Table Of ContentMichael Kaufmann
Plasmaphysik und Fusionsforschung
Michael Kaufmann
Plasmaphysik und
Fusionsforschung
Teubner
B. G. Teubner Stuttgart· Leipzig· Wiesbaden
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet Ober <http://dnb.ddb.de> abrufbar.
Prof. Dr. Michael Kaufmann
Studium der Physik in Hannover und Berlin. Promotion 1967 an der Technischen Universitat MOnchen.
Von 1971 bis 1973 Mitglied des Deutschen Wissenschaftsrates. Seit 1978 Wissenschaftliches Mitglied
der Max-Planck-Gesellschaft und Direktor am Max-Planck-Institut fOr Plasmaphysik in Garching. Seit
1990 Honorarprofessor an der Universitat Bayreuth.
1. Auflage April 2003
Aile Rechte vorbehalten
© B. G. Teubner GmbH, Stuttgart/Leipzig/Wiesbaden, 2003
Der Verlag Teubner ist ein Unternehmen der Fachverlagsgruppe BertelsmannSpringer.
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Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.
ISBN-13: 978-3-519-00349-6 e-ISBN-13: 978-3-322-80033-6
001: 10.1007/978-3-322-80033-6
Zuletzt lasset uns der Einbildungskraft
ein so wunderseltsames Objekt, als eine
brennende Sonne ist, gleichsam von nahen
vorstellen. Man sieht in einem Anblicke
weite Feuerseen, die ihre Flammen gen
Himmel erheben, ...
Immanuel Kant
Gedanken von der wahren Schatzung der
Sonnenkrafte
Vorwort
Plasmaphysik spielt heute zunehmend eine wichtige Rolle, beispielsweise in
dem wei ten Feld der Astrophysik und zahlreichen modernen Technologien.
Dieses Buch fiihrt zunachst in die Grundlagen des Themas ein und erschliesst
den Zugang zu dem breiten Spektrum der Anwendungen.
Plasmaphysik beschaftigt sich mit der Physik heiBer, ionisierter Gase. Fast das
gesamte Universum besteht aus Plasma. Vor allem in den letzten Jahrzehnten
ist es gelungen, heiBe Plasmen auch auf der Erde herzustellen und ihre Eigen
schaften zu untersuchen. Die physikalischen Phanomene in einem Plasma sind
gegeniiber dem neutralen Gas deutlich verschieden, sodass es berechtigt ist,
von einem 4. Aggregatszustand zu sprechen.
In einem heiBen Plasma kann durch die Fusion leichter Elemente Energie ge
wonnen werden. Die Fusionsforschung und hier vor allem der magnetische Ein
schluss von Plasmen bildet neben den Grundlagen einen Schwerpunkt dieses
Buches. In diesem Zusammenhang werden Probleme der Energieversorgung,
die physikalischen Grundlagen und technische Komponenten eines Fusionsre
aktors angesprochen. Daneben werden spezielle Fragen der Astrophysik, tech
nischer Plasmen sowie im begrenzten Umfang Eigenschaften von Festkorper
plasmen behandelt.
Dieses Buch ist aus Vorlesungen an der Universitat Bayreuth hervorgegangen
und wendet sich vor allem an Studierende der Physik nach dem Vordiplom. Es
setzt im Wesentlichen die Kenntnis der Elektrodynamik und Grundkenntnis
se der statistischen Mechanik und Quantenmechanik voraus. Die Rechnungen
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sind meist soweit ausgeftihrt, dass sie mit maBvollem Aufwand nachvollzogen
werden konnen. Sie lassen sich auch leicht zu Ubungsaufgaben variieren. Das
Buch solI aber auch Doktoranden, Post docs und jedem, der sich in die Plas
maphysik einarbeiten will, zur Einftihrung dienen, wobei sich die theoretisch
mathematischen Darstellungen auf das zum Verstandnis der Phanomene Not
wendige beschranken. Einige Abschnitte1 des Buchs gehen tiber eine Einftihrung
hinaus. Sie sollen ftir Interessierte eine Brticke zu aktuellen Themen der For
schung bilden. Auch langere Ableitungen konnen bei einem erst en Studium
des Buchs tibergangen werden2•
Diagnostik- und Heizverfahren sind nicht in speziellen Kapiteln zusammenge
fasst, sondern nach ihrem physikalischen Zusammenhang eingeordnet. Zitate
wurden tiber das tibliche MaB hinaus aufgenommen, urn langere Ableitungen
zu vermeiden, aber auch urn dem Leser Zugang sowohl zu einigen historischen
Quellen als auch zu Beispielen aktueller Forschung zu geben. Einige Angaben
zu den verwendeten Einheiten und Bezeichnungen und eine Zusammenstellung
der Naturkonstanten findet sich im Anschluss an Kapitel 12.
Viele Kollegen im Max-Planck-Institut fUr Plasmaphysik und an anderen Ein
richtungen haben mir bei der Erarbeitung dieses Buchs geholfen. Sie haben
mir mit ihrem breiten Wissen Quellen genannt, Informationen verschafft und
mich inhaltlich untersttitzt. In Diskussionen wurden Zusammenhange geklart.
Da es unmoglich ist, hier vollstandig ihre Namen aufzuftihren, mochte ich allen
gemeinsam herzlich danken. Besonders hervorheben mochte ich die Hilfe von
Roland Chodura. Er hat das Manuskript mit groBem Engagement tiberprtift
und konnte mir dabei viele wichtige Anregungen geben. Als wichtige Diskus
sionspartner mochte ich weiter Gerd FuBmann, Werner Gulden, Thomas Ha
macher, Karl Lackner, Josef Neuhauser, Jtirgen Ntihrenberg, Arthur Peeters,
Rolf Wilhelm und Klaus Witte ausdrticklich nennen. Die Abbildungen wurden
tiberwiegend von Manfred Troppmann angefertigt und beim Zitieren und Re
digieren stand mir Wolfgang Sandmann zur Seite. Ihnen allen gilt me in Dank.
Besonders danken mochte ich an dieser Stelle auch Anja Wischke, die tiber
wiegend die Schreibarbeit erledigt und engagiert zur Fertigstellung des Buchs
beigetragen hat. Dank ihrer Untersttitzung konnten die Formeln in einer an
sprechenden Form dargestellt werden.
1 Dieses sind insbesondere die Abschnitte 1.4, 2.6, 3.5.4, 3.6, 4.2.3, 4.2.4, 4.3.3, 5.3.5, 6.8,
7.2.4,8.1.2,8.2,9.6, 10.5, 10.7., 11.4 und 12.3.3.
2Dies trifft auf die Abschnitte 4.3.1, 7.2.2, 7.2.5, 9.4.1 zu.
Inhalt
1 Einleitlmg 11
1.1 Charakterisierung von Plasmen 11
1.2 Zu standsgrenzen ...... 17
1.3 Elektrische Wechselwirkung 19
1.4 Entartete Plasmen ..... 24
2 Atomare Prozesse 28
2.1 Coulomb-StoBprozesse 28
2.2 Bremsstrahlung . . . . 35
2.3 Ionisation und Rekombination . 38
2.4 Dissoziation und Franck-Condon-Effekt . 45
2.5 Ladungsaustausch 47
2.6 Laser lichtstreu ung 52
3 Einzelteilchenbeschreibung 59
3.1 Bewegung in elektrischen und magnetischen Feldern . 59
3.2 Elektronzyklotronstrahlung 61
3.3 Die Driftbewegung ..... 63
3.4 Die Invarianz des Magnetischen Moments 66
3.5 Beispiele zur Driftbewegung 68
3.6 Invarianten der Bewegung 74
4 Statistische Beschreibung 81
4.1 Hydrodynamische Beschreibung . 81
4.2 Darstellung im Phasenraum ... 84
8 Inhalt
4.3 Die Fokker-Planck-Gleichung ..... . 91
5 Magnetohydrodynamische Gleichungen 103
5.1 Die Bildung von Momenten . . . . . . . . . . . . 103
5.2 Fliissigkeitsgleichungen als Momentengleichungen 105
5.3 Einfliissigkeitsbild .... 107
5.4 Ideale MHD-G leichungen 115
6 Magnetischer Einschluss:
Lineare Gleichgewichte 121
6.1 MHD-G leichgewichte . . . 121
6.2 Die "19-Pinch" - Konfiguration 122
6.3 Die "z-Pinch" -Konfiguration . 122
6.4 Magnetischer Druck und Feldlinienspannung . 124
6.5 Zur Stabilitat von linearen Gleichgewichten 124
6.6 Die "Screw-Pinch" Konfiguration .... 126
6.7 Elektrisches Feld, Rotation und Driften 128
6.8 Gleichgewicht von Solaren Filamenten 133
7 Der toroidale Einschluss 135
7.1 Grundeigenschaften der Gleichgewichte . 135
7.2 Die axialsymmetrische Konfiguration . . 137
7.3 Nichtaxialsymmetrische Konfigurationen 151
8 Der Einschluss im Teilchenbild 157
8.1 Drift in axialsymmetrischen Magnetfeldern . 157
8.2 Driftbahnen und Transport im Stellarator 166
9 Wellen in homogenen Plasmen 169
9.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . 169
9.2 Linearisierung. . . . . . . . . . 171
9.3 Wellen ohne stationares Magnetfeld . 173
9.4 Wellen mit stationarem Magnetfeld . 179
9.5 Alfven-Wellen . . . . . . . . . . . . . 186
Inhalt 9
9.6 Wellenheizung und Stromtrieb. . . . . . . . . . . . . ..... 189
10 Wellen und Instabilitaten in inhomogenen Plasmen 194
10.1 Einleitung ............... . 194
10.2 Austauschinstabilitat ......... . 195
10.3 Eigenwertproblem und Energieprinzip 202
10.4 MHD-Stabilitat zylindersymmetrischer Gleichgewichte 203
10.5 Kontinuierliches Eigenspektrum . 207
10.6 Resistive MHD-Instabilitaten 211
10.7 Driftwellen ... 219
11 Der Plasmarand 224
11.1 Einftihrung . . . 224
11.2 Prozesse an der Wandoberflache . 225
11.3 Die Plasmarandschicht . 230
11.4 Die Abschalschicht ... 239
12 Fusion als Energiequelle 246
12.1 Energieversorgung der Zukunft 246
12.2 Energie aus Fusion . . . . . . . 254
12.3 Der Reaktor mit magnetischem Einschluss 262
12.4 Tragheitsfusion............... 273
Literaturverzeichnis 278
Sachverzeichnis 285
1 EinleitlUlg
1.1 Charakterisierung von Plasmen
Erhitzt man ein Gas, so werden bei Temperaturen oberhalb von etwa O,leV
entsprechend 1000K mehr und mehr Molektile dissoziiert und Atome ionisiert.
Dies andert grundlegend die physikalischen Eigenschaften. Die Ionisation fiihrt
vor aHem dazu, dass das Gas elektrisch leitfahig wird. Langmuir hat 1929 fiir
diesen 4. Aggregatzustand der Materie den Namen "Plasma" eingefiihrt, wobei
Plasma griechisch "das Geformte" oder "das Gebildete" heiBtl.
1m Folgenden werden verschiedene Plasmen kurz charakterisiert und in ein
Diagramm als Funktion von Temperatur und Dichte eingetragen. Anschlie
Bend werden dann in dem selben Diagramm in vereinfachender Form Gren
zen bestimmt, an denen sich die physikalischen Eigenschaften der Plasmen
jeweils grundlegend andem. Dies wird zu einer Definition des "idealen Plas
mas" fiihren. Die folgenden Kapitel des Buches werden sich auf diese idealen
Plasmen konzentrieren.
Die Flamme einer Kerze mit T<O,leV ist nur sehr schwach ionisiert, sie kann
aber bereits einen Luftkondensator kurzschlieBen. Hahere Temperaturen wer
den bei chemischen Prozessen z. B. in der SchweiBflamme erzielt, wenn ein Ge
misch aus Brenngas und Sauerstoff verbrennt. Die hachste Verbrennungstem
peratur von etwa O,3eV wird bei der Verbrennung eines Sauerstoff-Acetylen
Gemisches erreicht. Die Temperatur ist bei diesen chemischen Prozessen durch
die molekulare Bindungsenergie begrenzt. Bei haherer Temperatur dissoziieren
die Molektile, sodass die Verbrennung gewisse Temperaturen nicht iiberschrei
ten kann.
Hahere Temperaturen wurden bereits im 18. Jahrhundert in so genannten
Drahtexplosionen erzeugt, ohne dass es aHerdings ein Temperaturmessverfah
ren gab (siehe. z. B. [154]). Dabei wurden Leidener Flaschen iiber diinne Drahte
1 Neben dem Begriff Plasma in der Physik wird die Bezeichnung Plasma in der Biologie fur
das Blutplasma und das Zellplasma und in der Mineralogie fUr einen Halbedelstein, eine
Jaspisart, benutzt.
M. Kaufman, Plasmaphysik und Fusionsforschung
© B. G. Teubner GmbH, Stuttgart/Leipzig/Wiesbaden 2003
12 1 Einleitung
entladen.
In vieWiltigen Formen kann zwischen zwei Elektroden ein elektrischer Strom
durch ein teilionisiertes Gas flieBen. Je nach Druckbereich, Gasart, Elektroden
material und Stromdichte bilden sich verschiedene Entladungsformen aus [37].
Hier sollen einige Grundtypen dieser "Gasentladungsplasmen", die sich vor al
lem durch die Erzeugung der Ladungstrager unterscheiden, aufgefiihrt werden.
Liegt an einer Gasstrecke eine elektrische Spannung und werden durch auBe
re Einfliisse wie z. B. ,-Strahlen Ladungstrager im Gas erzeugt, so werden
diese im elektrischen Feld beschleunigt. 1st der Energiegewinn von Elektronen
zwischen zwei St6Ben ausreichend groB, so erzeugen sie durch Ionisationsst6Be
weitere Ladungstrager. In Zahlrohren wird dieser Effekt zur Messung ausge
nutzt: es k6nnen pro Primarionisation bis zu 106 Sekundarionisationen erfol
gen, sodass die primare Ionisation leicht nachgewiesen werden kann. Solange
die Spannung unterhalb eines Grenzwertes bleibt, ist die Ladung der durch Se
kundarprozesse entstehenden Elektronenlawine ein bestimmtes Vielfaches der
Primarladung und bei Fortfall der Primarionisation erlischt die Entladung.
Man nennt dies deshalb eine "unselbststandige Entladung" .
Bei ausreichend hoher Spannung werden genug Ladungstrager erzeugt, die wie
der als Primarteilchen eines Lawinenprozesses dienen k6nnen, sodass die Ent
ladung auch ohne Fremdionisation aufrechterhaIten bleibt. Es ist eine "selbst
standige Entladung" oder "Glimmentladung" entstanden [216]. Der Druck
liegt typisch bei einigen 100Pa, der Strom bei einigen rnA, und die Span
nung bei 100V. Die Elektroden bleiben kaIt. Die primaren Elektronen werden
vor allem durch Ionen an der Kathode erzeugt. Die Elektronen tragen iiberwie
gend den Strom und haben eine h6here Energie als Ionen und Neutralteilchen,
die wegen gleicher Masse nahezu auf gleicher Temperatur sind.
Bei hohen Dichten ist die "Funkenentladung" gegeniiber der Glimmentladung
favorisiert. Sie bildet einen schmalen, nicht unbedingt geraden Kanal, wobei die
Ladungstrager durch das inhomogene elektrische Feld und durch Lichtquanten
kurzer Reichweite im Kopf des Funkens erzeugt werden. Der atmospharische
Blitz ist eine Sonderform dieser Funkenentladung. Die Entladung ist im allge
meinen transient.
Bei h6heren Str6men im Bereich von einigen Ampere kann eine "Bogenentla
dung" entstehen [142, 66], bei der die Elektronen durch Thermoemission an der
Kathode nachgeliefert werden. Die Spannung liegt bei dieser Bogenentladung
typisch im Bereich von lOV. Bei nicht zu hohen Str6men ist die Stromspan
nungskurve fallend. Beispiele sind der schon 1812 eingefiihrte Kohlebogen und
der moderne Hochstrombogen. Beim letzteren erreicht der Strom Werte von
80A mit positiver Strom-Spannungs-Charakteristik. Der Stromkanal schniirt
sich beim Bogen gegeniiber der Glimmentladung ein, da heiBere Teile eine