Table Of ContentInge Seiffge-Krenke
Psychotherapie und Entwicklungspsychologie
Beziehungen:
Herausforderungen
Ressourcen
Risiken
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
Inge Seiffge-Krenke
Psychotherapie und
Entwicklungspsychologie
Beziehungen:
Herausforderungen
Ressourcen
Risiken
Mit 93 Abbildungen und 7 Tabellen
Springer
Univ.-Prof. Dr.lnge Seiffge-Krenke
Johannes-Gutenberg-Universität
Psychologisches Institut
Staudingerweg 9
55099 Mainz
ISBN 978-3-662-09601-7 ISBN 978-3-662-09600-0 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-09600-0
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springer.de
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2004
Ursprünglich erschienen bei Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2004.
Softcover reprint of the hardcover I st edition 2004
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Planung: Renate Scheddin, Heidelberg
Desk Editing: Gisela Zech-Willenbacher, Heidelberg
Copy Editing: Renate Schulz, Heidelberg
Herstellung: ProEdit GmbH, Heidelberg
Umschlaggestaltung: deblik, Berlin
Satz: ArtVision, Sinsheim
Gedruckt auf säurefreiem Papier 26/3160Re 54321 0
Für
Dirk, David und Minnie
VII
Vorwort: Das Anliegen dieses Buches
Entwicklungspsychologie und Psychotherapie, speziell die analytische bzw. tiefenpsycho
logisch fundierte Psychotherapie, haben lange Zeit ein Dasein als "feindliche Schwestern"
geführt. Trotz offenkundiger Berührungspunkte wurde wenig Bezug auf einander genom
men. Dabei ist eine entwicklungspsychologische Perspektive in Behandlungen dringend
erforderlich, markiert sie doch die "baseline", vor der bestimmte pathologische Verände
rungen überhaupt erst verständlich und sichtbar werden. Grundwissen über psychologi
sche Prozesse, über die Veränderungen psychologischer Funktionen wie Beziehungsent
wicklung, Emotionsregulierung und Bewältigung sind nicht nur hilfreich im Verstehen
der Dynamik in Psychotherapien, sie ermöglichen auch eine adäquate Einschätzung von
Veränderungen, die sich in der psychotherapeutischen Behandlung vollziehen. Aber auch
die Entwicklungspsychologie kann Erkenntnisse aus psychotherapeutischen Behandlun
gen nutzen, um zu einem besseren Verständnis von Entwicklungsprozessen zu gelangen.
In der Tat gibt es einen fließenden Übergang zwischen Normalität und Pathologe, sind in
allen Beziehungskontexten und Entwicklungsprozessen sowohl Risikofaktoren als auch
Schutzfaktoren zu beobachten.
Es ist also dringend notwendig, eine Integration zu leisten. Dies ist ein wesentliches
Anliegen dieses Buches. Die Integration soll durch eine spezifische Auswahl und Prä
sentation von Theorien, Ergebnissen und Befunden aus der Entwicklungspsychologie
llnd der Psychotherapie geschehen. Die analytische bzw. tiefenpsychologisch fundierte
Psychotherapie wurde für dieses Anliegen ausgewählt, weil sie mir als Psychoanalytikerin
[lahe liegt, vor allem aber, weil sie eine eindeutige Entwicklungskonzeption hat, die aller
:lings, wie ~ Kap. 1 noch zeigen wird, auf einem verkürzten Verständnis von Entwicklung
)asiert. Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, die Entwicklungspsychologie und
~ie analytisch orientierte Psychotherapie integrieren zu wollen. Eine Integration kann nur
msschnittsweise erfolgen und - dies ist ein weiteres Anliegen dieses Buches - muss sich
III den Erfordernissen und Erfahrungen von praktisch tätigen Psychologen und Psycho
:herapeuten orientieren.
Grundlage des Buches ist meine Vorlesung Entwicklungsprozesse und fördernde Um
Nelt, die ich 2003 auf den 23. Lindauer Psychotherapie-Wochen gehalten habe. aus der ich
!ine spezielle Selektion vorgenommen habe, die für diese Zwecke angemessen erscheint
llld die vor allem wesentliche Skotome aufgreift.
Die einzelnen Kapitel beschäftigen sich mit zahlreichen in der Forschung, aber auch
.n der Psychotherapie eher übersehenen Perspektiven, z. B. dass Freunde und romantische
)artner echte "Entwicklungshelfer" sind, dass sie gemeinsam Agenten, Produzenten ihrer
~ntwicklung sind (~Kap. 5). Eine Zentrierung auf die Eltern, oder genauer: auf die Mutter,
llso eine vertikale Sichtweise, beherrschte nicht nur lange Zeit die entwicklungspsycho
ogische Forschung, die horizontale Perspektive ist auch in Psychotherapien selten im
3lickpunkt. Winnicott (196512002), dessen Arbeiten vor allem für die ersten Kapitel die
;es Buches herangezogen wurden, steht stellvertretend für viele Psychoanalytiker, die in
hren Konzeptionen unsere Sicht der frühen Beziehungen bereicherten, aber offenkundig
,einen Blick dafür hatten, dass zu diesen Beziehungen mehr als nur die Mutter gehört. Der
VIII Vorwort
Beziehungsraum ist von Beginn an sehr komplex, und die Einflüsse, Entwicklungsimpulse
und Ressourcen durch andere nahe Personen werden enorm unterschätzt. Dies gilt nicht
nur für Geschwisterbeziehungen, auf die wir in ~ Kap. 8 gesondert eingehen, dies gilt auch
für die Bedeutung von Freunden und romantischen Partnern.
Innerhalb der Familienbeziehungen gibt es allerdings weitere Skotome: Dass patholo
gische Väter in psychotherapeutischen Behandlungen besonders Thema sind, liegt auf der
Hand. Aber was wissen wir über normale Vater-Kind-Beziehungen? ~ Kapitel? verdeutlicht
die distinktive Bedeutung von Vätern im Vergleich zu Müttern und zeigt auf, welchen
wichtigen Beitrag Väter zur Entwicklung von Autonomie und Geschlechtsidentität leis
ten. Zu wenig beachtet wurde auch, dass die Familienentwicklung ein Prozess ist, der in
einzelnen Phasen, besonders zu Beginn der Elternschaft, wenn aus Paaren Eltern werden,
und nach dem Auszug der Kinder aus dem Elternhaus, besondere Herausforderungen und
Belastungen mit sich bringt und eine immer neue Abstimmung in den Subsystemen "El
tern" und "Kinder", aber auch eine Neudefinition von Beziehungen zwischen Beziehungen
verlangt (~Kap. 6). Mütter klagen während dieser hoch belasteten Phasen der Familienent
wicklung vermehrt über psychische und körperliche Symptome, sind jedoch auch dieje
nigen, die verstärkt die Initiative ergreifen, um eine nicht mehr angeme'ssene eheliche Be
ziehung aufzulösen. Die enorme Bedeutung der frühen Eltern -Kind -Beziehungen wird vor
allem in ~ Kap. 3 herausgearbeitet, das sich mit der Bindungsforschung und den langfris
tigen Auswirkungen sicherer und unsicherer Bindungsmuster beschäftigt. Aber auch in
~ Kap. 2, in dem unter Extrembedingungen aufgewachsene Kinder beschrieben werden, ist
offenkundig, welchen zentralen Stellenwert die haltende und beschützende Mutter hat.
Zu den Prozessen, die zunächst in der Familie und dann mit dem Alter zunehmend
vor allem in Freundschafts-und Partnerbeziehungen gelernt werden, zählen Fertigkeiten
in der Emotionsregulierung und im Umgang mit Konflikten, die zeigen, dass echte Bezie
hungsarbeit geleistet wird, die die Beziehungen auf ein höheres Niveau bringen. Wichtige
Beziehungspartner helfen nicht nur bei der Konturierung der eigenen Identität, des Selbst
und des Körperkonzepts. Kinder, Jugendliche und Erwachsene verfügen auch über eigene
Ressourcen, um ihre Entwicklung voranzubringen (~Kap. 4). In diesem Zusammenhang
werden wir auf Kreativität, Schreiben, Malen, Lesen und die Konstruktion von Phantasie
gefährten und anderen hilfreichen Phantasien eingehen.
In diesem Buch wird als Konzeption von Entwicklung eine Lebensspannen-Konzep
tion vertreten, die Entwicklung und Veränderung über die gesamte Lebensspanne be
schreibt. Diese Perspektive hat in der Psychotherapie noch nicht so recht Einzug gehalten,
wie an einer Zusammenschau der verschiedenen psychoanalytischen Entwicklungskon
zeptionen deutlich wird (~Kap.1). Im Sinne von Lerner u. Busch-Rossnagels Individuals as
producers oftheir own development (1981) wird dem Individuum in diesem Buch wesent
liche Aktivität bei der Gestaltung seines Lebens, seiner Beziehungen zuerkannt. Dass dies
eine Entwicklung im Beziehungskontext ist, wird in allen Kapiteln eindrücklich deutlich.
~ Kapitel 9 integriert die verschiedenen Ansätze und Befunde unter der Perspektive der Res
sourcenorientierung, die in der Entwicklungspsychologie bei der Auseinandersetzung mit
normalen und gestörten Entwicklungsprozessen wichtig ist, jedoch in der Psychotherapie
noch zu wenig beachtet wird.
Mir bleibt zum Schluss, mich bei Renate Scheddin vom Springer-Verlag für die angenehme
Zusammenarbeit zu bedanken. Stefan Beher und Carlosh von Irmer haben bei der Überar-
IX
Vorwort
beitung der Abbildungen geholfen. Carola Kirchheim hat mich bei der Umbruchkorrektur
unterstützt. Auch ihnen sei herzlich gedankt. Ein ganz besonderes Dankeschön geht an
meine Familie, die in allen Phasen des Schreibens eine humorvolle "holding function" dar
stellte, und besonders an meinen Sohn Moritz, der mir bei der Zusammenstellung einer
formal einheitlichen Endfassung half.
Inge Seiffge-Krenke
Mainz, im März 2004
XI
Inhaltsverzeichnis
1 Entwicklungspsychologie 3·3 Antwortlächeln und Fremdeln .... 67
und Psychotherapie: 3·4 Bindungsentwicklung in der Kindheit
Zwei "feindliche Schwestern"? ... 1 und im Erwachsenenalter ......... 71
1.1 Berührungspunkte in den Anfängen .. 2 3·5 Stabilität und transgenerationale
1.2 Erste Annäherungen: Weitergabe von Bindungsmustern ... 77
Freuds Beitrag zur 3.6 Das "Bindungsloch"
Entwicklungspsychologie .......... 4 in der Adoleszenz ............... 78
1.3 Vorstellungen über die Entwicklung 3·7 Mütterliche Feinfühligkeit
in der frühesten Kindheit: und "schwierige" Babys .......... 81
Von Freud zu Mahler ............ 5 3·8 Effekte von Bindungssicherheit:
1.4 Veränderungen in der psycho- Mentalisierung
analytischen Entwicklungstheorie und Emotionskontrolle ........... 83
über die Zeit ................... 14 3·9 Bindung und Psychopathologie .... 89
1.5 Psychoanalyse und Zusammenfassung .............. 92
Entwicklungspsychologie . . . . 18
1.6 Unterschiede in den Konzepten: 4 Phantasien, Symbolisierungen
Vom rekonstruierten zum und Kreativität als Ressourcen ... 93
kompetenten Säugling .......... 21 4·1 Symbole und Phantasien
1.7 Integrative Ansätze ............. 24 in der Psychoanalyse ............ 94
Zusammenfassung ............. 25 4·2 Phantasie und Aggression ........ 96
4·3 Entwicklungspsychologische
2 Wenn die fördernde Grundlagen: Phantasie, Spiel
Umwelt ausfällt ................ 27 und Kreativität ................ 98
2.1 Winnicotts Beitrag zum Verständnis 4·4 Trauma, Verlust und Phantasie .... 100
früher Beziehungsentwicklung ..... 28 4·5 Hilfreiche und
2.2 Wilde Kinder oder Wolfskinder .... 30 tröstliche Phantasien ............ 104
2·3 Verbrechen an der Seele: 4·6 Kreative Tätigkeiten:
Kaspar Hauser ................. 31 Malen und Schreiben ............ 109
2·4 Viktor von Aveyron ............. 35 4·7 Theoretische Weiterentwicklungen:
2·5 Extreme Entwicklungsbedingungen: Übergangsraum und
Kinder in Heimen ............... 37 Übergangsobjekt ................ 115
2.6 Kinder depressiver Mütter ....... 42 4·8 "Das Chaos ordnen":
2·7 Elternverlust durch Tod ......... 46 Die Bedeutung von Märchen ...... 117
2.8 Frühe Verluste in Psychotherapien: 4·9 Umsetzung im therapeutischen Raum:
"Das zerbrochene Herz" ......... 49 Der Übergangsraum des Vorlesens .. 118
Zusammenfassung ............. 53 Zusammenfassung .............. 120
3 Bindungsentwicklung ........... 55 5 Freunde und romantische Partner
Von Winnicott zur Bindungstheorie .. 56 als "Entwicklungshelfer" ......... 121
J.1
3·2 Noch einmal: 5.1 Warum werden Freunde
Der kompetente Säugling ......... 64 zunehmend bedeutsamer? ........ 122