Table Of ContentGuido Schwarz
QualiUit statt Quantitat
Guido Schwarz
Qualitat statt Quantitat
Motivforschung im 21. Jahrhundert
Leske + Budrich, Opladen 2000
Der Autar:
Guido Schwarz wurde 1966 geboren und lebt als selbstandiger Philosoph und
Sozialwissenschafter in Wien.
Neben dern Studiurn der Philosophie, Soziologie und Gruppendynamik
erfolgte eine Ausbildung zurn Motivforscher sowie zurn Kornrnunikations
trainer. Ais Folge der Spezialisierung auf den qualitativen Bereich entwickelte
der Autor neue Anwendungsrnoglichkeiten der Motivforschung, die vor al
lern die Verwendung qualitativer Methoden in Verbindung mit niedrigen Ko
sten errnoglichen.
Seine Betatigungsfelder liegen hauptsachlich irn Schulbereich, der Indu
strie sowie irn Dienstleistungssektor.
Gedruckt auf alterungsbesHindigem und sliurefreiem Papier
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Schwarz, Guido:
Qualitlit statt Quantitlit : Motivforschung im 21. Jahrhundert 1 Guido Schwarz.
- Opladen : Leske + Budrich, 2000
ISBN-13: 978-3-8100-2448-0 e-ISBN-13: 978-3-322-80860-8
DOl: 10.1007/978-3-322-80860-8
© 2000 Leske + Budrich, Opladen
Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschtitzt. Jede Verwertung
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unzullissig und strafbar. Das gilt insbesondere fUr Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mi
kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Inhalt
Die Idee zur auJ3eren Form dieser Arbeit ................................................ 11
Der Grund, diese Arbeit zu schreiben ..................................................... 18
Das Ziel der Arbeit .................................................................................. 20
Die Entwicklung der qualitativen MotivJorschung .................................. 20
Der Unterschied zwischen Meinungen und Motiven ............................... 24
Ethische Fragen ..................... ........ ................. ................ ........................ 26
Definition von "Motiv" ........................................................................... 36
Quantitat versus Qualitat ........................................................................ 50
Der geschichtliche Hintergrund der Begriffe QualiHit und Quantitlit ..... 50
Qualitat - Quantitlit in der Forschung ..................................................... 53
Dialektik Qualitat - Quantitlit .................................................................. 55
ZusammenJassung der Probleme Quantitiit - Qualitiit ........................... 60
1. Das Reduktionsproblem ................ ......................... .... ..... .................. 60
2. Das Ideologieproblem ...... .... .... ............. ..... ............ ... ........................ 66
3. Die Dynamik der "dunklen Flecken" ................................................ 69
4. Die Dialektik Individuum - Gesellschaft ......................................... 71
5. Subjekt - Objekt ............................................................................... 70
16 Kritikpunkte an der Methodik der quantitativen Forschung ............. 71
1 Die Reduktion des sozialen Feldes ................................................... 74
2. Die eingeschrankte Erfahrung .......................................................... 76
3. Schein und Wirklichkeit ................................................................... 76
4. Strukturstabilisierung ........................................................................ 77
5. Das Primat der Methode tiber die Sache ........................................... 78
6. Der MeBfetischismus ........................................................................ 78
7. Instrumentalisierung als Intersubjektivitat ..................... ................... 79
8. Naturwissenschaft als Vorbild .......................................................... 80
9. Das Subjekt als Objekt ...................................................................... 81
5
10. Die Scheinobjektivitat der Standardisierung ................................. ... 81
11. Die Forscherperspektive als Oktroy ................................................. 84
12. Methodologie und Forschungsrealitat ............................................... 85
13. Die Distanz des Forschers zum Gegenstand ..................................... 86
14. Die Ausblendung des Forschungskontextes ..................................... 87
15. MeBartefakte ..................................................................................... 87
16. Fazit .................................................................................................. 88
Das methodische Ziel der qualitativen Forschung .................................. 90
Die Bedeutung der Philosophie in der qualitativen Motivforschung ...... 92
Abgrenzung zur Soziologie .................................................................. ... 92
Die Ausgangslage der philosophisch-methodischen Uberlegungen ........ 941
Neugier zum Unbekannten ................................................................... ... 95
Der ganzheitliche Ansatz ......................................................................... 96
Erkenntnistheorie ........... ....... ................................................................... 99
Der Ort der Erkenntnis .. .................................. ........................ .......... 100
Die Bedingungen der Erkenntnis ...................................................... 101
Die Wertigkeit der Empirie in der qualitativen Motivforschung ...... 105
Phanomenologie ................... .......................................... ......................... 110
Hermeneutik ......................... ................................................................... 113
Der Dialog ............................................................................................... 126
Dialektik .............................. ..... .................. ............................................. 134
Der holistisch-systemische Ansatz .......................................................... 136
Soziologisch-theoretische Voraussetzungen ............................................ 139
1. Das interpretative Paradigma ............................................................ 139
2. "Natural Sociology" und "Natural History" ..................................... 139
3. Der symbolische Interaktionismus .................................................... 140
4. Ethnomethodologie ........................................................................... 143
Die wissenschaftstheoretischen Grundlagen ........................................... 144
1. Offenheit ........................................................................................... 145
2. Forschung als Kommunikation ......................................................... 146
3. Der ProzeBcharakter von Forschung und Gegenstand ...................... 148
4. Reflexivitat von Gegenstand und Analyse ........................................ 148
5. Die Explikation ................................................................................. 150
6. Flexibilitat ......................................................................................... 150
7. Drei Typologien der qualitativen Sozialforschung ........................... 152
Das Problem der interdisziplinaren Zusammenarbeit ............................. 154
Die Wissenschaft als Welterklarungsmodell ........................................... 154
Die Entstehung von Spezialisten ............................................................. 156
6
Das Problem der Spezialisten miteinander .............................................. 157
Die ganzheitliche Betrachtung des Menschen ................................ ......... 161
Das Problem Spezialisten gegen Generalisten .............................. .......... 167
Ein Blick in eine mogliche Zukunft ........................................................ 171
Die Praxis der qualitativen Motivforschung ........................................... 174
1. Die Vorbereitung .............................................................................. 174
2. Die Datenerhebung und Auswertung ................................................ 175
3. Die Interpretation .............................................................................. 176
4. Theoriebildung in der qualitativen Motivforschung ......................... 182
Operationalisierung ................................................................................ 185
Validierung ............ ........ ................ ................................. .... ..................... 186
Objektivitat der Forschung ...................................................................... 189
Die Anwendungsmoglichkeiten der qualitativen Motivforschung ............ 195
Organisationsentwicklung ............................. .......... ................................ 196
Produktanalyse .............. ............. ...................... ....................................... 202
Strukturanalyse ........................................................................................ 201
Sozialanalyse ........................................................................................... 211
Zusammenfassung der Vorteile der qualitativen Motivforschung ........... 212
Die Grenzen der qualitativen Motivforschung ........................................ 213
Die Methode der mehrdimensionalen Ursachenforschung ..................... 215
Das Tiefeninterview ................................................................................ 215
Das Orientierungsfeld .......................... ............................................. ....... 226
Die Nachteile der Methode des Tiefeninterviews .................................... 233
Unterschiede der Methode........................................................................ 235
Die Methode der qualitativen Ursachenforschung .................................. 237
Zusammenfassung .............................................................................. ..... 239
Glossar .................................................................................................... 243
Literatur ................................................................................................... 253
Index ........................................................................................................ 255
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Interviewer: Sophia (gr.: die Weise)
Interviewperson: Phileon (gr.: der Liebende)
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Sophia: Gut, fangen wir an. Was ich zuerst wissen mochte: Du hast ja eine
interessante Arbeit iiber Methodologie und philosophische Hintergriinde
qualitativer Motivforschung geschrieben und dafiir eine sehr unkonventio
nelle Methode der Darstellung gewahlt. Wie bist du darauf gekommen?
Phileon:
Die Idee zur auBeren Form dieser Arbeit
kam mir Mai 1996, als ich im Zuge eines Interviews aufgefordert wurde:
,,Konnen Sie mir nicht irgendwas iiber diese Art der Forschung schicken .. ?"
Meine bejahende Antwort kam ein wenig zogernd, da ich kein wirklich
brauchbares Akquisitionspapier hatte.
Sophia: Wieso nicht?
Phileon: Naja, mit all den bisher entwickelten, mehr oder weniger guten Pa
pieren - zweiseitiges Manuskript, 20-seitige relativ ausfUhrliche Beschrei
bung etc. - konnten die angesprochenen Personen wenig anfangen. Das Ge
biet der qualitativen Motivforschung ist sehr komplex und wirft bei den mei
sten Menschen, die sich damit beschaftigen, eine Menge Fragen auf. Diese
Fragen kann man den jeweiligen Interessenten auch beantworten, allerdings
bisher besser im personlichen Gesprach und nicht in Papierform.
Sophia: Was fUr ein Gesprach?
Phileon: Das personliche Gesprach ist stets ein Dialog, wo z.B. ein potenti
eller Auftraggeber nach Einzelheiten der Methode fragt und ich antworte und
erklare.
Sophia: Wie konnte nun ein Akquisitionspapier aussehen, das dies en Anfor
derungen entspricht?
Phileon: Das war eben die entscheidende Idee: es miiBte ebenfalls in Dia
logform sein, denn dann kann ich die Fragen stellen und sie auch gleich be
antworten. Ich kann natiirlich nicht aile Fragen einbauen, aber die wichtigsten
kenne ich bereits und weitere lassen sich bei eventuellen Uberarbeitungen er
ganzen. Es sind ja oft die gleichen Fragen, die mir gestellt werden.
Sophia: Und was ist das Ziel dieser Miihe?
Phileon: Ich mochte einem Interessenten das Thema auf einfache Art naher
bringen. Die Dialogform ist dafUr sehr gut geeignet, sie bietet eine ganze
Menge Vorteile.
Sophia: Und zwar?
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Phileon: Man konnte Freuds Idee, daB eine Abhandlung tiber das Lachen
auch zum Lachen sein muB, ein wenig abandem und annehmen, daB eine Ab
handlung tiber die Frage somit auch in Frage- und Antwortform dargestellt
und vermittelt werden kann. Der Leser kann am Ende der Lekttire selbst be
urteilen, was er von dieser Form halt.
Ein zweiter Vorteil besteht darin, daB ich dem Leser Fragen beantworten
kann, die er mir sonst personlich stellen mtiBte - oder die er beim Lesen so
wieso - sich selbst - stellt. Das spart Zeit, denn es gibt immer noch offene
Fragen, die aber dann bereits recht spezifisch sind. Zumindest die allgemei
nen Fragen, deren Beantwortung zum Verstandnis des Gesamtkonzeptes der
qualitativen Motivforschung notwendig ist, brauchen nicht mehr gestellt und
nicht mehr beantwortet werden.
Sophia: Welche Rolle spielt die Frage in der Praxis der qualitativen Motiv
forschung?
Phileon: Das zentrale Element der qualitativen Motivforschung ist das offene
Interview - etwa in Gestalt des Tiefeninterviews. Wie so ein offenes Inter
view aussieht und wo seine Moglichkeiten liegen, laBt sich aber auch in ei
nem ausfiihrlichen Papier nicht erklaren.
Sophia: Warum nicht?
Phileon: Weil ein offenes Interview lebt, es ist kein starres Instrument wie
das quantitative Interview. Es wird immer wieder neu erschaffen, mit neuen
Inhalten. Jedes Interview hat andere Fragen und demgemaB andere Antwor
ten, es ist nicht standardisierbar und besitzt somit auch keine Schab lone, die
man darstellen oder erklaren konnte. Urn zu erkennen, was ein Tiefeninter
view ist und kann, muB man eines gelesen haben.
Sophia: Also so wie wir das jetzt dem Leser ermoglichen?
Phileon: Ungefahr. In dieser von mir gewahlten Form kann ich dem Leser
einerseits die Inhalte und die Methodologie der Forschung naherbringen und
verstandlich machen, anderseits gleich ein Beispiel des zentralen Elements
liefem. Er bekommt einen Eindruck, wie so ein Interview gefiihrt wird, mit
welchen Mitteln der Interviewer die Interviewperson sozusagen "bearbeitet",
wie er ihre Motivwelt zu erfragen und zu erforschen versucht. Er kann einen
Eindruck erhalten, wie die Techniken des Interviewens funktionieren: das
Nachfragen, die zustimmende Aufforderung weiterzureden oder auch das Zu
rtickfiihren auf ein Thema. Dazu gehort auch, daB die Interviewperson von
Zeit zu Zeit yom Thema abkommt und in ein anderes Thema oder besser: in
einen anderen Bereich desselben Themas hineingerat. Dies ist in einem Tie
feninterview nichts Schlechtes, denn es zeigt die Dynamik der Motivland
schaft. Die Interviewperson findet nun einmal die Zusammenhange der von
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ihr angesprochenen Bereiche wichtig und baut daher Ubergange. Sie davon
abzubringen und zum gerade angesprochenen oder fehlenden Punkt zuruck
zufiihren, ware ein Interviewfehler und wiirde die Gedankengange der Inter
viewperson an einer Stelle durchschneiden, wo von ihr gar keine Schnittstelle
vorgesehen ist. Dies ware dann die Schnittstelle des Interviewers, die aber
nicht eingebracht werden soIl.
Sophia: Und ist das, was der Leser jetzt gerade liest, also ein echtes Tiefen
interview?
Phileon: Nicht ganz. Es geht zwar auch urn die Motivlage der Interviewper
son, also urn mich, aber nicht als zentrales Element des Interviews, wie das
bei einem Tiefeninterview der Fall ware. Hier geht es urn die Inhalte der
qualitativen Motivforschung.
Sophia: Wo sind die Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten?
Phileon: Gemeinsam ist dieser Arbeit und einem "echten" Tiefeninterview
die Fragestellung des Interviewers. In dieser Hinsicht ist es aber auch wieder
nicht echt, da ein Interviewer in einem lebendigen "realen" Gesprach mehr
Fehler begehen wiirde als hier, wo die Fragen am Papier geduldig darauf har
ren, ausgebessert zu werden.
Sophia: Zum Beispiel den Fehler, daB er eigene Interpretationen in das Inter
view einbringt, also Behauptungen aufstellt, die der Interviewperson gar
nicht eingefallen waren!
Phileon: Richtig, denn er verleitet die Interviewperson damit zur Zustim
mung.
1m groBen und ganzen lehnt es sich an ein echtes Interview an - trotzdem
sind auch in diesem Gesprach nicht aIle Fragen fehlerlos, es kann z.B. da und
dort ein suggestives Element in einer Frage stecken.
Der Leser kann daran erkennen, wie nachgefragt wird, wie der Inter
viewer durch die Aussagen der Interviewperson auf neue Fragen kommt und
wie er neue Themen anschneidet. Der Leser kann auch nachvollziehen wie es
ist, ein Interview zu lesen, auch wenn dies ein sehr langes Interview wird, so
scheint es mir im Moment jedenfalls.
Der Gesprachsanteil stimmt iibrigens auch mit einem durchschnittlichen
Tiefeninterview iiberein, in dem der Anteil des Interviewers ca. 5-10% betra
gen solI.
Sophia: Du hast vorher von Gemeinsamkeiten, aber auch von Unterschieden
gesprochen. Welche sind das?
Phileon: Die Unterschiede dieses Gesprachs zu einem "echten" Tiefeninter
view sind auch wichtig: es geht hier nicht urn die emotionale Motivlandschaft
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