Table Of ContentAnnedore Prengel
Pädagogik der Vielfalt
Schule und Gesellschaft
Band 2
Herausgegeben von
Franz Hamburger
Marianne Horstkemper
Wolfgang Metzler
Klaus-Jürgen Tillmann
Annedore Prengel
Pädagogik
der Vielfalt
Verschiedenheit und Gleichberechtigung
in Interkultureller, Feministischer
und Integrativer Pädagogik
3. Auflage
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.
1.Auflage 1993
2.Auflage 1995
3.Auflage Januar 2006
Alle Rechte vorbehalten
©VSVerlag für Sozialwissenschaften/GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2006
Lektorat:Stefanie Laux
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Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg
unter Verwendung einer Collage von Artemis Herber
Druck und buchbinderische Verarbeitung:MercedesDruck,Berlin
Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier
Printed in Germany
ISBN 3-531-14622-X
Für Hanno Schmitt
Inhalt
Vorwort von Otto Dann.......................................................................... 7
I. Einleitung .................................................................................. 11
1. Problemstellung ............................................................................. 11
2. Bildungspolitische Aktualität des Themas ..................................... 18
II. Zur Theorie und Geschichte von Gleichheit
und Verschiedenheit.............................................................. 29
1. Zur Semantik von Gleichheit und Verschiedenheit ....................... 29
2. Zu Geschichte der Bedeutung von Gleichheit und ........................
Verschiedenheit ............................................................................. 33
3. Aktuelle Prämissen zu Fragen radikaler Pluralität ......................... 48
4. Zur Frage gleichberechtigter Beziehungen: Differenz,
Intersubjektivität und Dialog ......................................................... 53
5. Anerkennungstheorie und Funktionen des Bildungssystems ......... 60
III.Interkulturelle Pädagogik .................................................. 64
1. Vorbemerkungen ........................................................................... 64
2. Hierarchisierung von Differenzen: biologischer und kultureller
Rassismus ....................................................................................... 70
3. Assimilationspädagogik ................................................................. 74
4. Pädagogischer Universalismus: heimlicher Eurozentrismus? ........ 77
5. Pädagogischer Kulturrelativismus: Die unmögliche
Anerkennung der Anderen? ........................................................... 82
6. Interkulturelle Pluralität in der Erziehung oder Universalismus
versus Relativismus – eine falsche Alternative im interkulturellen
Diskurs ........................................................................................... 87
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IV. Feministische Pädagogik ..................................................... 96
1. Vorbemerkungen ........................................................................... 96
2. Zur Tradition der Geschlechterhierarchie in der Geschichte
der Erziehung ................................................................................. 99
3. Zur Pädagogik der übergangenen Geschlechterdifferenz .............. 110
4. Zur Pädagogik der Gleichstellung ................................................. 112
5. Den Lebensweisen von Frauen Wert verleihen ............................. 116
6. Androgynitätspädagogik ................................................................ 125
7. Zur Unbestimmbarkeit von Weiblichkeit ...................................... 128
8. Pluralität in der Feministischen Pädagogik oder Gleichheit
versus Differenz – eine falsche Alternative im feministischen
Diskurs ........................................................................................... 131
9. Die neue Geschlechtslosigkeit: Postfeminismus? .......................... 135
V. Integrationspädagogik ......................................................... 139
1. Vorbemerkungen ........................................................................... 139
2. Behinderung als ,Minderwertigkeit‘ .............................................. 145
3. Sonderpädagogik: Besondere Förderung durch Spezialisten
und Spezialeinrichtungen ............................................................... 149
4. Normalisierung .............................................................................. 155
5. Integrationspädagogik .................................................................... 158
6. Trauerarbeit – Abwehr, Aggression und Akzeptanz in der
Auseinandersetzung mit Behinderung ........................................... 164
VI. Perspektiven von Verschiedenheit
und Gleichberechtigung in der Bildung ....................... 167
1. Durch welche besonderen Stärken und Schwächen zeichnet
sich jede neue pädagogische Bewegung aus? ................................ 167
2. Strukturelle Gemeinsamkeiten der neuen pädagogischen
Bewegungen .................................................................................. 171
3. Annäherung an einen demokratischen Differenzbegriff oder:
Versuch, Erkenntnisse aus drei pädagogischen
Reflexionsfeldern zusammenzudenken ......................................... 181
4. Elemente einer Pädagogik der Vielfalt .......................................... 184
VII. Literaturverzeichnis ............................................................ 197
Danksagungen ....................................................................................... 236
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Vorwort von Otto Dann
Gleichheiten und Unterschiede erkennen und formulieren zu können, dieses
Grundvermögen menschlichen Denkens prägt auch gesellschaftliches Verhal-
ten stärker als uns bewußt ist. Für die Identität unserer Gemeinschaftsformen
– von der Gruppe bis zur Nation – spielen gleiche geschichtliche Erfahrun-
gen, gemeinsame Interessen und Ziele, aber auch Abgrenzungen von anderen
eine konstitutive Rolle. Sie werden programmatisch formuliert, wenn es dar-
um geht, den sozialpolitischen Grundkonsens, die fundamentalen Rechtsvor-
stellungen oder die Erziehungsziele einer Gemeinschaft zu benennen. Auch
wenn Gesellschaften, Klassen, Nationen sich ihrer Identität bewußt werden
und gegenüber den bestehenden sich durchsetzen wollen, berufen sie sich auf
Gleichheiten neuer Art. In dieser emanzipatorischen Funktion hat der Gleich-
heitsbegriff seine bisher größte Wirkung gehabt.
Mit der naturrechtlich fundierten Theorie der Menschenrechte und dem
Konzept der Staatsbürgernation wurden in der europäischen Neuzeit zwei
fundamental neue Dimensionen gleichheitlichen Denkens erschlossen: die
Idee einer universalen Gleichheit aller Menschen in ihrem Recht auf Leben
und ihrer Würde als Mensch und die Konzeption der modernen Demokratie,
die auf der menschenrechtlich fundierten Gleichberechtigung aller Mitglieder
der Nation beruht. So konnte ,Gleichheit‘ zu einem obersten Wertbegriff in
den Katalogen der Menschen- und Bürgerrechte werden, die den modernen
Staatsverfassungen zugrunde gelegt wurden. Eine jede gesellschaftliche
Gruppe, die um ihre Gleichberechtigung kämpfte, konnte sich darauf beru-
fen. Kein anderer Leitbegriff war wie der der Gleichheit dazu geeignet, tradi-
tionale Gesellschaftsstrukturen aufzubrechen, Privilegien in Frage zu stellen
und emanzipatorische Bewegungen zu legitimieren.
Der große Erfolg dieser Bewegungen, der bis heute anhält, hat auch unser
Bild von der Gleichheitsidee und ihrer Wirkung weitgehend geprägt. In
Rousseaus berühmtem zweiten Discours werden die Verschiedenheiten in-
nerhalb der Gesellschaft nicht mehr als Teil eines legitimen Ordnungssys-
tems gesehen, sondern in zugespitzter Form als ,Ungleichheit‘ benannt, als
negative Abweichung von einer guten, gleichheitlichen Ordnung. Die Ge-
schichte menschlicher Gesellschaften konnte nun als eine Geschichte zuneh-
mender sozialer Ungleichheit neu geschrieben werden, und der Kampf gegen
Ungleichheiten wurde zum Programm einer jeden emanzipatorischen Bewe-
gung und Reformpolitik. Alexis de Tocqueville war wohl der erste, der eine
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irreversible egalitäre Tendenz zum Charakteristikum der modernen, im Zei-
chen der Demokratie stehenden Gesellschaften erklärt hat.
Mit der Übernahme von Tocquevilles suggestiver These von der egalitären
Tendenz ist die gesellschaftspolitische Diskussion jedoch mehr und mehr in
eine prekäre Falle entwicklungsgeschichtlicher Argumentation und eine Apo-
rie der sozialphilosophischen Wertorientierung hineingeraten. Denn unsere
Gesellschaften sind in den vergangenen zwei Jahrhunderten offensichtlich
nicht gleichheitlicher geworden. Trotz des Aufstiegs sich emanzipierender
Bevölkerungsgruppen blieben große Unterschiede zwischen den gesellschaft-
lichen Schichten bestehen, bzw. setzten sich wieder durch, wenn sie – wie im
Nachkriegsdeutschland – durcheinandergeraten waren. Und das größte, dem
Egalitarismus zugeordnete Experiment, das des kommunistischen Sozialis-
mus – so das jüngste Erfahrungsbeispiel dieser Reihe – ist in sich zusammen-
gebrochen. Im Gefolge dieser Erfahrungen sind auch die Hoffnungen auf ei-
ne gerechtere Welt und einen gesellschaftlichen Frieden, die sich stets mit
dem Kampf gegen Ungleichheiten verbanden, nicht in Erfüllung gegangen.
Eine jede Gleichstellung weckte Unzufriedenheit bei anderen und rief neue
Rechtsansprüche hervor. So hat die Rechtsprechung im Zeichen des Gleich-
heitsprinzips nicht zu einer egalitären Gesellschaft geführt, sondern in
scheinbar paradoxer Weise dazu, daß den Verschiedenheiten individueller
Verhältnisse stärker Rechnung getragen wurde.
Das moderne Gleichheitsprinzip steht damit auch zweihundert Jahre nach
seiner Durchsetzung noch immer in einem ambivalenten Licht, und die Aus-
einandersetzungen um seine Legitimität und seinen Erfolg dauern an. Für
sich emanzipierende Bevölkerungsschichten und Gesellschaften sowie für ei-
ne reformorientierte Rechtspolitik ist es nach wie vor die unverzichtbare Lei-
tidee und darüber hinaus das Herzstück einer jeden sich modern verste-
henden Gesellschaftstheorie. Daher ist es andererseits auch das bevorzugte
Angriffsziel konservativer Positionen, die sich auf ihren Realismus berufen.
Auf eine plakative Alternative zugespitzt, steht die progressive Utopie im
Sinne des ,Tagtraums‘ gegen den ,Realismus‘ der Konservativen. Ist damit
ein Grunddilemma des ,Projekts der Moderne‘ bezeichnet, vielleicht sogar
dessen Scheitern?
Wenn die Alternativen der Gleichheitsdiskussion so ins Grundsätzliche ex-
trapoliert werden, wie das im Zeitalter der Emanzipations- und Klassen-
kämpfe und in der Epoche des ideologisch versteinerten Ost-West-Gegensat-
zes von Supermächten sich eingespielt hatte, scheint es in der Tat kaum einen
Ausweg aus jenem Dilemma der Moderne zu geben. Oder war hier im Zuge
der Konfrontationen nur zu hoch gereizt worden? Im praktischen Umgang
mit den Gleichheitsgeboten demokratischer Verfassungen hat sich in den
vergangenen Jahrzehnten in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens
bereits eine Einsicht durchgesetzt, die in der philosophisch-logischen Refle-
xion des Gleichheitsproblems seit längerem geläufig war: Gleichheit und
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