Table Of ContentMatthias Schuler (Hrsg.)
Schmerztherapie beim älteren Patienten
Matthias Schuler (Hrsg.)
Schmerztherapie
beim älteren Patienten
Herausgeber
Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Schuler
Chefarzt der Klinik für Geriatrie
Diakonissenkrankenhaus Mannheim GmbH
Speyerer Straße 91–93, 68163 Mannheim
E-Mail: [email protected]
Das Buch enthält 79 Abbildungen und 69 Tabellen.
ISBN: 978-3-11-040367-1
e-ISBN (PDF): 978-3-11-040465-4
e-ISBN (EPUB): 978-3-11-040472-2
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© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston
Einbandabbildung: Adam Gault/Corbis Images
Datenkonvertierung/Satz: Satzstudio Borngräber, Dessau-Roßlau
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier
Printed in Germany
www.degruyter.com
Meinen Eltern und meiner Familie
Meinen Lehrern Prof. Fritsch, Prof. Martin, Prof. Schlierf und Prof. Oster
Geleitwort
Nach wie vor werden Schmerzpatienten in Deutschland eher schlecht diagnostiziert und eher
unterbehandelt, eine formale Aus- und Weiterbildung fehlt weitgehend. Dies trifft in beson-
derem Masse für ältere Menschen zu, die grösste und immer noch zunehmende Schmerzpa-
tientengruppe.
Die Diagnostik ist erschwert durch die vielfältigen Ursachen und Symptome, wie aus den
zahlreichen Buchkapiteln ersichtlich wird; teilweise sind kriminalistische Fähigkeiten bei
der Diagnostik erforderlich, genannt sei nur die verwirrende Präsentation bei Patienten mit
Demenz.
Auch die Therapie ist im Alter erschwert, insbesondere wegen pharmakodynamischer
und pharmakokinetischer Besonderheiten, verschärft durch die stets gefährliche Multimedi-
kation bei vielen alten und sehr alten Patienten. Wieder neue Gesichtspunkte ergeben sich in
der palliativmedizinischen Versorgung und der Medikamentenverordnung am Lebensende.
Es ist nahezu unmöglich, eine verbindliche Leitlinie zur Schmerztherapie im Alter zu
formulieren, zumal es kaum Studien für alte und sehr alte Patienten gibt. Eine individuelle
Vorgehensweise ist sinnvoll und begründbar, als ob die Schmerztherapie eine Wiege der per-
sonalisierten Medizin wäre.
So ist es verdienstvoll, die vielen Facetten von Schmerz und Alter unter aktuellen Aspek-
ten zu beleuchten, dem Koordinator Matthias Schuler und dem Verlag de Gruyter ist dafür
zu danken.
Heidelberg im Januar 2016 Prof. Dr. Peter Oster
Vorwort
Das Alter wird meist durch drei Kategorien bzw. durch eine Kombination daraus definiert:
1. kalendarisch, 2. soziale Rolle und 3. Fähigkeiten. Die Weltgesundheitsorganisation meint,
dass die meisten entwickelten Länder den Älteren (elderly) oder älteren Menschen (older
person) durch das chronologische Alter ab dem 65. Lebensjahr definieren, was auch heute
noch dem ungefähren Rentenalter in vielen Ländern entspricht. Sie sieht aber auch, dass
dies nicht die Situation beispielsweise vieler afrikanischer Länder widerspiegelt (Kasten 1,
Weltgesundheitsorganisation 20161). In diesen Ländern entspricht häufig das „kalendari-
sche“ Alter nicht dem „biologischen“ Alter (Fähigkeiten) – biologisch älter als kalendarisch.
In den entwickelten Ländern ist eine entgegengesetzte Entwicklung zu beobachten – kalen-
darisch älter als biologisch. Die Vereinten Nationen legen häufig 60+ Jahre für die ältere
Bevölkerungsgruppe fest. Noch vor ungefähr 130 Jahren erklärte die „Friendly Societies Act
(1875)“ von Britannien alle Menschen ab dem 50. Lebensjahr für alt2. Nach aktueller Ansicht
von Älteren selbst ist das Alter stark verknüpft mit der eigenen Gesundheit, eine Auffassung,
die sich seit mehr als 40 Jahren wissenschaftlich belegen lässt3, 4, 5.6
Kasten 1:
Alterskategorien nach Weltgesundheitsorganisation
– 60 bis 75 Lebensjahre: älterer Mensch
– 76 bis 90 Lebensjahre: alter Mensch
– 91 bis 100 Lebensjahre: sehr alter oder hochbetagter Mensch
– über 100 Lebensjahre: langlebiger Mensch
Verschiedene Definitionen von Hochaltrigkeit6
– älter als 80 Jahre
– 90+ Lebensjahre
– Lebensalter, zu dem 50 % der Angehörige eines Geburtsjahrgangs verstorben sind (Beispiel: im Jahr
1997/99 erreichte die Hälfte der Frauen das 84. Lebensjahr, die Hälfte der Männer das 78. Lebensjahr)
– „inaktive“ Lebensphase (im Gegensatz zu jenem Anteil an der Lebenserwartung, der mit einer hohen
Selbstständigkeit in den Aktivitäten des Alltagslebens verbracht wird)
Funktionelle Einteilung des Seniums
– unabhängig lebende Senioren: „go goes“
– hilfsbedürftige Senioren: „slow goes“
– pflegebedürftige Senioren: „no goes“
1 Weltgesundheitsorganisation (WHO) http://www.who.int/healthinfo/survey/ageingdefnolder/en/
2 Roebuck J (1979) When does old age begin?: the evolution of the English definition. J Soc History 12(3):
416–428.
3 Brubaker TH, Powers EA (1976) The stereotype of “old”. A review and alternative approach. J Gerontol 31(4):
441–447.
4 Freund AM, Smith J (1997) Self-definition in old age. Z f Sozialpsychol 28; 44: 59–64.
5 Johnson M (1976) Is 65+ old? Soc Policy 9–12.
6 Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland: Risiken, Lebensqualität
und Versorgung Hochaltriger – unter besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen und Stellung-
nahme der Bundesregierung. Definition des Begriffs „Hochaltrigkeit“ S 53 http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/
Service/volltextsuche,did=5362.html
VIII Vorwort
So haben viele in der Medizin schon lange das kalendarische Alter als wichtiges Kriterium
zur Modifizierung der Diagnostik und Behandlung von Patienten verlassen. Der geriatrische
Patient (Kasten 2) rückt an diese Stelle, der in Abhängigkeit der mit zunehmendem Alter
sehr unterschiedlich ausfallenden Abnahme seiner kognitiven, physischen und emotiona-
len Funktionsreserven durch Stressoren wie Krankheit, Veränderung des sozialen Milieus
etc. seine Selbstständigkeit verlieren kann bzw. bereits in Abhängigkeit lebt. Manchmal
wird der Begriff Gebrechlichkeit („frailty“) mit der abgenommenen Funktionsreserve bei
Älteren gleichgesetzt. Neuere Befunde weisen darauf hin, dass das Gebrechlichkeitsstadium
nicht unumkehrbar erscheint7. Klinisch manifestiert sich das Gebrechlichkeitssyndrom
zunächst in allgemeiner Schwäche, gefolgt von geringerer physischer Aktivität, Erschöpfung
und Gewichtsverlust. Auch die physiologische Abnahme der Funktionskapazität lässt sich
zumindest teilweise durch Übung (physisch, kognitiv) verlangsamen; dies wirkt häufig auch
präventiv in Bezug auf Erkrankungen und deren Schwere.
Kasten 2:
Definition des Geriatrischen Patienten nach Deutsche Gesellschaft für Geriatrie9
1. geriatrietypische Multimorbidität
2. höheres Lebensalter (meist über 70 Jahre); die geriatrietypische Multimorbidität ist hierbei vorrangig
vor dem kalendarischen Alter zu sehen
oder
1. Alter über 80 Jahre, wegen der alterstypisch erhöhten Vulnerabilität, z. B. wegen des Auftretens von
Komplikationen und Folgeerkrankungen
2. der Gefahr der Chronifizierung
3. des erhöhten Risikos eines Verlustes der Autonomie mit Verschlechterung des Selbsthilfestatus
Da die Funktionsreserven nicht einfach und die Fähigkeiten durch ein aufwändiges Inst-
rumentarium (geriatrisches Assessment) zu bestimmen sind, wird der geriatrische Patient
vor allem über seine geriatrietypische Multimorbidität (Kasten 3) definiert. Deshalb hat sich
die geriatrische Medizin zunächst fast zwangsläufig im stationären Bereich als eine medizi-
nische Spezialdisziplin, für manche eher Supra- als Subdisziplin8, entwickelt, die sich mit
den körperlichen, geistigen, funktionellen und sozialen Aspekten in der Versorgung von
akuten und chronischen Krankheiten, der Rehabilitation und Prävention alter Patientinnen
und Patienten sowie deren spezieller Situation am Lebensende befasst. Demnach begegnet
man in der Geriatrie Fragestellungen aus nahezu allen medizinischen Gebieten (Kasten 4).
Eine wichtige Rolle spielt dabei die sinnvolle Zusammenarbeit mit den Organspezialisten der
Medizin (Deutsche Gesellschaft für Geriatrie9). Es ist erfreulicherweise festzustellen, dass
die Bemühungen der letzten Jahre in die Richtung gehen, die Erkenntnisse der stationären
7 Qian-Li Xue (2011) The Frailty Syndrome: Definition and Natural History. Clin Geriatr Med 27(1): 1–15.
8 Sieber C, Trögner J, Penz M et al (2008) Quality assurance in geriatrics–opportunities and risks involved in
the current health care reform in Germany. Rehab (Stuttg) 47(3): 180–183.
9 Deutsche Gesellschaft für Geriatrie: http://www.dggeriatrie.de/
Vorwort IX
Geriatrie in die ambulante Versorgung zu integrieren. Hierbei wird das Ziel verfolgt, Zuspit-
zungen und Probleme früh zu erkennen. Dann können Prävention und Intervention deutlich
früher beginnen und möglicherweise auch kosteneffektiver eingesetzt werden.
Kasten 3:
Geriatrische Syndrome häufig gleich gesetzt mit geriatrietypischer Multimorbidität
– herabgesetzte körperliche Belastbarkeit
– Sturzneigung
– Immobilität
– Decubitus
– Kognitive Defizite
– Störungen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts
– Fehl- und Mangelernährung
– Depression
– Angststörung
– Chronische Schmerzen
– Sensibilitätsstörungen
– starke Sehbehinderung
– ausgeprägte Schwerhörigkeit
– Mehrfachmedikation
– herabgesetzte Medikamententoleranz
– häufige Krankenhausbehandlungen (Drehtüreffekt)
Kasten 4:
Zentrale Aufgaben in der Geriatrie (Deutsche Gesellschaft für Geriatrie9)
Geriatrie ist ein sehr lebendiges und vielfältiges, dynamisches Gebiet. Zu den zentralen Aufgaben der Ge-
riatrie gehört auch die empfindsame und umsichtige Begleitung vor dem Sterben. Spezielle Merkmale der
Geriatrie beinhalten folgende Punkte:
– In der Geriatrie begegnet man Fragestellungen aus nahezu allen medizinischen Gebieten. Eine wich-
tige Rolle spielt dabei die sinnvolle Zusammenarbeit mit den Organspezialisten.
– In der Geriatrie müssen besondere integrative Sicht- und Verhaltensweisen entwickelt werden, etwa
im Hinblick auf körperliche und psychische Multimorbidität sowie hinsichlich psychosomatischer Zu-
sammenhänge. Gute emotionale Führung und Anregung der alten Patientinnen und Patienten stellt
die Grundlage nahezu jedes erfolgreichen Heilungsprozesses dar.
– In der Geriatrie tätig zu sein, bedeutet mehr als in den meisten übrigen Medizingebieten, mit Ange-
hörigen der Patienten zu kommunizieren und andere helfende Berufe kennenzulernen. Hohe kommu-
nikative Kompetenz ist dabei unerlässlich.
– In der Geriatrie stellen sich – angestoßen durch die zentralen Themen Alter und Lebensende – beson-
dere ethische, philosophische, psychologische, religiöse und sozialwissenschaftliche Fragen.
Bei der großen Variabilität des Alters oder vielleicht besser des „älter Werdens“ von extremer
Gebrechlichkeit bis sehr „rüstigen“ Hochbetagten ist auch beim Schmerzmanagement ein
äußerst individualisiertes Vorgehen angezeigt. Die Beiträge dieses Buchs sind überwiegend
aus der Perspektive des „Geriatrischen Patienten“ geschrieben, da bei ihnen die Diagnostik
und Behandlung von unserem gewohnten Vorgehen, das in Leitlinien beschrieben wird und
auf Befunden des mittleren Lebensalters beruhen, aus guten Gründen abweichen müssen.