Table Of ContentHerausgegeben von Platon-
Christoph Horn,
Jörn Müller und Handbuch
Joachim Söder
Unter Mitarbeit
Leben – Werk – Wirkung
von Anna Schriefl und Simon Weber
Verlag J. B. Metzler
Stuttgart · Weimar
Die Herausgeber
Christoph Horn, geb. 1964, ist Professor für
Praktische Philosophie und Philosophie der Antike
am Institut für Philosophie der Universität Bonn.
Jörn Müller, geb. 1969, ist Lehrstuhlvertreter für
Geschichte der Philosophie am Institut für
Philosophie der Universität Würzburg.
Joachim Söder, geb. 1967, ist Professor für Philo-
sophie an der Katholischen Hochschule Aachen.
Bibliografische Information der Deutschen National-
bibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-476-02193-9
ISBN 978-3-476-05217-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-05217-9
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V
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII IV. Zentrale Themen und
Problemfelder der Schriften
Platons
I. Zur Biographie Platons
1. Daten und Fakten zum Leben Platons. . . 1 1. Logik und Methodologie . . . . . . . . . . . . . 101
2. Kontexte der Biographie Platons . . . . . . . . . 7 2. Epistemologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
3. Die antike biographische Tradition . . . . . . 13 3. Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
4. Psychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
5. Moralphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
II. Zu Platons Werken 6. Handlungstheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
7. Politische Philosophie. . . . . . . . . . . . . . . . 168
1. Editionen des Corpus Platonicum. . . . . . . . 19 8. Theorie des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
2. Absolute und relative Chronologie. 9. Anthropologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Fragen der Periodisierung . . . . . . . . . . . . . 22 10. Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
3. Grundmodelle der Platon- 11. Kosmologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 12. Naturphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
4. Diskussion um die ›ungeschriebene 13. Sprachphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
Lehre‹ Platons. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 14. Ästhetik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
5. Werkübersicht: Gliederungen zu den 15. Pädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
Schriften Platons. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 16. Theorie der Geschichte. . . . . . . . . . . . . . . 246
III. Kontexte der Philosophie V. Zentrale Stichwörter
Platons zu Platon
1. Platons Umgang mit der Tradition. . . . . . . 61 1. Angleichung an Gott. . . . . . . . . . . . . . . . . 253
2. Literarischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . 64 2. Aporie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
3. Pythagoras, Pythagoreismus, Orphik. . . . . 67 3. Dialektik/Dihairesis . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
4. Parmenides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4. Dualismus (Leib-Seele-Relation). . . . . . . 263
5. Heraklit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5. Einheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
6. Weitere Vorsokratiker: Anaxagoras, 6. Freundschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
Empedokles, Demokrit. . . . . . . . . . . . . . . . 75 7. Gerechtigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
7. Sokrates. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 8. Glück. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
8. Sophisten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 9. Idee/Ideenkritik/Dritter Mensch . . . . . . . 289
9. Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 10. Ironie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
10. Politik, Demokratie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 11. Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
11. Mathematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 12. Lust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
12. Fachwissenschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 13. Mythos/Mythenkritik. . . . . . . . . . . . . . . . 309
14. Ontologischer Komparativ. . . . . . . . . . . . 314
15. Philosophie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
16. Schönes/Schönheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
17. Seelenwanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
18. Selbsterkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
19. Sonnen-, Linien- und Höhlengleichnis . . 330
20. technê-Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
VI Inhalt
21. Transzendenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 5. Spätantike II: späterer Neuplatonismus. . 417
22. Tugend. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 6. Kirchenväter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
23. Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 7. Byzanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
24. Wiedererinnerung/Anamnesis. . . . . . . . . 352 8. Arabisches Mittelalter. . . . . . . . . . . . . . . . 439
25. Wissen – Meinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 9. Lateinisches Mittelalter. . . . . . . . . . . . . . . 446
26. Zwei-Welten-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . 358 10. Marsilio Ficino und die Renaissance . . . . 452
11. Die Cambridge Platonists. . . . . . . . . . . . . 463
12. Deutsche Klassik und deutscher
VI. Literarische Aspekte
Idealismus/Platon-Philologie
der Schriften Platons im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
13. Neukantianismus, Phänomenologie und
1. Die Dialogform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Hermeneutik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500
2. Platonische Monologe . . . . . . . . . . . . . . . 372 14. Analytische Platon-Rezeption . . . . . . . . . 510
3. Die Schriftkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 15. Aktuelle Forschungstendenzen . . . . . . . . 518
VII. Wichtige Stationen
VIII. Anhang
der Wirkungsgeschichte
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
1. Die ältere Akademie und Aristoteles . . . . 387 Auswahlbibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525
2. Die skeptische Akademie . . . . . . . . . . . . . 394 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . 526
3. Der Mittelplatonismus . . . . . . . . . . . . . . . 401 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
4. Spätantike I: früherer Neuplatonismus . . 408 Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535
VII
Vorwort
Platon ist eine der großen Figuren der westlichen Im vorliegenden Handbuch sollen die zentralen
Philosophiegeschichte – wenn nicht gar die zentrale Probleme und Positionen der Platon-Forschung in
Gründergestalt unserer philosophischen Tradition. Überblicksartikeln referiert und diskutiert werden.
Sein Einfluss umfasst so gut wie alle Epochen und Die Besonderheit dieser Publikation – im Konzert
nahezu alle Teilgebiete der Philosophie. Seine Dia- der schwer überschaubaren Publikationsfülle zum
loge haben durch ihre sprachliche Attraktivität, ihre Thema Platon – besteht in ihrer Nähe zur traditio-
stilistische Eleganz und durch die Unmittelbarkeit nellen wie aktuellen Interpretationsgeschichte des
ihrer Dramaturgie die Rezipienten vieler Jahrhun- Corpus Platonicum. Unsere wesentliche Intention
derte in ihren Bann gezogen. Der größte Zauber Pla- besteht darin, innerhalb des Labyrinths der platoni-
tons ergab und ergibt sich aber aus der Brillanz und schen Texte und ihrer widersprüchlichen Deutun-
Hintergründigkeit seiner Argumente, aus der Di- gen verschiedene rote Fäden auszulegen; auf diese
rektheit und Voraussetzungslosigkeit seiner Gedan- Weise soll den Leserinnen und Lesern eine grund-
kenführung und aus der Bereitschaft, alles Erreichte sätzliche Orientierung ermöglicht werden, die als
stets neu zu problematisieren. Ausgangspunkt für eine vertiefte Auseinanderset-
Für die moderne philosophiehistorisch-philolo- zung mit den Quellen wie auch mit ihren histori-
gische Forschung seit dem frühen 19. Jahrhundert schen und modernen Deutungen dienen mag.
bildete Platon den denkbar attraktivsten Forschungs- Ein aufwändiges Werk wie das vorliegende ist
gegenstand. Platons Dialoge sind in ihrer Lehre in- ohne vielfache Unterstützung undenkbar. Für die
terpretationsbedürftig; sie lassen zu einem guten Teil Entstehung dieses Bandes haben wir uns zuerst sehr
offen, wofür Platon steht. Oder steht er gerade hier- herzlich bei den beteiligten Autorinnen und Autoren
für? Neben lehrhaften und metaphysisch-dogma- zu bedanken. Die geduldige und gelassene Koopera-
tisch wirkenden Texten gibt es auch aporetische, de- tion mit dem Metzler Verlag und Frau Franziska Re-
liberative, narrative, problemexponierende und pro- meika verdient ebenfalls unsere Dankbarkeit. Zwei-
pädeutische Passagen. Zum anderen scheinen die fellos den größten Dank schulden wir Anna Schriefl
Dialoge untereinander nur bedingt übereinzustim- und Simon Weber für ihre intensive redaktionelle
men; es gibt neben positiven Wiederaufnahmen Arbeit in der Endphase der Entstehung des Buchs.
auch Selbstkritik, Revisionen oder Neufassungen ei- Unterstützende Arbeiten kamen von Sascha Bernin-
nes Problems. Vertritt Platon mithin die These von ger, Martin Brecher, Heidi Engelmann, Hyun Kang
der Aspekthaftigkeit der Wahrheit? Oder ist Wahr- Kim, Jeannine Kunz, Daniel Menne, Lena Pint, Han-
heit für ihn stets nur vorübergehend erreichbar, um nah Sonnenstatter, Albert Sperber, Andrea Stercken,
dann neu gewonnen zu werden? Oder ist Platon Martin Sticker, Anna-Katharina Strohschneider, Se-
ganz im Gegenteil ein metaphysischer Dogmatiker, bastian Volk und Anna Magdalena Weber.
der seine vollen Überzeugungen in den Dialogen al-
lenfalls durchscheinen lässt? Trotz einiger konver- Bonn und Würzburg, Dezember 2008
gierender Tendenzen wird man nicht behaupten
können, dass die moderne Platon-Forschung in den Christoph Horn
zwei Jahrhunderten ihres Bestehens zu einem grund- Jörn Müller
legenden Konsens gelangt wäre. Joachim Söder
1
I. Zur Biographie Platons
1. Daten und Fakten zum Leben bald nach seinem Tod und vielleicht sogar schon zu
seinen Lebzeiten um Platon zu ranken begannen,
Platons
findet sich auch die, dass sein Vater in Wahrheit
nicht Ariston, sondern der Gott Apollon gewesen
1.1 Platons Leben sei. Schon Platons Neffe, Schüler und Nachfolger in
der Leitung der Akademie, Speusipp, kam darauf zu
sprechen (s. Kap. I.3), ob zustimmend oder nur refe-
Geburtsjahr und Herkunft
rierend, lässt sich nicht entscheiden. Spätere Auto-
Die erhaltenen antiken Quellen stimmen darin über- ren behaupteten, Platon sei am 7. Tag des Monats
ein, dass Platon im ersten Jahr der 108. Olympiade Thargelion (Juli/August) geboren. Auch durch diese
starb. Das ist, da das attische Jahr gegen Ende des Behauptung wurde Platon mit Apollon verbunden,
Monats Juni begann, nach unserer Zeitrechnung die denn dieser Tag galt als der Geburtstag Apollons.
Zeit von Ende Juni 348 bis Ende Juni 347. Demge- Die in den Quellen zu findende Behauptung, Platon
mäß wird das Todesjahr Platons allgemein mit 348/7 habe ursprünglich, wie sein Großvater väterlicher-
angegeben. Unterschiedlich sind die antiken Anga- seits, Aristokles geheißen, habe dann aber wegen sei-
ben über Platons Alter zur Zeit seines Todes (ge- ner breiten Stirn (platys = breit) oder auch aus ande-
nannt werden das 80., das 81., das 82. und das 84. Le- ren Gründen den Namen Platon erhalten, ist dem
bensjahr) und, damit zusammenhängend, über das Bereich der Legende zuzuweisen.
Jahr seiner Geburt. Am wahrscheinlichsten ist, dass
er im ersten Jahr der 88. Olympiade, also im Jahr
Von der Geburt bis zur ersten sizilischen Reise
428/7 geboren wurde und im 81. Lebensjahr starb
(Jacoby 1902, 304–312). Über Platons Kindheit und Jugend wird in den Quel-
Platons Vater Ariston soll einer Familie angehört len zwar mancherlei berichtet, doch steht alles dies,
haben, deren Stammvater der mythische athenische das eine mehr, das andere weniger, in dem Verdacht,
König Kodros war (Diog. Laert. 3, 1). Seine Mutter nachträglich erfunden worden zu sein. Sicher erhielt
Periktione entstammte einer Familie, die sich auf Platon die für Kinder und Jugendliche seines Her-
Dropides zurückführte, der ein Verwandter und en- kommens übliche literarische, musische und sportli-
ger Freund des Gesetzgebers Solon gewesen war che Ausbildung, wie er sie in seinen Dialogen Prota-
(Tim. 20e1–2). Zwei Angehörige dieser Familie, goras (325c–326c) und Politeia (II 376e–377a, III
nämlich Periktiones Bruder Charmides und ihr Vet- 403c–d, 410b–412b) beschreibt (s. Kap. I.2.3). Ver-
ter Kritias, spielten in den politischen Auseinander- mutlich hat er schon als Heranwachsender Schriften
setzungen in Athen gegen Ende des 5. Jh.s eine Rolle prominenter früherer und zeitgenössischer Philoso-
(s. u.). Platon hatte zwei Brüder, Glaukon und Adei- phen und Sophisten gelesen, von denen man, wie
mantos, und eine Schwester, Potone, ferner einen seine Bemerkung über die Bücher des Anaxagoras in
Halbbruder namens Antiphon, der der Ehe seiner der Apologie (26d10–e1) zeigt, zumindest einige auf
Mutter Periktione mit Pyrilampes entstammte, ei- dem Markt von Athen für einen relativ geringen
nem Onkel mütterlicherseits, den sie nach dem Tod Preis kaufen konnte. Entscheidend für sein weiteres
Aristons heiratete. Außer seinem Vater Ariston und Leben wurde die Tatsache, dass er sich in seinem 20.
seinem Stiefvater Pyrilampes hat Platon alle genann- Lebensjahr eng an S okrates anschloss (Diog. Laert.
ten männlichen Verwandten in seinen Dialogen auf- 3, 6). Ob er davor, wie Aristoteles behauptet (Me-
treten lassen, teils als zentrale Gesprächsteilnehmer taph. I 6, 987a32–b1), tatsächlich mit dem Philoso-
(Charmides und Kritias im Charmides, Glaukon und phen Kratylos befreundet war und über ihn die Phi-
Adeimantos in der Politeia), teils als Gestalten am losophie Heraklits kennenlernte, ist ungewiss.
Rande (Charmides und Kritias im Protagoras, Glau- Der Einfluss, den Sokrates als Philosoph und
kon, Adeimantos und Antiphon im Parmenides). Mensch auf Platon ausübte, hätte allein aber wohl
Unter den zahlreichen Legenden, die sich schon kaum genügt, die Philosophie zum Zentrum seines
2 I. Zur Biographie Platons
ganzen weiteren Lebens zu machen. Hinzu kamen wandten Platons, die daran beteiligt waren, gehörten
die politischen Verhältnisse während der ersten 30 seine beiden Onkel Kritias, der sich als einer der
Jahre seines Lebens. So ist es jedenfalls im siebten Dreißig durch besondere Radikalität hervortat, und
der 13 unter dem Namen Platons überlieferten Briefe Charmides, der einer der Zehn war, die im Piräus
zu lesen. Zwar ist nach wie vor umstritten, ob dieser amtierten. Beide kamen in den Kämpfen beim Sturz
Brief tatsächlich von Platon stammt. Allgemein an- der Dreißig ums Leben.
erkannt ist jedoch, dass er, falls dies nicht der Fall Nach dem Sturz der Dreißig und der Wiederher-
sein sollte, von einer Person verfasst wurde, die mit stellung der Demokratie im Jahr 403 verspürte Pla-
Platons Leben aufs Beste vertraut war. ton erneut den Drang, politisch tätig zu werden. Er-
Der Siebte Brief, den Platon in der zweiten Hälfte neut fühlte er sich jedoch zutiefst angeekelt von dem
der 350er Jahre schrieb (die genaue Datierung ist politischen Geschehen im Allgemeinen und von
umstritten) bzw. der sich, falls er nicht von Platon dem, was Sokrates widerfuhr, im Besonderen (Ep.
selbst stammen sollte, als zu dieser Zeit von ihm ge- VII, 325b5–c5; übers. Neumann/Kerschensteiner):
schrieben gibt, enthält einen ausführlichen Rück-
blick auf Platons Leben seit Erlangung der Volljäh- Wieder aber wollte es das Schicksal, dass einige einflussrei-
che Leute meinen eben erwähnten Freund Sokrates vor Ge-
rigkeit im 18. Lebensjahr. Über die Zeit nach dem
richt zogen und gegen ihn eine ganz nichtswürdige, auf So-
Ende des Peloponnesischen Krieges, der 404 mit ei-
krates am allerwenigsten passende Anschuldigung vor-
ner katastrophalen Niederlage der Athener endete, brachten. Der Gottlosigkeit nämlich klagten sie ihn an, und
heißt es zu Beginn dieses Rückblicks (Ep. VII, 324b8– die Richter verurteilten ihn auch und ließen ihn hinrichten,
325a5; übers. Neumann/Kerschensteiner): ihn, der es seinerzeit abgelehnt hatte, sich an der verbreche-
rischen Verhaftung eines Anhängers der verbannten Partei
Als ich jung war, erging es mir wie so vielen: ich gedachte zu beteili gen, damals, als sie [d. h. die Demokraten] selbst
nach erlangter Volljährigkeit sofort in das politische Leben in Verbannung und Elend lebten.
einzutreten. Da griffen Ereignisse, die die politischen
Verhält nisse der Stadt betrafen, in mein Leben ein, und Platon gelangte zu der Überzeugung, dass eine sinn-
zwar folgende: da nämlich viele mit der damaligen Verfas- volle politische Tätigkeit angesichts des kontinuier-
sung sehr unzufrieden waren, erfolgte ein Umsturz, und lich zunehmenden Verfalls von Gesetzgebung und
bei diesem Ums turz traten einundfünfzig Männer herr- allgemeiner Moral nicht eher möglich sein werde, als
schend an die Spitze, elf in der Stadt, zehn im Piräus, diese
bis die politischen Verhältnisse von Grund auf ver-
beiden Gruppen für die Marktaufsicht und was es sonst in
den beiden Stadtbezirken zu verwalten gab, – dreißig aber ändert seien. Erst wenn die »wahre Philosophie« (or-
übernahmen die Führung des ganzen Staates mit unbe- thê philosophia) dazu verhelfe, die Gerechtigkeit im
schränk ter Vollmacht. Unter diesen nun hatte ich einige öffentlichen und privaten Bereich zu erkennen, und
Ver wandte und Bekannte, und so zogen sie mich denn auch wenn »entweder das Geschlecht der rechten und
sogleich zu den Geschäften heran, da mir das zukomme.
wahren Philosophen zur Herrschaft im Staate
Und wie es mir dann angesichts meiner jugendlichen Un-
erfahrenheit erging, war nicht verwunderlich. Ich glaubte komme oder das der Machthaber im Staat durch
nämlich, aus einem ungerechten Leben würden sie den eine göttliche Fügung echte Philosophie treibe«,
Staat zu einer gerechten Lebensweise führen und dement- werde das Unheil unter den Menschen ein Ende ha-
sprechend verwalten, und folgte daher ihrem Vorgehen mit ben (Ep. VII, 325c5–326b4). Die theoretische Durch-
großer Aufmerksamkeit. Da musste ich nun sehen, wie
führung dieses Programms bildet bekanntlich die
diese Männer in kurzer Zeit die frühere Verfassung als
Politeia, auf deren zentralen Satz von der Herrschaft
wahres Gold erscheinen ließen – unter anderem wollten sie
auch einen mir lieben älteren Freund, Sokrates, den ich der wahren Philosophen als einziger Möglichkeit ei-
unbedenk lich den gerechtesten unter seinen Zeitgenossen ner wirklichen Besserung der politischen Verhält-
nennen möchte, mit anderen zusammen zu einem Bürger nisse (Rep. V 473c11–d6) der Brief an der gerade zi-
schicken, um ihn gewaltsam zur Hinrichtung zu holen, da-
tierten Stelle unübersehbar Bezug nimmt.
mit er an ihrem Treiben teilhabe, ob er wollte oder nicht. Er
Nach dem Tod des Sokrates im Jahre 399 soll sich
aber gehorchte nicht, sondern setzte sich lieber der Gefahr
aus, alles Erdenkliche zu erleiden, als Teilhaber ihrer ver- Platon zusammen mit einigen anderen Sokratikern
brecherischen Taten zu werden. Da ich nun dies alles mit zu dem Sokratesschüler Eukleides (nicht zu ver-
ansehen musste, und noch manch anderes nicht Geringfü- wechseln mit dem Mathematiker Eukleides, der
giges solcher Art, empfand ich Widerwillen, und ich zog
rund 100 Jahre später lebte) in dessen Heimatstadt
mich von jenem üblen Treiben zurück.
Megara begeben haben. Die Gründe für diesen
Die Rede ist in diesem Text von dem oligarchischen Rückzug bleiben im Dunkeln. Dass die Sokratiker
Terrorregime der sog. Dreißig (in späterer Zeit auch sich, wie es in einer Quelle heißt (Diog. Laert. II 106),
als die »Dreißig Tyrannen« bezeichnet). Zu den Ver- bedroht gefühlt hätten, ist unwahrscheinlich. Wie
1. Daten und Fakten zum Leben Platons 3
lange Platon in Megara blieb, ist unbekannt. 395/4 im Siebten Brief zum Ausdruck gebrachte Überzeu-
soll er als Soldat am Korinthischen Krieg teilgenom- gung, dass das Unheil unter den Menschen erst dann
men haben (Diog. Laert. III 8). ein Ende haben werde, wenn die »wahre Philoso-
phie« dazu verhelfe, die Gerechtigkeit im öffentli-
chen und privaten Bereich zu erkennen und zu prak-
Erste sizilische Reise und Gründung
tizieren. Den Namen »Akademie« erhielt die Schule
der Akademie
nach dem Areal, auf dem bzw. in dessen Nähe sie
Im Alter von »etwa 40 Jahren« (Ep. VII, 324a5–6, sich befand. Es war dies ein parkartiges Gelände mit
326b5–6), also ca. 388/7, reiste Platon zum ersten einem Gymnasion, das, etwa 1,5 km von der Stadt-
Mal nach Unteritalien und Sizilien (sog. erste sizili- mauer entfernt, nordwestlich der Stadt in der Nähe
sche Reise). Wie es scheint, besuchte er zunächst die des Flusses Kephisos lag und nach dem Heros Aka-
Pythagoreer in Unteritalien. Auf diese Zeit geht die demos (oder Hekademos) benannt war (vgl. Travlos
lebenslange Freundschaft mit dem nicht nur als Phi- 1971, 318–319 Abb. 417). Östlich dieses Geländes, in
losoph, sondern auch als Politiker bedeutenden Py- Richtung auf den Kolonos Hippios (»Reiter-Hügel«)
thagoreer Archytas aus Tarent zurück (Ep. VII, zu, erwarb Platon ein Gartengrundstück mit einem
338c6–d1, 339d1–2, 350a5–6). Danach begab sich Haus. Innerhalb des Grundstückes oder in dessen
Platon nach Syrakus. Dort begegnete er Dion, dem Nähe errichtete er ein Musenheiligtum (mouseion).
damals etwa 20 Jahre alten Schwager und späteren In ihm ließ ein Perser namens Mithradates vielleicht
Schwiegersohn Dionysios’ I., des Alleinherrschers schon zu Platons Lebzeiten, wahrscheinlich aber erst
(»Tyrannen«) von Syrakus. Die Begegnung war für nach seinem Tod ein Standbild Platons aufstellen. In
beide ein einschneidendes und folgenreiches Ereig- diesem Standbild sieht man allgemein das Original,
nis. Im Siebten Brief wird eindringlich geschildert dem das in zahlreichen Repliken erhaltene bekann-
(326d7–327b4), wie Platon in Dion sogleich einen teste Porträt Platons nachgebildet ist (Abbildung der
hochbegabten jungen Mann gleichen Geistes er- Replik in der Münchener Glyptothek z. B. bei Sche-
kannte und Dion von Platons philosophischen und fold 1997, 135 und 137). Spätestens zu der Zeit, als
politischen Anschauungen zutiefst beeindruckt war Polemon Schuloberhaupt war (314/3–270/69), be-
und sie sich zueigen machte. Aller Wahrscheinlich- fand sich innerhalb des Grundstückes oder in dessen
keit nach traf Platon damals auch mit Dionysios I. Nähe außerdem eine Exhedra, ein nach einer Seite
zusammen. Im Siebten Brief ist darüber zwar nichts hin offener rechteckiger oder halbkreisförmiger zu
gesagt, späteren Quellen gilt dies jedoch als ein Fak- Unterrichtszwecken genutzter Raum. Ob diese Ex-
tum. Glaubt man ihnen, dann endete die Begegnung hedra schon zu Platons Lebzeiten errichtet wurde
der beiden in einem Zerwürfnis. Auf der Rückreise oder erst unter einem seiner Nachfolger, lässt sich
nach Athen soll Platon nach einer in zahlreichen Va- nicht ermitteln (zu Platons Garten und Haus und zu
rianten vorliegenden antiken Tradition – angeblich seiner Lehrtätigkeit vgl. Kap. I.1.2).
auf Betreiben des Diony sios – gefangengenommen,
auf Ägina als Sklave feilgeboten, von einem Mann
Von der zweiten sizilischen Reise
aus Kyrene namens Annikeris gekauft und von die-
bis zum Tod Platons
sem, nachdem er erkannt hatte, um wen es sich bei
dem Sklaven handelte, freigelassen worden sein. Nach der Gründung seiner Schule unternahm Pla-
Viele Platonforscher halten es für gut möglich, dass ton zwei weitere Reisen nach Sizilien. Im Jahre 367
diese Tradition einen wahren Kern hat. war Dionysios I. gestorben und sein gleichnamiger
Viel wird im Übrigen in den erhaltenen Quellen Sohn ( Dionysios II.) sein Nachfolger geworden. Die-
darüber berichtet, dass Platon entweder im Zusam- ser wurde durch Dion veranlasst, Platon als eine Art
menhang mit der Reise nach Italien und Sizilien philosophischen Ratgeber nach Syrakus einzuladen.
oder bei einer anderen vorausgehenden Reise auch Platon, der die Möglichkeit sah, seine politischen
Kyrene im Nordwesten Afrikas und Ägypten aufge- Theorien in der Praxis zu erproben, nahm die Einla-
sucht habe. Ob dies wirklich der Fall war, bleibt un- dung an und kam 366 zum zweiten Mal nach Syra-
gewiss. kus. Die Reise stand unter einem ungünstigen Stern.
Wohl sehr bald nach der Rückkehr nach Athen Platon wurde in die politischen Rivalitäten zwischen
(Diog. Laert. III 7), also um 387, gründete Platon Dionysios II. und Dion hineingezogen. Dion wurde
eine Schule, die Akademie, wie sie später genannt von Dionysios noch im gleichen Jahr aus Sizilien
wurde. Was ihn dazu veranlasste, war zweifellos die verbannt, Platon verließ Syrakus bald darauf (wohl
Description:Die philosophische Tradition Europas besteht aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon (Whitehead). Platon ist einer der zentralen Klassiker der westlichen Philosophiegeschichte. Das Handbuch bietet einen konzisen Überblick über Werk und Themen, es stellt Problemfelder (z. B. Ontologie, Kosmologie,