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EIN LEBENDIGER
EINDRUCK
VON PRÄVENTION
„Kein Kind zurücklassen! Kommunen in NRW beugen vor“ ist ein richtungweisendes Modell-
vorhaben der Landesregierung und der Bertelsmann Stiftung, das die Weichen für gute Bil-
dung und gelingendes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen stellt.
Seit Anfang 2012 haben sich insgesamt 18 Kommunen auf den Weg gemacht, um kommunale
Präventionsketten aufzubauen. Dabei werden vorhandene Kräfte und Angebote in den Städ-
ten und Gemeinden gebündelt und Angebote der Bereiche Gesundheit, Bildung, Kinder- und
Jugendhilfe und Soziales miteinander verknüpft. So sollen Kinder und ihre Familien unter-
stützt werden – lückenlos von der Schwangerschaft bis zum Eintritt ins Berufsleben. Da, wo
es noch Lücken gibt, nehmen die Kommunen den Aufbau von Angeboten für bestimmte Alter-
sphasen in den Fokus, um am Ende - im Sinne einer Präventionskette - Unterstützung für alle
bieten zu können. Die Reportagen stellen deshalb Angebote für bestimmte Altersphasen wie
die Schwangerschaft und Geburt, rund um die Kita, von der Grundschule bis in die weiterfüh-
rende Schule und rund um die Jugendphase vor.
Das Reportagemagazin gibt einen Einblick in die praktische Arbeit der Fachkräfte einzelner
Modellkommunen. Geplant ist, langfristig alle Modellkommunen in diesem Format vorzustel-
len. Diese Publikation vermittelt auf lebendige Weise, wie Präventionsarbeit jeden Tag vor Ort
umgesetzt wird. Im Mittelpunkt der vorbeugenden Arbeit stehen die Kinder, Jugendlichen
und Familien. Die Reportagen sind zwischen 2013 und 2015 auf der Website www.kein-kind-
zuruecklassen.de erschienen und können dort ebenfalls nachgelesen werden.
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INHALT
Rund um Schwangerschaft und Geburt
Moers, Kleine Elfen für junge Familien 8
Hamm, Willkommensbesuche 12
Rund um die Kita
Oberhausen, Bildung und Erziehung gemeinsam gestalten 16
Mönchengladbach, Brücke des Vertrauens 20
Kreis Warendorf, Kooperation statt Konkurrenz 24
Von der Grundschule bis in die weiterführende Schule
Dormagen, Sicherheit und Orientierung geben 30
Gelsenkirchen, Abenteuer lernen 32
Kreis Düren, „Erste-Hilfe-Kurs im Deutschlernen“ 34
Witten, Mit der Schatzkiste in die neue Schule 38
Rund um die Jugendphase
Arnsberg, Robinson Crusoe für ein halbes Jahr 44
Gladbeck, „Das Rathaus für junge Menschen öffnen“ 48
Ein Netzwerk für gelingendes Aufwachsen
Dortmund, Das eigene Viertel besser kennenlernen 54
Rund um
Schwangerschaft
und Geburt
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KLEINE
ELFEN FÜR
JUNGE
FAMILIEN
Welche Chancen haben Neugeborene auf
ein gelingendes Aufwachsen? Ein Screen-
ingverfahren in Moers hilft Antworten zu
fnden.
An der Wand hängen Karten, auf denen „Vielen Dank“
oder „Wir sind dann mal weg“ steht. Daneben zwei große
Bilder von schwangeren Frauen. „Wir hatten hier mal ein
professionelles Shooting“, erzählt Sabine Kühnel, als sie
gerade von ihrem Rundgang über die Station zurück-
kommt. Warme Farben, viel Licht und Babygesichter,
wohin man schaut. Den Arbeitsplatz der erfahrenen Kin-
derkrankenschwester könnte man eher für ein Zimmer in
einem Atelier halten als für das, was es tatsächlich ist: ein
Büro im Bethanien-Krankenhaus in Moers.
Neben Bethanien wird auch im Krankenhaus St. Josef ein
Screeningverfahren angeboten. Hinter dem technischen
Begriff verbirgt sich ein kostenloses Präventionsange-
bot. „Wir gehen auf die Mütter zu und schauen anhand
eines Fragebogens, ob es Belastungsfaktoren gibt, die ein
gelingendes und gesundes Aufwachsen beeinträchtigen
können“, erklärt Kühnel. „Dazu können Stress, Überfor-
derungen oder andere persönliche Probleme zählen.“ Sie
koordiniert die aufsuchende Elternarbeit auf der zweiten
Etage des Krankenhauses Bethanien. Von den Müttern
wird das Angebot als natürlicher Bestandteil des Klinikall-
tags wahrgenommen.
Positive Erfahrungen macht auch Martina Rensen-Micha-
elis. Sie ist Koordinatorin in der Geburtsklinik St. Josef.
„Beim Screeningverfahren geht es häufg um sensible
Themen. Dabei ist der Datenschutz natürlich unheimlich
wichtig“, sagt sie. Gerade geht Rensen-Michaelis über den
langen Krankenhausfur zu einer jungen Mutter, die vor
drei Tagen einen Sohn zur Welt gebracht hat. „Nach der Vertrauen schaffen von Anfang an: Koor-
Einwilligung der Familien wird der Name im Computersys- dinatorin Martina Rensen-Michaelis (l.)
tem automatisch in eine Fallnummer umgewandelt. Eine mit einer jungen Mutter.
Rückverfolgung ist nicht möglich.“ Zusammen mit dem
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Vier-Augen-Prinzip bei der Fallbesprechung: Anonym
wird ein möglicher Hilfebedarf von Familien ermittelt.
Chefarzt oder einer Vertretung werde im Anschluss jeder Ortswechsel. Stephan Caniels arbeitet für die Stadt
Fall durch ein Vier-Augen-Prinzip überprüft. Wird Unter- Moers. Von seinem Rathaus-Büro im zweiten Stock ko-
stützungsbedarf festgestellt, arbeitet eine große Zahl an ordiniert er stadtweit die Frühen Hilfen. Er weiß, welche
Einrichtungen zusammen. Ob Kinder- und Jugendklinik, Umstände dazu führen, dass junge Familien auf Unter-
Gesundheits- und Jugendamt, freie Träger der Jugendhil- stützung angewiesen sind: „Geldsorgen stehen oft an
fe, Kinder-, Jugend- oder auch Frauenärzte: Durch dieses erster Stelle.“ Hierbei kann häufg Hilfe von öffentlichen
Kooperationsnetz soll sichergestellt werden, dass die Institutionen vermittelt werden. „Oft spielen aber auch
Familien passgenaue Hilfe erfahren. Sabine Kühnel und sozial-familiäre Probleme oder Beziehungsprobleme eine
Martina Rensen-Michaelis sind für Familien die Lotsinnen, Rolle.“ Bei letzteren werden entsprechende Beratungs-
die geeignete Hilfen vermitteln. stellen miteinbezogen. Unterstützung wird auch benötigt,
wenn ein Kind beispielsweise mit einer Behinderung gebo-
Und wie erfolgreich ist das Angebot? „Über 95 Prozent ren wird.
der Familien nehmen in Bethanien am Screening teil“,
erklärt Sabine Kühnel stolz. Fünf bis sieben Prozent von „Wir kommen in solchen Situationen als kleine Elfen“, er-
ihnen benötigten tatsächlich Unterstützung. „Das be- klärt Sabine Kühnel aus Bethanien und schmunzelt. „Wir
deutet aber nicht, dass der Rest vom Screening gar nicht kontrollieren hier niemanden.“ Ein wichtiger Punkt sei die
proftiert. Sie kennen jetzt einen Ansprechpartner, falls Freiwilligkeit des Angebots. Auch könnten die Patientin-
einmal Probleme auftreten sollten.“ Frühestens vier Wo- nen selbst bestimmen, mit welchem Fachpersonal und
chen und spätestens 12 Wochen nach der Geburt wird mit mit welchen Institutionen über die eigene Situation ge-
einem Nachverfolgungsbogen die Entwicklung des Kindes sprochen werden darf. Genau das ist ein wichtiger Punkt
und der Familie festgehalten. des Angebots. Martina Rensen-Michaelis bringt es auf