Table Of ContentLEHRBUCH  DER  CHIRURGIE 
UND ORTHOPADIE DES  KINDESALTERS 
HERAUSGEGEBEN VON 
A.OBERNIEDERMAYR 
MUNCHEN 
BAND III 
ORTHOPÄDISCHE ERKRANKUNGEN 
DES KINDESALTERS 
SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH
ORTHOPÄDISCHE ERKRANKUNGEN 
DES  KINDESALTERS 
BEARBEITET VON 
K. IDELBERGER 
MIT 103 ABBILDUNGEN 
SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH
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© Spriuger-Verlag Berliu Heidelberg 1959 
Ursprüuglich erschieueu bei Spriuger-Verlag OHG. Berliu -Gottiugeu -Heidelberg 1959 
Softcover repriut ofthe hardcover Ist editiou 1959 
ISBN 978-3-642-87302-7  ISBN 978-3-642-87301-0 (eBook) 
DOI 10.1007/978-3-642-87301-0 
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diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, 
daß solche Nameu im Sinn der Warenzeicheu- und Markenschutz-Gesetzgebung 
als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften 
Druck der Universitätsdruckerei H. Stürtz AG., Wfirzburg
Inhaltsverzeichnis 
Seite 
I. Die orthopädische Untersuchung  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  1 
11. Ätiologie und Prophylaxe der angeborenen Mißbildungen  7 
III. Systemerkrankungen des Skelets.  13 
1. Enchondrale Dysostosen  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  13 
a) Die Chondrodystrophie  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  16 
b) Polytope enchondrale Dysostosen  ........  19 
c) Der Schlüsselbeindefekt (Dysostosis cleido-cranialis)  ..  ...... 20 
2. Die abnorme Knochenbrüchigkeit (Osteogenesis imperfecta, Osteopsathyro 
sis, Fragilitas ossium hereditaria)  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  21 
3. Die fibröse Knochendysplasie .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  23 
IV. Allgemeinkrankheiten mit Veränderungen von Knochen und Gelenken  24 
1. Die Rachitis  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  24 
Die renale Rachitis  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  27 
2. Die Möller-Barlowsche Krankheit .  .  .  .  .  .  .  28 
3. Die Speicherkrankheiten (Reticuloendotheliosen)  29 
a) Morbus Gaucher  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  29 
b) Abt-Letterer-Siwesche Krankheit.  .  .  30 
c)  Hand-Schüller-ChristianscheKrankheit  30 
d) Das eosinophile Granulom  31 
4. Blutergelenke .  .  .  .  .  .  .  32 
V. Die Tumoren des Kindesalters  35 
1. Chondrome .  .  .  .  .  .  35 
2. Cartilaginäre Exostosen  .  .  37 
3. Osteome  .  .  .  .  .  .  .  ..  ..  38 
4. Riesenzellgeschwülste (Osteoclastome)  38 
5. Jugendliche Knochencysten.  .  .  .  .  39 
6.  Hämangiome  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  39 
7. Knochensarkome  .  .  .  .  .  .  .  .  .  40 
a) Die primären osteogenen Sarkome.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  ..  ...  .  41 
oe) Das osteolytische Sarkom S. 41 - ß) Das Myxochondrosarkom S.42 -
y) Das chondroblastische Sarkom S. 43 - Cl) Das osteoblastische Sarkom 
S.43 
b) Die sekundären osteogenen Sarkome  .  .  .  .  .  .  43 
c) Das Ewingsche Knochensarkom (Reticulosarkom)  43 
d) Parostale Sarkome  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  45 
e)  Sarkom- und Carcinommetastasen im Knochen  45 
8. Hämoblastosen  .  .  .  .  .  45 
VI. Die spontanen Osteonekrosen  .  46 
Allgemeines  .  .  .  .  .  .  .  .  .  46 
1. Die Perthessche Krankheit .  .  49 
2. Die Osgood-Schlattersche Krankheit der Tuberositas tibiae  52 
3. Die Köhlersehe Krankheit des Naviculare pedis  .  .  .  .  .  53 
4. Die sog. Apophysitis calcanei (HAGLUND)  .  .  .  .  .  .  .  .  54 
5. Die Epiphyseonekrosen der Metatarsalköpfchen (FRIEDBERG-KöHLER)  55 
6. Die Osteochondrosis ischio-pubica (VAN NECK)  56 
7. Die Osteochondrosis dissecans (KöNIG)  .  .  .  56 
8. Die Vertebra plana (CALVE)  .  .  .  .  .  .  .  .  58 
VII. Hormonelle Störungen  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  59 
Die  Epiphysenwanderung  und  Epiphysenlösung  (Epiphysiolysis  capitis 
femoris)  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  59
VI  Inhaltsverzeichnis 
Seite 
VIII. Chronische Entzündungen der Knochen und Gelenke  66 
1. Die Knochen- und Gelenktuberkulose .  .  .  .  .  .  66 
a) Die Spondylitis tuberculosa ......... .  75 
b) Die Tuberkulose der Kreuzdarmbeingelenke.  84 
c) Die Coxitis tuberculosa.  .  .  .  .  84 
d) Die Gonitis tuberculosa.  .  .  .  .  90 
e) Die Tuberkulose der Fußgelenke  92 
f) Die Schultergelenktuberkulose .  .  93 
g) Die Ellbogentuberkulose  .  .  .  .  94 
h) Die Handgelenktuberkulose ...  95 
i) Die Schafttuberkulose der kurzen und langen Röhrenknochen  96 
k) Die Tuberkulose der platten Knochen ....  97 
1)  Weichteiltuberkulosen  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  97 
2. Die luischen Knochen- und Gelenkveränderungen  98 
3. Die chronische Osteomyelitis.  .  .  99 
4. Die nichtspezifischen Arthritiden  104 
IX. Krankheiten des Nervensystems  107 
1. Spastische Lähmungen  .  .  .  107 
a) Die Littlesche Krankheit.  107 
b) Die Hemiplegie  .  .  .  .  109 
2.  Schlaffe Lähmungen  .  .  .  111 
a) Die Kinderlähmung.  .  .  111 
b) Entbindungslähmungen .  125 
X. Krankheiten der Muskulatur .  126 
1. Die Dystrophia musculorum progressiva  126 
2. Die angeborene Gliederstarre (Arthrogryposis multiplex cong.)  128 
3. Die ischämische Muskelkontraktur  128 
XI. Erkrankungen der Sehnen  129 
Der schnellende Finger  .  .  .  .  .  .  129 
XII. Hals.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  130 
1. Der angeborene muskuläre Schiefhals (Caput obstipum musculare)  130 
2. Der angeborene Kurzhals (das Klippel-Feilsche Syndrom)  132 
XIII. Wirbelsäule  133 
1. Die Haltungsschäden .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  133 
2. Die Adoleszentenkyphose (SCHEUERMANN)  140 
3. Die Skoliosen  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  144 
4. Die Spondylolisthese (das Wirbelgleiten)  158 
5. Die Osteochondrose der Bandscheiben  163 
Die klinischen Bilder  167 
XIV. Thorax  170 
1. Die Trichterbrust .  .  .  .  .  .  .  170 
2. Die Kielbrust (Pectus carinatum)  173 
XV. Arm.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  173 
Allgemeines.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  173 
1. Der angeborene Schulterblatthochstand (Sprengelsche Deformität) .  174 
2. Die habituelle Schulterluxation  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  175 
3. Die angeborenen Verrenkungen im Ellbogen- und Handgelenk  175 
4. Der angeborene Defekt des Radius und der Ulna.  .  .  175 
5. Die radio-ulnare Synostose  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  176 
6. Cubitus valgus und varus  .............  177 
7.  Die Madelungsche Handgelenksdeformität (Gabelhand) .  177 
8.  Die angeborene Klumphand (Manus vara)  180 
9.  Spalthand und Spaltfuß (Ektrodaktylie)  .  180 
10. Die Poly- und Oligodaktylie.  .  .  .  .  .  .  181 
11. Die Syndaktylie  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  182 
12. Die Brachyphalangie  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  183 
13. Die Spinnenfingrigkeit (Arachnodaktylie, Marfan-Syndrom) .  184 
14. Die Kamptodaktylie  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  184 
15. "Schnürfurchen" und kongenitale Amputationen  .  .  .  .  .  184
Inhaltsverzeichnis  VII 
Seite 
XVI. Bein ......... .  184 
1. Seltenere Mißbildungen  184 
a) Der Femurdefekt  .  184 
b) Der Tibiadefekt  .  .  185 
c) Der Fibuladefekt  186 
d) Fehlbildungen am Kniegelenk  186 
e) Die Aclasis tarso-epiphysalis  187 
2. Die Coxa vara congenita  .  .  .  .  187 
3. Die Coxa vara rachitica  189 
4. Die angeborene Coxa valga  .  .  .  190 
5. Die sog. angeborene Hüftverrenkung .  191 
6. Die habituelle Patellarluxation .  .  .  .  210 
7. Das X-Bein  (Genu valgum) .  .  .  .  .  210 
8.  Das O-Bein (Genu varum, Crus varum)  214 
9.  Die Tibia vara (BLouNT)  .  .  .  .  .  .  .  217 
10. Die  angeborenen  Unterschenkel-Verbiegungen  und Pseudarthrosen  (Crus 
varum cong.).  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  217 
11. Der angeborene Klumpfuß  .............. .  221 
12. Der angeborene Sichelfuß (Pes adductus, Metatarsus varus)  231 
13. Der Knicksenkfuß  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  231 
14. Der angeborene Knickplattfuß (Pes plano-valgus cong.)  240 
15. Der Hohlfuß.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  241 
16. Der angeborene Hackenfuß (Pes calcaneus cong.)  243 
Literatur ...... .  245 
Namenverzeichnis.  255 
Sachverzeichnis  259
Autorenverzeichnis 
DERICHSWEILER, H., Dr. med. dent., Dr. med., München 15,  Sonnenstraße 10: 
Bd.II. 
DÜBEN,  W.,  Privatdozent Dr.  med.,  Unfallklinik  der  Nordwestlichen  Eisen 
Stahl-Berufsgenossenschaft, Hannover: Bd. I. 
GELBKE,  H.,  Privatdozent  Dr.  med.,  Chirurgische  Universitäts-Klinik,  Göt 
tingen : Bd. I, 11. 
IDELBERGER,  K.,  Professor  Dr.  med.,  Orthopädische  Klinik der  Universität, 
Gießen: Bd. I, Bd. IH. 
KONCZ,  J.,  Professor  Dr.  med.,  Chirurgische  Universitäts-Klinik,  Göttingen: 
Bd.II. 
LUTZ, R. J., Privatdozent Dr. med., Kinderkrankenhaus an der Lachnerstraße, 
München: Bd. I 
MATZNER,  R., Dr. med., Bruchsal, Kaiserstraße 35: Bd.II. 
OBERNIEDERMAYR, A., Professor Dr. med., Universitäts-Kinderklinik, München: 
Bd.II. 
RAISCH,  0., Professor Dr. med., Chirurgische Klinik,  Olgahospital,  Stuttgart: 
Bd.II. 
RESSEL,  G.  J., Dr. med., Mercy Hospital, DenverjColorado (USA): Bd. I 
SINGER,  H., Dr. med., Universitäts-Kinderklinik, München: Bd. H. 
WEBER, E.: Privatdozent Dr. med., Chirurgische Universitäts-Klinik, München: 
Bd.II.
Orthopädische Erkrankungen 
des Kindesalters 
Von 
K. IDELBERGER 
Mit 103 Abbildungen 
I. Die orthopädische Untersuchung 
Man tut gut  daran,  nach  einem  bestimmten Plan vorzugehen,  möglichst 
nach einem Schema,  das für alle Körperregionen paßt.  Das kürzt die Unter 
suchung ab, gibt dem Befund Übersichtlichkeit, Ordnung und Prägnanz und ist 
zugleich eine gewisse Garantie, daß nichts Wichtiges vergessen wird.  Ein solches 
Vorgehen ist für die Begutachtung unerläßlich.  Aber auch die Krankengeschichte 
sollte  davon  profitieren.  Es  ist  ein  Exerzitium  der  Selbstdisziplin,  anfangs 
schwer, später selbstverständlich.  Man braucht nur ein Krankenblatt zu lesen, 
um zu wissen, wes Geistes Kind sein Verfasser ist. 
Die  Untersuchung  beginnt  bereits,  ehe  die  erste  Frage  gestellt  ist.  Der 
Orthopäde hat es mit einer ganzen Reihe von Krankheiten zu tun, die auf den 
ersten Blick vermutbar sind.  Man denke nur an den muskulären Schiefhals, 
an das charakteristische Hinken oder Watscheln der sog.  angeborenen Hüft 
verrenkung, an den Gigantismus bei der Epiphyseolyse und an schwere Skoliosen. 
Solche Beobachtungen sind nützliche Anhaltspunkte, aber nicht mehr.  Wenn 
wir gelegentlich Primavista-Diagnosen stellen, werden wir gut tun, sie für uns 
zu behalten, bis wir uns durch die Untersuchung ihre Richtigkeit bewiesen haben. 
Eine gewisse Zurückhaltung in diagnostischen Fragen steht dem Arzt gut an 
und schützt ihn vor vorschnellen Urteilen, die später korrigiert werden müssen 
und den Eltern unserer kleinen Patienten das Vertrauen rauben.  Die Diagnose 
gehört  an  das  Ende  der  gesamten  klinischen  und  röntgenologischen  Unter 
suchungen.  Auch  Mutmaßungen,  die  ängstliche  Eltern  dem  Arzt  entlocken 
wollen, unterbleiben besser. 
Die  Erhebung der  Vorgeschichte  ist  keine  quantite  negligeable,  die  man 
stehenden Fußes in wenigen Augenblicken erledigt, sondern ein integrierender 
Bestandteil jeder Untersuchung, in ihrer Wertigkeit dem klinischen und rönt 
genologischen Befund durchaus ebenbürtig.  Gerade in schwierigen, diagnostisch 
unklaren Fällen hilft die genaue Befragung nicht selten weiter.  Ein Versäumnis 
an dieser Stelle ist die Ursache mancher Fehldiagnosen.  Nehmen wir an, ein 
Kind klage über zeitweilige Rückenschmerzen; die Eltern sagen: seit einer vor 
längerer Zeit überstandenen Grippe.  Würde der Arzt sich die Mühe gemacht 
haben, eingehender zu fragen,  hätte er leicht erfahren, daß in der häuslichen 
Gemeinschaft ein seit Jahren hustender Großvater lebt und das Kind während 
einer leichten "Grippe" gehustet habe. Wahrscheinlich hätte er dann anstatt die 
leichtfertige Diagnose "Muskelrheumatismus" zu stellen, Verdacht auf eine begin 
nende Spondylitis tbc. geschöpft und anstattMassage zu verordnen, rechtzeitig eine 
fachärztliche Untersuchung und Behandlung veranlaßt.  Die Tatsache, daß ein 
Großteil unserer Kranken mit einer Knochen- oder  Gelenktuberkulose vorher 
Chirurgie des Kindesalters, Bd. In  1
2  Die orthopädische Untersuchung 
längere  Zeit  mit  Massage  und Antirheumaticis  behandelt  wurde,  gibt  doch 
sehr zu  denken.  Viel kostbare Zeit geht auf diese Weise verloren, ungeachtet 
der durch eine unzweckmäßige Therapie angerichteten Schäden. 
Richtig fragen kann freilich nur, wer etwas weiß.  Darum ist der da und dort 
geübte Brauch, die  jüngsten Assistenten mit der Erhebung der Anamnese zu 
betrauen,  verwerflich.  Ein  ärztliches  Sprichwort  sagt:  "Man  diagnostiziert 
nur Krankheiten, an die man denkt".  Es ließe sich durch den Satz erweitern: 
"Man denkt meist nur an das, was einem die Vorgeschichte nahelegt. " 
Es gibt sicher nicht nur ein Schema, um den klinischen Befund planvoll und 
geordnet aufzunehmen.  Ein  bewährtes Muster,  das  den  Vorteil  hat,  für  alle 
Körperregionen zu passen, besteht aus folgenden 5 Punkten: 
1.  Inspektion, 
2.  Palpation, 
3.  Untersuchung der  Gelenkstellung, 
4.  Untersuchung der Beweglichkeit, 
5.  besondere Untersuchungsmethoden. 
Wer viele  Studenten unterrichtet hat,  muß  den  Eindruck gewinnen,  daß 
sie  keinem  Sinnesorgan mehr mißtrauen als  ihrem Auge.  Fast alle  beginnen 
damit, das kranke Gelenk zu betasten, und ahnen nicht, daß sie damit wertvolle 
diagnostische Möglichkeiten,  zuweilen sogar wichtige,  auf andere Weise kaum 
zugängliche  Symptome vernachlässigen.  Unser Auge  ist von  Anfang  an viel 
sicherer als unser Tastgefühl, das wir erst durch eine längere Schulung ausbilden 
müssen.  Eine leichte Muskelatrophie beispielsweise ist oft durch eine sorgfältige 
vergleichende  Inspektion  zuverlässiger festzustellen  als mit dem Bandmaß, ganz 
abgesehen davon, daß auch das Messen gelernt sein will.  Die Asymmetrie der 
"Luftfigur"  zwischen  den  annähernd  geschlossenen  Beinen,  die  Ungleichheit 
des  Muskelreliefs,  geringfügige  Gelenkschwellungen,  ein  schräger  Verlauf  der 
Verbindungslinie beider (vorderer oberer) Darmbeinstachel, ein vertieftes Hohl 
kreuz: das alles und vieles mehr sind Feststellungen, die sich mit anderen Mitteln 
nur schwer oder gar nicht treffen lassen.  Das Auge erfaßt sie in Sekundenschnelle. 
Wesentlich ist, daß die Kinder zur Untersuchung vollständig entkleidet werden, 
falls es sich nicht gerade um Fußbeschwerden handelt. 
Die vergleichende Palpation bestätigt, vor allem aber ergänzt sie das Ergebnis 
der Inspektion.  Eine Wärmevermehrung über  einem  Gelenk,  die  Konsistenz 
einer Schwellung, das "Tanzen" der Patella beim Kniegelenkserguß, Härten der 
Muskulatur,  Zonen gesteigerter  Druckempfindlichkcit  - um nur einige  Bei 
spiele  zu nennen - sind nur mit einem  geschärften Tastgefühl zu erkennen. 
Die  Untersuchung  der  Gelenkstellung  benutzt  beides,  die  vergleichende  In 
spektion und Palpation.  Es ist zweckmäßig, diese wichtige Prüfung gesondert 
vorzunehmen.  Die  Stellung  eines  Gelenkes  entscheidet  über die  funktionelle 
Brauchbarkeit der Gliedmaße.  Die Untersuchung erfordert außerdem besondere 
Manipulationen.  Nehmen  wir  an,  die  Erkrankung  eines  Hüftgelenkes  habe 
wie so  häufig zu einer Beuge-, Adduktions- und Außenrotationskontraktur ge 
führt.  Die  auffallend  tiefe  Lendeneinsattlung,  der  schräge  Verlauf  der  Ver 
bindungslinie  beider  Spinae  iliae  ant.  sup.  und  die  (scheinbare)  Verkürzung 
des krankseitigen Beines haben zweifellos schon derartige Vermutungen erweckt. 
Ich brauche jedoch die Bestätigung und genaue Vorstellungen über die Schwere 
der  Fehlstellungen.  Die  Flexion der  gesunden  Hüfte  bis  zum  Ausgleich  der 
Lordose (aber nicht weiter) belehrt sofort, ob und in welchem Maße eine Beuge 
kontraktur besteht.  Die durch die Beugung des Oberschenkels herbeigeführte 
llassive Spannung des (gesundseitigen) Lig. ischio-capsulare zwingt das Becken
Die orthopädische Untersuchung  3 
zu einer Rückwärtskippung. Ist eine Beugekontraktur vorhanden, d. h. ist die volle 
Streckung unmöglich, so  gerät der krankseitige  Oberschenkel zwangsläufig in 
eine  Beugestellung,  die  zugleich den  Grad der Fehlstellung angibt.  Man mißt 
sie  durch den Winkel zwischen  (krankseitigern) Oberschenkel und Tischplatte. 
Eine  Adduktionskontraktur  bedeutet  die  Aufhebung  jeglicher  Abduktion. 
Dabei kann die Anspreizung zu einem ansehnlichen Teil erhalten sein.  Ein Kind 
mit einer Adduktionskontraktur kann nur dadurch gehen,  daß es  die  krank 
seitige Beckenhälfte hebt, und zwar um einen Betrag, der der Schwere der Fehl 
stellung entspricht.  Die  Hebung des  Beckens geschieht anfangs  aktiv  (wenn 
auch unbewußt), später durch Schrumpfung der Bandmas,en, die Wirbelsäule 
und Becken verbinden, entsprechend dem Preisersehen Gesetz: daß Weichteile, 
deren  Ansatzpunkte  dauernd  genähert  sind,  sich  verkürzen.  Der  klinische 
Nachweis  ist  deshalb  einfach:  Man sorgt  durch entsprechende  Lagerung des 
krankseitigen Beines für eine lotrechte Einstellung der Verbindungslinie beider 
Spinae ant. sup. zur Körperlängsachse.  Ist das geschehen,  so  zeigt der Winkel 
zwischen dem nunmehr angespreizten Oberschenkel und der Parallele zur Längs 
achse  des  Rumpfes  durch  die  krankseitige  Spina  das  Maß  der  Adduktions 
kontraktur an. 
Es ergibt sich aus unseren Überlegungen von selbst, daß eine Abduktions· 
kontraktur der Hüfte in allem den gegenteiligen Befund aufweisen muß.  Das 
Becken ist nach der kranken  Seite gesenkt.  Das kranke Bein ist  (scheinbar) 
verlängert,  die  gesunde  Seite  (scheinbar)  verkürzt.  Die Untersuchung erfolgt 
in analoger Weise wie bei der Adduktionskontraktur. 
Am  einfachsten ist  die  Beurteilung  einer (A ußen- oder I nnen-) Rotations 
kontraktur  (der  Hüfte).  Dazu  muß das Kind gen au auf dem Rücken liegen. 
Die parallel gerichteten Unterschenkel hängen über die Tischkante herab.  Be 
steht  beispielsweise  eine  Außenrotationskontraktur,  so  überkreuzt der krank 
seitige Unterschenkel den gesunden.  Die Abweichung aus der Normallage gibt 
zugleich das Ausmaß der Fehlstellung an. 
Die Untersuchung am Schultergelenk spielt sich in ganz ähnlicher Weise ab. 
Maßgebend ist hier die Stellung des Margo medialis scapulae bei herabhängendem 
Arm.  Bei einer Abduktionskontraktur ist der krankseitige Angulus info scapulae 
der Dornfortsatzreihe stärker genähert als  auf der gesunden Seite.  Abduziert 
man den Arm bis zur beidseitigen Übereinstimmung der Distanz Dornfortsatz 
reihe - unterer Schulterblattwinkel, so kann man am Winkel zwischen Oberarm 
und Rumpf den Grad der Kontraktur ablesen.  Bei einer starken Abduktions 
kontraktur ist das Kind außerstande, den Arm an den Rumpf anzulegen.  Die 
wesentlich häufigere Adduktionskontraktur zeigt die umgekehrten Verhältnisse: 
Der Angulus info  scapulae ist nach außen gerichtet, und der Arm kann nicht 
abgespreizt werden. 
Einige Hinweise sind für die Bewegungsprüjung des  Schultergelenkes und der 
Wirbelsäule notwendig. 
Funktionell ist das  Schultergelenk ein  Doppelgelenk.  Es besteht aus  der 
Articulatio humeri im engeren  Sinne und dem  "Muskelgelenk"  des  Schulter 
blattes.  Schon bei einer Abduktion von etwas weniger als 90° bewegt sich die 
Scapula mit.  Ahnliches gilt für alle übrigen Bewegungen (abgesehen von der 
Rückhebung, die schon bei 45° zu Mitbewegungen führt).  Will man daher die 
Beweglichkeit im anatomischen Schultergelenk prüfen, so muß man die - bei 
Teilversteifungen  ja viel  früher  einsetzenden  Mitbewegungen  der  Scapula -
passiv unterdrücken.  Das geschieht in einfacher Weise durch Festhalten des 
Schulterblattes.  Der  Grad der  Bewegungseinschränkung ergibt sich aus dem 
Vergleich mit der gesunden Seite. 
1*