Table Of Content39
39 Physiotherapie
M. Bußmann, B. Hartmann
39.1 Allgemeine 39.3 Maßnahmen der Hydrotherapie – 471
Hygienemaßnahmen – 469 39.3.1 Therapie- und Bewegungsbäder – 471
39.1.1 Händehygiene – 469 39.3.2 Wannenbäder und Packungen – 473
39.1.2 Handschuhe – 470
39.1.3 Schutzkittel – 470 39.4 R einigungs- und Desinfektionsplan in
39.1.4 Mundschutz – 470 der Physiotherapie – 474
39.2 H ygienemaßnahmen in Literatur – 475
der Physio therapie mit infektiösen
Patienten – 470
39.1 Allgemeine Hygienemaßnahmen
Die Infektionsgefahr bei Physiotherapie ist sowohl für
Patienten als auch Therapeuten gering. Die Verfahren Um die Standardhygienemaßnahmen in der Physiothera-
der Physiotherapie dienen einerseits der Wiederherstel- pie durchführen zu können, ist als organisatorische bzw.
lung der Gesundheit, andererseits der Prophylaxe und bauliche Voraussetzung die Anbringung von Händedes-
Prävention sowie Vermeidung von Komplikationen infektionsmittelspendern zwischen den einzelnen Behand-
während des Krankenhausaufenthaltes. Obwohl Physio- lungsplätzen bzw. Behandlungskabinen unabdingbar. In
therapeuten mit vielen verschiedenen Patienten direk- jedem Raum muss ein Handwaschbecken mit Flüssig-
ten Körperkontakt haben und somit vielfältige Möglich- seifespender vorhanden sein.
keiten für Kreuzübertragungen bestehen, sind sie nur Bei der Ausbildung und Fortbildung des Personals
selten die Quelle von Infektionsübertragungen (Kralovic müssen Hygieneregeln angemessen behandelt werden, da-
u. Linnemanns 2004). Invasive Maßnahmen fi nden nicht mit das Bewußtsein für das Risiko, Infektionen auf Patien-
statt. Mobiliar- bzw. Gerätefl ächen können problemlos ten übertragen zu können, vorhanden ist.
gereinigt bzw. bei Bedarf desinfi ziert werden. Benötigte Die wichtigsten Maßnahmen, die sowohl zur Präven-
Geräte bzw. Materialien sind, falls nicht als Einwegpro- tion von Kreuzinfektionen, aber auch dem Personalschutz
dukte verwendet, problemlos aufbereitbar. In der Regel dienen, werden im Fogenden nur kurz zusammengefasst,
sind daher in der Physiotherapie die Standardhygiene- sie sind in 7 Kap. 24 ausführlich beschrieben. Die erweiter-
maßnahmen völlig ausreichend. ten Hygieneanforderungen bei der Behandlung von infek-
Problematischer ist allerdings die Hydrotherapie bei tiösen Patienten werden danach erläutert.
Verbrennungspatienten, die jedoch hier nicht behandelt
werden soll (Tredget et al. 1992). Außerordentlich gering
ist die Infektionsgefährdung durch Verschlucken von 39.1.1 Händehygiene
Badewasser in Bewegungs- und Therapiebädern, weil
der Verdünnungseff ekt, selbst wenn z. B. durch einen Händedesinfektion bzw. Händewaschen ist bei der kran-
inkontinenten Patienten darmpathogene Erreger in das kengymnastischen und Massagebehandlung die wichtigste
Wasser gelangten, sehr groß ist. Im Folgenden sollen die Maßnahme zur Verhinderung einer Erregerübertragung.
wichtigsten Maßnahmen zur Verhütung von Infektionen Eine Dekontamination der Hände soll deshalb immer zwi-
im Rahmen der Physiotherapie dargestellt werden. schen der Behandlung der Patienten durchgeführt werden.
Deswegen müssen in der Physiotherapieabteilung genü-
470 Kapitel 39 · Physiotherapie
gend Handwaschbecken und Desinfektionsmittelspender, a nderen Personen benutzt werden. Je nach Ausmaß des
die vom Personal leicht erreicht werden können, zur Ver- Körperkontakts kann aber auch eine Schürze ausrei chend
fügung stehen. Eine Auswahl geeigneter Flüssigseifen, Des- sein.
infektionsmittel und Hautpflegemittel muss vorhanden
sein, weil Hautunverträglichkeiten nicht selten sind.
39.1.4 Mundschutz
III Tipp
In einem solchen Fall eignen sich auch kleine Flaschen Insbesondere bei expektorationsfördernden Maßnahmen
mit einem Händedesinfektionsmittel, die in der Kittel- ist aus Personalschutzgründen das Tragen einer chirurgi-
tasche mitgenommen werden können. schen Maske zu empfehlen. Zum Schutz immunsuppri-
mierter Patienten ist der Einsatz von chirurgischen Masken
zwar nicht durch Studien belegt, wird aber aus grundsätz-
Oft stellt sich die Frage, ob die Hände desinfiziert oder lichen Erwägungen dennoch empfohlen.
gewaschen werden sollen. In der Physiotherapie, bei der Bei der Therapie von Tuberkulosepatienten ist das
in der Regel physischer Kontakt mit der intakten Haut Tragen einer FFP2-Maske empfohlen (7 Kap. 15) und auch
des Patienten stattfindet, ist grundsätzlich beides mög- in Unfallverhütungsvorschriften zwingend vorgeschrieben
lich. Jedoch wird durch die Händedesinfektion (bei bes- (GUV-R 250/TRBA 250, 2003).
serer Hautverträglichkeit) eine höhere Keimreduktion
erreicht.
Von dieser Regel abweichend ist z. B. nach atemstimu- 39.2 Hygienemaßnahmen in
der Physiotherapie
lierender Einreibung das Händewaschen sinnvoll und aus-
mit infektiösen Patienten
reichend. Händewaschen und anschließende Händedes-
infektion ist nur in wenigen Ausnahmefällen angebracht
(7 Kap. 24). Bei der Therapie mit isolierten Infektionspatienten ist die
rechtzeitige Information von größter Wichtigkeit. Die Phy-
siotherapeuten müssen vom Krankenhauspersonal (ggf.
39.1.2 Handschuhe vom Hygienefachpersonal) über spezielle Hygienemaß-
nahmen instruiert werden. Auch in diesen Fällen ist ein
Das Tragen von Handschuhen ist generell nur bei Gefahr Merkblattsystem empfehlenswert, in dem grundlegende
der Kontamination mit potenziell infektiösem Patienten- Informationen über die jeweiligen Krankheitserreger mit
material (z. B. Blut, Sekrete und Exkrete) notwendig. Nach Hygieneempfehlungen verbunden sind.
dem Ausziehen ist eine Händedesinfektion erforderlich, da Nach Möglichkeit soll angestrebt werden, bei isolierten
die Handschuhe nicht selten Mikroperforationen aufw eisen Infektionspatienten Infektionen – z. B. Clostridium-difficile-
oder die Hände beim Ausziehen der Handschuhe kontami- Enteritis, postoperative Infektion im OP-Gebiet mit einem
niert werden können. multiresistenten Erreger oder Infektion/Besiedlung mit
m ethicillinresistentem Staphhylococcus aureus (MRSA) –
die Behandlung im Patientenzimmer vorzunehmen. Dies
39.1.3 Schutzkittel gilt besonders, wenn eine Einzelzimmerisolierung empfoh-
len wurde. Zur Therapie benötigte Materialien müssen im
Physiotherapeuten sollen bei der Arbeit mit Patienten auf Patientenzimmer bleiben bzw. vor der Benutzung bei an-
Intensivstationen grundsätzlich einen langärmligen Kittel deren Patienten wischdesinfiziert werden.
tragen. Aber auch auf »der Normalstation« ist das Tragen Gibt es wichtige medizinische Gründe für eine Be-
von Schutzkitteln sinnvoll, wenn während der Therapie handlung in der Physiotherapieabteilung (z. B. die Nut-
großflächiger Kontakt mit dem Patienten oder auch seiner zung bestimmter Geräte oder Platzmangel im Patienten-
Bettwäsche notwendig ist. In diesem Zusammenhang sei zimmer), kann die Physiotherapie auch außerhalb des
die Patientenmobilisierung nach kinästhetischen Gesichts- Zimmers (in der Phyisothearapieabteilung oder im Freien)
punkten oder auf neurophysiologischer Grundlage wie durchgeführt werden. Dabei müssen Vorkehrungen ge-
nach dem Bobath-Konzept genannt. Hier unterstützen bzw. troffen werden, um eine Verbreitung des Infektionserr egers
übernehmen Therapeuten unter engem körperlichen Kon- zu verhindern:
takt geschwächte bzw. ausgefallene Bewegungsfunktionen 4 Grundsätzlich sollten nur kooperative, informierte
des Patienten. P atienten bzw. gut führbare Patienten außerhalb des
Der Kittel wird erst vor Patientenkontakt angezogen Patientenzimmers behandelt werden. Diese Patienten
und bleibt nach Gebrauch in der Nähe des Patientenb ettes. können am Ende des Programms behandelt werden,
Sofern keine Einwegkittel benutzt werden, kann der um notwendige Flächendesinfektionsmaß nahmen in
(nicht kontaminierte) Kittel zwischenzeitlich auch von der Phyisotherapieabteilung zu organis ieren.
39
471
39.3· Maßnahmen der Hydrotherapie
4 Der Patient soll ebenso wie der Physiotherapeut oder externa (P. aeruginosa), Konjunktivitis durch C. trachoma-
die Begleitperson eine gründliche Händedesinfektion tis (sog. Schwimmbadkonjunktivitis), Hautinfektionen und
(mindestens 30 s) durchführen. Warzen. Die Behauptung, dass Fußmykosen, aber auch
4 Bei Wundinfektionen muss darauf geachtet werden, Genitalmykosen häufig durch Schwimmbäder übertragen
dass der Patient einen gut sitzenden, trockenen und werden, ist falsch. Fußmykosen werden sehr viel häufiger
sauberen Verband hat. durch die längere Einwirkung des Wassers und somit Auf-
4 Bei Ganzkörperbesiedlung, die bei Staphylokokken- weichung der Haut reaktiviert. Genitalmykosen haben vor
(MRSA-)Infektionen, aber auch anderen multiresisten- allem endogene Ursachen. Wenn exogene Faktoren eine
ten Erregern möglich ist, sollte der Patient frische Klei- Rolle spielen, dann nicht Badewasser, sondern unzurei-
dung oder einen Schutzkittel über seine Kleidung an- chende Körperhygiene oder Sexualkontakte. Auch Legio-
ziehen. Auch das Physiotherapiepersonal soll (wie auch nelleninfektionen werden in Kliniken nicht durch
bei der Behandlung im Patientenzimmer) einen fri- Schwimmbäder übertragen, allerdings ist die Bedeutung
schen Schutzkittel tragen. von Duschen in diesem Zusammenhang bekannt. Die
4 Bei nasaler Besiedlung/Ganzkörperbesiedlung mit Übertragung von Trichomonaden durch Badewasser ist
MRSA, aber auch bei noch unklarem Trägerstatus soll ebenfalls sehr unwahrscheinlich, wobei als mögliche Infek-
der Patient mit Infektions- bzw. Kolonisationsverdacht tionsquelle neben dem Wasser auch Badeutensilien und
außerhalb des Zimmers einen chirurgischen Mund- feuchte Sitze verdächtigt werden.
schutz tragen. Das Physiotherapiepersonal trägt wäh- Trotz der insgesamt geringen Infektionsgefahr müssen
rend der Behandlung (wie auch im Patientenzimmer) jedoch folgende Regeln eingehalten werden:
ebenfalls einen chirurgischen Mundschutz. 4 Vor dem Baden Blase und Darm entleeren.
4 Insbesondere nach der Behandlung von MRSA-Trägern 4 Vor und nach dem Baden duschen.
müssen alle Kontaktflächen (z. B. Rollstuhl, Gehhilfen, 4 Im Badebereich saubere Badeschuhe tragen.
Vibrax oder ggf. »ergotherapeuthische« Hilfsmittel) mit 4 Patienten mit Wundinfektionen, Infektionen der Haut
kliniküblichem Flächendesinfektionsmittel wischdes- oder ausgedehnten Fußmykosen dürfen Gemein-
infiziert werden. Wichtig ist eine gute Zusammenarbeit schaftsbäder nicht benutzen. Dies gilt auch für Patien-
mit dem Klinikreinigungspersonal! ten mit anderen Infektionen.
4 Nach dem Baden besonders Füße bzw. Zehenzwischen-
Flächendesinfektion. Eine Wischdesinfektion von Geh- räume gründlich abtrocknen.
wägen, Geräten, Mobiliar oder Gymnastikmatten ist nur 4 Badebekleidung nach jedem Baden waschen.
nach Kontamination mit potenziell infektiösem Material
erforderlich, ansonsten sind Reinigungsmaßnahmen aus- Patienten mit Anus praeter können mit wasserfesten Ver-
reichend (7 39.4). Nach Behandlung von Patienten in der sorgungssystemen baden. Vor dem Baden soll der Beutel
Physiotherapieabteilung, die z. B. eine Staphylokokken- erneuert werden. Da der Kohlefilter durch das Wasser zer-
(MRSA-)Infektion haben, ist jedoch eine Wischdesinfek- stört wird, soll er entweder zugeklebt oder der Beutel nach
tion der benutzten Gegenstände und Flächen auch ohne dem Baden gewechselt werden. Patienten mit Anus praeter,
sichtbare Kontamination notwendig, um das Risiko der die geregelten Stuhlgang haben, beispielsweise durch die
E rregerübertragung auf andere Patienten so gering wie morgendliche Darmspülung, können einen sog. Minibeutel
möglich zu halten. Ob Desinfektionsmaßnahmen sinnvoll oder eine Stomakappe auflegen.
sind, muss im Einzelfall mit dem Hygienefachpersonal
g eklärt werden (7 Kap. 19). Reinigung und Desinfektion
Eine routinemäßige Reinigung des Wasserbeckens ist un-
erlässlich. Eine laufende Desinfektion des Beckens und
39.3 Maßnahmen der Hydrotherapie anderer Flächen in der Umgebung, z. B. von Fußböden,
Wänden, Umkleidekabinen, Toiletten, Duschen, ist da-
39.3.1 Therapie- und Bewegungsbäder gegen unnötig, weil es allenfalls zu einer kurzfristigen
Keimzahlreduktion auf den Flächen kommt: Spätestens
Infektionsrisko 1–2 Stunden danach ist die Ausgangskeimzahl wieder
Jede Person, also auch jeder Patient, der sich vorher nicht e rreicht. Eine D esinfektion der Flächen mit geeigneten
reinigt (abseift, shampooniert), gibt im Bad innerhalb von Desinfektionsmitteln und Verfahren muss nur nach
3 Minuten ca. 108–109 Keime vor allem seiner physiolo- K ontamination mit p otenziell infektiösem Material (z. B.
gischen Hautflora ab. Die häufigsten potenziell pathogenen Blut, Stuhl) erfolgen (7 Kap. 19).
Keime, die aus Badebereichen in Krankenhäusern isoliert Das Becken muss mindestens einmal jährlich entleert
werden konnten, sind P. aeruginosa, Enterokokken, S. au- werden, anschließend ist eine gründliche Reinigung des
reus und E. coli. Die häufigsten Erkrankungen, die in Beckenbodens und der Beckenwände notwendig. Rück-
Schwimmbädern übertragen werden können, sind Otitis stände von Reinigungsmitteln müssen durch gründliche
472 Kapitel 39 · Physiotherapie
Spülung entfernt werden. Die Reinigung des Becken-
. Tab. 39.1. Mikrobiologische Anforderungen an das Rein- und
bodens soll täglich, die Reinigung der Beckenwände
Beckenwasser
wöchentlich durchgeführt werden. Dabei werden Saugge-
Reinwasser Beckenwasser
räte und Bürsten eingesetzt. Die Überlaufrinnen sollen
KBE bei 20°C bis 20/ml bis 100/ml
mindestens einmal wöchentlich gereinigt werden. Rinnen-
roste werden abgenommen, um auch die Unterseite des KBE bei 36°C bis 20/ml bis 100/ml
III Rostes, die Rostauflageflächen und die Rinne reinigen Koliforme Keime bei 36°C 0/100 ml 0/100 ml
zu können. Nach Abschluß der Reinigungsarbeiten wer- E. coli bei 36°C 0/100 ml 0/100 ml
den Rinnen, Roste und Ableitungskanäle gründlich ab-
P. aeruginosa bei 36°C 0/100 ml 0/100 ml
gespült.
Legionella pneumophila 0/100 ml a 0/1 ml b
Wasserspeicher sollen bei Bedarf, mindestens jedoch
halbjährlich entleert und gereinigt werden. Einschicht- und a Im Filtrat, b im Beckenwasser von Warmsprudelbecken sowie
Becken mit zusätzlichen Wasserkreisläufen und Beckentempera-
Mehrschichtfilter sollen mindestens zweimal wöchentlich
turen über 30°C.
gespült werden. Die Filterflächen der Anschwemmfilter
werden durch Spülen oder Abspritzen mindestens zweimal
wöchentlich gereinigt. Die Reinigungsarbeiten werden im
Betriebsbuch dokumentiert. Reinigungs- oder ggfs. Desin- Definition
fektionsmittel dürfen die Wasserbeschaffenheit nicht be- Unter Reinwasser versteht man das aufbereitete Wasser
einflussen. Bei Reinigungsarbeiten in der Beckenumgebung nach Einmischung des Desinfektionsmittels; Füllwasser
sollen diese nicht mit dem Wasser in Berührung kommen. ist das zur Erst- und Nachfüllung benutzte Wasser.
Der Beckenrand selbst soll nur mit Wasser gereinigt wer-
den. Möglich ist auch die Reinigung mit dem vorhandenen
Beckenwasser. Das Füllwasser muss mikrobiologisch nur dann untersucht
Da Holzroste schwer zu reinigen und zu trocknen sind, werden, wenn es nicht aus der öffentlichen Wasserver-
sollen vorzugsweise Kunststoffroste verwendet werden. sorgung stammt. Das Füllwasser von Bewegungsbädern
Bei der Auswahl von Hebegurten muss darauf geachtet besitzt in der Regel Trinkwasserqualität. Ein Eintrag von
werden, dass sie abwaschbar sind, da sie ggf. auch von in- fakultativ pathogenen Erregern ist über diesen Weg un-
kontinenten Patienten benutzt werden müssen. Wärme- wahrscheinlich. Zur Wassererneuerung sind kontinuierlich
sitzbänke sollen immer trocken gehalten werden, um eine oder einmal am Tag je Besucher mindestens 30 l Becken-
Vermehrung von Mikroorganismen nicht zu begünstigen. wasser gegen Füllwasser auszutauschen. Unter bestimmten
Wäscheschleudern sollen wegen der möglichen Kontami- Voraussetzungen, wie mangelnde Rückspülung oder unzu-
nation der Badekleidung nicht benutzt und deshalb nicht reichende Wasserdesinfektion, können sich Mikroorganis-
aufgestellt werden. men, insbesondere auf der Filteroberfläche, vermehren und
ins Badewasser gelangen. Da dies besonders häufig bei
Überwachung der Wasseraufbereitungsanlage P. aeruginosa vorkommt, muss bei erhöhten Koloniezahlen
Das Wasser von Therapie- und Bewegungsbecken im Kran- von P. aeruginosa im einlaufenden Wasser an einen Eintrag
kenhaus muss denselben Anforderungen genügen wie das aus dem Filter gedacht werden.
Schwimmbadwasser in öffentlichen Schwimmbädern. Die Im medizinischen Bereich werden Therapie- und Be-
Überwachung der Schwimmbadaufbereitungsanlage er- wegungsbecken unterschieden. Die Wasseraufbereitung
folgt täglich anhand eines Betriebsbuches, das als Nachweis von Therapiebecken erfolgt wesentlich strenger, da sie von
gegenüber der Gesundheitsbehörde gilt. Die entsprechen- erhöht infektionsgefährdeten oder auch inkontinenten
den Parameter können der DIN 19643 (oder in Zukunft der P atienten benützt werden. Deshalb sollen sie an Wasserauf-
Badewasserverordnung) entnommen werden. Die mikro- bereitungsanlagen mit Ozonisierung angeschlossen werden
biologischen Anforderungen an das Rein- und Becken- (7 dazu DIN 19643 Teil 3). Bewegungsbecken sind Schwimm-
wasser von Schwimmbädern sind in 7 Tab. 39.1 zusammen- und Badebecken für medizinisch indizierte Bewegungs-
gestellt. therapie im Bereich der Rehablitation und Prävention.
Die mikrobiologische Kontrolle der Wasserbeschaffen-
heit erfolgt in der Regel einmal im Monat. Die bakteriolo- Fußsprühanlagen
gischen Proben des Beckenwassers sind während der Bereits 1990 hat das ehemalige BGA festgestellt, dass beim
Hauptbelastungszeit des Beckens ca. 50 cm vom Becken- »derzeitigen Stand der Erkenntnis … die Bereitstellung und
rand entfernt aus dem oberflächennahen Bereich zu ent- die Anwendung von Fußsprühanlagen wegen des umstrit-
nehmen, z. B. jeweils eine Probe von Ein- und Auslauf. tenen Nutzens für die Fußpilzprophylaxe nicht mehr ver-
Reinwasserproben werden aus dem Zapfhahn der Rein- pflichtend vorgeschrieben werden« kann. Die meisten Prä-
wasserleitung unmittelbar vor Eintritt des Wassers in das parate enthalten Formaldehyd oder andere Aldehyde, die
Becken genommen. direkt auf die trockene Haut aufgesprüht werden sollen. Die
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473
39.4· Reinigungs- und Desinfektionsplan in der Physiotherapie
Einwirkzeit soll mindestens 5 min bis zum Trocknen der Da Acrylbadewannen, die bezüglich Reinigung und Des-
Haut betragen. Aldehyd- und insbesondere formaldehyd- infektion problematisch sind, immer mehr Verwendung
haltige Präparate führen jedoch häufig zu Allergien, und im finden, sind im Folgenden die wichtigsten Reinigungs- und
übrigen gibt es keine Untersuchungen, die den präventiven Desinfektionsmaßnahmen zusammengestellt. Acrylglas
Wert von Fußsprühanlagen belegen können. Außerdem (Plexiglas) ist ein nicht kratzfester Kunststoff, der gegenü-
wird von den meisten Verwendern von Fußsprühanlagen ber verschiedenen chemischen Substanzen nicht oder nur
das Desinfektionsmittel auf die nasse Haut aufgesprüht und bedingt beständig ist.
die Einwirkzeit nicht eingehalten. Beim Einsatz zentraler
Desinfektionsmittelanlagen muss darüber hinaus berück-
sichtigt werden, dass bis zu 50% dieser Anlagen mit gram- Materialschonung bei der Pflege
negativen Keimen kontaminiert sein können. Die verwen- von Acrylbadewannen
deten Präparate schließlich müssen als Arzneimittel zuge- 5 N ur Reinigungstücher verwenden – keine Bürsten
lassen sein. oder Schwämme.
5 Staub mit feuchtem Tuch, nicht trocken entfernen.
> Die einzige wirksame Fußpilzprophylaxe ist das Tragen
5 Nur flüssiges Reinigungs- oder Desinfektions-
von Badeschuhen und das gründliche Trocknen der Füße
mittel verwenden, keinesfalls Scheuerpulver oder
mit Zehenzwischenräumen nach dem Baden.
-milch.
5 R einigungs- oder Desinfektionsmittel nicht konzen-
39.3.2 Wannenbäder und Packungen triert anwenden; Dosierung genau einhalten.
5 K einen Alkohol oder alkoholhaltige Reinigungs-
Reinigung und Desinfektion von
oder Desinfektionsmittel verwenden. Vorsicht mit
medizinischen Wannen
alkoholischem Händedesinfektionsmittel.
Verschiedene medizinische Bäder mit Zusätzen von z. B. 5 B ei Anwendung von färbenden Badezusätzen
pflanzlichen Auszügen, Kohlensäure oder Sauerstoff (Luft- (z. B. Kamillosan) ist die Badewanne sofort nach
perlbäder) bzw. hydroelektrische Vollbäder (Stanger-Bad) Entleerung zu reinigen.
werden in der Hydrotherapie eingesetzt. Bei nicht infizier-
ten Patienten genügt eine gründliche Reinigung der Wan-
nen mit einem frischen Tuch und flüssigem Allzweckreini- Moorbäder
ger. Um die Flächen nicht aufzurauhen, sollen weder Bürs- Moorbäder dürfen nur als Einzelbäder verabreicht werden,
ten noch Scheuersand verwendet werden. Anschließend weil bei Gemeinschaftsmoorbädern das Risiko der Über-
wird die Wanne gründlich abgetrocknet. Bei Benutzung tragung von Krankheitserregern vorhanden ist.
durch kolonisierte oder infizierte Patienten (z. B. mit Haut-
ausschlägen oder Wundinfektionen) müssen die Wannen Fangopackungen
wischdesinfiziert werden. Nach der Desinfektion müssen Als Fangopackung werden heute meist Peloid-Paraffin-
die Wannen gründlich mit fließendem Wasser nachgespült Gemische verwendet. Nach Säuberung der benutzten
werden, um Desinfektionsmittelreste zu beseitigen. Aus or- Schmelzmasse und anschließender Desinfektion bei
ganisatorischen Gründen ist es sinnvoll, infizierte Patienten 130°C und einer Haltezeit von 15 min in speziellen
zuletzt zu behandeln. Fangoaufb ereitungsanlagen erfolgt die Wiederverwen-
dung. Eine Überprüfung dieser Anlagen mit Bioindikato-
ren ist nicht notwendig, da die Packungen, sofern keine
Handlungsanleitung zur Reinigung/Desinfektion schützende F olie verwendet wird, nur auf intakte Haut
Reinigung: aufgelegt w erden dürfen. Vor der ersten Anwendung soll
5 A nsetzen einer Reinigungslösung mit umwelt- laut Herstellerangaben die Fangopackung sterilisiert
freundlichem Reiniger, w erden. Aus hygienischer Sicht genügt jedoch eine Des-
5 gründliche Reinigung mit frischem Tuch, infektion.
5 m it Wasser nachspülen und mit frischem, weichem
Tuch trocknen.
Desinfektion bei infizierten Patienten:
5 Ansetzen einer Flächendesinfektionsmittellösung
(nach Herstellerangaben),
5 mit Tuch auswischen,
5 g ründlich mit Wasser nachspülen und mit frischem,
weichem Tuch trocknen.
474 Kapitel 39 · Physiotherapie
39.4 Reinigungs- und Desinfektionsplan in der Physiotherapie
Was Wann Womit Wie
Händewaschen Bei Betreten bzw. Verlassen des Flüssigseife aus Spender Hände waschen, mit Einmalhand-
Arbeitsbereiches tuch abtrocknen. Alternativ
H ändedesinfektion
III Hygienische Vor und nach Patientenkontakt; Alkolholisches Ausreichende Menge entneh-
Händedesinfektion vor invasiven Maßnahmen; nach Kon- H ändedesinfektionsmittel men, damit die Hände vollstän-
tamination (bei grober Verschmutzung dig benetzt sind, verreiben, bis
vorher Hände w aschen); Hände trocken sind (30 s), kein
nach Ausziehen der Handschuhe Wasser dazugeben
Atemtrainer Wöchentlich; Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder in Instrumentendesin-
nach Kontamination; fektionsmittel einlegen, abspülen, trocknen
bei Patientenwechsel
Blutdruckmanschette Nach Kontamination Alkohol (70%) oder Reinigungs- und Ggf. reinigen, wischdesinfizieren
Desinfektionsautomat
Kompressionsstrümpfe Spätestens alle 48 h wechseln Waschmaschine Als Krankenhauswäsche
d esinfizierend waschen
Kühlkompresse Nach Gebrauch Flächendesinfektionsmittel; ggf. Wischdesinfizieren
( immer Schutzbezug A lkohol (70%)
v erwenden)
Liftertücher Nach Kontamination, Waschmaschine Als Krankenhauswäsche
bei Patientenwechsel d esinfizierend waschen
Mundpflegeset
Tablett/Becher Einmal täglich, Reinigungs- und Desinfektionsautomat
bei Patientenwechsel
oder Alkohol (70%
Wischdesinfizieren
Becher mit Nach Gebrauch Reinigungs- und
G ebrauchslösung D esinfektionsautomat
oder Alkohol (70%) Wischdesinfizieren
Stethoskop Nach Kontamination Alkohol (70%)
Ggf. reinigen, wischdesinfizieren
Sauerstoffanfeuchter
Wasserbehälter Alle 48 h Reinigungs- und Desinfektionsauto-
( Mehrweg, mat oder reinigen, trocknen, sterili-
mit Aqua dest.) sieren
Verbindungsschlauch, Bei Patientenwechsel, alle 7 Tage, Reinigungs- und Desinfektionsauto-
Maske bei Bedarf mat
F lowmeter Bei Bedarf Alkohol (70%) Wischdesinfizieren
Vibrax
Einmal täglich; bei Patientenwechsel; Flächendesinfektionsmittel Reinigen, wischdesinfizieren
nach Kontamination oder Alkohol (70%)
Waschschüssel Nach Gebrauch Reinigen
Nach Kontamination Flächendesinfektionsmittel Zusätzl. wischdesinfizieren, mit
(oder Reinigungs- und Wasser nachspülen, trocknen
Desinfektionsmaschine)
Geräte, Mobiliar Einmal täglich Reinigen
Nach Kontamination Flächendesinfektionsmittel Wischdesinfizieren
Aufbewahrungsboxen, Nach Bedarf Reinigen
Schubladen etc.
Nach Kontamination Flächendesinfektionsmittel Desinfizieren
Badewannen, Duschen Nach Gebrauch Reinigen
Nach Kontamination Flächendesinfektionsmittel Wischdesinfizieren, nachspülen,
trocknen
6
39
475
Literatur
Was Wann Womit Wie
Turnmatten/ Fußmatten Einmal täglich Hausübliches Reinigungssystem
Nach Kontamination Flächendesinfektionsmittel Wischdesinfizieren
Fußboden Einmal täglich Hausübliches Reinigungssystem
Nach Kontamination Flächendesinfektionsmittel Wischdesinfizieren
Waschbecken Einmal täglich Reinigen
(inkl. Armaturen)
Nach Kontamination Flächendesinfektionsmittel Wischdesinfizieren
Strahlregler Einmal/Monat Reinigungs- und Desinfektionsautomat oder Geschirrspülmaschine
Nach Kontamination: nach Kontamination mit Körpersekreten und anderem (potenziell) infektiösem Material.
Anmerkungen und Erläuterungen Literatur
4 Für Patienten mit bestimmten infektiösen Erkrankun-
gen und Kolonisation mit multiresistenten Erregern GUV-R 250/TRBA 250 (2003) Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheits-
wesen und in der Wohlfahrtspflege, http://www.baua.de/prax/
müssen teilweise häufiger Desinfektionsmaßnahmen
abas/trba250.pdf
anstelle der Reinigung durchgeführt werden (7 entspre-
Kralovic SM, Linnemanns CC Jr (2004) Nosocomial infections associated
chende Hygienestandards). with physical therapy, including hydrotherapy. In: MayhallGC (ed)
4 Alle verwendeten Desinfektionsmittel müssen auf ihre Hospital epidemiology and infection control, 3rd edn. Lippincott
Wirksamkeit hin geprüft sein (Näheres 7 oben und Williams & Wilkins, Philadelphia, pp 1173–1179
Tredget EE, Shankovsky HA, Joffe AM et al. (1992) Epidemiology of infec-
7Kap. 19).
tions with Pseudomonas aeruginosa in burn patients: the role of
4 Nach Kontamination mit potenziell infektiösem Ma-
hydrotherapy. Clin Infect Dis 15: 941–949
terial (z. B. Sekreten oder Exkreten) immer sofort ge-
zielte Desinfektion der Fläche.
4 Beim Umgang mit Instrumenten oder Flächendesin-
fektionsmitteln immer mit Haushaltshandschuhen ar-
beiten (Allergisierungs- und ggf. toxisches Potenzial).
4 Ansetzen der Desinfektionsmittellösung nur in kaltem
Wasser (Vermeidung schleimhautreizender Dämpfe).
4 Anwendungskonzentrationen beachten, Einwirkzeiten
von Instrumentendesinfektionsmitteln einhalten.
4 Standzeiten von Instrumentendesinfektionsmitteln
nach Herstellerangaben (wenn Desinfektionsmittel mit
Reiniger angesetzt wird, täglich wechseln).
4 Benutzung der Flächen nach Wischdesinfektion, sobald
wieder trocken.
4 Mit Blut etc. belastete Flächen- und Instrumentendes-
infektionsmittellösung mindestens täglich wechseln.
4 Haltbarkeit einer unbenutzten dosierten Flächendes-
infektionsmittellösung (z. B. 0,5%) in einem verschlos-
senen Vorratsbehälter (z. B. Spritzflasche) nach Her-
stellerangaben.
Nervenarzt OOrriiggiinnaalliieenn
2001 · 72:950–954 © Springer-Verlag 2001
S.Hesse · M.Staats · C.Werner · A.Bestmann · M.L.Lingnau
Abt.Neurologische Rehabilitation,Freie Universität Berlin
Ambulante Krankengymnastik von
Schlaganfallpatienten zu Hause
Vorläufige Ergebnisse über Umfang,Inhalt und Effektivität
D
Zusammenfassung ie Versorgung von akuten Schlagan- 1.Wieviel und wie oft erhielten Berliner
fallpatienten aufeiner sog.„Stroke Unit“ Schlaganfallpatienten ambulante
Zielsetzung. Umfang,Inhalt und Effektivität mit nachfolgender Rehabilitation ist in Krankengymnastik während eines
der ambulanten Krankengymnastik von Deutschland zunehmend etabliert.Die Zeitraums von 6 Monaten nach Ent-
Schlaganfallpatienten zu Hause sollten in Rehabilitation unter Einsatz eines multi- lassung aus der stationären Rehabi-
dieser Studie überprüft werden. professionellen Teams erfolgt vorwie- litation? Weitere Fragen zielten auf
Methodik. 74 erstmalige Schlaganfallpati- gend stationär,die Erfolge dieser Versor- die Umstände der Therapie (zu Hause
enten,die zum Entlassungszeitpunkt nach gungskette konnten groß angelegte Out- oder in der Praxis,Anfahrtszeit),
Hause einen mittleren Barthel-Index (BI) von come-Studien hinsichtlich der Verbesse- deren Inhalte und die Zufriedenheit.
55,6 aufwiesen,wurden in die Studie aufge- rung u.a.der Alltagskompetenz,moto- 2.Wie veränderten sich in dem gleichen
nommen.Ein Fragebogen erfasste Umfang, rischen,kognitiven und kommunikati- Zeitraum die motorischen Funktio-
Umstände,Inhalt und Zufriedenheit mit der ven Funktionen belegen [6,9]. nen und die Alltagskompetenz und
ambulanten Physiotherapie während der Die Therapiesituation nach Entlas- bestand ggf.ein Zusammenhang
letzten 6 Monate sowie die Items des BI und sung aus der stationären Rehabilitation zwischen der Intensität der Therapie
des Rivermead-Motor-Scores (RMS). dagegen ist in Deutschland unübersicht- und einer möglichen funktionellen
Ergebnis.Von 54 erhielten 50 Patienten lich und war bisher nicht Bestandteil Veränderung?
durchgehend Krankengymnastik,mit einer umfangreicher Untersuchungen.In der
Intensität von 90,2min/Woche (SD 60,9),ver- Regel empfehlen Kollegen in den Reha- Zielgruppe waren Patienten,die noch
teilt auf im Mittel 2,9 Sitzungen/Woche.Die Einrichtungen für den in den motori- unter einer relevanten Einschränkung
Therapiezufriedenheit war hoch (84%) und schen Funktionen noch beeinträchtig- ihrer motorischen und alltäglichen Fä-
der Therapeut war wesentlicher außerfamiliä- ten Patienten eine Fortführung zumin- higkeiten (Barthel-Index <80) zum Zeit-
rer Bezugspunkt.Der BI und der RMS hatten dest der Krankengymnastik,die nieder- punkt der Entlassung litten.
sich im Vergleich zur Entlassung nicht geän- gelassene Kollegen in Blöcken von 6–10 Zielsetzung der Arbeit war somit ei-
dert,die Therapieintensität korrelierte nicht Einheiten,bevorzugt aufneurophysio- ne erste Bestandsaufnahme der in einer
mit deren individuellen Veränderungen. logischer Basis, verordnen. Anschlie- deutschen Großstadt von Schlaganfall-
Schlussfolgerung. Im internationalen Ver- ßend erbringen in der Regel private patienten in Anspruch genommenen am-
gleich erhielten die noch funktionell beein- krankengymnastische Praxen diese Lei- bulanten krankengymnastischen Thera-
trächtigten Schlaganfallpatienten umfang- stung,Therapien aufneurophysiologi- pie und eine vorläufige Einschätzung
reiche Physiotherapie.Die Patienten waren scher Basis sind dabei Behandlungen der Effektivität der Behandlung.
sehr zufrieden und konnten ihr Entlassungs- nach den Konzepten von Bobath,Vojta
niveau halten.Einschränkend gilt,dass keine und PNF. Methodik
Korrelation zwischen der interindividuell un- Dem verständlichen Wunsch der
terschiedlichen Therapieintensität und Ver- Patienten und Angehörigen nach mög- Patienten
änderungen der Fähigkeiten vorlag.Weitere lichst viel ambulanter Krankengymna-
Studien,auch unter Berücksichtigung mo- stik stehen Budgetbeschränkungen so- Von allen in einer Datenbank erfassten
derner Therapiekonzepte,sind angezeigt. wie keine gesicherten Erkenntnisse über Schlaganfallpatienten in der Klinik Ber-
Umfang,Inhalte,Zufriedenheit und Ef- lin erfüllten 74 die unten aufgeführten
Schlüsselwörter fektivität der ambulanten Krankengym- Einschlusskriterien und wurden für die
nastik entgegen. Studie berücksichtigt.
Effektivität · Krankengymnastik ambulant · Die folgende Untersuchung wollte
Schlaganfall daher unter Zuhilfenahme eines Frage-
Priv.-Doz.Dr.S.Hesse
bogens zu den folgenden Fragekomple- Klinik Berlin,Kladower Damm 223,
xen Stellung nehmen: 14089 Berlin
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Der Nervenarzt 12•2001
Nervenarzt
2001 · 72:950–954 © Springer-Verlag 2001
S.Hesse · M.Staats · C.Werner Die Einschlusskriterien waren: a) Häufigkeit,Dauer,Ort und Inhalte
A.Bestmann · M.L.Lingnau ◗ erstmaliger supratentorieller Schlag- der ambulanten Krankengymnastik
anfall mit konsekutiver Hemiparese, 6Monate nach Entlassung und im
Outpatient physiotherapy in stroke ◗ anschließende stationäre Rehabili- Zeitraum davor;weitere diesbezüg-
patients at home.Preliminary data of tation, liche Fragen betrafen die Kosten-
extent,content,and effectivity ◗ Entlassung nach Hause, übernahme,die Zufriedenheit und
◗ zum Zeitpunkt der Entlassung noch Bedeutung der ambulanten Physio-
Summary eingeschränkte motorische Funktio- therapie sowie Verbesserungsvor-
nen mit einem Scorewert von höch- schläge;
Aim.This study was intended to examine stens 10 Punkten der Sektion „Allge- b)subjektives Empfinden der motori-
extent,content,and effectiveness of outpa- meine Funktionen der Rivermead- schen Fähigkeiten im Vergleich zum
tient physiotherapy in stroke patients. Motor-Skala“ (RMS,0–13) sowie noch Zeitpunkt der Entlassung,verwandt
Methods. Seventy-four first-time stroke eingeschränkte ADL-Fertigkeiten wurde eine visuelle Analogskala
survivors were included who had a mean mit einem Barthel-Index (BI,0–100) (0–100%),50% bedeutete einen un-
Barthel index (BI) of 55.6 when discharged von höchstens 80 Punkten, veränderten Zustand und 0% (100%)
home.A questionnaire asked about the ◗ Wohnort innerhalb Berlins, eine maximale Verschlechterung
extent,content,and satisfaction with their ◗ in der Lage,zumindest mit Hilfe, (Verbesserung) der motorischen
outpatient physiotherapy over the previous den Fragebogen auszufüllen. Fähigkeiten;
6 months and scored the items of the BI and c) BI und RMS,den die Patienten mit
the gross functions of the Rivermead Motor Das Patientengut umfasste 41 Män- Unterstützung des ambulant tätigen
Assessment Score (RMS). ner und 33 Frauen, das mittlere Alter Therapeuten oder ihrer Angehöri-
Results. Fifty of 54 patients had received war 63,6 Jahre mit einem Bereich von gen ausfüllen sollten.
ongoing physiotherapy,mean intensity was 25–83Jahre,39 (35) Patienten litten un-
90.2min/week (SD 60.9) with a mean of 2.9 ter einer Hemiparese rechts (links),zum Auswertung
(range 1 to 5) sessions/week.Eighty-four per Zeitpunkt der Entlassung lag der Schlag-
cent of the patients were content and rated anfall im Mittel 5,3 (Bereich 2,8–9,2) Mo- Die Auswertung war zum einen deskrip-
the therapist as their most important social nate zurück.Die mittlere Aufenthalts- tiv,zum anderen wurde eine Korrelati-
contact out of family.The BI and RMS re- dauer in der Klinik Berlin betrug 47,2Ta- on nach Pearson zwischen der Intensi-
mained stable.Therapy intensity did not gemit einem Bereich von 28–142 Tagen. tät der ambulanten Therapie und den
correlate with their individual course. Während dieser Zeit hatte sich der mitt- BI- und RMS-Werten bzw.deren Verän-
Conclusions.The moderately affected stroke lere BI von 31,2 (SD 17,6) auf 55,6 (SD derungen innerhalb des Beobachtungs-
patients received a great amount of therapy. 21,5) und der RMS von 3,8 (SD 3,2) auf zeitraums berechnet.
They were content and had maintained their 7,6 (SD 3,6) verbessert.
activity level.However,the individually vary- Ergebnisse
ing therapy intensity did not correlate with Erhebungen
any individual activity changes.Further 54 von 74 Patienten (73%) sandten den
studies are needed that take modern thera- Zum Zeitpunkt der Entlassung waren Bogen vollständig ausgefüllt zurück.Kei-
py concepts into account. die ADL-Fertigkeiten sowie die motori- ner der 54 Patienten,die geantwortet hat-
schen Fähigkeiten mit Hilfe des Barthel- ten,hatte eine schwerwiegende Neuer-
Keywords Index (BI) bzw.der Rivermead-Motor- krankung mit längerem stationären Auf-
Skala (RMS) routinemäßig erfasst wor- enthalt während der 6Monate nach Ent-
Stroke rehabilitation · Physiotherapy · den.Der RMS überprüft 13 motorische lassung erlitten.Unter den 20 Patienten,
Effectiveness Fertigkeiten,wie u.a.Drehen im Bett, die nicht geantwortet hatten,waren,nach
Sitzen an der Bettkante, Aufstehen, Auskunft Angehöriger oder Bekannter,
Transfer,Gehen,Treppensteigen,Aufhe- zumindest einer verstorben und 5 erneut
ben eines Gegenstandes vom Boden, stationär eingewiesen worden.
Rennen und Hüpfen.Die Skala ist hier-
archisch aufgebaut und unterscheidet, Ambulante Physiotherapie
ob ein Patient die überprüfte Fähigkeit
kann oder nicht kann [10].Der bestens 50 Patienten hatten durchgehend kran-
bekannte BI überprüft basale alltägliche kengymnastische Behandlung während
Verrichtungen (ADLs) [11]. der letzten 6 Monate,die übrigen 4 Pati-
Sechs Monate später wurden die Pa- enten hatten die Therapie nach 2 bzw.3
tienten aufgefordert,einen Fragebogen Monaten (je 2 Fälle) beendet; Gründe
alleine bzw.mit Hilfe der Angehörigen waren eine subjektiv ausreichend emp-
und Krankengymnasten auszufüllen. fundene Genesung (2 Fälle) bzw.nicht
Schickten die Patienten den Bogen nicht bekannt (2 Fälle).Der wöchentliche Um-
innerhalb von 4Wochen zurück,so wur- fang der Physiotherapie zum Erhe-
den sie telephonisch erinnert.Die fol- bungszeitpunkt (d. h. 6 Monate nach
genden Punkte wurden überprüft: Entlassung) war wie folgt:4 Patienten
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Originalien
erhielten KG einmal/Woche,27 Patien-
ten 2-mal/Woche, 11 Patienten 3-mal/
Woche und 8 Patienten sogar 4- bis
5-mal/Woche. Die Behandlungsdauer
war 20 min in 15%, 30 min in 31%,
40–50min in 45% und 60min in 9% der
Fälle.Die mittlere Intensität (als Produkt
aus Anzahl (cid:215)Behandlungszeit) war 90,2
(SD 60,9) min/Woche.42 der 50 Patien-
ten gaben an, dass die Intensität der
Therapie in den letzten 6 Monaten na-
hezu unverändert gewesen sei.Die An-
gaben:mehr oder weniger Therapie zu-
vor,hielten sich die Waage (jeweils 4 Pa-
tienten),sodass die einmalige Erhebung
nach 6 Monaten als repräsentativ zu Abb.1 (cid:2)Therapieintensität
werten war.
(min/Woche) vs.Barthel-
26 der 50 Patienten wurden zu Hau- Index (BI,0–100) als Maß
se behandelt,21 Patienten suchten eine der Selbständigkeit in den
Praxis aufund die übrigen 3 Patienten alltäglichen Verrichtungen
erhielten an beiden Orten ihre Behand- bzw.vs.Rivermead-Motor-
Assessment-Score,Sektion
lung.Die mittlere Anfahrtszeit zur Pra-
allgemeine motorische
xis betrug 21min.Während der Physio-
Funktionen (RMS,0–13),
therapie wurden die Patienten überwie-
zum Zeitpunkt 6 Monate
gend (80%) im Liegen,Sitzen,Stehen nach Entlassung nach
oder im Vierfüßlerstand behandelt.Geh- Hause.Beachte,dass der
übungen waren nur in 20% der Fälle Be- Therapieumfang nicht mit
standteil der Therapie. 42 Patienten der Schwere der funktio-
(84%) waren äußerst oder sehr mit ih- nellen Beeinträchtigungen
korrelierte
rer Krankengymnastik zufrieden und
maßen ihr einen sehr hohen Stellenwert
bei.Jeder 2.Patient wünschte sich mehr
Therapie,vermehrtes Üben des Gehens änderte sich ebenfalls nicht,der mittle- sehr zufrieden,erlebten die Therapeu-
wünschten sich 18 Patienten. re Wert 6Monate nach Entlassung be- ten als ihre wesentlichen außerfamiliä-
32 Patienten verließen unabhängig trug 55,4 (SD 21,1) vs.55,6 (SD 21,5) zum ren Bezugspersonen bei gleichzeitiger
von der Physiotherapie nie oder nur ein- Zeitpunkt der Entlassung. sozialer Isolation.Die Patienten berich-
mal/Woche ihre Wohnung,12 Patienten Die Intensität der Therapie korre- teten über eine subjektiv empfundene
2- bis 3-mal/Woche und 10 Patienten lierte nicht mit der individuellen Verän- Verbesserung ihrer motorischen Fähig-
mehr als 3-mal/Woche.45% der Patien- derung des RMS- und des BI-Wertes keiten,dem gegenüber waren die mittels
ten beklagten eine soziale Isolation und während der 6 Monate nach Entlassung. Skalen erhobenen motorischen oder all-
benannten die Therapeuten als wesentli- Auch ergab sich keine Korrelation zwi- täglichen Fertigkeiten konstant geblie-
che Ansprechpartner außerhalb der Fa- schen der Intensität der Therapie und ben.Die Therapieintensität korrelierte
milie.Alle 54 Patienten übten eigenstän- den absoluten BI- und RMS-Werten, nicht mit dem funktionellen Ergebnis
dig zu Hause,im Schnitt 3,5-mal/Woche, d.h.die Schwere der Fähigkeitsstörun- des einzelnen Patienten.
wobei sie in 28 Fällen von einem Ver- gen korrelierte nicht mit dem Umfang Die Arbeit hat mehrere Schwach-
wandten oder Bekannten unterstützt der Therapie (Abb.1,2). punkte,weswegen die Ergebnisse im Ti-
wurden. tel als vorläufig bezeichnet wurden.Die
Diskussion Stichprobe (n=74) war klein, und die
Motorische Fähigkeiten antwortenden Patienten stellen eine po-
und ADL-Kompetenz Zusammenfassend erhielten 50 von 54 sitive, zur Teilnahme motivierte Aus-
Patienten regelmäßig Krankengymna- wahl dar,die erneut erkrankte Patienten
Die 54 Patienten schätzten ihre motori- stik über einen Zeitraum von 6 Monaten nur unvollständig erfasste.Auch musste
schen Fähigkeiten als im Mittel um 15% nach Entlassung.Im Mittel waren es 2,9 man von einer eingeschränkten Ver-
verbessert gegenüber dem Zeitpunkt (Bereich 1–5) Therapieeinheiten/Woche gleichbarkeit der erhobenen Daten (BI
der Entlassung ein. bzw.unter Berücksichtigung der unter- und RMS) ausgehen,da eine Erhebung
Dem entgegen war der RMS-Wert schiedlichen Dauer eine mittlere Inten- in der Klinik bzw.zu Hause naturgemäß
nahezu konstant geblieben,der mittlere sität von 90,2 (SD 60,9) min/Woche.Die unterschiedlich ist.Andererseits ist die
Wert 6Monate nach Entlassung betrug funktionell beeinträchtigten Patienten vorliegende Arbeit nach Kenntnisstand
7,4 (SD 3,9) vs.7,6 (SD 3,6) zum Zeit- waren mit der Therapie,die überwie- der Autoren eine der ersten ihrer Art in
punkt der Entlassung.Der BI-Score ver- gend im Liegen oder Sitzen statt fand, Deutschland,die die ambulante Physio-
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