Table Of Content„Schreckensszenarien“ im Unterricht
Aktuelle dystopische Romane als Schullektüre
in der Unterstufe
Ehrenwörtliche Erklärung
Ich versichere,
dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst, andere als die angegebenen
Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten
Hilfe bedient habe.
Wörtlich oder dem Sinn nach aus anderen Werken entnommene Stellen sind unter
Angabe der Quellen kenntlich gemacht.
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Ort, Datum Lynn Feyereisen
Lynn Feyereisen
Professeure Candidate au Uelzecht Lycée
„Schreckensszenarien“ im Unterricht
Aktuelle dystopische Romane als Schullektüre
in der Unterstufe
Luxemburg, 2014
Umschlagabbildung von Aitana Kugeler (2eE LAML)
Zusammenfassung
Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, neuere dystopische Romane für den
Deutschunterricht an luxemburgischen Schulen aufzuarbeiten, da in den letzten
Jahren der Trend der Dystopie auch den deutschen Literaturmarkt erreicht hat.
Diese Modeerscheinung wird in der vorliegenden Arbeit auf ihre Ursprünge hin
analysiert, die in den klassischen Dystopien des 20. Jahrhunderts zu finden sind.
Eine ausführliche Analyse der gattungskonstituierenden Merkmale sowie die
Verortung der Dystopie in der literaturgeschichtlichen Entwicklung stehen dabei
im Vordergrund. Da Dystopien in hohem Maße auf andere Anti-Utopien
verweisen, spielt ebenfalls die Intertextualität in diesem Zusammenhang eine
Rolle. Auch das Phänomen der jugendliterarischen Dystopien und der große
Erfolg dieser Gattung werden in dieser Arbeit untersucht.
Anschließend werden einige methodische und praktische Ansätze vorgestellt, die
bei der Behandlung von Ganzschriften im Unterricht förderlich sind und die sich,
vor allem aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen sowie pädagogischer
Erkenntnisse der letzten Jahre in besonderem Maße dazu eignen, die Dystopie im
Unterricht zu behandeln. Hier sind die Differenzierung und das kooperative
Arbeiten zu nennen.
Die praktische Umsetzung, die den zweiten Hauptteil dieser Arbeit ausmacht,
wird anhand von zwei aktuellen Jugendromanen gezeigt. Bei der siebten Klasse
handelt es sich um „Schattenkinder“ von Margaret Peterson Haddix, während in
der neunten Klasse des EST „Die Scanner“ von Robert M. Sonntag behandelt
wurde. Zu jeder Sequenz wird eine ausführliche Darstellung der einzelnen
Unterrichtseinheiten mit den entsprechenden Arbeitsblättern vorgenommen.
I. Einleitung (FL & SN) ..................................................................................... 7
II. Theoretischer Rahmen und methodische Herangehensweise .................... 11
1. Utopie (FL) ......................................................................................................... 11
1.1. Definition ................................................................................................................ 11
1.2. Typischer Verlauf einer Utopie ............................................................................... 15
1.3. Historische Entwicklung und Zukunftsaussichten .................................................. 16
2. Bezüge zur Science-Fiction (FL) ....................................................................... 18
3. Dystopie (FL) ...................................................................................................... 21
3.1. Definition und historische Entwicklung .................................................................. 22
3.2. Kategorisierung ....................................................................................................... 28
3.3. Merkmale und Themen ........................................................................................... 32
3.4. Prototypen ............................................................................................................... 41
3.5. Zukunftsaussichten ................................................................................................. 43
4. Intertextuelle und intermediale Bezüge bei Dystopien (FL & SN) ................ 46
4.1. Intertextualität (FL) ................................................................................................. 47
4.1.1. Theoretischer Rahmen........................................................................................ 47
4.1.1.1. Bachtin ...................................................................................................... 47
4.1.1.2. Kristeva ..................................................................................................... 49
4.1.1.3. Genette ...................................................................................................... 50
4.1.1.4. Praktische Modelle (Broich / Pfister) ....................................................... 50
4.1.2. Intertextuelle Bezüge in der Dystopie ................................................................ 52
4.2. Intermedialität (SN) ................................................................................................ 53
4.2.1. Intramedialität, Intermedialität und Transmedialität .......................................... 54
4.2.2. Medienwechsel, Medienkombination und intermediale Bezüge ........................ 55
5. Aktuelle jugendliterarische Dystopien (SN) .................................................... 58
5.1. Der Trend des dystopischen Jugendromans ............................................................ 58
5.2. Erklärungsansätze für das Interesse der Jugendlichen an der Gattung .................... 64
5.3. Klassische und jugendliterarische Dystopien: Gemeinsamkeiten und Unterschiede72
5.4. Didaktische Tradition und Möglichkeiten der Gattung ........................................... 76
6. Methodische Herangehensweise (SN) ............................................................... 84
6.1. Begriffsbestimmung und Begründung der Differenzierung .................................... 84
6.2. Einordnung: äußere und innere Differenzierung ..................................................... 89
6.3. Differenzieren durch Kooperation .......................................................................... 94
III. Praktische Umsetzung in der Unterstufe (FL) ............................................ 99
1. „Schattenkinder“: Praktische Durchführung in einer 7. Klasse ................... 99
1.1. Klasse und Curriculum.......................................................................................... 100
1.2. Sachanalyse und Begründung des Romans ........................................................... 103
1.3. Erklärung und Begründung der Herangehensweise .............................................. 108
1.3.1. Induktive Vorgehensweise ............................................................................... 109
1.3.2. Die Differenzierung.......................................................................................... 110
1.3.3. Die Wandzeitung .............................................................................................. 113
1.4. Aufbau und Verlauf der Sequenz .......................................................................... 116
1.5. Analyse ................................................................................................................. 127
1.6. Fazit ...................................................................................................................... 132
2. „Die Scanner“: Praktische Durchführung in einer 9. Klasse ....................... 134
2.1. Klasse und Curriculum.......................................................................................... 134
2.2. Sachanalyse und Begründung des Romans ........................................................... 136
2.3. Erklärung und Begründung der Herangehensweise .............................................. 146
2.3.1. Sachtexte .......................................................................................................... 146
2.3.2. Argumentation und Herausbilden einer eigenen Meinung ............................... 148
2.3.3. iPad................................................................................................................... 149
2.3.4. Gegenwartsbezug ............................................................................................. 151
2.3.5. Intertextualität .................................................................................................. 153
2.4. Aufbau und Verlauf der Sequenz .......................................................................... 154
2.5. Analyse ................................................................................................................. 164
2.6. Fazit ...................................................................................................................... 168
IV. Schlussfolgerung (FL & SN) ...................................................................... 171
V. Bibliografie .................................................................................................. 177
1. Lynn Feyereisen ............................................................................................... 177
1.1. Primärliteratur ....................................................................................................... 177
1.2. Sekundärliteratur ................................................................................................... 179
1.3. Links ..................................................................................................................... 181
2. Nora Serres ....................................................................................................... 183
2.1. Primärliteratur ....................................................................................................... 183
2.2. Sekundärliteratur ................................................................................................... 185
2.3. Links ..................................................................................................................... 189
VI. Anhang (FL) ............................................................................................... 193
I. Einleitung (FL & SN)
„Die Tribute von Panem machen eine Tendenz deutlich: Es kommen
verstärkt Titel auf den Markt, die schlicht spannende Unterhaltung ohne
irgendwelche pädagogisch-moralische Intention bieten wollen.“1
Dieses Zitat von Karin Haller macht zunächst eines deutlich: Die Dystopie für
Jugendliche2 ist zurzeit sehr beliebt. Der Rest ihrer Aussage ist jedoch fragwürdig.
Sie scheint davon auszugehen, dass „schlicht[e][,] spannende Unterhaltung“ und
„pädagogisch-moralische Intention“ sich bei aktuellen dystopischen Romanen
gegenseitig ausschließen. Das deutet auf eine Geringschätzung der neueren
jugendliterarischen Dystopien hin, die auch bei einigen anderen Autoren3
festgestellt werden kann4, die wir jedoch nicht teilen.
Bei näherer Betrachtung stellt sich zunächst heraus, dass das Genre der Dystopie
schon jetzt, wenn auch bisher weniger im Deutschunterricht, als Schullektüre
etabliert ist. Die Tatsache, dass die klassischen, englischen Dystopien für
Erwachsene seit Jahren im Unterricht gelesen werden, weist darauf hin, dass es
nicht die Gattung an sich ist, die sich in „schlicht[er] […]
Unterhaltung“ erschöpft. Eine spannende Handlung allein sehen wir nicht als
Hinweis darauf, dass ein Roman frei von „pädagogisch-moralische[r]
Intention“ ist. Im Gegenteil, es scheint uns sogar eher so, dass der
Unterhaltungsfaktor das Interesse der jugendlichen Leserschaft weckt, und so eine
der Bedingungen dafür ist, eine didaktische Intention zu vermitteln. Daher haben
wir uns das Ziel gesetzt, ebendiese „spannende[n]“ dystopischen Romane, die
gerade so im Trend liegen, auf ihre didaktischen Möglichkeiten hin zu
untersuchen und in den Deutschunterricht einzubinden.
Die erste Herausforderung, die sich stellt, wenn man sich mit aktuellen
jugendliterarischen Anti-Utopien befasst, ist die der Gattungsdefinition der
1 Haller, Karin: Scienc-Fiction., in: Lange, Günter (Hrsg.), Kinder- und Jugendliteratur der
Gegenwart, Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler, 2011, S. 357.
2 Susan Collins Trilogie „Die Tribute von Panem“ sind der Gattung Dystopie zuzuordnen und
sowohl die Romane als auch die Verfilmungen wurden dementsprechend vermarktet.
3 Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit die männliche Bezeichnung für beide
Geschlechter benutzt (z.B. Lehrer, Schüler).
4 Vgl. z.B. auch: Abraham, Ulf: Fantastik in Literatur und Film, Eine Einführung für Schule und
Hochschule, Erich Schmidt Verlag, Berlin, 2012, S. 125.
7
Dystopie im Allgemeinen. Dieses Genre ist traditionell in der englischen Literatur
wesentlich etablierter als in der deutschen. Zunächst muss also geklärt werden,
was eigentlich eine Dystopie, im Gegensatz zur Utopie und zur Science-Fiction,
ausmacht und wie sie sich im Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt hat. Die
Anti-Utopie weist sehr spezifische Gattungsmerkmale auf. Da die verschiedenen
Werke auf diese, oft aber auch aufeinander Bezug nehmen, erscheinen uns die
Phänomene der Intertextualität und Intermedialität beachtenswert. Aus diesem
Grund wird eine Definition dieser Konzepte und ihrer wichtigsten
Begrifflichkeiten vorgenommen und auf die Dystopie bezogen.
Anschließend stellt sich im Besonderen die Frage nach dem Trend der
jugendliterarischen Dystopien und danach, was die Jugendlichen an dieser
Gattung interessiert. Es wird außerdem untersucht, inwiefern das Genre
didaktische Möglichkeiten bietet, welche spezifischen Romane sich für die
Lektüre im Deutschunterricht eignen, und wie man methodisch an die praktische
Umsetzung herangehen kann.
Wenn man durch praktisch durchgeführte Unterrichtssequenzen zeigen möchte,
dass aktuelle dystopische Romane in allen Klassenstufen, sowohl im ES als auch
im EST, als Schullektüre geeignet sind, wird schnell deutlich, dass sich ein
solches Projekt für eine Einzelperson als zu umfangreich herausstellt. Aus diesem
Grund haben wir uns dazu entschieden, dieses Projekt gemeinsam zu bearbeiten.
Das erlaubt es uns, anhand einer möglichst großen Bandbreite von Schulformen
und Klassenstufen zu zeigen, dass aktuelle dystopische Romane keineswegs nur
„schlicht[e]“ Unterhaltung bieten, dass die Dystopie im Gegensatz zu dieser
Aussage sogar eine von Natur aus didaktische Gattung ist, und dass sie sich, was
der momentane jugendliterarische Trend auch belegt, für Jugendliche jeden Alters
eignet.
Ein weiterer Grund, der für die Zusammenarbeit zwischen zwei Lehrpersonen
spricht, ergibt sich aus dem Umstand, dass kooperatives Arbeiten nicht nur von
den Schülern verlangt werden sollte, sondern sich auch für Lehrer als fruchtbar
erweist. Der regelmäßige Austausch bereichert das Produkt, da es durch
verschiedene Sichtweisen und Perspektiven eine Vielschichtigkeit erlangt, die
ansonsten nicht erreichbar wäre.
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Diese Kooperation spiegelt sich in den verschiedenen Teilen der Arbeit wider. Da
wir uns sowohl mit theoretischen Hintergründen als auch mit einer praktischen
Umsetzung im Unterricht befassen, wird sie in zwei Hauptteile gegliedert sein:
einerseits der theoretische Rahmen zur Gattung und zur methodischen
Herangehensweise und andererseits die in den verschiedenen Klassen
durchgeführten Projekte. Alle Teile dieser Arbeit sind durch die Initialen der
Verfasser hinter den Kapitelüberschriften5 gekennzeichnet. Nur Einleitung und
Schluss wurden zusammen verfasst, während der theoretische Rahmen nach
Themengebieten und die praktische Umsetzung nach Klassenstufen aufgeteilt
wurden. Weil es sich daher eigentlich um zwei eigenständige Arbeiten handelt, ist
der jeweilige praktische Teil, einmal für die Unter- und einmal für die Oberstufe,
nur in der Arbeit mit dem passenden Titel vorhanden: „ ‚Schreckensszenarien‘ im
Unterricht. Aktuelle dystopische Romane als Schullektüre in der
Unterstufe“ enthält so die praktische Umsetzung in einer siebten und neunten
Klasse des EST, während „ ‚Schreckensszenarien‘ im Unterricht. Aktuelle
dystopische Romane als Schullektüre in der Oberstufe“ die praktische Umsetzung
in einer zehnten Klasse des EST und einer zwölften Klasse des ES enthält. Der
theoretische Teil ist dagegen in beiden Arbeiten identisch. Auch die methodische
Herangehensweise beruht bei allen vier Klassen auf dem gleichen Prinzip.
Aufgrund mehrerer Aspekte, unter anderem gesellschaftlicher Entwicklungen,
lerntheoretischer Erkenntnisse, der Gegebenheiten des luxemburgischen
Schulsystems und der Zusammenstellung einzelner, spezifischer Klassen, haben
wir für alle Projekte die Differenzierung als methodische Herangehensweise
gewählt.
Bevor die praktische Umsetzung dystopischer Romane im Deutschunterricht
geplant werden kann, ist es zunächst notwendig, die theoretischen Grundlagen der
Gattung und ihrer momentanen Ausprägung zu beleuchten.
5 Wir werden die Abkürzung „FL“ für Feyereisen Lynn und „SN“ für Serres Nora benutzen.
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Description:negative Utopie, wie sie in dem Film Metropolis von Fritz Lang aus dem. Jahre 1927 bereits wie beispielsweise Metropolis, Blade Runner oder Clockwork Orange.“153. Neben dem .. selbst Autor der beliebten dystopischen „Uglies“-Reihe204, kommt zum Fazit, dass es aus diesem Grund nicht