Table Of ContentAnne Bentfeld . Walter Delabar (Hrsg.)
Perspektiven der Germanistik
Anne Bentfeld . Walter Delabar (Hrsg.)
Perspektiven
der Gertnanistik
N eueste Ansichten zu einem alten Problem
Westdeutscher Verlag
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© 1997 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
Softcover reprint of the hardcover 1 st edition 1997
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Gedruckt auf saurefreiem Papier
ISBN-13: 978-3-531-12990-7 e-ISBN-13: 978-3-322-85101-7
DOl: 10.1007/978-3-322-85101-7
Inhalt
Anne Bentfeld und Walter Delabar
Perspektiven der Germanistik.
Neueste Ansichten zu einem alten Problem - Zur Einleitung 7
Jiirgen MittelstrafJ
Geisteswissenschaftliche Qualifikationen 13
Hartmut Bohme
Die Literaturwissenschaft.
zwischen Editionsphilologie und Kulturwissenschaft 32
Friedrich Kittler
Verbeamtung der Germanisten - heute zu Ende 47
Bernd Witte
Literaturwissenschaft heute.
"Oralitat" und "Literalitat" als Kategorien eines Paradigmenwechsels 59
Hans-Gert Roloff
'Kenntnis' und 'Kreativitat'.
Zu den Forderungen an die zweite Germanistik-Reform 75
Norbert Oellers
Germanistik als politische Wissenschaft 92
Jost Hermand
Literaturwissenschaft und okologisches BewuBtsein.
Eine milhsame Verflechtung 106
Bernd Balzer
ZIELSTUDIUM Magister.
Moglichkeiten eines effektiveren Studiums
der Neueren deutschen Literaturwissenschaft 126
Jiirgen Link
Von der Nicht-Spezialitat der Literatur
und ihren Folgen fur die Literaturwissenschaft 145
6 Inhalt
Achim Barsch
Literaturwissenschaft als Literatur(system )wissenschaft 157
Niels Werber
Es gibt keine Literatur - ohne Literaturwissenschaft 176
Michael Ansel, Petra Boden, Dorothea Bock, Holger Dainat,
Rembert Huser, Rainer Kolk, Gerhard Lauer, Ursula Menzel,
Christian Moser, Wolfgang Rohe, Michael Schlott,
Richard Stratenschulte, Kerstin Stussel
Hilfreich und gut.
7 Thesen zur wissenschaftlichen QualifIkation 195
Georg Jager und Jorg Schonert
Perspektiven zur Selbstreform der UniversiUiten.
Am Beispiel der Germanistik 208
Anne Bentfeld
Die Wirklichkeit.
Das germanistische Grundstudium
an den bundesdeutschen Hochschulen 225
Autoren 237
Perspektiven der Germanistik
Neueste Ansichten zu einem alten Problem - Zur Einleitung
Anne Bentfeld und Walter Delabar
Die Zeiten konnten fur eine Debatte uber Zukunftsperspektiven nicht
schlechter sein. Die neuesten Rekorde bei den Arbeitslosenzahlen sind eben
gemeldet, die Sparbeschlusse der Regierungskoalition in Bonn lassen ein
schneidende Kurzungen im Bildungs- und Kultursektor erwarten, die Berli
ner Verhaltnisse insbesondere, von denen zu sprechen uns erlaubt sei, sind
noch schlechter als die anderer Bundeslander. Die Krise ist allgemein und hat
sich von der Germanistik nicht ferngehalten. Ganz im Gegenteil. Das
"Luxusfach" Germanistik, das sich mit nicht weniger als mit dem Kern der
deutschen Kultur, der Literatur, beschaftigt und das zu mehr nicht nutze ist
als zu ihrer Kommentierung, steht vor seinem Bankrott: Institutionell wie
inhaItlich. Eine uberalterte Professorenschaft sieht sich nach beinahe drei
lahrzehnten Ausdifferenzierung und Professionalisierung vor das Problem
gestelIt, ein Fach auf wenige, rasch studierbare InhaIte zu reduzieren. Nicht
allein, weil die Verweildauer der Studierenden an den Universitaten neuer
dings untolerierbar geworden sein solI. Was zwei lahrzehnte niemanden
stOrte und vie len, vor allem dem Arbeitsmarkt, nutzte, ist heute fur die sin
ken de internationale Konkurrenzfahigkeit deutscher Hochschulabsolventen
verantwortlich.
Damber hinaus ist das Fach in seinem Selbstverstandnis und seiner
SelbstgewiBheit gestOrt, wei I es im ausgehenden 20. lahrhundert und im Ver
lauf der Medienrevolution aus dem Zentrum der Kultur vertrieben wird.
Nicht mehr die Schrift und hier vor allem die literarische Schrift ist jetzt der
Konigsweg der abendlandischen Kultur zu sich selbst, sondern das Bild.
Nicht mehr das sequentielle Reflexionsmedium Literatur, sondern die asso
ziativen Bild-, Speicher- und Kommunikationsmedien stellen die Leitpara
digmen dieser neuen abendlandischen Kultur. In dieser Situation ist das Fach,
das sich lange lahre seiner selbst gewiB sein konnte, in helle Aufregung und
Auflosung geraten und scheint aus diesen Zustanden nicht mehr herausfmden
zu konnen. Die Vorschlage, was denn nun zu tun sei, sind beinahe so zahl
reich wie die Diskutanten. Und sie widersprechen sich im ganzen wie im
Detail derart eklatant, daB kaum abzusehen ist, ob das Fach Germanistik sich
in absehbarer Zeit selbst damber verstandigen kann, wie und was es denn
flirderhin lehren und darstellen solI.
8 Anne 8entfeld, WaIter Delabar
Der Aufforderung, in der Krise kreativ zu sein, ist das Fach gem und
ausgiebig nachgekommen, aber aufgrund seiner (neuen) Randstandigkeit
befindet es sich in einem kaum auflosbaren Dilemma. Der Notwendigkeit,
sich, wie auch immer, auf die sich rasant andemden Bedingungen einzustel
len, stehen drastisch schwindende Finanzmittel gegenUber. Die Modemisie
rung ist aber ohne Geld nicht zu machen: Es fehlt an Stellen, in den en der
wissenschaftliche Nachwuchs ohne prinzipielle Existenzunsicherheit in die
Hochschule integriert werden kann. Es fehlt an Logistik fur einen effektiven
Universitatsbetrieb. Es fehlt an Ausstattung, gerade was die neuen Kommu
nikationsmittel angeht. War in den achtziger Jahren die Universitat noch ein
bedeutender Standortfaktor, ist sie in den neunziger Jahren anscheinend nur
noch ein Sparobjekt, und ganz besonders ein Fach wie die Germanistik.
Dennoch verandem sich die Hochschulen rapide, und mit ihnen auch die
Germanistik. In diesem Kontext steht der vorliegende Band Uber die "Per
spektiven der Germanistik". Wir haben versucht, hier neueste Ansichten zu
einem alten Problem zusammenzustellen. Denn dal3 es eine Diskussion urn
die Germanistik erst seit neuestem gibt, wird niemand behaupten wollen. Seit
dreil3ig Jahren reil3t diese Diskussion nicht ab, befindet sich das Fach in einer
permanenten Selbstreflexion. Deren Charakter und Inhalt haben sich aber
radikal verandert. War es in den sechziger Jahren die Frage der Vergangen
heitsbewaltigung, die drangte und der sich auch das Fach Germanistik stellen
mul3te, war es in den siebziger Jahren die Forderung an die Germanistik, in
die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen aktiv einzugreifen und Stellung
zu beziehen, begann man in den achtziger Jahren, die rasch schwindende
Bedeutung des Fachs in der Mediengesellschaft wahrzunehmen, so pragt die
neunziger Jahre ein ausgewachsenes Krisenbewul3tsein und eine massive
Untergangsgewil3heit. Das Fach schrumpft dabei rasch, vor allem, was sein
Personal und sein Renommee angeht. Mit welchem Effekt das geschieht,
bleibt jedoch noch offen. Denn noch ist nicht klar, wie die Germanistik in
den kommenden Jahren aussehen wird. Anlal3 fur Befurchtungen, es in Zu
kunft mit einem restriktiv organisierten, wenig auf die Selbstbestimmung und
-reflexion der Studierenden setzenden Studienfach zu tun zu haben, gibt es
jedenfalls genug. Es scheint gelegentIich sogar - wenn wir Uberspitzen dUr
fen -, als ob die Generation, die in den spaten sechziger und fruhen siebziger
Jahren in die Hochschulen gekommen ist, ihre dreil3igjahrigen Experimente
mit der Ruckkehr zu dem status quo abschliel3en wollte, bei dem sie selbst
beg onnen hat.
Narurlich sind Reform- und Modemisierungsdiskussionen auch in Ber
lin an der Freien Universitat gefuhrt worden. Allerdings war der Spardruck
Einleitung 9
am Ort aufgrund der desolaten Finanzsituation der Stadt bereits frtiher und
dann starker als in anderen StMten bemerkbar. Das hat sachliche Diskussio
nen und besonnene Reformen faktisch verhindert. Der Fachbereich Ger
manistik der FU Berlin ist deshalb seit 1990 zwar kleiner geworden, aber die
Wirkung, die sich mancher davon erhofft haben mag: daB namlich die Ver
haltnisse tibersichtlicher, die Kontakte intensiver und die Studien- wie Lehr
bedingungen besser wtirden, hat sich nicht eingestellt. Die Schrumpfung ist
allein Sparzwangen gefolgt, basiert auf keiner dartiber hinaus gehenden
sachlichen Grundlage und folgt keinem Plan. Vor allem im Mittelbau sind
Stellen radikal gestrichen worden, nicht nach fachlicher Notwendigkeit, son
dem danach, ob und welche Stellen frei wurden. Die Zahl der Studierenden
ist mit verschiedenen Mitteln urn etwa zweitausend gesenkt worden. Aber
weder an den realen Problemen, die das Studium am Fachbereich und in
Berlin bereitet, noch an den miserablen berutlichen Perspektiven von Ger
manisten, noch am fachlichen Profil des Fachbereichs oder gar an der Uberal
terung der Professorenschaft hat das irgendetwas geandert. Die Probleme
haben sich dagegen verscharft.
Nicht verschwiegen sei, daB wir in den Berliner Diskussionen Partei wa
ren und sind.' Gerade deshalb haben wir jedoch unser vorrangiges Ziel darin
gesehen, in die Berliner Diskussionen Vorschlage einzubringen, die ande
renorts zum selben Problem formuliert worden waren, ohne daB wir sie selbst
notwendig teilen. AuBerdem wollten wir die Diskussion offen und tiffentlich
fUhren. Dem diente eine Vortragsreihe, die wir im Wintersemester 1994/95
und Sommersemester 1995 realisieren konnten und die Grundlage des nun
vorliegenden Bandes ist.
Erster AnstoB fur die Reformdiskussionen war das Strukturmodell fur
den Fachbereich Germanistik, das im Jahr 1993 vorgelegt wurde und das
Planungssicherheit fUr die kommenden Jahre gewahren sollte. Das Struktur
modell ist heute, im Jahr 1997, schon lange yom Tisch, und man geht mitt
lerweile von Zahlen aus, die weit unter denen liegen, die nach dem alten
Modell erst im Jahre 2003 erreicht werden sollten. Hinzu kam das Vorhaben
eines "ZIELSTUDIUMS Magister", das von drei Professoren des Fachbe
reichs durchgefUhrt werden sollte. Das ZIELSTUDIUM scheiterte zwar in
beiden Anlaufen am Desinteresse der Studierenden und ist damit ebenfalls
yom Tisch, aber es war und ist typisch fUr die tiberhasteten Reaktionen auf
1 Die Grundlagen unserer Position haben wir publiziert unter dem Titel: FUr eine freie Uni
versitat. Einige Bemerkungen zur aktuellen Diskussion urn die Reform der Germanistik. In:
lahrbuch flir Internationale Germanistik 26 (1994) H. 1, S. 57-65.
10 Anne Bentfeld, Walter Delabar
den Reformdruck von seiten der Bildungspolitik. Die Germanistik ist zum
hilflosen SpielbaII der Sparpolitik geworden. Die Ausstattung der Universita
ten gilt nicht mehr aIs Bildungs- und Zukunftsinvestition. Die Konsequenzen
sind bekannt. Senkung der Studierendenzahlen und der Durchschnittsstudien
dauer, Steigerung der Leistungen in Forschung und Lehre, gemessen an der
Publikationsfrequenz und der Verbesserung der AbschluBquoten, sind je
doch, aus den fachlichen und geseIIschaftlichen Zusammenhlingen gerissen,
keine sinnvollen Ziele. Ohne BerUcksichtigung der konkreten Bedingungen,
unter den en ein Studium Uberhaupt und das Studium in Berlin und an der FU
stattfindet, ohne BerUcksichtigung auch der beruflichen Moglichkeiten der
Hochschulabsolventen bleiben alle Bemtihungen Sttickwerk und fruchtlos.
Mehr noch und in bezug auf die Quoten selbst: Weder ein rascher Studienab
schluB noch ein Langzeitstudium ist ein eindeutiger Indikator dafUr, ob ein
Studium erfoIgreich absolviert worden ist oder nicht. Das eine (Studiendauer)
laBt keine Schltisse auf das andere (Ausbildungsqualitat) zu, weder in die
eine noch in die andere Richtung.
Ahnliches gilt auch fUr die Forschungsleistungen der Lehrenden: Eine
intensivere Publikationsfrequenz ist in Zeiten, in denen der gesamte universi
tare Apparat zusammenzubrechen scheint, allein noch als individuelle Lei
stung moglich. Allerdings steht dem entgegen, daB seit einigen Jahren die
Fachmedien in eine Existenzkrise geraten sind. Starke UmsatzeinbuBen und
hoher Kostendruck fUhren dazu, daB die Verlage Kosten und Arbeiten vor
verlagern. Von der Textaufnahme Uber die Erstellung der Druckvorlage bis
hin zur Obernahme oder Einwerbung von Druckkostenzuschtissen mtissen
yom Wissenschaftsbetrieb Arbeiten und Kosten Ubernommen werden, die der
eigentlichen Forschungsaufgabe fernliegen und die einen funktionierenden
Apparat und ein effektives Subventions system voraussetzen. Davon kann
aber keine Rede sein.
Die Vortragsreihe, die im Januar 1995 begann und im Juli desselben
Jahres endete und zehn Vortrage umfaBte, sollte, ausgehend von der Berliner
Situation, die wichtigsten, pointiertesten und provokantesten Positionen der
Ietzten Jahre prasentieren. Die Beantwortung der Frage, ob diese freilich dem
Fach in jedem Fall dienlich sein konnten, wollten wir jedoch der Diskussion
tiberlassen. Deshalb gaben wir der Vortragsreihe den vielleicht etwas salop
pen TiteI "Bocke & Gartner", konnten und woIIten wir doch nicht vorherse
hen, welcher Referent sich aIs Gartner in den germanistischen Beeten und
welcher sich aIs tobstichtiger Bock entpuppen wUrde. Auch was den Band
betrifft, bleibt eine solche Einschlitzung den Lesem tiberlassen. Bis auf eine
Ausnahme, die wir sehr bedauem, deren Grtinde wir jedoch akzeptieren, ha-