Table Of ContentMartin Lengwiler
Praxisbuch Geschichte
Einführung in die historischen Methoden
orell füssli Verlag AG I
•
Martin Lengwiler (1965) ist Professor nir Neuere allgerneine Ge
schichte am Historischen Seminar der Universität Basel und
forscht zu Aspekten der Europäischen Geschichte des 19. und
20. Jahrhunderts.
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© 2011 Orell Füssli Verlag AG, Zürich
www.ofv.ch
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Umschlaggestaltung: Atelier Rückert, Stuttgart
Umschlagillustration: Bau der mittleren neuen Rheinbrücke, Basel (1903),
Signatur AL 45, 1-45-2, Staatsarchiv Basel
Druck: fgb • freiburger graphische betriebe, Freiburg
ISBN 978-3-8252-3393-8
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet über http:/I dnb.d-nb.de abrufbar.
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Inhalt
Vorwort ......................................... 7
Einleitung: Weshalb eine Einführung in die historischen
Methoden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
I. Konzeptphase
1. Jenseits des Archivkults: Suchstrategien im Archiv. . 28
2. Fallstudie oder Stichprobe? Regeln der historischen
Kasuistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
II. Recherchen und Analyse
3. Im Schatten des Historismus: Die Quellenkritik
und ihre Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 6
4. Stimmen der Vergangenheit: Oral History als
Zugang zu münrllichen Quellen . . . . . . . . . . . . . . 102
5. Ein Bild sagt mehr ... : Visual History und
historische Bildanalyse ...................... 130
6. Zahlen als Argument: Quantifizierende Methoden
in der historischen Forschung ................ 153
7. Typisieren und vergleichen: Ansätze der
historischen Komparatistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
8. Streit um Jahreszahlen: Sinn und Unsinn
historischer Periodisierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . 205
lll. Schreiben und Präsentieren
9. Der Weg zum Text: Schreiben, Präsentieren,
Publizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
10. E-History: Historische Methoden im
digitalen Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
6 PraxisbuCh Gesc~ichte
Anhang
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
Bibliografie (nach Kapiteln) . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
Abbildungsverzeichnis ...................... 287
Register ................................ 289
7
Vorwort
Die Geschichtswissenschaften sind ein methodisch und theore
tisch ziemlich undiszipliniertes Fach. Sie frönen einem ungezügel
ten Methoden- und Theorienpluralismus, bedienen diesen mit
ausgiebigen Streifzügen durch die sozial-und geisteswissenschaft
lichen NachbarÜicher und besitzen zudem einen Hang zum going
native, indem sie konzeptuelle Fragen gerne von den Begebenhei
ten der Empirie abhängig machen. Dies sind keine guten Vorzei
chen für eine EinfUhrung in die historische Methodenlehre.
Trotzdem schien mir der Versuch, ein Lehrbuch ausschließ
lich methodologischen Fragen zu widmen, lohnenswert. Denn
die historische Methodenlehre hat sich in den !erzten Jahren sehr
dynamisch entwickelt. Die Geschichte ist heute nicht mehr nur
das Fach der Quellenkritik und der I<.Jiometrie, sondern blickt
auf einen breiten Fächer unterschiedlichster methodischer Zu
gänge. Trotzdem kann und will dieses Buch keinen Methodenka
non vermitteln. Dafür sind viele Debatten, erwa im Bereich der
medienanalytischen Ansätze, noch zu jung und die Erkenntnisse
zu unsicher. Das Buch versteht sich vielmehr als Zwischenbilanz
einer sich hoffentlich weiter entwickelnden Diskussion.
Ohne die Hilfe zahlreicher Kolleginn~n und Kollegen hätte
ich dieses Unternehmen kaum so weit gebracht. An erster Stelle
möchte ich den Studierenden der Universität Basel danken, die
im Herbst 2009 meine Vorlesung zur historischen Methoden
lehre besuchten und mit ihren kritischen Rückfragen und An
merkungen manch wichtigen Gedankengang zum Manuskript
beitrugen. Für inhaltliche Kritik und Ratschläge zu Vorfassungen
einzelner Kapitel danke ich weiter Heinrich Hartmann, Lucas
Burkart, Christof Dejung, Peter Haber, Urs Lengwiler, Barbara
8 Praxisbuch Gesctiichte
Lüthi, Sibylle Reichenbach und Tobias S. Suter, der auch half, das
Literaturverzeichnis und das Register zusammenzustellen. Zu
danken ist schließlich dem Orell Füssli Verlag, insbeso11dere
Madlaina Bundi für die Idee eines gemeinsamen Projekts, und
Heinrich M. Zweifel, der die Arbeiten am Buch mit fachkundi
gem Rat und der notwendigen Geduld höchst professionell be
gleitete.
Martin Lengwiler
Basel, im September 2010
;;
Einführung [n die histOrischen Methoden 9
Einleitung: Weshalb eine Einführung in
die historischen Methoden'?
Wer Geschichte studiert, weiß, dass es nicht einfach ist, sich im
Wald der akademischen Einführungsliteratur zurechtzufinden.
Angehende Historikerinnen und Historiker finden auf dem Bü
chermarkt zahlreiche Titel, um sich ftirs Studium mit dem Fach
vertraut zu machen: Einführungen in die Theorien der Geschichts
wissenschaft, in die Klassiker der Geschichtsschreibung, in die
wissenschaftlichen Arbeitstechniken oder in die Geschichte einer
Nation oder einer Epoche. Angesichts dieses komfortablen Ange
bots ist die Frage berechtigt: Weshalb nun auch noch eine Ein
führung in die historischen Methoden?
Bei genanerem Hinsehen zeigt sich, dass die vermeintliche
Fülle an Titeln durchaus nicht alle Themen gleich gut abdeckt.
Gut vertreten sind Einführungen zu den Theorien oder Klassi
kern der Geschichtswissenschaft (vgl. die kommentierten Litera
turhinweise am Schluss dieses Kapitels). Dagegen werden die
historischen Methoden und Forschungstechniken oft gar nicht oder
nur marginal, als Anhängsel der Geschichtstheorien, behandelt.
Ein Buch über die historische Methodenlehre füllt also eine Lü
cke. Und weil sich das vorliegende Praxisbuch Geschichte aus
schließlich geschichtswissenschaftliehen Methoden widmet,
kann das Thema vertiefter behandelt werden als in Einführun
gen, die methodische Fragen anf ein Nebengleis abschieben.
Böse Zungen werden behaupten, die Lücke in der Einfüh
rungsliteratur sei völlig berechtigt. Denn strenggenommen könne
die Geschichtswissenschaft nur einen einzigen methodischen An
satz, die Quellenkritik, ihr Eigen nennen. Darüber eine ganze
Monografie zu verfassen wäre in der Tat überflüssig, das Thema
' 10 '' PraX'isbuch Geschkh~e
ließe sich in einem Einzelkapitel abhandeln. Dieser Einwand mag
ftir die Geschichtswissenschaftendes 19. Jahrhunderts berechtigt
sein; für die neuere Fachgeschichte ist er jedoch verfehlt. Im
20.Jahrhunderr hat sich die Geschichte in vielfaltiger Weise von
sozial- und kulturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen inspirie
ren lassen und dabei ein breites Instrumentarium an Methoden
und Theorien entwid<elt. Der zunehmende Methodenpluralis
mns verdankr sich insbesondere der Erschließung neuer Quellen
gattungen, die jeweils auch nach angemessenen Zugängen ver
langten. Um mit quantitativen Daten umzugehen, behalf sich die
Geschichte bei statistischen Methoden, für mündliche Quellen
wurde das Instrumentarium der Oral History, für Bildquellen das
der Visual History entwickelt. Das Resultat manifestiert sich im
Umfang dieses Buchs. In seinen ze,hn Kapiteln behandelt es ebenso
viele geschichtswissenschafi:liche,Methoden- und dies ohne An
spruch aufVollständigkeit.
Was ist eine histori Was ist unter dem Begriff der historischen Methodenlehre zu
sche Methode? verstehen? Verkürzt gesagt, steht eine historische Methode für eine
Arbeitstechnik, die für die Geschichtswissenschaften typisch ist
und durch die sie sich von anderen Disziplinen unterscheidet (ftir
eine ausführlichere Definition vgl. Verhältnis von Methoden und
Theorien, S. 19). Die historische Methodologie ist denlfiach die
Lehre der historiegrafischen Arbeits- und Forschungsrechniken.
Dass die Methodenlehre im geschichtswissenschaftliehen
Diskurs so lange vernachlässigt wurde, liegt in der Geschichte des
Fachs begründet. Noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts war die
gemeinsame Methode, die erwähnte Quellenkritik, von entschei
dender Bedeutung für das Selbstverständnis der Geschichtswis
senschaften. Seither haben methodische Fragen ihre Bedeutung
für die Fachidentität stark eingebüßt. Stattdessen geht das heu
tige Selbstbild der Geschichte weitgehend von theoretischen An
sätzen aus. Wer ein historisches Forschungsprojekt angeht, stellt
sich in der Regel zunächst die Frage nach dern theoretischen An
satz und erst davon abgeleitet jene des methodischen Zugangs.
'11
Entsprechend gründen wichtige Innovationen in der aktuellen
Forschung meist auf theoretischen Paradigmenwechseln.
Methodologische Debatten sind zwar nicht aus den Ge Delegation der
schichtswissenschaften verschwunden, sie wurden aber seit detn Methodenlehre an
die Hi!fswissen~
19. Jahrhundert weitgehend an die sogenannten historischen
schatten
Hi/fiwissenschaften delegiert.1 Unter diesem Dach versammelte
sich ein breites Feld methodischer Ansätze, etwa die Lehre alter
Schriften (Paläografie) oder die Urkundenlehre, die sich mit der
Entstehung, Überlieferung und Authentizität von Urkunden be
schäftigte.
So wichtig die Hilfswissenschaften in der Forschungspraxis
auch waren, ihr Renommee blieb doch zweitrangig. Die Bezeich
nung spricht für sich: Die Historie wies den Hilfswissenschaften
den Status von Gehilfinnen zu, mehr nicht. Es war deshalb folge
richtig, dass sie seit Mitte des 19. Jahrhunderts an den Universi
täten zwar gelehrt wurden, aber institutionell schlecht verankert
waren. Nur wenige historische Lehrstühle widmeten sich der
hilfswissenschaftliehen Forschung. Das Fach wurde im Gegenteil
von den Archivwissenschaften adoptiert, teilweise sogar von en
gagierten Laien betrieben. Schließlich wurden sie gar innerhalb
der Archivistik marginalisiert. Diese beschäftigte sich in den letz
ten Jahren zunehmend mit den Folgen des digitalen Zeitalters,
etwa der elektronischen Archivierung und der Digitalisierung
von Archivbeständen. Die klassischen Hilfswissenschaften verlo
ren weiter an Beachtung. Nach ihrer Blütezeit im 19. Jahrhun
dert trugen sie nur noch beschränkt zur Entwicklung der Ge
schichtswissenschaften bei.
Erst in jüngster Zeit zeichnet sich unter dem Dach der Me
diengeschichte eine Renaissance hilfswissenschaftlicher Frage
stellungen ab. Im Rahmen dieses neuen Forschungszweigs, der
Für die folgenden Ausführungen vgl.: Vogtherr, Thomas, Einführende Bemerkun
gen, in: Diederich, Toni, Oepen, Joachim (Hg.), Historische Hilfswissenschaften,
Stand und Perspektiven der Forschung, Köln: Böhlau, 2005, 5. Sf.
12 PraxisQuch Geschichte
sich mir der Medialität historischer Quellen und Epochen be
schäftigt, erhalten die quellenbezogenen Qualifikationen der
Hilfswissenschaften eine neue Bedeutung. Trotz diesen neusten
Entwicldungen bleibt die Methodenlehre insgesamt in den Ge
schichtswissenschaften bis heute ein Randthema. Dies.übrigens
ganz im Gegensatz zu den Sozialwissenschaften, deren Fächer,
etwa die Soziologie oder die Politikwissenschaften, einen großen
Wert auf Methodenkenntnisse legen und über eine entsprechend
reichhaltige Einführungsliteratur verfügen.
Anspruch und Inhalt des Praxisbuchs Geschichte
Das Praxisbuch Geschichte verfolgt einen doppelten Anspruch.
Auf der einen Seite wird anschaulich und praxisorientiert erldärt,
wie die dargestellten Methoden iiJil geschichtswissenschaftliehen
Arbeitsalltag zu nutzen sind. Auf der anderen Seite werden die
Arbeitstechniken auch in die breitere Fachgeschichte eingebettet.
Beleuchter wird, wie die einzelnen Methoden entstanden sind,
über welches analytische Potential sie verfügen und wo ihre Gren
zen liegen. Die einzelnen Kapitel sind deshalb meist zweigeteilt.
Der erste Teil ist historisch angelegt und schildert die Entstehung
und Ausbreitung der dargestellten Methode. Dabei kommen oft
auch erkenntnistheoretische Überlegungen, etwa zum analyti
schen Nutzen der Ansätze, zur Sprache. Der zweite Teil erläutert,
wie die Methode im Forschungsalltag zu verwenden ist. Jedes
Kapitel endet mit einigen weiterführenden, kommentierten Lite
raturhinweisen.
An sich besitzen die geschichtswissenschaftliehen Epochen
schwerpunkte auch ihr je eigenes methodisches Profil. Archäolo
gische Zugänge etwa spielen für die Geschichte des Altertums
eine wichtige Rolle, fiir die Neuzeit dagegen kaum. Umgekehrt
finden mündliche Quellen - und damit die Oral History - vor
allem in der Zeitgeschichte Verwendung. Die meisten Methoden
sind jedoch nicht an einen bestimmten Untersuchungszeitraum
gebunden. Das Praxisbuch versteht sich deshalb als eine epochen-