Table Of ContentLuzia Goldmann
Phänomen und Begriff der Metapher
Hermaea
Germanistische Forschungen
Neue Folge
Herausgegeben von
Christine Lubkoll und Stephan Müller
Band 145
Luzia Goldmann
Phänomen
und Begriff
der Metapher
Vorschlag zur Systematisierung
der Theoriegeschichte
Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln
ISBN 978-3-11-057652-8
e-ISBN (PDF) 978-3-11-058535-3
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-058301-4
ISSN 0440-7164
Library of Congress Control Number: 2018951867
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Inhalt
1 Auftakt 1
1.1 Zielsetzung und Prämissen 1
1.2 Vorgehen 6
2 Ouvertüre: Aristoteles (384–322 v. Chr.) 20
3 Metapher und Wahrheit 42
3.1 Max Black (1909–1988) 42
3.2 Monroe C. Beardsley (1915–1985) 56
3.3 Donald Davidson (1917–2003) 71
4 Metapher und Rede 78
4.1 Cicero (107–44 v. Chr.) und Quintilian (35–100 n. Chr.) 79
4.2 Desiderius Erasmus von Rotterdam (ca. 1466–1536) 91
4.3 Emanuele Tesauro (1592–1675) 102
5 Metapher und Schrift 116
5.1 Augustinus (354–430) 117
5.2 Thomas von Aquin (1225–1274) 127
5.3 Philipp Melanchthon (1459–1508) 135
6 Metapher und Zeichen 144
6.1 Giambattista Vico (1668–1744) 144
6.2 Jacques Derrida (1930–2004) 157
6.3 Jacques Lacan (1901–1981) 177
7 Metapher und Sprache 192
7.1 Roman Jakobson (1896–1982) 193
7.2 H erbert Paul Grice (1913–1988) und Dan Sperber (*1942)/
Deirdre Wilson (*1941) 206
7.3 Harald Weinrich (*1927) 221
8 Metapher und Phänomen 235
8.1 Friedrich Nietzsche (1844–1900) 235
8.2 Hans Blumenberg (1920–1996) 251
8.3 Paul Ricoeur (1913–2005) 269
VI Inhalt
9 Metapher und Kognition 299
9.1 George Lakoff (*1941) und Joseph Grady (unbekannt) 300
9.2 George Lakoff (*1941): Neural Theory of Metaphor 325
9.3 Gerard Steen (*1957): Deliberate Metaphor Theory 335
9.4 Zoltán Kövecses (*1946): Metaphor in Culture 344
9.5 G illes Fauconnier (*1944) und Mark Turner (*1954):
Mental spaces und Blending Theory 353
9.6 Synkope: Theorie und Methode 367
10 Fine 373
10.1 Resümee 373
10.2 Koordinierung von Vielfalt: Von Möglichkeiten des Umgangs
mit den Theorien der Metapher 381
Literaturverzeichnis 383
Register 407
1 Auftakt
1.1 Zielsetzung und Prämissen
Die Metapher ist weder ein genuines Problem der Literaturwissenschaft, noch sind
die Theorien zu ihrer Bestimmung und Beschreibung ausschließlich oder auch
nur überwiegend literaturwissenschaftlicher Herkunft. Im Gegenteil kommen
Theorien der Metapher schon seit der Antike aus verschiedenen Strömungen der
Philosophie, aus Theologie, Rhetorik, Poetik, Linguistik, Semiotik, aber auch
zunehmend aus Psychologie, Psycholinguistik und dem breiten Feld der soge-
nannten Kognitionswissenschaften. Viele dieser disziplinären Diskurse hat die
heutige Literaturwissenschaft nichtsdestotrotz zumindest teilweise operationa-
lisiert und anschlussfähig gefunden, manche erweisen sich jedoch als schwer
kompatibel mit literaturwissenschaftlichen Fragestellungen. (Fast) keine dieser
Theorien der Metapher ist dabei Theoriebildung rein um der Metapher willen. In
der Regel treten die Theorien der Metapher im Zusammenhang größerer zum Bei-
spiel sprachphilosophischer oder theologischer Überlegungen auf und sind ent-
scheidend durch die jeweilige Theorie und deren zentralem Erkenntnisinteresse
bedingt und geprägt. Daher beschränken sich Metapherntheorien in der Regel
nicht auf die definitorische Frage nach dem Was der Metapher – dies wird meist
in wenigen Sätzen und oft ohne besondere Originalität beantwortet –, sondern
versuchen zum Beispiel mittels einer funktionalen Bestimmung der Metapher
und ihrer Effekte eine spezifische Position in einem theoretischen Gesamtbild
zu besetzen. Die Literaturwissenschaft ist mithin nur eine von vielen, im histori-
schen Rückblick auch durchaus veränderlichen Disziplinen, die sich der Meta-
pher widmet, und bringt eigene, spezifische Problemstellungen mit, für deren
Beantwortung sie einer Theorie der Metapher bedarf. In erster Annäherung ließe
sich die Problemstellung der Literaturwissenschaft hier im Kern als die der Iden-
tifikation und Beschreibung von Textphänomenen umreißen, auf deren Grund-
lage dann je nach konkreter Fragestellung weitere Verfahren anschließen. Oft
genug bedient sich die Literaturwissenschaft dabei mehr oder weniger offen bei
Theorien aus anderen Disziplinen, deren disziplin- und epochenspezifische Dis-
kurse und Leitfragen sich in ihren jeweiligen Metapherntheorien niedergeschla-
gen haben und keineswegs immer in direktem Zusammenhang mit den jewei-
ligen Fragen der Literaturwissenschaft stehen. Als erstes Ziel dieser Arbeit kann
an dieser Stelle die Darstellung und Relationierung von Metapherntheorien aus
verschiedenen historischen Perioden und disziplinären Diskursen festgehalten
werden. Eine kurze Diskussion von Aristotelesʼ Theorie der Metapher und den
bereits dort retrospektiv als diskurs- beziehungsweise disziplinspezifisch iden-
https://doi.org/10.1515/9783110585353-001
2 Auftakt
tifizierbaren Ausführungen soll dazu gleichsam die Ouvertüre bilden, von der
ausgehend anhand ausgewählter Autoren Theorien verschiedener Epochen und
Diskurse bis hin zur zeitgenössischen Theoriebildung aufgegriffen werden.
Die Verwendung von Theorien unterschiedlicher diskursiver Ursprünge für die
Bearbeitung literaturwissenschaftlicher Fragestellungen hat zwar eine lange
Tradition, scheint aber nichtsdestotrotz in der Regel mit mehr oder weniger kon-
troversen theoretischen Diskussionen und zum Teil erheblichen Adaptionen
vorgefundener Theorien für die Literaturwissenschaft einherzugehen. Für die
Mehrzahl der im Rahmen dieser Arbeit diskutierten Theorien lassen sich Adap-
tions- und Transformationsprozesse aufzeigen, die bereits vor Jahrhunderten ein-
gesetzt haben und zum Teil noch anhalten. Prominentestes Beispiel ist hier mit
Sicherheit Aristoteles, dessen metapherntheoretische Spur sich durch die antike
Rhetorik verfolgen lässt, in deren Adaption sie sich durch das Mittelalter zieht,
bevor mit der Frühen Neuzeit wiederum eine Aristoteles-Renaissance einsetzt –
die trotz aller gegenteiligen Bemühungen keineswegs zum ‚Original‘ zurückkehrt,
sondern eine weitere Variation der Metapherntheorie hervorbringt. Die anhalten-
den Adaptions- und Austauschprozesse zwischen einzelnen metapherntheoreti-
schen Diskurssträngen im Rahmen ihrer Relationierung sichtbar zu machen, ist
meines Erachtens auch grundlegend für eine Einordnung und Bewertung zeitge-
nössischer Theoriebildung im Verhältnis zur Literaturwissenschaft. Vor dem Hin-
tergrund der historischen Theoriebildung wird am Ende dieser Arbeit die zeitge-
nössische, vor allem im anglophonen Forschungsraum unter dem Sammelbegriff
kognitive Metapherntheorie (cognitive theory of metaphor) erfolgreiche Strömung
dahingehend diskutiert werden. Aufgrund ihres aktuell kontroversen Status wird
ihrer differenzierten Darstellung und Diskussion ein besonderer Raum in dieser
Arbeit zugestanden. Dabei steht die Frage im Raum, ob und inwieweit diese Theo-
rien als einheitliche Gruppe zu verstehen sind und in welchem Maß sie sich als
anschlussfähig an die Literaturwissenschaft erweisen beziehungsweise inwiefern
sie einen Bruch zur bisherigen Theoriebildung darstellen.1 Im Lichte der zum
Teil erheblichen Transformationen, die andere heute in der Literaturwissen-
schaft etablierte Theorien durchlaufen haben – so die These dieser Diskussion –,
scheinen sich die mitunter heftigen Kontroversen um die potenzielle Fruchtbar-
1 Einen radikalen Bruch im Verhältnis zur älteren Theoriebildung proklamieren mitunter so-
wohl die Autoren kognitiver Theorien (vgl. George Lakoff/Mark Johnson: Metaphors We Live By.
3. Aufl. Chicago/London: University of Chicago Press 2003, S. 244–246) als auch von traditionell
literaturwissenschaftlicher Seite bspw. Thomas Eder: Zur kognitiven Theorie der Metapher. Eine
kritische Bestandsaufnahme. In: Zur Metapher. Die Metapher in Philosophie, Wissenschaft und
Literatur. Hrsg. von Franz Josef Czernin/Thomas Eder. München: Fink 2007, S. 167–195.
Zielsetzung und Prämissen 3
keit dieser Theorien jedoch zu relativieren. Wie im Fall der kognitiven Theorien
die Operationalisierung für die Literaturwissenschaft erfolgen kann beziehungs-
weise inwiefern sich Anknüpfungspunkte für die weitere Theoriebildung ergeben,
soll anhand der aufgearbeiteten Metapherntheorien exemplifiziert werden, um
anschließend Schlussfolgerungen speziell über die zeitgenössische Metaphern-
theoriebildung für die literaturwissenschaftliche Arbeit ableiten zu können. Dies
kann als zweites Kernziel dieser Arbeit festgehalten werden.
Die Erreichung dieses zweiten Ziels scheint jedoch die Beantwortung der
Frage nach dem Gegenstand und der allgemeinen Forschungsfrage der Litera-
turwissenschaft vorauszusetzen, um vor diesem Hintergrund die Anschlussfähig-
keit und Operationalisierbarkeit der verschiedenen Metapherntheorien ermessen
zu können. Eine solche Definition kann jedoch im Rahmen dieser Untersuchung
nicht erarbeitet werden und scheint zudem der (historischen) Realität des Faches
unangemessen. Allenfalls ließen sich Momentaufnahmen zeitgenössischer For-
schungsinteressen darlegen, ohne dass diese die Frageperspektiven, Bezugs-
punkte oder Methoden der Literaturwissenschaft abschließend festlegen würden.
Als notwendige Grundlage für die Bearbeitung der Eingangsfragen wird in dieser
Arbeit daher ein möglichst breites Verständnis der Literaturwissenschaft ange-
setzt. Einerseits umfasst dieses Verständnis eine traditionelle Literaturwissen-
schaft, in deren Fokus der Text im weitesten Sinne mit seinen intrinsischen
Charakteristika, aber auch seinen vielfältigen externen Bezugspunkten wie
Genretraditionen, Epoche, Autor, Rezipient etc. steht und die sich, schematisch
gesprochen, vorwiegend der Analyse beziehungsweise Beschreibung des Textes
und dessen Interpretation widmet.2 Für diesen Ansatz ist die Metapher entspre-
chend eines der Phänomene, die in erster Linie im Text zu identifizieren und
gegebenenfalls zu interpretieren oder in Bezug zu textexternen Phänomenen zu
setzen sind. Andererseits sollen kursorisch auch Tendenzen der Literaturwissen-
schaft aufgegriffen werden, die unter dem Label der empirischen Literaturwissen-
schaft3 in Deutschland seit den Siebzigerjahren bekannt sind, die den Fokus vom
Text weg auf dessen (experimentell-)empirisch messbare Effekte auf Individuen
und Gruppen legen. Nichtsdestotrotz ist auch diese literaturwissenschaftliche
2 Schematische Versuche, das Feld zu umreißen, finden sich im Beitrag von Tilmann Köppe/
Simone Winko: Theorie und Methode der Literaturwissenschaft. In: Handbuch Literaturwissen-
schaft. Bd. 2. Methoden und Theorien. Hrsg. von Thomas Anz. Stuttgart/Weimar: Metzler 2007,
S. 285–371.
3 Vgl. für eine programmatische Schrift Helmut Hauptmeier: Einführung in die empirische Li-
teraturwissenschaft. Braunschweig u. a.: Vieweg 1985. Einen deutlich weiteren Begriff von Empi-
rie in der Literaturwissenschaft vertritt Philip Ajouri/Katja Mellmann/Christoph Rauen (Hrsg.):
Empirie in der Literaturwissenschaft. Münster: Mentis 2013.
4 Auftakt
Strömung auf ein analytisches Instrumentarium zur Beschreibung von Texten
angewiesen, da die empirische Erforschung von Texteffekten erst dann sinnvoll
operationalisierbar ist, wenn Texte zu Gruppen mit gemeinsamen oder verschie-
denen Charakteristika zusammengestellt werden können, auf deren Effekte hin
im Anschluss getestet werden kann.
Von dieser provisorischen Skizze des Faches ausgehend lassen sich drei
Kerninteressen mit Bezug zur Metapher festhalten: Erstens die Identifikation4
beziehungsweise analytische Beschreibung von Metaphern, auf die sowohl tra-
ditionelle als auch empirische Literaturwissenschaft grundlegend angewiesen
sind. Darauf aufbauend zweitens die Interpretation metaphorischer Textele-
mente beziehungsweise drittens die ausführliche Beschreibung metaphorischer
Textstrukturen im Fall der traditionellen Literaturwissenschaft sowie viertens
die Beschreibung beziehungsweise Erfassung von Effekten metaphorischer Text-
elemente in empirisch orientierter Literaturwissenschaft. Diese vier Interessen
lassen sich als operationalisierungsorientierte Interessen zusammenfassen, für
die vorgefundene Theorien einen Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit
Textphänomenen und deren Effekten bieten. Zentrale Fragen solcher Zugänge zu
einer Metapherntheorie würden sich darauf richten, was durch sie in einem Text
als Metapher sichtbar gemacht werden kann und welche Leitlinien die Theorie
gegebenenfalls für die Interpretation der identifizierten Textelemente bietet oder
welche Prognosen über deren Effekte sie nahelegt. Anschlussfragen können
sein, inwiefern eine Theorie dem gängigen Fragenspektrum der Literaturwissen-
schaft potenziell neue Frageperspektiven hinzufügt, wie diese konkret lauten, mit
welchen Verfahren sie beantwortet werden können und was ihre Beantwortung
zur literaturwissenschaftlichen Diskussion über Texte und ihre Effekte beiträgt.
Darüber hinaus bieten jede bestehende Theorie der Metapher und das in ihr
vorgeschlagene Modell auch den Ansatz zur weiteren Theoriebildung und zur
Weiterentwicklung des Modells. Ein solches metatheoretisches Interesse kann
auch in der Literaturwissenschaft zunächst zumindest angenommen werden.
Die basale Unterscheidung der literaturwissenschaftlichen Interessen in eine
eher operationalisierungsorientierte Perspektive, die eine gewählte Theorie als
Orientierungsmodell für die Auseinandersetzung mit Texten einsetzt, und eine
Theoriebildungsperspektive, die vorgefundene Modelle einer kritischen Prüfung,
Adaption und Weiterentwicklung unterzieht, um eine präzisere oder umfassen-
dere Beschreibung des Phänomens zu ermöglichen, soll die Grundlage für die
4 Vgl. zu diesem Problem umfänglich Lutz Danneberg: Sinn und Unsinn einer Metaphernge-
schichte. In: Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte. Hrsg. von Hans Erich
Bödeker. Göttingen: Wallstein 2002, S. 259–421.