Table Of ContentNR. 312 18.03.2016
russland-
analysen
http://www.laender-analysen.de/russland/
RUSSLAND IM SÜDKAUKASUS
■■VON DER REDAKTION
Die Osterpause und danach 2
■■ANALYSE
Die Beziehungen zwischen Russland und Georgien:
Von Konfrontation zu Kooperation? 2
Johannes Wetzinger, Wien
■■KOMMENTAR
Die armenisch-russischen Beziehungen. Ein Überblick aus armenischer Sicht 5
Harutyun Grigoryan, Potsdam
■■STATISTIK
Die Beziehungen Russlands zu den Ländern des Südkaukasus in Daten 9
■■UMFRAGE
Die Beziehungen zu Georgien und Meinungen zu Berg-Karabach in russischen Umfragen 13
Georgiens Außenpolitik in georgischen Umfragen 15
■■AUS RUSSISCHEN BLOGS
Die Debatte um das Verfahren gegen Nadeschda Sawtschenko 16
Sergey Medvedev, Moskau
■■NOTIZEN AUS MOSKAU
4, nein 1, nein 2 Russland! 18
Jens Siegert, Moskau
■■CHRONIK
3. – 17. März 2016 21
■■LESEHINWEIS
Neue Zeitschrift: »Russian Politics« 23
► Deutsche Gesellschaft Forschungsstelle Osteuropa
für Osteuropakunde e.V. an der Universität Bremen
Die Russland-Analysen
werden unterstützt von
RUSSLAND-ANALYSEN NR. 312, 18.03.2016 2
VON DER REDAKTION
Die Osterpause und danach
Die Russlandanalysen gehen für drei Wochen in die Osterpause. Die nächste Nummer erscheint am 7. April. Wir
werden uns dann u. a. mit der innenpolitischen Situation in Russland und mit Russlands Rolle in der OSZE befassen.
Einstweilen wünschen wir Ihnen aber frohe Ostertage und gute Erholung!
Julia Glathe, Sergey Medvedev, Matthias Neumann, Hartmut Schröder und Henning Schröder
ANALYSE
Die Beziehungen zwischen Russland und Georgien:
Von Konfrontation zu Kooperation?
Johannes Wetzinger, Wien
Zusammenfassung
Das Verhältnis zwischen Russland und Georgien wurde seit dem Zerfall der Sowjetunion durch eine Reihe
von Konflikten geprägt. Den Tiefpunkt bildete dabei ein zwischenstaatlicher Krieg im Jahr 2008. Nach die-
ser Zuspitzung der Beziehungen zwischen Moskau und Tbilissi in der Amtszeit von Präsident Micheil Saaka-
schwili folgte jedoch eine überraschende Wende: Mit den Parlamentswahlen im Oktober 2012 gelangte in der
Südkaukasusrepublik die Koalition »Georgischer Traum« an die Macht und definierte eine Neuordnung der
Beziehungen mit Russland als Ziel. Dieser Beitrag untersucht die bisherigen Ergebnisse dieser Annäherung.
Einleitung Ausgangslage zum Zeitpunkt des
Das Verhältnis zwischen Russland und Georgien war in Machtwechsels
den vergangenen 25 Jahren immer wieder durch Kon- Um die Veränderungen der bilateralen Beziehungen in
flikte bestimmt. Die bilateralen Beziehungen erreich- der bisherigen Amtszeit des Bündnisses »Georgischer
ten ihren Tiefpunkt in der Amtszeit von Präsident Traum« erfassen zu können, ist zunächst ein kurzer Blick
Micheil Saakaschwili, der von 2004 bis 2013 georgi- auf den Status quo zum Zeitpunkt des Machtwechsels
sches Staatsoberhaupt war. Die Spannungen nahmen nötig. Die Konflikte zwischen Moskau und Tbilissi
in dieser Periode deutlich zu und eskalierten im August wurden im Kern durch vier Dimensionen bestimmt:
2008 in einen offenen Krieg zwischen den beiden Nach- Ein erster und wesentlicher Streitpunkt bezog sich auf
barstaaten. Die politische Führung in Tbilissi hatte ver- die Gebiete Abchasien und Südossetien, die sich im
sucht, das abtrünnige Gebiet Südossetien militärisch Zuge blutiger Sezessionskonflikte in den frühen neun-
unter zentralstaatliche Kontrolle zu bringen und wurde ziger Jahren von Georgien losgesagt hatten. Russland
daraufhin durch eine russische Intervention in die Knie hat Abchasien und Südossetien wiederholt unterstützt
gezwungen. Es folgte der Abbruch der diplomatischen und nach dem Krieg im Jahr 2008 unter internationaler
Beziehungen und eine Eiszeit zwischen Moskau und Kritik als unabhängige Staaten anerkannt. Demgegen-
Tbilissi. Die Chance für eine Neuordnung im zwischen- über betrachtet Georgien diese Territorien weiterhin als
staatlichen Verhältnis bot schließlich ein überraschen- Bestandteil des eigenen Staatsgebiets. Eine zweite Kon-
der Machtwechsel in der Südkaukasusrepublik: Die von fliktdimension stand mit der außenpolitischen Orien-
Bidsina Iwanischwili gegründete Koalition »Georgischer tierung der Südkaukasusrepublik in Verbindung. Unter
Traum« ging siegreich aus den vergangenen Parlaments- Präsident Saakaschwili war eine enge Bindung an die
(2012) beziehungsweise Präsidentschaftswahlen (2013) USA sowie eine Integration in NATO und EU zur obers-
hervor und definierte die Neugestaltung der Beziehun- ten Zielsetzung erhoben worden. Russland stand die-
gen zu Russland als Priorität. Der vorliegende Beitrag ser Westorientierung Georgiens ausgesprochen kritisch
untersucht im Folgenden die bisherigen Ergebnisse die- gegenüber, da es die Nachbarschaftsregion als vitale Ein-
ser Neuorientierung. flusssphäre definiert und eine mögliche NATO-Erwei-
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terung als Bedrohung wahrnimmt. Versuche Russlands, gen. Parallel dazu haben auch georgische Importe aus
Druck und Einfluss auf Georgien auszuüben, sind auch Russland an Umfang zugenommen. Weitere Schritte
in diesem Kontext zu sehen. der Annäherung wurden in Bezug auf die Transport-
Darüber hinaus hatten die Spannungen zwischen und Verkehrsverbindungen zwischen den Nachbarstaa-
Moskau und Tbilissi drittens auch eine wirtschaftli- ten unternommen. Wladimir Putin verkündete zuletzt
che Dimension. Russland hat im Jahr 2006 ein Ein- auch eine Erleichterung der Visabedingungen für geor-
fuhrverbot für Wein und Mineralwasser aus Georgien gische Staatsbürger. Die vorsichtige Annäherung zwi-
erlassen und damit zentrale Exportgüter des südlichen schen Moskau und Tbilissi wurde durch eine moderatere
Nachbarn vom russischen Markt ausgeschlossen. Diese Rhetorik beider Seiten begleitet. Das Gesprächsklima
Konfliktfelder wurden viertens durch eine aufgeheizte ist damit sachlicher geworden und unterscheidet sich
Rhetorik beider Seiten begleitet. Beispielsweise bezeich- von der aufgeheizten Stimmungslage vor dem Macht-
nete Dmitrij Medwedew den georgischen Präsidenten wechsel in Georgien.
als »politische Leiche« während Saakaschwili Befür-
worter einer Annäherung zwischen Moskau und Tbi- Bestehende Hürden
lissi als »Idioten« abkanzelte. Vor diesem Hintergrund Während erste konkrete Schritte zu einer Annäherung
wird deutlich, dass das Bündnis »Georgischer Traum« in den bilateralen Beziehungen erfolgten, bleiben aller-
mit der Machtübernahme in den Jahren 2012 und 2013 dings zwei zentrale Spannungsfelder bestehen. Das
vor großen Herausforderungen in den Beziehungen zu betrifft erstens die Konflikte um Abchasien und Süd-
Russland stand. ossetien. Die Abhängigkeit beider Gebiete von Russland
hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.
Schritte zu einer Neuordnung Präsident Putin hat beispielsweise umfassende Bündnis-
Wie eingangs festgehalten, definierte die Koalition verträge mit Abchasien (2014) und Südossetien (2015)
»Georgischer Traum« eine Neuordnung der Beziehun- unterzeichnet, die eine enge Bindung an Russland fest-
gen zu Russland als wichtiges außenpolitisches Ziel. schreiben. Georgien hat dieses Vorgehen als »schlei-
Gleichzeitig wurde in Tbilissi betont, dass eine enge chende Annexion« verurteilt. Vertreter des Regierungs-
Bindung an USA, EU und NATO weiterhin Priorität bündnisses »Georgischer Traum« haben betont, dass die
bleibe. Moskau verhielt sich in dieser Situation zunächst »territoriale Integrität« der Südkaukasusrepublik Voraus-
abwartend, äußerte jedoch Hoffnung auf »konstrukti- setzung für die Wiederaufnahme der seit 2008 unter-
vere Kräfte« in der Südkaukasusrepublik. Der neu ins brochenen diplomatischen Beziehungen mit Moskau
Amt gekommene Premierminister Bidsina Iwanischwili sei. Auch Giorgi Kwirikaschwili, der im Dezember 2015
ernannte Ende 2012 einen eigenen Sonderbeauftragten zum neuen georgischen Premierminister ernannt wurde,
für die Beziehungen zu Russland. Die Wahl fiel dabei hat sich bereits für diesen Kurs ausgesprochen. Russ-
auf den erfahrenen Diplomaten Surab Abaschidse, der lands Staatsführung hat hingegen wiederholt erklärt,
zwischen 2000 und 2004 als georgischer Botschafter in dass eine Abkehr von der Anerkennung Abchasiens und
Russland tätig gewesen war. In seiner neuen Position als Südossetiens als unabhängige Staaten nicht denkbar
Sonderbeauftragter traf er zu regelmäßigen Verhandlun- sei. Eine Annäherung in diesen Konflikten ist damit
gen mit dem stellvertretenden russischen Außenminister nicht in Sicht.
Grigorij Karasin zusammen. Die Gespräche konzentrier- Ein zweiter wesentlicher Streitpunkt bleibt die
ten sich auf wirtschaftliche, humanitäre und kulturelle grundlegende außenpolitische Ausrichtung Georgiens.
Fragen. Die Konflikte um Abchasien und Südossetien Tbilissi setzt auch unter dem Bündnis »Georgischer
wurden dabei explizit ausgeklammert, da sie Gegen- Traum« auf eine klare Westorientierung. Mit der Unter-
stand gesonderter Verhandlungsrunden unter Ägide von zeichnung eines EU-Assoziierungsabkommens im Juni
UNO, EU und OSZE in Genf sind. 2014 konnte Georgien hier einen konkreten Erfolg ver-
Mit dem bilateralen Austausch zwischen Abaschidse buchen. Die Kooperation mit der NATO wurde eben-
und Karasin konnten einige konkrete Ergebnisse erzielt falls fortgesetzt. Im Februar 2016 erklärte NATO-Gene-
werden. Moskau erklärte sich beispielsweise bereit, das ralsekretär Jens Stoltenberg anlässlich eines Besuchs in
seit 2006 bestehende Handelsembargo auf Wein und Tbilissi, dass die Südkaukasusrepublik Fortschritte bei
Mineralwasser aus Georgien aufzuheben. Der Handels- der Annäherung an das Militärbündnis mache. Wenn-
umfang zwischen den beiden Nachbarstaaten hat seither gleich auf dem NATO-Gipfel in Bukarest im Jahr 2008
deutlich zugenommen, wie Daten des georgischen natio- festgehalten wurde, dass Georgien Mitglied der Alli-
nalen Statistikbüros »Geostat« belegen. Russland ist für anz werden könne, ist ein konkreter Beitrittsfahrplan
Georgien nach Aserbaidschan und Armenien zum dritt- nicht in Sicht. Die fortgesetzte Westorientierung der
wichtigsten Exportland in der GUS-Region aufgestie- Südkaukasusrepublik wird in Moskau dennoch mit
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Argusaugen beobachtet. Ein neues NATO-Trainings- 58 Prozent für eine EU-Integration. Die Unterstützung
zentrum in Georgien, das sich derzeit im Aufbau befin- für einen NATO-Beitritt blieb mit 69 Prozent kontinu-
det, wurde vom russischen Außenministerium als »Pro- ierlich hoch. Insgesamt wird damit deutlich, dass eine
vokation« und »ernsthafter destabilisierender Faktor« pro-westliche Außenpolitik weiterhin auf hohe Zustim-
gebrandmarkt. mung stößt. Gleichzeitig hat der Russlanddiskurs im
Vergleich zur Saakaschwili-Ära an Pluralismus gewon-
Veränderter Russlanddiskurs in Georgien nen. Nachdem eine konsequent ablehnende und kriti-
Die – trotz ungelöster Konflikte – insgesamt pragma- sche Haltung gegenüber Russland unter Saakaschwili
tischere Russlandpolitik der Koalition »Georgischer lange als Konsens galt, wird nun kontroverser und offe-
Traum« wird von einer intensiven innergeorgischen ner über die Beziehungen zu Russland diskutiert.
Debatte begleitet. Die Partei »Vereinigte nationale
Bewegung« der einstigen Machthaber um Saakaschwili Fazit und Ausblick
wirft der aktuellen Regierung vor, mit einer Annähe- Zusammenfassend zeigt sich, dass seit dem Machtwech-
rung an Russland die nationale Sicherheit zu untergra- sel in Tbilissi eine vorsichtige Annäherung zwischen
ben. Die Diskussion entbrannte zuletzt an Überlegun- Russland und Georgien stattgefunden hat. Mit einem
gen des georgischen Energieministers Kacha Kaladse, pragmatischen Zugang beider Seiten konnten einige
mehr Erdgas von Gazprom aus Russland zu impor- konkrete Resultate erreicht werden. Bestehende Hür-
tieren (2015 stammten etwas mehr als 10 Prozent des den im Wirtschaftsbereich wurden überwunden und
in Georgien verbrauchten Gases von Gazprom). Auch das Gesprächsklima gestaltet sich konstruktiver als vor
Georgiens Positionierung in der Ukrainekrise wurde dem Machtwechsel. Zwei tief verwurzelte Konfliktfel-
von ähnlichen innenpolitischen Auseinandersetzungen der machen einen tiefgreifenden Wandel in den bilate-
begleitet. Die Opposition hat seit dem Machtwechsel ralen Beziehungen derzeit allerdings unwahrscheinlich:
wiederholt versucht, die pro-westliche Orientierung des Russland bindet die von Georgien abtrünnigen Gebiete
Bündnisses »Georgischer Traum« in Zweifel zu ziehen. Abchasien und Südossetien immer stärker an sich, was in
Diese Kritik ist jedoch nur schwer haltbar, da die Bin- Tbilissi auf klare Ablehnung stößt. Demgegenüber strebt
dung an EU und NATO, wie gezeigt, Priorität genos- die georgische Regierung auch nach dem Machtwech-
sen hat und die Kooperation mit Russland auf ausge- sel konsequent nach einer engen Bindung an NATO
wählte Sachfragen beschränkt geblieben ist. und EU – eine Orientierung, die in Moskau bekann-
Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass termaßen für Unmut sorgt. Absehbar ist jedoch bereits,
sich in der öffentlichen Meinung graduelle Verschie- dass Russland in den kommenden Monaten für wei-
bungen abzeichnen: Gestiegene Zustimmungsraten für tere Debatten in Georgien sorgen wird: Für den Herbst
einen Beitritt zur von Russland forcierten Eurasischen des Jahres 2016 sind in der Südkaukasusrepublik Par-
Union haben eine hitzige Debatte über die zukünftige lamentswahlen anberaumt. Dass die Außenpolitik und
außenpolitische Positionierung Georgiens ausgelöst. das Verhältnis zu Russland im bevorstehenden Wahl-
In einer Umfrage des »National Democratic Institute« kampf eine Rolle spielen werden, kann als gesichert gel-
(NDI) in Georgien vom November 2015 sprachen sich ten. Wie sich das Ergebnis dieses Urnengangs auf die
immerhin 24 Prozent der Befragten für einen Beitritt weitere Entwicklung der bilateralen Beziehungen aus-
zur Eurasischen Union aus. Demgegenüber stimmten wirken wird, bleibt abzuwarten.
Über den Autor
Mag. Johannes Wetzinger ist als Koordinator für EU-Projekte und Lektor für Politikwissenschaft an der Fachhoch-
schule des BFI Wien tätig. Zuvor war er als Projektassistent am Center for Comparative Eurasia Studies and Surveys
(CEASS-Center) des Instituts für Höhere Studien (IHS) in Wien beschäftigt.
Lesetipps
• MacFarlane, S. Neil: »Two Years of the Dream: Georgian Foreign Policy During the Transition«, Research Paper,
London: Chatham House, May 2015. <https://www.chathamhouse.org/sites/files/chathamhouse/field/field_docu
ment/20150529GeorgianForeignPolicyMacFarlane.pdf>.
• Makarychev, Andrey: »The Limits of Russian Soft Power in Georgia« [= PONARS Eurasia Policy Memo Nr. 412],
Januar 2016. <http://www.ponarseurasia.org/sites/default/files/policy-memos-pdf/Pepm412_Makarychev_Jan2016
_1.pdf>.
• Wetzinger, Johannes: »Georgische Träume: Tiflis’ ›neue‹ Außenpolitik«, in: WeltTrends. Zeitschrift für interna-
tionale Politik, 2014, Nr. 95, S. 10–14
RUSSLAND-ANALYSEN NR. 312, 18.03.2016 5
KOMMENTAR
Die armenisch-russischen Beziehungen.
Ein Überblick aus armenischer Sicht
Harutyun Grigoryan, Potsdam
Zusammenfassung
Die russisch-armenischen Beziehungen sind vielfältig und komplex, und sie beschränken sich nicht auf einen
Schwerpunkt. Russland und Armenien vertreten bei vielen außenpolitischen Angelegenheiten verschiedene
Positionen, beide Länder bezeichnen sich jedoch konstant gegenseitig als strategische Partner: Russland ist
der größte Investor in Armenien, sein Militär ist als Schutzschild auf armenischem Staatsgebiet stationiert,
der größte Markt für armenische Waren ist weiterhin Russland. Dort lebt die größte armenische Diaspora.
Beide Länder werden bei der Entwicklung der Zusammenarbeit von diversen Hintergründen und Motiven
bewegt, die im letzten Jahr in dem Beitritt Armeniens zur Eurasischen Union mündete.
Retrospektive völkerung – zum großen Teil junge Menschen– heftig
Um die armenisch-russische Beziehungen vollstän- gegen die Erhöhung der Strompreise demonstrierte.
dig zu verstehen und für die kurz- bzw. mittelfristige Die Proteste waren rein wirtschaftlichen Charakters,
Zukunft die zu erwartenden Entwicklungsmöglichkei- sie erreichten die Schlagzeilen der Medien und wur-
ten im Vorfeld einschätzen zu können, ist eine zusam- den schnell zu politischen Protesten gemünzt. Neben
menfassende Betrachtung dessen erforderlich, was der Regierung Armeniens sei die »Armenische Strom-
Armenien für Russland und was Russland für Armenien netze« schuld, die komplett dem russischen Staatskon-
bedeutet, wie die zwei Länder einander wahrnehmen, zern »Inter RAO UES« gehört, so skandierten es arme-
und wie sie sich dem anderen gegenüber positionieren. nische, hauptsächlich prowestliche Oppositionelle. Im
Russland versteht sich als alte Zivilisation, die durch Sommer 2015 prophezeiten manche Experten sogar
ihren Einfluss die Gestaltung Europas sowie Asien einen Regierungswechsel. Russische Medien hingegen
prägte und prägt. Armenien dagegen ist eine äußerst berichteten fast täglich von einem zweiten »Maidan«,
alte Zivilisation: Es bestand bereits zu Zeiten, als es nun allerdings in Jerewan. Politiker und in Armenien
weder europäische Staaten, noch gar die Kiewer Rus stationierte Diplomaten der EU äußerten ihre Besorg-
gab. Armenien nahm fast 700 Jahre vor Russland das nis angesichts des unverhältnismäßigen Einsatzes von
Christentum an, armenische Staatlichkeit und Kultur Polizeigewalt. Der Höhepunkt der tatsächlichen polizei-
erfuhren bereits eine Blüte, als auf dem Gebiet des heu- lichen Gewaltanwendung war der Einsatz von Wasser-
tigen Russland noch Nomadenvölker lebten. In heutiger werfern gegen Zivilisten am 23. Juni 2015, wobei aller-
Zeit aber erstreckt sich die Russische Föderation über dings niemand schwer verletzt wurde oder anschließend
ein Territorium, das 570 Mal größer ist, als das Arme- stationäre Behandlung benötigte.
niens. In Russland leben derzeit 50 Mal mehr Menschen Abgesehen von Meinungsverschiedenheiten in der
als im kleinen Armenien. Die Republik Armenien pro- Berichterstattung bezüglich der Ursachen von »Electric-
klamierte ihre Unabhängigkeit im Jahre 1991, die Rus- Yerevan« ist eines klar: Bereits ein solcher Vorfall wäre in
sische Föderation versteht sich als Nachfolger der zer- der Lage, die strategische Partnerschaft zwischen Arme-
fallenen UdSSR. nien und Russland zu erschüttern.
»Electric-Yerevan« – ein Beispiel für Bedrohungsvorstellungen und
Wahrnehmungsunterschiede russisch-armenische Sicherheitskooperation
Bedingt durch zahlreiche Faktoren existieren heute Die Zusammenarbeit der beiden Länder begann
unterschiedliche Versionen einer Beurteilung der arme- unmittelbar nach dem Zusammenbruch der UdSSR,
nisch-russischen Beziehungen, je nach Ausgangsposi- mit dem »Vertrag über Freundschaft, Zusammenar-
tion des Experten, seiner Weltanschauung und Ziel- beit und gegenseitige Sicherheit zwischen der Russi-
setzung: für welches Publikum die Analyse gedacht ist, schen Föderation und der Republik Armenien« vom
welches Verständnis der allgemein anerkannten Souve- 29. Dezember 1991. Der Vertrag diente der kleinen
ränitäts- und Gleichheitsprinzipien vorliegt, wie stark und ruinierten Republik Armenien, die sich u. a. in
die Neigung zu Stereotypen der Sowjetära ist. Ein exzel- einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem
lentes Beispiel bieten die sogenannten »Electric Yere- drei Mal größeren Aserbaidschan befand, vor allem
van«-Unruhen von 2015 in Jerewan, als die Stadtbe- wirtschaftlich.
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Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwi- legen die Passagierkontrolle durchführen. Diese Reali-
schen Russland und Armenien wurden am 3. April 1992 tät, in der man bei der Ein- und Ausreise am Flughafen
offiziell besiegelt; seitdem wurden über 240 zwischen- Menschen mit russischem Staatswappen an den Schul-
staatliche Verträge, Regierungs- und Ministerialabkom- tern begegnet, empört einen Teil der Armenier, die sich
men in diversen Bereichen unterzeichnet. Als bedeut- dadurch »von Russen besetzt« fühlen. 2010 wurde die
samster Großvertrag gilt seit November 1998 der am Stationierung der russischen Truppen auf armenischem
29. August 1997 unterzeichnete und im Folgejahr rati- Boden bis zum Jahr 2044 verlängert.
fizierte »Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit
und gegenseitige Hilfe«. Rüstungsexporte und Stationierungspolitik
Die in Armenien heute stationierten Einheiten der Die Überwachung der armenisch-georgischen Grenze
russischen Streitkräfte sind im Grunde genommen die und die Verteidigung der armenisch-aserbaidschani-
»Nachfolger« der Roten / Sowjetischen Armee, die in ers- schen Grenze sind dagegen der armenischen Regierung
ter Linie Sowjetarmenien vor einer für wahrscheinlich selbst überlassen. Somit zeigte der Kreml von Anfang an,
gehaltenen Aggression der Türkei beschützten. Diese dass er – trotz der strategischen Partnerschaft mit Arme-
Gefahr blieb trotz des russisch-türkischen Freund- nien – eine gewisse Loyalität gegenüber dem postsow-
schaftsvertrags vom 1921 bis zum Zweiten Weltkrieg jetischen Georgien und Aserbaidschan bewahren will.
stets aktuell. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in den Zei- Gerade dieses Verhalten führt zu einem Misstrauen in
ten des Kalten Krieges, hatte sich die Wahrscheinlich- der armenischen Gesellschaft gegenüber Russland, weil
keit eines türkischen Angriffs auf Armenien nicht ver- sich die die Häufigkeit des Beschusses der armenischen
ringert. Der Grund waren nicht nur die feindlichen Grenzgebiete durch Aserbaidschan in den letzten Jah-
Beziehungen zwischen NATO und UdSSR. Den stra- ren verdoppelt hat und der Kreml außer mündlichen
tegischen Entscheidungsträgern der UdSSR war das frü- Bekundungen seiner Besorgnis nichts Spürbares dage-
here Verhalten der Türkei gegenüber dem armenischen gen unternimmt. Vielmehr liefert Moskau weiterhin
Volk bekannt, auch das in den Jahren 1915–1918, als der Waffen, darunter auch Offensivwaffen, an Aserbaid-
Völkermord an den Armeniern begangen wurde– wenn schan. Medien zufolge belief sich der Wert der russi-
darüber auch nicht laut gesprochen wurde. schen Waffenlieferungen an Aserbaidschan in den letz-
Mit der Entstehung der – nach der Ersten (1918– ten Jahren auf über 4 Milliarden Euro (2010–2015).
1920) und der sowjetischen – nun unabhängigen Dritten Dadurch bildet sich bei einem breiten Publikum in- und
Republik Armenien war nach dem Zerfall der UdSSR außerhalb Armeniens die Meinung, »Russland bewaffne
die Gefahr durch die Türkei nicht verschwunden. Zwar den Feind Armeniens mit Angriffswaffen, um Arme-
wurden die konventionellen Waffen und Munition der nien weiterhin im Griff zu haben«. Man könnte natür-
Sowjetischen Armee zum großen Teil unter den Sowjet- lich behaupten, Russland sei souverän und dürfe jedem
republiken aufgeteilt. Aber dem kleinen Armenien mit Land die Mengen seiner Produktion verkaufen, wie es
seinen stark begrenzten menschlichen Ressourcen, das will. Die Handelssouveränität der Russischen Födera-
sich in jener Zeit in einer kriegerischen Auseinander- tion wird in der armenischen Gesellschaft auch nicht
setzung mit Aserbaidschan befand, waren Waffen allein bestritten, doch allein schon die Gewissheit, dass die
nicht genug für eine Verteidigung der westlichen Gren- eigenen Soldaten durch Waffen des strategischen Part-
zen zur Türkei. Deshalb blieb Armenien auf die Hilfe ners fallen, stiftet bei Armeniern ein Gefühl des Verrats.
der postsowjetischen russischen Armee angewiesen. Der im Herbst 2015 versprochene russische Kre-
Die ehemals sowjetische Armee wechselte de jure ihre dit an Jerewan in Höhe von 200 Millionen US-Dol-
Zugehörigkeit und den Namen, und blieb ab Frühling lar, die sowohl für einen vorübergehenden Stopp der
1992 nun offiziell in der Republik Armenien, als Stütz- Energiepreiserhöhungen als auch für Lieferungen ver-
punkt der russischen Streitkräfte, um »Armenien gegen gleichbar moderner Waffen gedacht waren, diente da
die Türkei zu verteidigen«. Seit September 1992 galt als Ausgleich. Zu den Waffen gehörten die ballistischen
der Vertrag über den Schutz der armenischen Grenzen Boden–Boden-Raketen vom Typ »Iskander-M«, die in
durch russische Grenztruppen, die offiziell zum »Födera- der Lage sind, die Hauptstädte der westlichen und öst-
len Sicherheitsdienst« (FSB), dem Inlandsgeheimdienst lichen Nachbarn Armeniens zu treffen. Dabei ist nicht
der Russischen Föderation gehören. Sie überwachen bis ganz klar, inwieweit die Kontrolle über die Waffen tat-
heute insgesamt über 310 Kilometer armenisch-türki- sächlich der armenischen Regierung unterstellt ist, oder
scher Grenze und die rund 45 km lange armenisch-ira- ob sie nur auf Befehl des russischen Militärkomman-
nische Grenze. Dazu kommt »Swartnoz«, der einzige dos eingesetzt werden können. Für die Luftverteidi-
internationale Flughafen Armeniens, auf dem russische gung stationierte Russland in Armenien Boden–Luft-
FSB-Angehörige zusammen mit den armenischen Kol- Raketensysteme vom Typ S-300. Zur »Verbesserung der
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Luftraumsicherheit der Organisation des Vertrages der und eines 30 Millionen US-Dollar großen russischen
kollektiven Sicherheit (OVKS)« wurden 2015 die Luft- Geschenks umgesetzt.
abwehreinheiten der armenischen Streitkräfte mit den Russland ist der größte Investor in die Republik
Luftabwehreinheiten des russischen Südlichen Mili- Armenien. Seit 1991 hat es ca. 3,4 Milliarden US-Dol-
tärbezirks zusammengeschlossen. Die Armenier füh- lar in Armenien investiert. Russischen Staatskonzernen
len sich mit russischen Raketen sicherer als je zuvor. gehören u. a. sieben Wasserkraftwerke, Wärmekraft-
Eine russische Militärpräsenz in Armenien schließt werke, der größte Mobilnetzanbieter und »Armspar-
jegliche Eroberungsversuche aus, und das stört sowohl bank«(eines der größten Bankinstitute des Landes).
Ankara als auch Baku. Die westlichen Staaten hinge- Der staatliche russische Versicherungskonzern »Ros-
gen haben schon deswegen Sorgen, weil es unmöglich gosstrach« ist der größte Versicherer in Armenien. Das
scheint, eine Abgrenzung zwischen dem in Armenien absolute Recht auf Erdgasverkauf im innenstaatlichen
stationierten russischen Militär und den Einheiten des Markt Armeniens besitzt »Gazprom Armenia«, eine
armenischen Verteidigungsministeriums vorzunehmen. Tochtergesellschaft des staatlichen russischen Gasrie-
Es wäre für den Westen von besonderer Bedeutung, die sen »Gasprom«.
Schritte Russlands im Vorfeld kalkulieren zu können,
etwa bei einem Kriegsszenario zwischen Armenien und Russland im armenischen Verkehrswesen
Aserbaidschan. Alle Eisenbahnlinien Armeniens gehören seit 2008 zu
den »Südkaukasischen Eisenbahnen« – einer Tochter-
Wirtschaftliche Zusammenarbeit gesellschaft der staatlichen »Russischen Eisenbahnen«.
In Wirtschaftsbereich gibt es einen engen Austausch Wirtschaftlich gesehen sind die armenischen Eisenbah-
zwischen den beiden Staaten. Russland bleibt größter nen für Russland derzeit so gut wie bedeutungslos, weil
Wirtschaftspartner Armeniens, mit einem Anteil von sie lediglich Jerewan mit der georgischen Hauptstadt
ca. 24 Prozent (2014; entspr. 1,4 Milliarden US-Dol- Tiflis und kleineren georgischen Ortschaften verbinden.
lar) am armenischen Handelsvolumen. Der Löwenan- Südlich von Jerewan führt die Bahn in Richtung des
teil (1,1 Mrd. US-Dollar), entfiel auf Waren aus Russ- feindlichen aserbaidschanischen Nachitschewan, womit
land, die nach Armenien geliefert wurden, darunter der weitere Weg versperrt ist. Nördlich von Georgien
Kernbrennstoff und Anlagen für die Kernenergie, Holz- in Richtung Russland führt die Bahn durch Abcha-
produkte, Maschinen und Rohdiamanten. Seit dem sien und ist somit ebenso gesperrt. Mit dem Verkauf
2. Januar 2015 ist Armenien Mitglied der Eurasischen der maroden Eisenbahnlinien an Russland befreite sich
Wirtschaftsunion, doch sank das Handelsvolumen zwi- die armenische Regierung von einer unnötigen Belas-
schen den beiden Ländern im Zeitraum von Januar– tung. Anderseits erhoffte sich Armenien, dass der neue
Mai des Beitrittsjahres auf 54,6 Prozent des Vorjahrs- Besitzer sich (aus eigenen Wirtschaftsinteressen) erfolg-
werts für den gleichen Zeitraum und betrug lediglich reich für die Entsperrung der Eisenbahnverbindung an
ca. 273 Millionen US-Dollar, was fast 20 Prozent des der georgisch-abchasischen Grenze einsetzen würde.
gesamten Außenhandelsvolumens der Republik Arme- Erfolgte dies, würde sich die geopolitische Situation
nien entsprach. Aber die Ursache des Rückgangs des in der Region zugunsten Armeniens ändern. Russland
armenisch-russischen Handelsvolumens war nicht der beabsichtigt die Baufinanzierung einer 315 km langen
Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsunion selbst, son- Eisenbahnlinie zwischen Armenien und Iran sowie einer
dern eine durch die westlichen Sanktionen und den 110 km langen Autobahn, die zusammen bis zu 3 Mil-
niedrigen Ölpreis verursachte Änderung der Außen- liarden US-Dollar kosten könnten. Die großzügigen
handelspolitik Russlands und damit ein wirtschaftlich Investitionen Russlands in diverse Bereiche der arme-
bedingtes Wegbrechen der Handelstätigkeit zwischen nischen Wirtschaft, darunter in kurz- und mittelfris-
Russland und Armenien. tig nicht unbedingt rentable Wirtschaftsprojekte, bie-
Russland liefert Erdgas nach Armenien, und Uran ten Grund zur Annahme, dass Russland sich Armenien
für den größten Energieproduzenten des Landes, das Schritt für Schritt kaufe. Die Spekulationen in der Presse
AKW »Metsamor«, das aufgrund einer Entscheidung zu einem solchen Szenario nützen besonders der pro-
der armenischen Regierung im 1989 abgeschaltet wurde westlich orientierten Opposition, die ihrer Wählerschaft
und dadurch gleich die ganze Industrie des Landes in nichts außer einer »russischen Gefahr für die armeni-
Energienot versetzte. Die Wiederinbetriebnahme des sche Unabhängigkeit« anbieten kann.
Atomkraftwerkes erfolgte 1995, mit massiver finanziel-
ler Hilfe von Russland. Die Verlängerung der Lauf- Kulturelle Bindungen und Minderheiten
zeit des AKW um 10 Jahre bis 2025 wird dank eines Um seine Position in Armenien weiter zu stärken, enga-
270 Millionen US-Dollar schweren russischen Kredites giert sich Russland auch in der Zusammenarbeit im Bil-
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dungsbereich. In Jerewan ist die Slawische Humanitäre mittel- als auch langfristig, eigene Ziele. Für Armenien
Universität tätig, an der über 3.400 Studenten verschie- ist eine gute Beziehung zu Russland von wirtschaftli-
dene Fächer auf Russisch studieren. Im armenischen cher, kultureller und sogar existentieller Bedeutung. Für
Buchhandel sind russischsprachige Bücher überall prä- Russland sind freundschaftliche Beziehungen zu Arme-
sent. Es sind mehrere russische TV-Kanäle in Armenien nien aus imperialistisch motivierten und regionalpoli-
verfügbar. Jährlich studieren auf Kosten des russischen tischen Gründen wichtig. Das riesige Land braucht in
Staates etwa 250 armenische Staatsbürger an russischen erster Linie Ruhe an seinen Grenzen; vor allem im Nord-
Universitäten und Hochschulen. und Südkaukasus braucht Russland Stützpunkte und
Nach Angaben des Föderalen Migrationsdienstes zuverlässigen Boden für seine Präsenz und für eine wei-
Russlands leben etwa 1,2 Millionen armenische Staats- tere Vertiefung der Zusammenarbeit mit Iran und ggf.
bürger in Russland, die somit die weltweit größte arme- anderen arabischen Ländern im Nahen Osten. Arme-
nische Diaspora bilden. Darüber hinaus sollten zudem nien ist dafür ideal geeignet. Alle möglichen Nachteile
zahlreiche russische Staatsangehörige mit armenischen einer übermäßigen Präsenz eines fremden Souveräns
Wurzeln berücksichtigt werden. Der russische Anteil an sind der armenischen Regierung (und wahrscheinlich
der armenischen Bevölkerung besteht dagegen haupt- dem Großteil der armenischen Bevölkerung) bewusst,
sächlich aus Familienangehörigen der im Lande statio- doch handelt erstere primär aus Motiven der nationa-
nieren Militärs und aus zahlreichen russischen Staatsan- len Sicherheit. Solange die Außenpolitik des Westens in
gehörigen mit armenischen Wurzeln. In Wirklichkeit ist Bezug auf die Türkei nicht geändert wird, solange die
die russische Diaspora in Armenien recht klein. Türkei ihr Nichtverstehen Armeniens und des armeni-
schen Volkes nicht aufgibt – wozu auch eine Anerken-
Fazit nung des Völkermordes an den Armeniern im Osma-
Zusammenfassend lässt sich als Ergebnis festhalten: nischen Reich gehören würde –, wird Armenien seine
Sowohl das heutige Territorium der souveränen Repu- Beziehungen zu Russland weiter vertiefen müssen, und
blik Armenien als auch das Territorium der souveränen die russische Präsenz in Armenien würde dadurch nur
Russischen Föderation galten in den letzten Jahrhunder- stärker und spürbarer.
ten – ausgenommen eine kurze Zeit kurz vor und nach Letztlich hatte die Regierung der Republik Arme-
dem Ende des Ersten Weltkrieges – als Gebiete einer nien zwischen der EU-Assoziierung und der Eurasi-
Staatlichkeit, deren politisches Zentrum immer in Russ- schen Union zu wählen und entschied sich deshalb am
land lag, zuerst in Sankt Petersburg, danach in Moskau. 3. September 2013 für die Organisation des Vertrages
In der Realität des 21. Jahrhunderts brauchen die bei- über die kollektive Sicherheit (OVKS).
den Länder einander, dabei verfolgt jedes Land, sowohl
Über den Autor
Harutyun Grigoryan (LL.M.) wurde 1978 in Jerewan geboren. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften in
Bergkarabach (1995–1997), das er mit dem Abschluss an der Staatsuniversität Jerewan fortsetzte (1997–1999), stu-
dierte an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln (2006–2008). Er arbeitet derzeit an seiner
Promotion an der Universität Potsdam, Juristische Fakultät, und als Berater für armenisches Recht.
Lesetipps:
• Gabrielyan, Emma: Russian-Turkish Gambit, or how the Russians began to cherish Armenians, in: Aravot,
28. November 2015; <http://en.aravot.am/2015/11/28/173183/>.
• Mercouris, Alexander: ‘Electric Yerevan’ Will Not Change Armenia’s Pro-Russian Orientation, In: Russia Insider,
25. Juni 2015; <https://newcoldwar.org/electric-yerevan-will-not-change-armenias-pro-russian-orientation/>.
• Grigoryan, Armen: Armenia, Georgia, Iran and Russia Plan to Expand Energy Cooperation, in: Eurasia Daily
Monitor, 6. Januar 2016; <http://www.jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews[backPid]=27&tx_ttnews[tt_
news]=44939#.VubkMPhfSUl>.
RUSSLAND-ANALYSEN NR. 312, 18.03.2016 9
STATISTIK
Die Beziehungen Russlands zu den Ländern des Südkaukasus in Daten
Grafik 1: Veränderung des Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr
20%
15%
10%
5%
0%
-5%
-10%
-15%
-20%
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Russland 6,4% 8,2% 8,5% 5,2% -7,8% 4,5% 4,3% 3,4% 1,3% 0,6% -3,8%
Georgien 9,6% 9,4% 12,6% 2,6% -3,7% 6,2% 7,2% 6,4% 3,3% 4,8% 2,0%
Armenien 14,1% 13,2% 13,7% 6,9% -14,1% 2,2% 4,7% 7,1% 3,5% 3,4% 2,5%
Quelle: International Monetary Fond, <http://www.imf.org/external/datamapper/index.php>
Grafik 2: Inflationsrate (Verbraucherpreise, in % gegenüber dem Vorjahr)
18%
16%
14%
12%
10%
8%
6%
4%
2%
0%
-2%
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Russland 12,7% 9,7% 9,0% 14,1% 11,7% 6,9% 8,4% 5,1% 6,8% 7,8% 15,8%
Georgien 8,2% 9,2% 9,2% 10,0% 1,7% 7,1% 8,5% -0,9% -0,5% 3,1% 3,7%
Armenien 0,7% 3,4% 4,6% 9,0% 3,5% 7,3% 7,7% 2,5% 5,8% 3,0% 4,3%
Quelle: International Monetary Fond, <http://www.imf.org/external/datamapper/index.php>
RUSSLAND-ANALYSEN NR. 312, 18.03.2016 10
Grafik 3: Direktinvestitionen Russlands im Ausland 2014 (Mio. US-Dollar)
4.862
5000
4500
4000
3500
3000 2.661
ar
oll 2500
D
S- 2000
U
Mio. 1500 1.369
n
I 1000
495
500
94
0
in Belarus in Kasachstan in Armenien in Georgien in
Aserbaidschan
Quelle: International Monetary Fond, <http://data.imf.org/regular.aspx?key=60564260>
Grafik 4: Russische Exporte (Mio. US-Dollar)
18.000
16.000
14.000
ar 12.000
oll
D 10.000
S-
U
o. 8.000
Mi
n 6.000
I
4.000
2.000
0
2005 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Aserbaidschan 858 1.469 1.562 2.505 2.846 2.943 3.373
Armenien 191 612 700 785 920 998 1.088
Georgien 353 150 k. A. k. A. k. A. k. A. k. A.
Kasachstan 6.524 9.147 10.690 14.099 15.697 17.632 13.892
Quelle: Föderaler Dienst der Staatlichen Statistik der Russischen Föderation, <http://www.gks.ru/bgd/regl/b15_12/IssWWW.exe/
stg/d02/27-05.htm>
Description:In einer Umfrage des »National Democratic Institute«. (NDI) in Georgien vom . sie erreichten die Schlagzeilen der Medien und wur- den schnell zu politischen Protesten political develop- ment through the prism of state-building, with a focus on Putin's state-building strategy and the factors that