Table Of ContentPartizipative Forschung
Hella von Unger
Partizipative Forschung
Einführung in die Forschungspraxis
Prof.Dr.HellavonUnger
Ludwig-Maximilians-UniversitätMünchen
München,Deutschland
ISBN978-3-658-01289-2 ISBN978-3-658-01290-8(eBook)
DOI10.1007/978-3-658-01290-8
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betrachtenwärenunddahervonjedermannbenutztwerdendürften.
Lektorat:Dr.AndreasBeierwaltes,KatharinaGonsior,AntjeKorsmeier
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Vorwort
DasAnliegendieserEinführungistes,ZugängezueinerpartizipativenForschungs-
praxiszueröffnen. DieVielfaltpartizipativerAnsätzeundAnwendungskontexte
weltweit entzieht dabei jedem Versuch, eine allgemein gültige, einheitliche Me-
thodologiefür,diepartizipativeForschung‘zuerarbeiten,denBoden.Auchdiese
Einführung ist daher notwendigerweise ein situierter, partikularer Entwurf. Sie
fokussiert auf qualitative partizipative Forschung und empirische Aspekte des
VorgehensimKontextwestlicherGesellschaftenundwissenschaftlicherDiskurse.
DieseFokisindnichtdieeinzigmöglichenodersinnvollen, sondernsieentspre-
chenmeinerPerspektivealsAutorin.AuchderKontext,indemichindenletzten
Jahren partizipativ geforscht habe, hat sich eingeschrieben. Die Gesundheitswis-
senschaftensindeinprominentesAnwendungsfeldfürpartizipativeAnsätze,und
dieseEinführungbeinhaltetvieleReferenzenundBeispieleausdersozialwissen-
schaftlichenGesundheitsforschung.Eswirdaberauch,soweitmöglich,aufAnsätze
undLiteraturausanderenFeldernverwiesen, indenenpartizipativeAnsätzebe-
heimatet sind, wie den Erziehungswissenschaften, der Psychologie, der Sozialen
Arbeit, der Soziologie, insbesondere der Organisationssoziologie und Organisa-
tionsentwicklung, der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, der Raum-
undStadtentwicklung,derFrauen-undGeschlechterforschungunddenDisability
Studies.
Mein herzlicher Dank gilt folgenden Personen und Einrichtungen, die mich
beim Verfassen dieses Buches unterstützt haben: Ariane Berthoin Antal, Asita
Behzadi,JargBergold,ElkeBosse,SilkeGülker,SabrinaHuttner,HolgerKnothe,
Katrin Leuze, Rosaline M’Bayo, Petra Narimani, Anke Neuber, Christina Patz,
JustinPowell, AxelRichter, LeaSchütze, SimonStarzundSabrinaTschiche. Am
WissenschaftszentrumBerlinfürSozialforschung(WZB)hatteichidealeArbeits-
bedingungenindenForschungsgruppenPublicHealthundWissenschaftspolitik.
Ich danke insbesondere Christoph Albrecht für gute Schreibbedingungen, Antje
V
VI Vorwort
KorsmeierfürdasLektoratundBernhardKoppmeyerfürdieAbbildungen.Mein
besondererDankgiltzudemdenPersonen,mitdenenichpraktischeErfahrungen
in der partizipativen Forschung sammeln durfte, darunter: Martina Block, Kelly
Cavalcanti, Catherine Flohr, Tanja Gangarova, Silke Klumb, Omer Ouedraogo,
NozomiSpennemann,MichaelT.Wright,MelikeYildizsowieweitereKolleg/innen
undPartner/innenausdemPaKoMi-Projekt, demVerbandderAidshilfen, dem
NetzwerkfürPartizipativeGesundheitsforschung(PartNet)undderInternational
CollaborationforParticipatoryHealthResearch(ICPHR).
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung:ZurAktualitätderpartizipativenForschung ............. 1
1.1 WasistpartizipativeForschung?............................... 1
1.2 DynamikundDis-/Kontinuität................................ 3
1.3 NeueFormenderWissensproduktion .......................... 6
1.4 ZurKonzeptionderEinführung ............................... 9
2 PartizipativeAnsätze ............................................. 13
2.1 Aktionsforschung/ActionResearch ............................ 13
2.2 PraxisforschungundpartizipativeEvaluationsforschung.......... 22
2.3 Community-basiertepartizipativeForschung.................... 27
2.4 WeitereAnsätzeundAnwendungsfelder........................ 33
3 ZentraleKomponenteneinespartizipativenDesigns ................ 35
3.1 BeteiligungvonCo-Forscher/innen ............................ 35
3.2 Befähigungs-undErmächtigungsprozesse(Empowerment) ....... 44
3.3 DoppelteZielsetzung:sozialeWirklichkeitverstehenundverändern 46
4 DerForschungsprozess ........................................... 51
4.1 Partner/innenfinden,Betroffeneeinbeziehen.................... 51
4.2 GemeinsamZielesetzen ...................................... 53
4.3 StudiendesignunddieBeteiligungvonCo-Forscher/innen........ 55
4.4 DatenerhebeninZyklenvonAktionundReflexion .............. 59
4.5 PartizipativeAuswertung ..................................... 61
4.6 VerbreitungundVerwertungderErgebnisse .................... 66
5 BeispieledermethodischenUmsetzung ............................ 69
5.1 Photovoice.................................................. 69
5.2 CommunityMapping ........................................ 78
VII
VIII Inhaltsverzeichnis
6 ProblemeundPerspektiven ....................................... 85
6.1 Konflikte,SelbstreflexivitätundForschungsethik ................ 85
6.2 StärkenundGrenzenderpartizipativenForschung .............. 94
6.3 VerortungderpartizipativenForschungimWissenschaftskanon .. 98
7 Schlussbemerkung ............................................... 103
Literatur ............................................................ 107
1
Einleitung: Zur Aktualität der
partizipativen Forschung
1.1 WasistpartizipativeForschung?
Partizipative Forschung ist ein Oberbegriff für Forschungsansätze, die soziale
Wirklichkeit partnerschaftlich erforschen und beeinflussen. Ziel ist es, soziale
Wirklichkeitzuverstehenundzuverändern.DiesedoppelteZielsetzung,dieBetei-
ligungvongesellschaftlichenAkteurenalsCo-Forscher/innensowieMaßnahmen
zur individuellen und kollektiven Selbstbefähigung und Ermächtigung der Part-
ner/innen(Empowerment)zeichnenpartizipativeForschungsansätzeaus.DerBe-
griff der Partizipation ist von zentraler Bedeutung. Er bezieht sich sowohl auf
dieTeilhabevongesellschaftlichenAkteurenanForschungalsauchaufTeilhabe
anderGesellschaft.EingrundlegendesAnliegenderpartizipativenForschungist
es,durchTeilhabeanForschungmehrgesellschaftlicheTeilhabezuermöglichen.
EshandeltsichalsoumeinklarwertebasiertesUnterfangen:SozialeGerechtigkeit,
Umweltgerechtigkeit,Menschenrechte,dieFörderungvonDemokratieundandere
WertorientierungensindtreibendeKräfte.
Partizipative Forschung ist kein einzelnes, einheitliches Verfahren, sondern
ein „Forschungsstil“ (Bergold und Thomas 2012, Absatz 2), der sich in hohem
MaßedurchKontextualitätundFlexibilitätauszeichnet.PartizipativeAnsätzewur-
deninternationalinverschiedenenAnwendungskontextenmitunterschiedlichen
theoretischen und praktischen Bezügen entwickelt und versperren sich vor die-
semHintergrundeinervereinheitlichendenMethodologieundeinemeinheitlichen
methodischen Vorgehen. Michelle Fine und María Elena Torre drücken dies im
Hinblickauf ParticipatoryActionResearch(PAR)wiefolgtaus:
PARisadeeplycontextualizedprocessfordemocraticandjustice-basedworkthat
doesnotlenditselftoachecklistofpractices.(FineundTorre2008,S.416)
HellavonUnger,PartizipativeForschung, 1
DOI10.1007/978-3-658-01290-8_1,©SpringerFachmedienWiesbaden2014
2 1 Einleitung:ZurAktualitätderpartizipativenForschung
In der partizipativen Forschung stehen die Menschen, die an ihr teilhaben, im
Mittelpunkt – ihre Perspektiven, ihre Lernprozesse und ihre individuelle und
kollektive (Selbst-) Befähigung. Partizipative Forschung ist damit nie ein rein
akademischesUnterfangen, sondernimmereinGemeinschaftsprojektmitnicht-
wissenschaftlichen,gesellschaftlichenAkteuren.DieswirdauchimfolgendenZitat
deutlich:
Partizipative Forschungsmethoden sind auf die Planung und Durchführung eines
Untersuchungsprozesses gemeinsam mit jenen Menschen gerichtet, deren soziale
WeltundsinnhaftesHandelnalslebensweltlichsituierteLebens-undArbeitspraxis
untersucht wird. In der Konsequenz bedeutet dies, dass sich Erkenntnisinteresse
undForschungsfragenausderKonvergenzzweierPerspektiven,d.h.vonseitender
WissenschaftundderPraxis,entwickeln.DerForschungsprozesswirdimbestenFalle
zumGewinnfürbeideSeiten(...).(BergoldundThomas2012,Absatz1)
Die Verschränkung verschiedener Perspektiven markiert einen zentralen Aspekt
partizipativer Forschung und stellt eine Voraussetzung für die Erweiterung von
KompetenzenundWissensbeständendar. AllerdingseignetsichdieimZitatge-
nannteklassischeUnterteilungin„Wissenschaft“einerseitsund(gesellschaftliche)
„Praxis“ andererseits nur bedingt, denn die Perspektiven, die in der partizipati-
venForschungverschränktwerden, sindhäufigvielfältiger. Jenachdem, welcher
AnsatzinwelchemKontextzurAnwendungkommt,sindverschiedeneGruppen
und Einrichtungen beteiligt. Partizipative Forschung sucht die Zusammenarbeit
über bestehende Systemgrenzen hinweg und nimmt damit häufig die Form von
transdisziplinärenundinterprofessionellenProjektenan,dieanSchnittstellenvon
mehralszweiSystemenangesiedeltseinkönnen.Hinzukommt,dassesinnerhalb
derSystemeoderGruppen,diebeteiligtwerden,unterschiedlichePerspektivenge-
benkann.SindbeispielsweiseWissenschaftler/innenausverschiedenenDisziplinen
oderArbeitsfeldernbeteiligt,könnensiesehrverschiedenePerspektivenhaben.Das
gleichegiltfürVertreter/innenunterschiedlicherProfessionenundLebenswelten,
sowiefürZuwendungsgeberundweiterePartner,diemöglicherweisebeteiligtsind.
Die immense Vielfalt partizipativer Ansätze und Begrifflichkeiten weltweit
erschwertdieIdentifikationgemeinsamerMerkmaleundAnliegenundderenBe-
sprechung in einer Sprache. Im angloamerikanischen Raum wird teilweise der
Begriff Action Research als Oberbegriff verwendet (vgl. Reason und Bradbury
2001a, 2008c). Im deutschsprachigen Raum dagegen wird in den letzten Jahren
überwiegend der Begriff der partizipativen Forschung gewählt (vgl. Bergold und
Thomas 2012; Langer forthcoming; Wright et al. 2010d). Diese Begriffswahl ge-
schiehtzumeineninAnlehnunganinternationaleAnsätze, diediesenBegriffin
ihrerBezeichnungbeinhalten(wieParticipatoryActionResearchoderCommunity-
Based Participatory Research). Zum anderen geschieht sie vor dem Hintergrund