Table Of ContentHERMAEA
GERMANISTISCHE FORSCHUNGEN
NEUE FOLGE
HERAUSGEGEBEN VON HANS FROMM
UND HANS-JOACHIM MÄHL
BAND 56
URSULA PETERS
Religiöse Erfahrung
als literarisches Faktum
Zur Vorgeschichte und Genese frauenmystischer Texte
des 13. und 14. Jahrhunderts
MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN
1988
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Peters, Ursula:
Religiöse Erfahrung als literarisches Faktum : zur
Vorgeschichte u. Genese frauenmyst. Texte d. 13. u. 14. Jh. /
von Ursula Peters. - Tübingen : Niemeyer, 1988
(Hermaea ; N.F., Bd. 56)
NE: GT
ISBN 3-484-15056-4 ISSN 0440-7164
© MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1988
Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht
gestattet, das Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in
Germany. Satz u. Druck: Maisch + Queck, Gerlingen. Einband: Heinr. Koch,Tübingen.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort VII
Abkürzungen VIII
Einleitung 1
I. Die Vorgeschichte frauenmystischer Literatur im frühen
13. Jahrhundert: die mulieres sanctae der Diözese Lüttich .. 9
1. Religiöse Frauenbewegung und neue Frömmigkeits-
formen 14
2. Literaturinteressen und literarische Aktivitäten religiös
bewegter Frauen im 13. Jahrhundert 27
3. Die brabantischen Frauenviten des 13. Jahrhunderts als
kulturgeschichtliche Quelle 35
II. Die mulieres religiosae und ihre Literatur: das Problem der
sog. Beginenmystik 41
1. Hadewijchs Texte und ihr intendiertes Publikum 48
2. Mechthild von Magdeburg: biographische Spuren im
fließenden Licht der Gottheit< 53
3. Der Häresieprozeß der Marguerite Porete 67
4. »Poemes sur les beguins« 81
5. Die ad ^egm^s-Predigten der Sammlungen des Peter von
Limoges 89
III. Die mulier religiosa und ihr Beichtvater: der Prozeß der
Entstehung frauenmystischer Texte 101
1. Marie von Oignies und Jakob von Vitry: der Rollen-
tausch als hagiographisches Thema 111
2. Mechthild von Magdeburg und Heinrich von Halle:
Helfta als literarisches Zentrum frauenmystischer Texte
im 13. Jahrhundert 116
V
3. Die dominikanischen Nonnenbücher des H.Jahr-
hunderts 129
4. Heinrich Seuse und Elsbeth Stagel: die Entstehung von
Seuses >Vita< 135
5. Margarethe Ebner und Heinrich von Nördlingen: eine
erfolgreiche literarische Zusammenarbeit? 142
6. Christine Ebner und der schreibende Bruder: die Ver-
schriftlichung eines Gnadenlebens 155
7. Adelheid Langmann und der lesmeister predier ordern:
die Offizialität des Schreibbefehls 176
Resümee 189
Literaturverzeichnis 195
Register 206
VI
Vorwort
Die vorliegende Arbeit, die auf eine Reihe von interdisziplinären Frauen-
mystik-Lehrveranstaltungen an der Universität Konstanz zurückgeht,
ist in den Jahren 1985 und 1986 entstanden. Die später erschienene bzw.
mir erst danach bekannt gewordene Literatur - das gilt vor allem für
Otto Langer, Mystische Erfahrung und spirituelle Theologie. Zu Mei-
ster Eckharts Auseinandersetzung mit der Frauenfrömmigkeit seiner
Zeit. München 1987 - habe ich leider nicht mehr systematisch verwer-
ten, nur noch in Ansätzen einarbeiten können.
Herzlich danken möchte ich Susanne Bürkle, deren präzise Text-
kenntnisse vor allem dem Christine Ebner-Kapitel zugute gekommen
sind, den Herausgebern der Reihe >Hermaea<, ganz besonders Hans
Fromm, dessen pointierte Kritik mir bei der Überarbeitung des Manu-
skripts sehr hilfreich war, Robert Harsch-Niemeyer für sein spontanes
Interesse an der Themenstellung, Heidrun Dorna für ihre Mühen mit
dem Manuskript, Jens Pfeiffer für seine Hilfe bei den Korrekturen und
der Erstellung des Registers, der Deutschen Forschungsgemeinschaft für
die Gewährung einer großzügigen Druckbeihilfe und schließlich dem
Niemeyer-Verlag für die zügige und kompetente Herstellung des
Drucks.
Aachen, im Mai 1988 Ursula Peters
VII
Abkürzungen
AASS = Acta Sanctorum (1643ff.). Neudruck: Bruxelles, Paris 1965ff.
AFH = Archivum Franciscanum Historicum
AFP = Archivum Fratrum Praedicatorum
Anz = Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur
BLVS = Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart
DA = Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters; ab Band 8
(1951): Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters
DTM = Deutsche Texte des Mittelalters
FDA = Freiburger Diöcesan-Archiv
GAG = Göppinger Arbeiten zur Germanistik
GRLM = Grundriß der romanischen Literaturen des Mittelalters
GRM = Germanisch-romanische Monatsschrift
HJb = Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft
MA = Le Moyen age
MGH = Monumenta Germaniae Historica
MTU = Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur
des Mittelalters
OGE = Ons Geestelijk Erf
PL = Migne, J.-P.: Patrologia Latina (Patrologiae cursus completus.
Series latina). Paris 1844-1866
Verf.Lex. = Ruh, Kurt (u. a. Hrsg.): Die deutsche Literatur des Mittelalters.
Verfasserlexikon. Begründet von Wolfgang Stammler, fortgeführt
von Karl Langosch. Zweite, völlig neu bearbeitete Auflage.
Bd. Iff. Berlin, New York 1978ff.
WW = Wirkendes Wort
ZfdA = Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur
ZfdPh = Zeitschrift für deutsche Philologie
ZfPhTh = Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie
ZfrPh = Zeitschrift für romanische Philologie
ZSKG = Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte
VIII
Einleitung
Der breite Komplex frauenmystischer Literatur des 13. und 14. Jhs. hat
in jüngster Zeit in der Forschung, aber auch bei einer breiteren Öffent-
lichkeit eine ungewöhnlich große Resonanz gefunden. Das zeigt sich an
zahlreichen Veröffentlichungen der letzten Jahre, an Forschungssympo-
sien, Akademietagungen1 und nicht zuletzt an universitären Lehrveran-
staltungen. Dieses neu erwachte Interesse für Texte, die lange Zeit
hindurch in der Mystikforschung ein ausgesprochenes Schattendasein
gefristet haben, konzentriert sich in erster Linie auf die in ihnen vermit-
telte eigenständige, auf einer persönlichen Gottesbegegnung basierende
Spiritualität dieser Frauen. Sie hätten - wie Hadewijch und Mechthild
von Magdeburg- bereits 50 Jahre vor Eckhart oder - wie Marguerite
Porete und die Dominikanerinnen des 14. Jhs. - etwa gleichzeitig zu den
berühmten mystischen Predigern sehr eigene Wege eingeschlagen: In der
Abgeschiedenheit ihres Beginenlebens bzw. ihrer Klausur bemühten sie
sich in strengen Askeseübungen, in Krankheitszuständen und visionären
1 Vgl. etwa die übergreifenden Arbeiten von Ringler, Siegfried: Viten- und Offenba-
rungsliteratur in Frauenklöstern des Mittelalters. Quellen und Studien. Zürich und
München 1980 (MTU 72), Schirmer, Eva: Mystik und Minne. Frauen im Mittelalter.
Berlin 1984, die Sammelbände: Frauenmystik im Mittelalter. Hrsg. von Peter Dinzelba-
cher und Dieter R. Bauer. Ostfildern 1985 und »Eine Höhe, über die nichts geht«.
Spezielle Glaubenserfahrung in der Frauenmystik. Hrsg. von Margot Schmidt und
Dieter R.Bauer. Stuttgart-Bad Cannstatt 1986 (Mystik in Geschichte und Gegenwart.
Texte und Untersuchungen. Abteilung I. Christliche Mystik 4), die die Vorträge der
Wissenschaftlichen Studientagungen der Akademie der Diözese Rottenburg - Stuttgart
vom 22.-25. Februar 1984 in Weingarten bzw. vom 15.-16. September 1984 in Stuttgart
versammeln. Die Akademie der Diözese Rottenburg - Stuttgart hat im März 1986 eine
weitere Tagung zur Frauenmystik in Weingarten veranstaltet. Das DFG-Symposium
>Abendländische Mystik im Mittelalter< (September 1984) hat eine eigene Sektion
Frauenmystik des Mittelalters vorgesehen: Abendländische Mystik im Mittelalter.
Symposion Kloster Engelberg 1984. Hrsg. von Kurt Ruh. Stuttgart 1986 (Germanisti-
sche Symposien. Berichtsbände VII), S. 347-477. Und auf dem Internationalen Germa-
nistentag in Göttingen (September 1985) sind zwei Vorträge zum Thema Frauenmystik
gehalten worden: Lewis, Gertrud Jaron: Zur Rezeption des Werkes Gertruds von
Helfta. In: Frauensprache - Frauenliteratur? Für und Wider einer Psychoanalyse
literarischer Werke. Hrsg. von Inge Stephan und Carl Pietzcker. Tübingen 1986,
(Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses Göttingen 1985. Kontrover-
sen, alte und neue. Hrsg. von Albrecht Schöne, Bd. 6) S. 3—10; Meyer, Eva: Schreiben
aus Liebeswut. Mystik und Hysterie. In: Ebda., S. 11-17.
1
Erlebnissen um konkret-körperliche Ausdrucksformen der Gottesbe-
gegnung, die ihr Leben in Phasen der Beglückung und Verzweiflung
gliedern. Und gerade dieser körperliche Umgang der Frauen mit dem
göttlichen Partner, auf den schon die zeitgenössischen franziskanischen
und dominikanischen Prediger eher mit Vorbehalten,2 die ältere For-
schung sogar mit deutlicher Ablehnung reagiert haben,3 wird nun - vor
allem natürlich in feministischen Arbeiten- als ihre entscheidende Lei-
stung herausgestellt: denn diese Frauen insistierten auf eine spezifisch
weibliche, nämlich sinnliche Erfahrungsmöglichkeit; oder theologisch
gewendet: auf körperliche Realisationen eines kreatürlich-konkreten
Nachvollzugs des Inkarnations-Gedankens.4
2 Zur ablehnenden Haltung männlicher Ordensangehöriger vgl. Haas, Alois M.: Traum
und Traumvision in der Deutschen Mystik. In: Spätmittelalterliche geistliche Literatur
in der Nationalsprache. Bd. 1. Salzburg 1983 (Analecta Cartusiana 106), S.22-55, hier
S.26ff.;46ff.
3 Vgl. dazu unten S.105ff.
4 Einen guten Eindruck von dem neueren feministischen Interesse an den spezifischen
religiösen Artikulationsmöglichkeiten mittelalterlicher Frauen bieten am Beispiel Hil-
degards von Bingen und Mechthilds von Magdeburg Gössmann, Elisabeth: Theologi-
sche Frauenforschung: Das Menschenbild des Mittelalters und die Stellungnahme der
zeitgenössischen Frau. In: Frauenstudien. Frauenforschung. Vortragsreihe zur Frauen-
forschung SS 82 - WS 82/83 (Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und
Frauenforschung an der FU Berlin). Berlin 1983, S. 64-87, am Beispiel der Tösser
Schwester Elsbeth Stagel Opitz, Claudia: »... zu schriben von gutten und selgen
schwestren uebung«. Frauenmystik und geistliche Literatur in südwestdeutschen Frau-
enklöstern des Spätmittelalters. In: Die Frauenfeder (Frauenjahrbuch Bodensee, Ober-
schwaben 2) Weingarten 1986, S. 75-104. Perspektivenreich und abgewogen argumen-
tiert Bynum, Caroline W.: Women mystics and eucharistic devotion in the thirteenth
century. In: Women's Studies 11 (1984), S. 179-214; ähnlich auch Haas, Traum und
Traumvision, S.51ff. und Langer, Otto: »We ist ein gut wort, we ist ein gnadenrichez
wort.« Zur Spiritualität der Dominikanerinnen im Spätmittelalter. In: Lerne leiden.
Leidensbewältigung in der Mystik. Beiträge von Martina Wehrli-Johns, Otto Langer,
Alois M.Haas, Dietmar Mieth und Wolfgang Böhme. Hrsg. von Wolfgang Böhme.
Karlsruhe 1985, S. 21-34; 78f., hier S. 28f., die beide -im Rückgriff auf Hans Urs von
Balthasar- das bei den Frauen auf die Gesamtexistenz bezogene »experientielle Inne-
werden der Wirklichkeit Gottes« (Langer, S. 28) herausstellen. Wenig hilfreich sind
jedoch Arbeiten, bei denen der identifizierende Zugriff die literarhistorische Textana-
lyse überdeckt: etwa Langner, Ilse: Vorläuferinnen der Emanzipation? In: Neue
deutsche Hefte 26 (1979), S.497-511, in der z.B. Mechthild von Magdeburg als
»himmlisch verzückte Minnesängerin« (S. 498) vorgestellt wird, die am »Konflikt
irdischer Körperlichkeit mit ihrer Himmelsseligkeit« (S. 508) leide, oder die oberflächli-
che Darstellung von Schirmer, Mystik und Minne, die ohne detaillierte Textkenntnis in
der Nonnenmystik, die »erste feministische Theologie des Mittelalters« (S. 96) sieht,
und schließlich die textferne, poststrukturalistischer Diktion und Denkweise verpflich-
tete Mechthild von Magdeburg-Studie von Bäurle, Margret und Braun, Lucia: »Ich bin
heiser in der Kehle meiner Keuschheit«. Uber das Schreiben der Mystikerinnen. In:
Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
Hrsg. von Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann. Stuttgart 1985, S. 1-15; 509f.
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