Table Of ContentHANS-PETER DÜRR (Hrsg.)
Physik
und
Transzendenz
Die großen Physiker unseres
Jahrhunderts über ihre Begegnung
mit dem Wunderbaren
Mit Beiträgen von
David Böhm / Niels Bohr
Max Born / Arthur Eddington
Albert Einstein / Werner Heisenberg
James Jeans / Pascual Jordan
Wolfgang Pauli / Max Planck
Erwin Schrödinger
Carl Friedrich von Weizsäcker
Scherz
Vierte Auflage 1987
Copyright © 1986 an dieser Auswahl und am
Vorwort beim Scherz Verlag, Bern, München, Wien.
Alle Rechte der Nutzung und Verbreitung der einzelnen Beiträge
sind vorbehalten und unterliegen der Genehmigung der
im Quellennachweis genannten Rechtsinhaber.
Schutzumschlag von Gerhard Noltkämper.
Inhalt
Vorwort von Hans-Peter Dürr 7
MAX PLANCK
Religion und Naturwissenschaft 21
SIR JAMES JEANS
In unerforschtes Gebiet 41
ALBERT EINSTEIN
Religion und Wissenschaft 67
Naturwissenschaft und Religion 71
MAX BORN
Physik und Metaphysik 79
SIR ARTHUR EDDINGTON
Wissenschaft und Mystizismus 97
Die Naturwissenschaft auf neuen Bahnen 121
NIELS BOHR
Einheit des Wissens 139
ERWIN SCHRÖDINGER
Das arithmetische Paradoxon - Die Einheit des Bewußtseins 159
Naturwissenschaft und Religion 171
Was ist wirklich? - Die Gründe für das Aufgeben des Dualismus
von Denken und Sein oder von Geist und Materie 184
Die vedäntische Grundansicht 189
WOLFGANG PAULI
Die Wissenschaft und das abendländische Denken 193
PASCUAL JORDAN
Die weltanschauliche Bedeutung der modernen Physik 207
CARL FRIEDRICH VON WEIZSÄCKER
Parmenides und die Quantentheorie 229
Naturgesetz und Theodizee 250
DAVID BÖHM
Fragmentierung und Ganzheit 263
WERNER HEISENBERG
Erste Gespräche über das Verhältnis von
Naturwissenschaft und Religion 295
Positivismus, Metaphysik und Religion 308
Ordnung der Wirklichkeit 323
Die Autoren 337
Quellennachweis 343
Personen- und Sachregister 345
Vorwort
Das die Welt beobachtende Ich-Bewußtsein und das mystische Erleb
nis der Einheit charakterisieren komplementäre Erfahrungsweisen des
Menschen. Sie führen einerseits zu einer kritisch-rationalen Einstel
lung, in welcher der Mensch die Welt in ihrer Vielfalt verstehen, sie
mit dem eigenen Denken erfassen will, andererseits zu einer irrational
mystischen Grundhaltung, in der er durch Hingabe und Meditation
unmittelbar zum eigentlichen Wesen des Seins vorzudringen versucht.
In der abendländischen Geschichte stehen diese beiden unterschied
lichen Grundhaltungen in einem ständigen fruchtbaren Wechselspiel.
Sie spiegeln sich wider in der Zweiheit von Wissen und Glauben, von
Naturwissenschaft und Religion. Immer wieder gab es Bestrebungen,
so insbesondere im 16. Jahrhundert durch die Alchemie, diese Dop
pelgleisigkeit zu überwinden und die Wissenschaft in ein umfassende
res, mystische Elemente enthaltendes Ganzes einzuschmelzen. Mit
dem Rationalismus Rene Descartes' spaltete sich jedoch im 17. Jahr
hundert das rationale Weltbild vom religiösen Weltbild ab und kam in
der Mechanik Isaac Newtons zur vollen Blüte. Die daran anschließen
de breite Entwicklung der Naturwissenschaften im 18. und 19. Jahr
hundert brachte die rationale und die religiöse Seite des Weltbildes in
immer schärferen Gegensatz zueinander. Das durch wissenschaftliche
Methoden, durch Messungen und logisch-mathematische Schlußfolge
rungen ermittelte Wissen versuchte, die Glaubensinhalte der Religion
seinen eigenen Wahrheitskriterien zu unterwerfen. Glaube, Religion,
das Transzendente wurden immer mehr in die Lückenbüßerrollen des
Noch-nicht-Gewußten und des Noch-nicht-Erforschten gedrängt. Na
turwissenschaftliche Erkenntnis bereitete sich vor, Religion langfri-
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stig zu überwinden, den Glauben letztlich durch exaktes Wissen zu
ersetzen.
Wissen bedeutet jedoch nicht nur reine Erkenntnis, geeignet, die
Struktur und das Wirken der Natur für den forschenden Menschen zu
erhellen und ihm seine eigene Stellung in dieser Natur begreiflich zu
machen, sondern dieses Wissen gibt dem Menschen auch bessere
Einblicke in den Bewegungsablauf und damit die zukünftige Entwick
lung natürlicher Prozesse. So verschafften die Erforschung und die
Aufdeckung der Naturgesetze dem Menschen ungeahnte Möglichkeiten,
die Natur zu beherrschen und sie für seine Zwecke und Ziele dienstbar zu
machen - vor allem mit Hilfe der Technik, einem «Kind» der Naturwis
senschaft. «Wissen ist Macht» hatte schon Ende des 16. Jahrhunderts
Francis Bacon, der Begründer des englischen Empirismus stolz prokla
miert.
Naturwissenschaft und Technik prägen wesentlich unsere heutige
Gesellschaft. Sie haben dem Menschen in hohem Maße geholfen, sich
von den Zwängen unmittelbarer materieller Lebenssicherung zu befrei
en. Andererseits - und dies zeigt sich in jüngster Zeit immer deutlicher -
ist dem Menschen mit seinen umfassenderen und detaillierteren Einsich
ten in die Zusammenhänge der Natur und seinen wachsenden Fähigkei
ten, sie zu manipulieren, auch eine Macht zugewachsen, die geeignet ist,
das empfindliche Netz, in das er selbst als Geschöpf der Natur auf Gedeih
und Verderb eingesponnen ist, zu zerstören. In seinen Waffenlagern hat
er dazu Naturkräfte zusammengeballt, die - wenn sie seiner Kontrolle
entgleiten - ausreichen, die gesamte Menschheit zu vernichten. Voller
Sorge stellen wir uns deshalb heute die Frage, wohin diese Entwicklung
letztlich führen wird, und es überfällt uns die Angst, daß unsere so
hochgepriesene menschliche Vernunft nicht ausreichen könnte, die sich
abzeichnenden großen Katstrophen zu verhindern.
Unsere Vernunft gründet sich nicht nur auf unseren Verstand, unser
Wissen über mögliche Wirkungszusammenhänge, sondern auch auf
unsere Wertvorstellungen, die wir aus einer tieferen Schicht unseres
Seins, aus den Traditionen der menschlichen Gesellschaft, aus den
Religionen beziehen. Naturwissenschaft sagt uns, was ist, aber sie gibt
keine Auskunft darüber, was sein soll, wie wir handeln sollen. Der
Mensch bedarf, um handeln zu können, einer über seine wissenschaftli
chen Erkenntnisse hinausgehenden Einsicht - er bedarf der Führung
durch das Transzendente.
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Die Dominanz der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise, das
unmittelbare Erlebnis des atemberaubenden technischen Fortschritts
verstellt uns heute den Blick auf das Transzendente und seine Notwen
digkeit für unser Leben. Aber mit dem Anwachsen unserer Gefährdung
wird dieser Mangel spürbarer. In der verwirrenden Vielfalt einer zuneh
mend komplexeren und komplizierteren technischen Welt wird der Ruf
nach einer klareren Orientierung immer lauter. Es wächst bei den
Menschen der modernen Gesellschaft das Verlangen, hinter dieser sich
immer weiter aufsplitternden und zerbröselnden Gedankenwelt wieder
das wesentliche «Eine» oder, wie Werner Heisenberg es nennt, die
«zentrale Ordnung» zu erkennen.
Die Ergebnisse der Naturwissenschaften finden in unserer neuigkeits
hungrigen Gesellschaft weite Verbreitung. Allerdings kann der Öffent
lichkeit bestenfalls nur eine extrem vereinfachte und an die Alltagsvor
stellungen angepaßte Version der wissenschaftlichen Sachverhalte ver
mittelt werden. Die genaueren Zusammenhänge und die eigentlichen
Inhalte sind so kompliziert und vielfältig, daß sie nur noch von wenigen
Experten, die jeweils auf kleine Teilgebiete spezialisiert sind, verstanden
werden. Dies ist bedauerlich, aber unvermeidlich. Bedenklich ist, daß
durch die stark vergröberte Darstellung ganz wesentliche Aspekte der
wissenschaftlichen Neuerungen verlorengehen können und dadurch
unter Umständen ganz falsche Vorstellungen suggeriert werden.
So redet heute jedermann von Atomen und ihren Eigenschaften, als
handele es sich dabei um ganz gewöhnliche Objekte unseres Alltags.
Manchem wird vielleicht zu Ohren gekommen sein, daß sich hinter
diesen Begriffen einige schwerverständliche Ungereimtheiten verber
gen, die etwa mit «Teilchen-Welle-Dualismus», «Komplementarität»
oder gar den mysteriösen «Heisenbergschen Unbestimmtheitsbeziehun
gen» umschrieben werden. Aber nur ganz wenige wissen, daß sich mit
der Entwicklung der modernen Atomphysik und der Formulierung der
Quantenmechanik im ersten Drittel unseres Jahrhunderts eine tiefgrei
fende Revolution in unserem naturwissenschaftlichen Weltbild vollzo
gen hat. Diese Veränderung hat nicht nur unser Denken beeinflußt,
sondern hatte und hat noch weitreichende Auswirkungen auf die ange
wandte Naturwissenschaft und die Technik. Die heute wichtigsten
Zweige der Technik sind ohne die Quantenphysik nicht denkbar.
Doch ungeachtet dieser umfassenden Anwendung und Verwertung
und trotz ihrer philosophischen Brisanz sind die erkenntnistheoretischen
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Konsequenzen der neuen Physik kaum ins öffentliche Bewußtsein
gedrungen. Hier dominiert nach wie vor ein naturwissenschaftliches
Weltbild, das im wesentlichen die Züge des alten klassischen, mechani
stisch-deterministischen Weltbilds des 19. Jahrhunderts trägt. Das ist
kein Zufall. Denn das uns von der Quantenphysik aufgezwungene neue
Paradigma ist nicht mehr mit unseren gewohnten Vorstellungen in
Einklang zu bringen und läßt sich nur schwer in unserer Umgangssprache
beschreiben. Es war den Entdeckern der neuen Physik nur unter
enormen Mühen gelungen, die neue Botschaft zu entziffern, und es hat
sie selbst große Überwindung gekostet, sich den neuen Einsichten
letztlich zu beugen. Einige der ersten und bedeutendsten unter ihnen,
wie Max Planck, Albert Einstein und Erwin Schrödinger, die alle mit
dem Physik-Nobelpreis für ihre bahnbrechenden Arbeiten zur Quanten
theorie ausgezeichnet wurden, haben die Wende zum neuen Paradigma
nie ganz vollzogen.
Die vorliegende Anthologie Physik und Transzendenz greift die alten
Fragen nach den Beziehungen zwischen den Gegensatzpaaren Naturwis
senschaft und Religion, Wissenschaft und Mystizismus, Wissen und
Glauben wieder auf und versucht, diese Beziehungen mit Blick auf die
Quantenphysik neu zu diskutieren. Zwölf berühmte Physiker sollen
hierbei mit authentischen Beiträgen zu diesen Grenzfragen zu Wort
kommen: Max Planck, James Jeans, Albert Einstein, Max Born, Arthur
Eddington, Niels Bohr, Erwin Schrödinger, Wolfgang Pauli, Pascual
Jordan, Carl Friedrich von Weizsäcker, David Böhm und Werner
Heisenberg. Sie alle haben mit grundlegenden Arbeiten an der Entdek-
kung, der Formulierung und der Ausdeutung der neuen Physik entschei
dend mitgewirkt.
Obwohl einige der vorgestellten Texte über ein halbes Jahrhundert alt
sind, haben die in ihnen entwickelten Gedanken auch heute nichts von
ihrer Gültigkeit und Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil, sie erscheinen,
gerade weil sie in die Jahre des Umbruchs zurückreichen, besonders
relevant. Denn in den aufregenden Zeiten eines wissenschaftlichen
Umbruchs kommt deutlicher als in Zeiten normaler, stetiger Wissen
schaftsentwicklung zum Ausdruck, daß jegliche menschliche Erkenntnis
nicht voraussetzungslos im Räume schwebt, sondern notwendig auf
bestimmten Prämissen aufbaut. Einige von ihnen bleiben oft unausge
sprochen, da sie als evident erscheinen. Im Umbruch wird durch äußere
Zwänge - Widersprüche zwischen Theorie und experimenteller Erfah-
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rung - die Aufmerksamkeit gerade auf diese stillschweigenden Grundan
nahmen gelenkt, werden verborgene Fundamente freigelegt und ihre
Brüchigkeit oder Unzulänglichkeit erkannt. Wer gezwungen wurde,
einen solchen Paradigmenwechsel zu vollziehen, wird sensibilisiert für
Fragen der Abhängigkeit von Wissen vom nicht hinterfragten Vorwis
sen, für Fragen der Einbettung von Wissen in Transzendenz.
Der Umbruch von der klassischen Physik zur Quantenphysik ist für
uns heute Geschichte. Wir akzeptieren die neue Physik mit ihren
praktischen Konsequenzen widerspruchslos als Faktum, als abgeschlos
sene Schulweisheit. Wir hantieren mit ihr nach den vorgegebenen
Regeln, ohne eigentlich noch ihre erkenntnistheoretischen Hintergrün
de und das philosophisch Revolutionäre in ihrer Aussage wahrzuneh
men. Es ist fürwahr höchste Zeit, daß wir den philosophischen Faden der
neuen Physik von unseren berühmten Lehrern wieder aufnehmen und
versuchen, im Hinblick auf die Probleme unserer Zeit, an ihm weiterzu-
spinnen.
Physik und Transzendenz stehen in der Vorstellung der heutigen
Physiker nicht mehr in einem antagonistischen, sondern eher in einem
komplementären Sinn einander gegenüber. Diese Komplementarität
wird aber verschieden gesehen. Max Planck, dessen theoretische Unter
suchungen um die Jahrhundertwende den Stein der Quantenphysik ins
Rollen gebracht haben, steht mit seiner philosophischen Haltung auf der
Schwelle von der alten zur neuen Ära.
Den Gegensatz zwischen Religion und Naturwissenschaft versucht
Max Planck aufzuheben, indem er beide unterschiedlichen Ebenen
zuordnet. Sie entsprechen bei ihm zwei verschiedenen Betrachtungswei
sen, einer subjektiven, gewissermaßen von innen, und einer objektiven,
von außen, bei der sich der beobachtende Mensch aus dem Weltzusam
menhang herausgenommen hat. Im ersten Fall ist der Mensch Akteur,
im zweiten Zuschauer.
Der Zuschauer nimmt die Welt durch seine Sinne wahr, er treibt
Naturwissenschaft, indem er Theorien, «Ansichten» der Welt in einer
seinem logischen Denken angemessenen mathematischen Sprache ent
wirft und sie mit Ergebnissen präparierter Erfahrung, mit Messungen
vergleicht. Er entdeckt dabei allgemeine, umfassende Gesetze. Diese
Gesetze haben eine besonders einfache Form, die ihn in Erstaunen
versetzt, und in denen er deshalb das Walten einer «göttlichen» Vernunft
zu erkennen glaubt. Das Hamiltonsche Prinzip - das die Gesetze der
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