Table Of ContentKunst und Kommunikation
Schrillen zur Kunstsoziologie und Massenkommunikation
Herausgegeben von Dr. jur. Alphons Silbermann F.I.A.L.
Sydney-Köln
Band 6
übersetzung in die deutsche Sprache: Eugen Engling
Roger Clausse
Publikum und Information
Entwurf einer ereignisbezogenen Soziologie des Nachrichtenwesens
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
V om gleichen Autor
Critique materialiste de l'Education, 1934
Education de base pour un Humanisme social, 1935
Mesure des Humanites anciennes, 1937
La Radio, huitieme art, 1945
La Radio Scolaire, 1949
a
L'Information la rechenne d'un statut, 1951
L'Information d'actualite . Critique de la relation, 1953
ISBN 978-3-663-00954-2 ISBN 978-3-663-02867-3 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-02867-3
043603
© Copyright 1962 by
Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag· Köln und Opladen 1962.
Alle Rechte vorbehalten
Inhalt
Erstes Kapitel
Die aktuelle Information
A. Allgemeines ......................................... 9
B. Das soziale Bedürfnis nach Information. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
I. Grundlagen und Inhalt des Bedürfnisses . . . . . . . . . . . . . . 10
II. Das Recht auf Information. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
C. Die Besonderheiten der aktuellen Information ............. 15
I. Die Arten der aktuellen Information. . . . . . . . . . . . . . . . 15
II. Die Merkmale der aktuellen Information. . . . . . . . . . . . 16
III. Der Verlauf der aktuellen Information... ... ........ 19
Zweites Kapitel
Erste Phase - Die Tatsache
A. Die Tatsache und das Ereignis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
I. Die aktuelle Tatsache ist nicht immer ein Ereignis. . . . . . 23
II. Das Problem einer weltumfassenden Berichterstattung. . 24
B. Der Zugang zum Ort des Ereignisses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
I. Der Zugang zum nationalen Gebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
11. Der Zugang zum internationalen Gebiet. . . . . . . . . . . . . . 32
Drittes Kapitel
Zweite Phase - Die Sammlung
A. Der Korrespondent .................................. 37
I. Rechtliches und tatsächliches Statut des Korrespondenten 37
II. Die Berufsausbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
B. Der Bericht als Zeugenaussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
1. Allgemeine Voraussetzung für die Untersuchung. . . . . . . 41
11. Von der Rolle des Berichterstatters als Zeuge. . . . . . . . . . 42
IH. Bericht und verbrämte Meinungsbildung. . . . . . . . . . . . . . 45
C. Die übermittlung der Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 47
D. Technik und Presse ................................... 49
I. Die übermittlung von Texten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
H. Die übermittlung von Fotoaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 51
IH. Kritik und Wünsche der Experten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
E. Organe der Sammlung und Verteilung von Nachrichten. . . . . . 57
I. Die Nachrichtenagenturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
H. Arten und Funktionen der Nachrichtenagenturen. . . . . . 59
1. Die Weltagenturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2. Die nationalen Agenturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
3. Die spezialisierten Agenturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
4. Die Geschäftsführung der Agenturen. . . . . . . . . . . . . . . 62
5. Das Statut der Agenturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
6. Die Arbeitsweise der Agenturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
III. Der Weltmarkt der Information. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
IV. Ministerien und amtliche Informationsdienste . . . . . . . . . 67
V. Radioabhörstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
VI. Die Wochenschau im Kino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
VII. Die Tagesschau im Fernsehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73
Viertes Kapitel
Dritte Phase - Die Verbreitung
A. Die Verbreitung der geschriebenen Aktualität. . . . . . . . . . . . . . 76
B. Die Verbreitung der gefilmten Aktualität. . . . . . . . . . . . . . . . . 82
C. Die Information als geistiges Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
I. Die Information als Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . 91
a) Die Presse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
b) Der Rundfunk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
c) Der Film. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
d) Das Fernsehen ................................ 99
11. Gemeinsame Wesenszüge der Massenkommunikations-
mittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 101
D. Die Information als Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 103
I. Konstitutionelle und juristische Faktoren. . . . . . . . . . . .. 103
a) Die Presse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 104
b) Der Film. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 107
c) Der Rundfunk und das Fernsehen. . . . . . . . . . . . . . . .. 108
11. Politische, soziale und wirtschaftliche Faktoren. . . . . . . .. 110
E. Der Berichterstatter und die Information. . . . . . . . . . . . . . . .. 113
I. Das Rechts- und Berufsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 113
11. Wissen und Gewissen des Berichterstatters. . . . . . . . . . .. 116
F. Die Verbreitung der Information im Publikum. . . . . . . . . . . .. 118
I. Die Verbreitungsdichte bei Presse, Film, Rundfunk und
Fernsehen ...................................... 118
II. Das Statut der Informationsverbreitung im Publikum. .. 123
111. Die Merkmale der verbreiteten Information. . . . . . . . . .. 130
1. Die materielle Nutzbarmachung .................. 131
2. Die geistige Nutzbarmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 133
3. Die technische Nutzbarmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 135
4. Die internationale Nutzbarmachung ............... 136
Fünftes Kapitel
Die Reaktion des Publikums
A. Die ereignisbezogene Soziologie des Nachrichtenwesens ...... 141
B. Forschungsgebiet und Forschungsmethoden .. . . . . . . . . . . . . .. 150
I. Studium des Informationsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . .. 150
a) Soziographie des Prozesses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 150
b) Analyse der sozialen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 151
c) Analyse des Inhaltes ............................ 151
11. Studium der Publikumsreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . .. 152
a) Analyse des Publikums. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 152
b) Die Reaktion auf dem ereignisbezogenen Niveau. . .. 152
c) Das Wiederauftauchen von Reaktionen auf dem Ni-
veau der Gesamtumstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 153
111. Die Forschungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 153
Literaturverzeichnis ................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 157
ERSTES KAPITEL
DIE AKTUELLE INFORMATION
A. Allgemeines
Seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts, und besonders nach dem
ersten Weltkrieg, hat die Veröffentlidtung der Tagesschau in ihren
Hauptersdteinungsformen, der Zeitung, der gefilmten Wochenschau und
den Rundfunk- und Fernsehsendungen, einer sozialen Funktion, näm
lich der Verbreitung von aktuellen Informationen und insbesondere
von Nadtridtten wieder neuen Wert verliehen. Sie hat sie sogar in
außerordentlichem Maße wieder in den Vordergrund gestellt, hat sie
erweitert und abwedtslungsreicher gestaltet.
Sdton durdt ihre Natur, ihre Häufigkeit, ihren Umfang, ihre An
ziehungs- und ihre Schlagkraft allein wirft die aktuelle Information
politische, wirtschaftlidte, soziale, sozialpsychologisdte, pädagogische,
kulturelle und andere Fragen auf, die innerhalb der Gesamtprobleme
der Massenkommunikationsmittel-Presse, Film, Rundfunk und Fern
sehen - eine besondere Aufmerksamkeit und nach eigener Behand
lung verlangen. Tatsächlich erfordern die zeitgenössischen aktuellen
Informationen und hauptsächlich die Nachrichten, wenn sie sich der
Massenmedien bedienen, eigene soziologisdte Erkenntnisse, die in den
Rahmen dessen gehören, was ich "Soziologie des Ereignisses" oder "er
eignisbezogene Soziologie" nennen werde.
Aber dieses Unternehmen stößt gleich zu Anfang schon auf eine
große Schwierigkeit, weil für jenes Gebiet nur wenige Studien und
Monographien von unzweifelhaftem wissenschaftlichem Wert vorliegen.
Wenn das im Verlaufe dieser Arbeit zitierte Sdtrifl:tum nach Umfang
und Vielfalt der Themen auch eindrudtsvoll ist, so muß doch gesagt
werden, daß bei der Nutzung dieser Studien und Forsdtungen sehr vor
sichtig zu Werke gegangen werden muß, da sie von äußerst unterschied
lichem Werte sind. Immerhin darf festgestellt werden, daß diese Doku
mentation eine ernsthafte Annäherung an unsere Aufgabe zuläßt, vor
allem ein Herausarbeiten der Probleme und eine allgemeine Umschrei
bung der grundlegenden Prozesse. Ein solches Unterfangen ist - bei
allen Vorbehalten - heute möglich. Sein Hauptwert soll darin liegen,
eine undurchsidttige Situation aufzuhellen und diejenigen Stellen auf
zuzeigen, an denen morgen Studien und Forschungen anzusetzen haben.
9
B. Das soziale Bedürfnis nach Information
Aus einem rein persönlichen Bedürfnis, das auf die Neugierde und
die Interessen einer Einzelperson oder einer kleinen und eng begrenzten
Personengruppe beschränkt war, hat sich die Information in unserer
Zeit zu einem wahrhaft sozialen Bedürfnis entwickelt, das sich in
immer größeren Gemeinschaften und selbst in unorganisierten und
heterogenen Massen festgesetzt hat. Gebieterisch greift dieses Bedürfnis
auf immer zahlreichere Gebiete über. Nichts aus dem Naturgeschehen,
dem Menschen- und dem Gesellschaftsleben bleibt ihm fremd, und mit
dem gleichen, oft leidenschaftlichen Interesse nimmt es Nachrichten auf
über Vorgänge in der Diplomatie und Katastrophen in der Luft, über
Kriege, Entdeckungen der Wissenschaft, über menschliche Taten, tech
nische Erfindungen und vermischte Geschehnisse.
I. Grundlagen und Inhalt des Bedürfnisses
Dank wichtiger und beachtlicher technischer Hilfsmittel, die alle
darauf ausgerichtet sind, Bedürfnisse zu schaffen und zu entwickeln,
findet der Bericht über das Tagesgeschehen in der Gesellschaft seine er
giebigste und wirksamste Nahrung. Um auf diese aus der politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung entstandenen Bedürfnisse
reagieren zu können, organisiert sich die Tagesschau in immer größe
ren, immer feinfühligeren Unternehmungen und greift immer zahlrei
chere und unterschiedlichere Themen auf.
Die Komplexität des sozialen Mechanismus, die Banden gegensei
tiger Ergänzung und der Interdependenz, mögen sie nun nationaler
oder internationaler Natur sein, die Unsicherheiten und die Krisen,
die fortschreitende politische, wirtschaftliche und soziale Demokrati
sierung, der Verlust von Traditionen, das Werben für Kultur und
Erziehung, alles das und vieles andere noch schaffi, erhält und ver
stärkt heute das Verlangen nach Information über alle aktuellen Er
eignisse, weil man weiß oder ganz einfach annimmt, daß diese einen
direkten oder indirekten Einfluß auf die Menschen haben oder haben
können.
Das soziale Bedürfnis nach Information wirkt um so gebieterischer
und erfaßt um so breitere Gesellschaftsschichten, je komplizierter und
empfindsamer eine Gesellschaft ist. Wenn das Schicksal des Einzelnen
mehr als bisher vom Schicksal der Gesellschaft abhängt, wenn die poli
tische, wirtschaftliche und soziale Interdependenz stärker wird, das
BiIdungs- und Kulturniveau steigt, die nationale und die internatio
nale Bindung zunimmt, diejenige an bisherige Primärgruppen hingegen
nachläßt, dann sucht der im unpersönlichen Kollektiv von allen Seiten
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bedrohte, vereinsamte und dennoch mit bekannten oder unbekannten,
nahen oder fernen Mitmenschen irgendwie verbundene Mensch nicht
nur eine Waffe gegen Bedrohungen, sondern auch eine Rettung vor
Isolation und innerer Leere.
Für den modernen Menschen wird damit die Kenntnis des Gesche
hens in der weiten Welt zur Lebensnotwendigkeit. Es kommt für ihn
darauf an, sich eine Meinung über die Ereignisse zu bilden, sein per
sönliches oder das gemeinsame Leben danach einzurichten, nach Be
lieben Hilfsmaßnahmen ergreifen zu können, die sich nach den Situa
tionen als notwendig erweisen: Es kommt für ihn darauf an, das Beste
aus den ihn mehr oder weniger berührenden Umständen herauszuholen.
Es wird für ihn aber auch zur Lebensnotwendigkeit, sich wieder mit den
Menschen seiner engeren oder weiteren Umgebung, zu denen er bisher
keine warmherzigen menschlichen Beziehungen unterhalten durfte, zu
verbinden. Das Streben nach sozialer Neuanknüpfung oder Zugehö
rigkeit, bisweilen aber auch das Streben nach Distanzierung oder Lö
sung, findet in der so reichhaltigen und allumfassenden Information
einen Nährboden, dessen Reichtum und Vielfalt auch den Anspruch
vollsten zufriedenstellt.
Darüber hinaus besteht ein Bedürfnis nach Zerstreuung, und zwar
nicht nur aus Neugierde und zum Zeitvertreib, sondern zu Zwecken
der Ablenkung, besonders nach einer ermüdenden und unpersönlichen
Tagesarbeit. Der Mensch sucht nach Möglichkeiten zur Freizeitgestal
tung und wählt dabei hauptsächlich diejenigen, die ihm Entspannung,
Abkehr vom Frondienst, vom Zwang und von den Existenzsorgen bie
ten. Die Medien der Massenkommunikation und insbesondere der In
formationsdienst bieten ihm dank ihres großen Verbreitungsgebietes
und ihrer Vielfalt tausend Gelegenheiten zur Zerstreuung und zum
Vergessen.
Schließlich besteht noch die Notwendigkeit einer sozialen Psycho
therapie - wie Jean Stoetzel es nenntl - die sich in der Befreiung aus
der von der Gesellschaft errichteten sozialen Kontrolle durch eine auto
risierte Aktivität manifestiert. Die Menschen unserer Zeit haben Freude
am Skandal und an aufsehenerregenden Ereignissen. Findet sich doch
in solchen Berichten die Gelegenheit, "unbemerkt" tiefsitzende Instinkte
zu befreien, welche die Gesellschaft unbarmherzig zurückdrängt. Die
lokalen Nachrichten, die "blutrünstige", die Sensationsnachricht, sie
alle sind das Gebiet, auf dem sich das Bedürfnis nach Psychotherapie,
nach Befreiung und Befriedigung von Urinstinkten entwickeln kann,
die wegen ihrer unablässigen Unterdrückung sonst nur Frustration und
Seelenqualen erzeugen.
a
1 Stoetzel, ]., Fonctions de ia Presse: cote de i'information, in: Etudes
de Presse, Paris 1951, Bd. III, Nr. 1.
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