werden
diese amerikanischen Helden, so kann man fragen, überhaupt noch nach ihrer na
tionalen Herkunft identifiziert? Ist nicht die Fernseh-Familiencouch zu einer Ge
gend geworden, in der sich die Orientierung nach geographisch defmierten Orten
längst aufgelöst hat? 1
Erinnerungen an Serien sind ebenso wie ihre Wahrnehmung etwas Aktives, stehen
für gedankliche Konstruktionsarbeit der Zuschauer. Fernsehrezeption, verstanden
als ein aktiver Akt von Bedeutungszuschreibung, ist abhängig vom sozialen Kon
text, in den die Fernsehrezeption eingebunden ist. Sie läßt sich allerdings -so die
Ausgangsthese dieser Untersuchung -nicht reduzieren auf jene für Individuen oder
VgJ. Virilio 1989, 85: "Der Slogan auf den Kinofassaden der dreißiger Jahre 'Rund um die Welt in
achtzig Minuten', signalisierte bereits, daß der Ablauf des Films sich deckte mit der Geostrategie,
die seit einem Jahrhundert unaufhaltsam auf einer Vertauschung von Dingen und Orten und
schließlich ihrer Auflösung hinauslief."
8 Irmela Schneider
Gruppen spezifischen Bedeutungszuschreibungen, sondern es bilden sich transin
dividuelle und potentiell konsensuelle Bedeutungszuschreibungen, und zwar auf
grund von rekurrenten Merkmalen, Standardisierungen, die die Serien auszeich
nen. Diese Ebene der potentiell konsensuellen Bedeutungszuschreibungen läßt sich
als ein mentales Schemawissen begreifen, das im Laufe der Fernsehsozialisation
erworben wird und das seinerseits eine Ausgangsbedingung bildet, um Abwei
chungen, Modifikationen wahrzunehmen. Parodien von Serien kann nur der Zu
schauer erkennen, der die konstitutiven Merkmale für Serien kennt. Unser Blick
ist, so gesehen, auf die Serien gerichtet, auf das Normale', Alltägliche, Durch
schnittliche. Es geht uns darum, das an den Bildern, Erzählungen, Akteuren von
Serien aufzuzeigen, was "wiederholt wird ohne jede Magie, ohne jede Begeiste
rung, als wenn es natürlich wäre, als wenn, wie durch ein Wunder, dieses wieder
kehrende Wort jedesmal aus anderen Gründen angemessen wäre, als wenn das
Imitieren nicht mehr als Imitation empfunden werden könnte: ein zwangloses
Wort, das auf Konsistenz Anspruch erhebt und seine eigene Insistenz nicht kennt."
(Barthes 1974, 64) Was Barthes hier in bezug auf die menschliche Sprache das
"Stereotype" nennt, das fortschreitende '''Hart- und Starrwerden', ihre Verdickung
im Laufe des historischen Diskurses" (Barthes 1974, 64) läßt sich gleichermaßen
auf Serien, ihre Bilder und Geschichten beziehen. Im Mittelpunkt steht dann die
Frage, wie jene Merkmale von Serien beschaffen sind, die den Anschein von
Natürlichkeit' statt Konstruktion erwecken.
11.
Das Teilprojekt "Zur Geschichte und Entwicklung des britischen und amerikani
schen Einflusses auf die Fernsehprogramme in der Bundesrepublik Deutschland"
des Sonderforschungsbereichs "Bildschirmmedien", der seit Januar 1985 an der
Universität/Gesamthochschule Siegen besteht, hat eine Bestandsaufnahme der in
den deutschen Programmen seit Beginn bis einschließlich 1985 ausgestrahlten Se
rien vorgelegt (SchneiderfThomsen/Nowak 1991, Schneider 1992). Diese
Bestandsaufnahme war das Fundament, von dem aus die Inhaltsanalyse möglich
wurde, deren Ergebnisse in diesem Band vorgestellt werden. Für diese Analyse
wurden 5% des gesamten US-amerikanischen Serien-Programms, das in ARD und
ZDF von Beginn bis einschließlich 1985 ausgestrahlt worden ist, analysiert. 2 Dabei
umfaßt das Sampie Serien aus dem Nachmittags-, Vorabend- ebenso wie Abend
programm.3 Die Titel der analysierten Serien wurden nach einem Zufalls-Algo
rithmus ausgewählt. Ergänzt wurde dieses Sampie durch die Analyse aller ameri
kanischen Serien, die an vier Stichtagen in den Jahren 1992 und 1993 in den Pro-
2 Die Grundgesamtheit bildet die Minutenzahl aller in diesem Zeitraum ausgestrahlten amerikani
schen Serien; eingeschlossen sind hier Wiedemolungsprogramme. Die Zahl von 5% bezieht sich
also nicht auf Serien-Titel, sondern auf die Gesamtheit der Sendeminuten.
3 Als Beispiel für ein typisches Vorabendprogramm der ARD wurde das Programm des Westdeut
schen Werbefernsehens (J{WF) ausgewählt.
Einleitung 9
grammen von ARD, ZDF, RTL, SAT 1 und Pro 7 gelaufen sind. Neben den
Nachmittags-, Vorabend- und Abendprogrammen kamen hier die Serien aus dem
Vormittagsprogramm hinzu. Insgesamt umfaßt das SampIe 259 Serienfolgen für
den Zeitraum von 1953-1985 und 144 Serienfolgen für die Stichtage (vgl. die Ta
bellen im Anhang).
III.
Bei der Inhaltsanalyse - dies sei hier wenigstens erwähnt - geht es nicht um die
Analyse von Texten im Sinne von objektiv gegebenen Fakten, sondern die Analyse
ebenso wie die Wahrnehmung von Serien ist immer eine Konstruktionsleistung
dessen, der die Serie analysiert oder sieht. Es gibt nicht den Inhalt eines Doku
ments als Objekt der Inhaltsanalyse. Inhalt entsteht im Prozeß der Analyse von
Botschaften in einer bestimmten Situation und in einer bestimmten Forschungs
Absicht, und davon kann er nicht einfach isoliert werden (vgl. Krippendorf 1969,
5).
Zielsetzung unserer Analyse war es, solche Strukturen und Merkmale von Serien
zu ermitteln, die rekurrent zu beobachten sind, die quasi automatisch wahrgenom
men werden und von denen angenommen werden kann, daß sie von potentiell allen
Zuschauern die gleiche Bedeutungszuschreibung erhalten, daß sie zum mentalen
Schemawissen derer gehören, die an massenmedialer Kommunikation teilneh
men.4 Amerikanische Serien werden also als ein Teilbereich der medialen Kom
munikation untersucht, durch den in der gesellschaftlichen Kommunikation The
men koordiniert werden. Diese Themenkoordination -so die Ausgangsthese - ver
läuft gerade bei amerikanischen Serien in einem hohen Grade konsensuell.5 Serien
werden aufgefaßt als Stimuli, die semantische Zuschreibungen ermöglichen, die
sich gerade nicht durch große Variabilität, sondern in hohem Maße durch Inva
rianz, Stabilität auszeichnen.
Daraus folgt nicht, daß jeder Zuschauer das gleiche Handlungswissen aus den Se
rien bezieht und gemäß diesem Wissen handelt. Daraus folgt allerdings: Man kann
von kollektiven Phantasien und einem kollektiven Wissen ausgehen, das Orien-
4 Die Kategorie des Schemawissens geht ZUIÜck auf die kognitionspsychologische Stereotypen-For
schung. Stephan 1989 hat Stereotype in kategorialen Schemata lokalisiert, die der Mensch im Pro
zess des sozialen Lernens erwirbt. Er unterscheidet im Anschluß an Anderson 1983 in seinem Mo
dell der kognitiven lnformationsverarbeitung drei Gedächtnis-Systeme ("memory systems"):
"declarative memory", "production memory" und "working memory". Während die ersten beiden
relativ stabil sind, ist letzteres temr,orär. Das "declarative memory" enthält Informationen, die weit
gehend faktenbezogen sind. Das 'production memory" enthält prozeßorientierte Kategorien (wie
Dinge zu tun sind) und das "working memory" arbeitet mit Kategorien, die laufend gebildet wer
den. "Declarative memory" vergleicht Stephan den Daten, die in einern Computer gespeichert sind,
"production memory" dem Programm, mit dem Daten gespeichert werden, und "working memory"
demjenigen, was auf dem Bildschirm erscheint.
5 Zum Begriff der "konsensuellen Koordination" vgl. Maturana, 1988, 840: "Diesen ontogenetisch
konstituierten Bereich rekurrenter Interaktionen nenne ich einen Bereich 'konsensueller Koordina
tion von Handlungen und Unterscheidungen' oder allgemeiner einen 'lwnsensuellen Bereich von
Interaktionen', weil er aus einer besonderen Form des Zusammenlebens entsteht, die gegenüber der
spezifischen Geschichte der rekurrenten Interaktionen der teilnehmenden Systeme kontingent ist."
10 Irmela Schneider
tierungsfunktion für Handlungen hat, Anschlußmöglichkeiten für Kommunikatio
nen bereitstellt, diese aber nicht determiniert.
Der theoretische Referenzrahmen, auf dem unsere Untersuchung aufbaut, ist eine
kognitionstheoretisch fundierte Stereotypen-Theorie (vgl. Schneider 1992). Sie
weist, bei genauerer Prüfung, Verbindungen mit der kulturellen Indikatoren-For
schung auf. Die kulturelle Indikatoren-Forschung, wie sie Gerbner et al. (vgl. z.B.
1969, 1973) betreiben, ermittelt Merkmale von audiovisuellen Produkten und
spricht bei einer bestimmten Häufung von Merkmalen von Stereotypen. Wir ver
folgen mit unserem Ansatz das Ziel, ebenfalls rekurrente Merkmale zu ermitteln,
aber der Referenzrahmen der Stereotypen-Theorie ermöglicht es, den Stellenwert
solcher Merkmale plausibler und präziser zu bestimmen, als dies mit Gerbners An
satz möglich wäre.
Stereotypen werden als hierarchisch strukturierte mentale Schemata defmiert, die
sozialisations geschichtlich und damit eben auch in der medialen Kommunikation
erworben werden. Diese mentalen Schemata werden durch Stimuli aktiviert, sie
prägen die Konstruktion von Bedeutung. Diese kognitiven Operationen sind, so der
Kerngedanke und das zentrale Interesse der Stereotypen-Theorie, die Basis für
Gruppenbildungen in Gesellschaften. Stereotype sind kognitive Prozesse mit so
zialen Folgen. Über die sozialen Folgen kann man aber erst dann plausible Überle
gungen formulieren, wenn man genauer weiß, wie die Strukturen und Merkmale
beschaffen sind, die zur Konstruktion von Stereotypen beitragen.
Das zentrale Interesse der Stereotypen-Forschung ist die Untersuchung von Pro
zessen der Gruppenbildung in Gesellschaften, das Fremd- und Eigenbild von
Gruppen, die Einschätzung von Outgroups u. ä .. Die Sozialisationsinstanzen, über
die Stereotypen erlernt werden, sind vor allem Elternhaus, Schule und Massenme
dien. Die Stereotypen-Forschung interessiert sich wenig für den Beitrag, den diese
Sozialisationsinstanzen im einzelnen zur Stereotypen-Bildung leisten. Bekannt ist,
daß sich bereits im Alter von 6 bis 7 Jahren, also primär ausgebildet durch das El
ternhaus, Stereotypen im Hinblick auf die Geschlechter ausgebildet haben. Ein
zelne Untersuchungen zu Leistungen der Schule und marginale Beobachtungen zu
den Massenmedien - wobei innerhalb amerikanischer Studien die Rolle der
Schwarzen im Fernsehen eine prominente Rolle spielt -liegen vor. Insgesamt aber
geht es der Stereotypen-Forschung nicht um die Sozialisationsinstanzen, sondern
um das soziale Verhalten von Gruppen.
Im Unterschied dazu geht es uns darum, am Beispiel von amerikanischen Serien,
die das deutsche Fernsehen ausgestrahlt hat, zu untersuchen, welche rekurrenten
Merkmalskombinationen sich inhaltsanalytisch ermitteln lassen, die dann zur Ste
reotypenbildung beitragen und zwar nicht nur in bezug auf Gruppenbildungen. Ste
reotypen fungieren ebenso als Orientierungswissen für das Alltagshandeln. Die
Ebene der Stereotypen selbst können wir mit unserem methodischen Ansatz nicht
erreichen, aber wir können Material zusammentragen, aus dem sich Schlußfolge
rungen darüber ziehen lassen, welche Rolle die Serien-Welten spielen, wenn es um
Einleitung 11
Fragen nach stereotypen Vorstellungen über die Art und Weise, wie erzählt wird,
geht, wenn stereotype Konfigurationen von Konflikten und ihren Lösungen disku
tiert werden, wenn nach Werte strukturen und ihren Wandlungen gefragt wird oder
nach stereotypen Vorstellungen über Geschlechterrollen. Diese Untersuchung bie
tet somit Material für die zentrale Debatte darüber, welche Rolle das Fernsehen im
Alltagshandeln spielt. Wenn man danach fragt, was die Menschen mit den Medien
und ihren Angeboten machen, wie sie sie in ihre Alltagserfahrungen, ihre Wertvor
stellungen, ihren Umgang mit Konflikten, ihre Lebensgeschichten integrieren,
dann geht es nicht um kausal zu erklärende Belange, sondern um komplizierte
Vernetzungen. Serien werden dann relevant für Fragen nach Veränderungen von
alltäglichen Erlebnisstilen.
IV.
Die Analyse der Serien konzentrierte sich im wesentlichen auf vier große Bereiche,
in denen ein hohes Maß an Rekurrenz und Standardisierung vermutet werden
konnte. Es ging um die Sammlung von rekurrenten Merkmalen und ihren Variatio
nen
- in den Vor- und Abspannen von Serien;
- auf der Ebene der Erzählstrukturen;
was die Verknüpfung von inszenierten sozialen Situationen und Konflikten be
trifft;
auf der Ebene der Werte, die Akteuren zugeschrieben werden;
was Geschlechterrollen anbelangt.
Für die Analyse der Vor- und Abspanne stand die Frage im Zentrum, welche Mu
ster für die Oberflächen prägend sind und welche Variationen sich beobachten las
sen. Es ging um Fragen danach, ob im Mittelpunkt Akteure/Stars, ein topographi
sches Emblem oder Ereignis-Segmente stehen. Zu den Fragen gehörte ebenso, ob
und wie sich bestimmte Konventionalisierungen solcher Oberflächen mit Genre
Konventionen koppeln (vgl. den Beitrag von Norbert Mengei).
Der zweite Komplex bezog sich auf die Erzählmuster von Serienfolgen, auf ihre
narrativen Diskurs-Strukturen. Die Schemata, Rezepte oder Techniken, nach denen
in Serien ganz unterschiedliche Ereignisfolgen in einen narrativen Diskurs trans
formiert werden, zeichnen sich durch ein hohes Maß an Stabilität aus, und diese
Stabilität ist zugleich die Voraussetzung für Variationen dieser Schemata. Der Zu
schauer gewöhnt sich an ein Grundmuster des Erzählens und fmdet Vergnügen am
Spiel mit diesem Grundmuster. Das Muster wird ihm im Laufe der Zeit so vertraut,
daß er Segmente der Erzählungen kombinieren kann, auch wenn er die Erzählung
selbst nur partiell oder nebenher wahrgenommen hat. Es geht in diesem Komplex
um die Frage, welche Erwartungen an Erzählungen sich in der Wahrnehmung von
Serien konventionalisieren und welche Variationen sich für solche Konventionali
sierungen beobachten lassen.
12 Irmela Schneider
Den theoretischen Referenzrahmen bilden kognitionstheoretische Erzähltheorien,
wonach die Wahrnehmung von Erzählungen eine Konstruktionsleistung der Rezi
pienten meint, die zugleich mit bestimmten Affekten (Neugier, Spannung, Überra
schung) gekoppelt ist. Wir sind davon ausgegangen, daß sich bei Serien kanoni
sche Erzählstrukturen ermitteln lassen, in denen eine Serienfolge eine Erzählein
heit bildet. In dieser Erzähleinheit läßt sich am Anfang der Serienfolge ein Ereignis
identifizieren, das bei der Wahrnehmung den Zuschauer auf den Ausgang neugie
rig macht oder das ihn das Ende mit Spannung erwarten läßt. Gegen Ende der Se
rienfolgen läßt sich dann ein Ereignis identifizieren, das die Neugier oder Span
nung befriedigt bzw. löst. Als dritte Variante wurde nach einem Erzählmuster ge
fragt, bei dem der Zuschauer am Ende ein Ereignis identifiziert, das ihn überrascht,
da es Informationen (nach)liefert, mit denen er ein Ereignis, das am Anfang stand,
in seinem Stellenwert neu einschätzen kann. Hier ist der Zuschauer also nicht, wie
bei den ersten beiden Erzählstrukturen, neugierig oder gespannt, ob die Hypothe
sen, die er über den weiteren Erzählverlauf bildet, sich bestätigen, sondern hier
erweisen sich seine Hypothesen als irrig, da er in bezug auf ein für den narrativen
Verlauf wichtiges Ereignis von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist.
Die Konventionalisierungen und Variationen, die sich auf der Ebene der Erzähl
strukturen für die Wahrnehmung von Serien beobachten lassen, führen zu Überle
gungen, welche Erlebnisfunktionen Serien für Zuschauer haben können. 6
Die Analyse der Erzählstrukturen von Serien wurde ergänzt um Überlegungen zu
einer Programmform, die sich in jüngerer Zeit beobachten läßt: Serienfolgen sind
hier nicht länger identifizierbare Einheiten oder Segmente im Programmfluß, son
dern werden eingebettet in eine Magazinform, durch die ein Moderator führt.7
Der dritte Komplex unserer Analyse bezog sich auf eine genauere Profilierung je
ner Ereignisse, durch die aufgrund der Erzählstruktur einer der drei Affekte
(Spannung, Neugier, Überraschung) ausgelöst wird sowie jener Ereignisse, die die
Spannung oder Neugier des Zuschauers auflösen bzw. ihn überrascht sein lassen.
Diese Ereignisse wurden ausgewählt, da man davon ausgehen darf, daß sie auf
grund ihres narrativen Stellenwerts zum Wissen des Zuschauers gehören, daß sie
seine Vorstellungen von Serien-Welten prägen. Gefragt wurde danach, in welchen
sozialen Kontexten solche Ereignisse verankert sind, ob es sich um Ereignisse
handelt, die die Zuschauer z. B. der Familie, dem Berufsleben, der Politik oder der
Freizeit zuordnen. Gefragt wurde ebenso danach, welche Orte sich für solche
Ereignisse identifizieren lassen, ob z.B. private oder öffentliche Räume, eine Stadt
oder ein ländliches Milieu. Mit Bezug auf die ganze Serienfolge wird schließlich
untersucht, in welchem situativen und motivationalen Zusammenhang ein Konflikt
ausgelöst wird, der eine ganze Serienfolge beherrscht, und in welchem Zusarn-
6 Vgl. die Beiträge "Schieß los!" von Ulrich Brandt und "Vom Ereignis zur Performance" von Irmela
Schneider.
7 Vgl. den Beitrag "Den Zuschauer beim Händchen nehmen" von Ulrich Brandt.