Table Of ContentAnalysen 79
Nikolaus Werz Hrs.
Populismus
Populisten in Übersee und Europa
Nikolaus Werz (Hrsg.)
Populismus
Analysen
Politik - Gesellschaft - Wirtschaft
Eine Buchreihe
herausgegeben von
Klaus Schubert und Göttrik Wewer
Band 79
Nikolaus Werz (Hrsg.)
Populismus
Populisten in Übersee und Buropa
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2003
Der Herausgeber:
Dr. Nikolaus Werz, Professor ftir Politikwissenschaft, Universität Rostock
Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier.
Die Deutsche Bibliothek~ CIP-Einheitsaufnahme
ISBN 978-3-8100-3727-5 ISBN 978-3-663-11110-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-11110-8
© 2003 Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 2003
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Inhalt
Nikolaus Werz
Einleitung: Populismus und Populisten ........................................................... 7
Populismus in Geschichte und Gegenwart
Hans-Jürgen Puhle
Zwischen Protest und Politikstil:
Populismus, Neo-Populismus und Demokratie .............................................. 15
Popolisten in Übersee
Nikolaus Werz
Alte und neue Populisten in Lateinamerika .................................................. .45
JakobRösel
Populistische Politik in Indien ....................................................................... 65
Popolisten in Europa
Jochen Schmidt
Der Front national und Jean-Marie Le Pen .................................................... 89
Lothar Probst
Jörg Haider und die FPÖ:
Anmerkungen zum Rechtspopulismus in Österreich .................................... 113
5
Jörn Pissowotzki
Der Populist Silvio Berlusconi ..................................................................... l27
Hans Jörg Hennecke
Das Salz in den Wunden der Konkordanz:
Christoph Bioeher und die Schweizer Politik .............................................. 145
Zbigniew Wilkiewicz
Populismus in Polen:
Das Beispiel der Samoobrona unter Andrzej Lepper. .................................. l63
Paul Lucardie
Populismus im Polder:
Von der Bauernpartei bis zur Liste Pim F ortuyn ......................................... 177
Einhart Lorenz
Rechtspopulismus in Norwegen:
Carl Ivar Hagen und die Fortschrittspartei ................................................... 195
Populistischer Stil und Populismus in der
Bundesrepublik Deutschland
Karl-Rudolf Karte
Populismus als Regierungsstil. ..................................................................... 209
Frank Decker
Rechtspopulismus in der Bundesrepublik Deutschland:
Die Schill-Partei ........................................................................................... 223
Ulrich Eith
Die Republikaner in Baden-Württemberg:
Mehr als nur populistischer Protest... ........................................................... 243
Viola Neu
Die PDS: Eine populistische Partei? ............................................................ 263
Die Autoren ................................................................................................. 279
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Nikolaus Werz
Einleitung: Populismus und Populisten
Ein Gespenst geht um die Welt - Populismus. So beginnt ein Sammelband
aus dem Jahr 1969. Und weiter: Während viele im Zuge der Entkolonialisie
rung der 1950er Jahre annahmen, dass etliche Länder kommunistisch würden,
bestünde eher die Aussicht, dass sie und sogar einige kommunistische Staaten
sich zum Populismus entwickeln könnten.1 Das Gespenst des Populismus2 -
dieser oder ähnliche Sätze tauchen in regelmäßigen Abständen auf. So war es
in der westeuropäischen und deutschen Politik in den 80er Jahren, als sich
nach der partizipatorischen Welle der 60/70er Jahre Wahlerfolge einzelner
rechtspopulistischer Politiker einstellten. Das Interesse am Populismus blieb -
wie diese politischen Erscheinungen selbst - transitorischer, d.h. vo
rübergehender Natur, einzelne wissenschaftliche Veröffentlichungen wiesen
allerdings auf die Bedeutungsvielfalt dieser Phänomene hin.3
"Ein Gespenst geht um in Europa: Der Rechtspopulismus",4 so heißt es
zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor allem im deutschsprachigen Raum. Denn
im westeuropäischen Kontext sind diese seit Mitte der 80er Jahre aufgekom
menen Bewegungen und Personen vorwiegend dem rechten und einige sogar
dem rechtsradikalen Lager zuzuordnen. 5 Gängige Meinung war es zumindest
fiir Europa, dass durch ein größeres Maß an Aufklärung und politischer Bil
dung der Populismus überwunden werden könne. Dabei ist der Populismus
kein neues Phänomen: Im Zuge der Modemisierung und verbreiteter Kritik an
den Parteien sind immer wieder populistische Bewegungen und Politiker auf
getaucht. Während in West- und Osteuropa aktuell eher Formen des Rechts-
Ghita Ionescu/Ernest Gellner (Hgg.), Populism. lts Meanings and National Characteristics,
London 1969, S. I. Die meisten Beiträge des Bandes laufen auf eine liberale Kritik am
Populismus hinaus.
2 Helmut Dubiel, Das Gespenst des Populismus, in: Ders. (Hg.), Populismus und Aufklä
rung, Frankfurt 1986, S. 33-50.
3 Zum Beispiel: Margret Canovan, Populism, New York 1981.
4 Michael Jungwirth, Rebellen und Rattenfanger, in: Ders. (Hg.), Haider, Le Pen & Co.
Europas Rechtspopulisten, Graz 2002, S. 7. Die umfassensie politikwissenschaftliche Ana
lyse mit dem Schwerpunkt auf Europa ist derzeit: Frank Decker, Parteien unter Druck: Der
neue Rechtspopulismus in den westlichen Demokratien, Opladen 2000.
5 Hans-Georg Betz, Radical Right-wing Populism in Europe, New York 1994 und ders.,
Rechtspopulismus: Ein internationaler Trend, in: APuZ 48 (1998) B9-IO, S. 3-12.
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populismus vorherrschen, lässt sich in Nord- und Südamerika sowie in Teilen
der sog. Dritten Welt ein Populismus feststellen, der auf widersprüchliche
Weise linke wie rechte Erscheinungsformen verbindet. In Lateinamerika
galten populistische Führer und Präsidenten als Akteure im Entwicklungspro
zess von traditionellen zu modernen Gesellschaften. Mit zunehmender Mo
dernisierung und Industrialisierung - so die optimistische Annahme - würden
Populisten und Demagogen verschwinden. Die politische Wirklichkeit hat
sich nicht an das Drehbuch der modernisierungstheoretischen Ansätze gehal
ten. Nach der Re-Demokratisierung tauchten in den späten 80er Jahren in ver
schiedenen Ländern Anti-Politiker und Neopopulisten auf, von denen einzel
ne aus dem Militär kamen. Anfang 2003 regieren in Caracas und Quito Popu
listen, die in freien Wahlen an die Regierung gelangten und deren Machtaus
übung in Venezuela zu starken Protesten gefiihrt hat.6 Neben dem historischen
ist auch von einem neuen bzw. einem Neopopulismus die Rede, dessen Auf
kommen u.a. mit der wachsenden Bedeutung von privaten Massenmedien
sowie einer zunehmenden Fragmentierung von Gesellschaften in Verbindung
gebracht wird.
Während Populisten in anderen Weltregionen beinahe zur Normalität ge
hören, ruft ihr Erscheinen in Europa Kontroversen hervor. Nachdem in den
80er Jahren Rechtspopulisten in Frankreich Erfolge erringen konnten (Le
Pen), gelangte 1994 mit Silvio Berlusconi sogar ein Populist an die Regierung
eines wichtigen Landes der Europäischen Union (EU). Die Regierungsbetei
ligung der Österreichischen FPÖ im Jahr 2000 fiihrte nach Sanktionen zu
innen- und außenpolitischen Kontroversen zwischen europäischen Staaten. In
Deutschland gewann das Thema durch das Protestwählerpotenzial bei den
Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt 1998 und Brandenburg 2001, die Regie
rungsbeteiligung der Schill-Partei in Harnburg 2001 und im Zuge der Bildung
der rot-roten Koalition 2002 in Berlin an Aktualität.
Das Erkenntnisinteresse des Bandes lässt sich folgendermaßen beschrei
ben. Angesichts der neueren Erfolge von Populisten in einigen europäischen
und lateinamerikanischen Ländern soll nach Erklärungsversuchen, den Wir
kungen und der Dauerhaftigkeit dieser Phänomene gefragt werden: Gibt es
unterschiedliche Perioden des Populismus? Besteht zwischen dem Aufstieg
von populistischen Politikern eine Beziehung? Befindet sich der Populismus
auch in Westeuropa auf dem Vormarsch? Aufwelche Defizite kann sein Er
scheinen hinweisen? Und schließlich: Weiche "Leistungen" können Populis
ten überhaupt vorweisen?
6 Vgl. dazu: Das populistische Gespenst Lateinamerikas, in: NZZ, 18.1.2003.
8
Populismus: Die Schwierigkeiten einer Definition
Obwohl es viele Hinweise darauf gibt, dass es Populisten bzw. einen populis
tischen Stil schon lange gegeben hat, erscheint der Terminus relativ spät in
den Lexika. Im "Brockhaus" von 1998 heißt es dazu: "Populismus [zu lat.
populus >Volk<] der,-, 1) allg.: Opportunist., oft demagog. Politik, die darauf
gerichtet ist, durch Dramatisierung der polit. Lage die Zustimmung der Mas
sen zu gewinnen ... "7• In ausländischen Lexika taucht der Begriff nur unwe
sentlich früher auf.
Fachlexika der Politikwissenschaft enthalten präzisere Definitionen, die
indessen nicht immer mit dem umgangssprachlichen Gebrauch des Begriffes
Populismus übereinstimmen. So wird auf die Ambivalenz und das Doppelge
sicht des Populismus hingewiesen: "1. Populistisch nennt man klassenüber
greifende Protest- und Verweigerungsbewegungen von ,unten', die an das
,Volk' appellieren und sich selbst auch als ,Volk' verstehen." Gemeint sind
hier die historischen Vorläufer in der Farmerbewegung der USA und die
narodniki in Russland bis hin zu Protestbewegungen der Gegenwart. "II.
Populistisch nennt man auch die Versuche von Teilen der herrschenden poli
tischen Elite, das unaufgeklärte Bewusstsein des "kleinen Mannes" zum Zwe
cke der Machterhaltung zu missbrauchen."8 Auch wenn in allen neueren Fach
lexika Definitionsversuche enthalten sind,9 so tut sich die Politikwissenschaft
doch schwer mit dem Terminus. Denn der Populismus weist sowohl in den
einzelnen Ländern, unter regionalen Gesichtspunkten und im jeweiligen histo
rischen Kontext deutliche Unterschiede auf.10 Hinzu kommt die spezielle
Erscheinungsform: Denn während die traditionelle Politikwissenschaft von
Texten, Institutionen und formalen Akteuren ausging, setzen Populisten auf
Bewegungen und kultivieren darüber hinaus einen Anti-Intellektualismus.
Gesten, Stile, Symbole spielen eine größere Rolle als Programme und klare
Defmitionen. Anti-Haltungen, Stimmungen und Mobilisierungen sind wichti
ger als die Übernahme von politischer Verantwortung. 11
7 Brockhaus. Die Enzyklopädie, 20. überarb. und akt. Autl, Leipzig/Mannheim 1998, Bd.
17, S. 356. In "Der Große Brockhaus" (1956) und "Brockhaus Enzyklopädie" (1972) war
Populismus nur mit dem Verweis auf die französische literarische Bewegung enthalten.
8 Hanno Drechsler/Wolfgang Hilligen/Franz Neumann (Hgg.), Gesellschaft und Staat. Lexi
kon der Politik, München 19928, S. 647f.
9 In englisch- und spanischsprachigen Nachschlagewerken sind die Ausführungen zum
"Populismus" umfangreicher als in deutschsprachigen Ausgaben. Vgl. etwa: Populism, in:
The Encyclopedia ofDemocracy, London 1995, Bd. 3, S. 985-989.
10 Vgl. dazu: Pierre-Andre Taguieff, Political Science Confronts Populism: From a Concep
tual Mirage to a Real Problem, in: Telos (1995) 103, S. 9-44. Ferner: Ders., L'Illusion Po
puliste. De l'archalque au mediatique, Paris 2002.
II Jose Alvarez Junco, El populismo como problema, in: Ders./Ricardo Gonzalez Leandri
(Hgg.), El populismo en Espaiia y America, Madrid 1994, S. 11-38. Mit aktuellem Bezug:
Richard Herzinger, Hauptsache dagegen, in: Die Zeit, Nr. 3112002.
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