Table Of ContentOrdnungen der Gewalt
Reihe "Soziologie der Politik"
Herausgegeben von
Ronald Hitzier
Stefan Hornbostel
Sighard N eckel
Band 3
Sighard Neckelf
Michael Schwab-Trapp (Hrsg.)
Ordnungen der Gewalt
Beiträge
zu einer politischen Soziologie
der Gewalt und des Krieges
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1999
Gedruckt auf säurefreiem und altersbeständigem Papier.
Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme
Ordnungen der Gewalt: Beiträge zu einer politischen Soziologie der Gewalt und des
Krieges I Sighard Necke! ; Michael Schwab-Trapp (Hrsg.).
(Reihe "Soziologie der Politik"; Bd. 3)
ISBN 978-3-8100-2306-3 ISBN 978-3-663-10959-4 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-10959-4
NE: Necke!, Sighard [Hrsg.]; GT
© 1999 Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1999
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Inhalt
Vorbemerkung ................................................................................................. 7
Gewalt -Handeln -Kultur
Ronald Hitzier
Gewalt als Tätigkeit
Vorschläge zu einer handlungstypologischen Begriffsklärung ....................... 9
Alexander Milanes
Notwehr
Zur strategischen Operationalisierung legalisierter Gewalt.. ......................... 21
Christoph Liell
Der Doppelcharakter von Gewalt:
Diskursive Konstruktion und soziale Praxis .................................................. 33
Dirk Trüller
Die Macht der Geftihle -Geftihle der Macht
Gewaltphantasien und Emotionalität in der Musikszene rechter Skins ......... 55
Soziologie des Krieges
Trutz von Trotha
Formen des Krieges
Zur Typologie kriegerischer Aktionsmacht.. ................................................. 71
Jens Warburg
Maschinen der Vernichtung
Das industrialisierte Schlachtfeld .................................................................. 97
Michael Schwab-Trapp
Srebrenica -ein konsensbildendes Ereignis?
Diskursive Eliten und der Diskurs über den Jugoslawienkrieg ................... 119
Gewalt -Staat -Moderne
Gerhard Armanski
Die Gewaltmaschine
Das Lager als Signum und Stigma des Jahrhunderts ................................... 131
Peter lmbusch
Modeme und postmoderne Perspektiven der Gewalt .................................. 14 7
Wolfgang Knöbl
Pfadabhängige Entwicklungen und Gewalt
Die Genese staatlicher Herrschaftsstrukturen in Preußen-Deutschland,
England und den USA im ,langen' 19. Jahrhundert .................................... 161
Zu den Autoren ............................................................................................ 181
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Vorbemerkung
Der vorliegende Band dokumentiert eine Tagung, die von der Sektion »Poli
tische Soziologie« der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Juni 1998
an der Universität-Gesamthochschule Siegen zum Thema »Krieg und Ge
walt« abgehalten wurde. Die Entscheidung, das Thema Krieg und Gewalt
zum Gegenstand einer Sektionssitzung zu machen, hatte recht unterschiedli
che Gründe. Es gab auf der einen Seite aktuelle tagespolitische Anlässe -wie
den Krieg im ehemaligen Jugoslawien oder die öffentliche Diskussion über
eine vermeintliche Zunahme der Gewalt in unserer Gesellschaft. Zum ande
ren hatte ein Ende 1997 erschienenes Sonderheft der Kölner Zeitschrift für
Soziologie und Sozialpsychologie unter dem Titel »Soziologie der Gewalt«
eine Diskussion über die soziologische Analyse der Gewalt angeregt. Die
dort geführte Diskussion verortete die gegenwärtige soziologische Forschung
über Gewalt zwischen einer "Variablensoziologie", die zwar einiges über die
Ursachen der Gewalt, jedoch kaum etwas über die Gewalt selbst verrät, und
dem Programm einer "dichten Beschreibung" der Gewalt, das sich ihren
konkreten Erscheinungsformen zuwendet und diese im Anschluß an empiri
sche Analysen theoretisch zu bestimmen sucht. Die Tagung griff diese Dis
kussion auf und nahm sie zum Anlaß, um Gewalt als soziales und politisches
Handeln empirisch und theoretisch in den Blick zu nehmen.
Die Koordinaten einer politischen Soziologie der Gewalt umspannen
notwendigerweise einen weiten Themenkreis. Hierzu zählen das Problem der
anthropologischen »Entgrenzung menschlicher Gewaltverhältnisse« (Hein
rich Popitz), der »Normalitätscharakter« von Gewalt in sozialen Ordnungen,
die Legitimationsbedürftigkeit von Gewalt und ihre kulturellen Deutungen,
institutionalisierte Ordnungs- oder Regulierungsformen der Gewalt in ihren
historischen und kulturellen Varianten sowie die Verbindung von Gewalt mit
Prozessen der Herrschaftsbildung, der Herrschaftssstabilisierung und des
Zerfalls von Herrschaftsordnungen. Im Umkreis soziologischer Herrschafts
analyse dürfte auch das Thema des Krieges zu plazieren sein, das in diesem
Band sowohl als eigenständiger Gegenstand als auch in seiner Verschrän
kung mit Gewaltprozessen behandelt wird. Anders als die Gewalt ist der
Krieg ein Stiefkind soziologischer Analyse. Zugleich wissen wir, wie im
Falle der Gewalt, zwar einiges über die möglichen Ursachen des Krieges, je
doch wenig über seine historisch und kulturell variierenden Erscheinungs
formen, die im Krieg praktizierten Formen der Gewalt, seine kulturellen
Grundlagen oder die Techniken seiner Legitimierung.
Die abgedruckten Beiträge nähern sich einer Soziologie der Gewalt und
des Krieges über empirische, theoretische und historische Studien. Ihr the
matischer Bogen umspannt handlungs- und kulturtheoretische Analysen der
Gewalt, kategoriale Vorschläge zu einer Soziologie des Krieges sowie so-
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ziologische Untersuchungen zum Zusammenhang von Gewalt, Staat und
Moderne. Diese Themenfelder werden anband empirischer Einzelfallstudien,
durch eine Konzeptualisierung soziologischer Begriffe fiir die Analyse von
Gewaltprozessen und schließlich theoriegeschichtlich entfaltet. Im Zentrum
dieser verschiedenen Annäherungen an die Analyse von Gewalt und Krieg
steht die Frage nach den wissenschaftlichen Koordinaten einer politischen
Soziologie der Gewalt.
Wir danken Frau Anna Samlowitz fiir ihre Unterstützung bei der redak
tionellen Überarbeitung der Beiträge dieses Bandes. Ohne ihre Hilfe wäre
sein Erscheinen erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich gewesen.
Sighard Neckel, Michael Schwab-Trapp
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Ronald Hitzier
Gewalt als Tätigkeit
Vorschläge zu einer handlungstypologischen Begriffsklärung
Insbesondere Friedhelm Neidhardt (1988/86) hat in seiner bedachtsamen
Aufarbeitung der Defmitionen und Konnotationen des Gewaltbegriffes in
den verschiedenen, mit dem Thema befaßten Disziplinen gezeigt, daß von
einem auch nur minimalen Konsens bei der Bestimmung des Phänomens
,Gewalt' keine Rede sein kann. Und selbst im Überblick über die Beiträge
des programmatisch ausgesprochen konzentrierten Sonderheftes der Kölner
Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie zur ,Soziologie der Gewalt'
(von Trotha 1997) wird dieser Befund durchaus nochmals bestätigt: Auch
hier streuen Begriffsverwendungen und Gegenstandsverständnisse erheblich.
Ein Großteil der sich mit der Frage nach dem Phänomen und der Diskussion
über eine angemessene Definition von , Gewalt' verbindenden Bedeutungs
überschüsse und -Widersprüche ließe sich m.E. jedoch schon dadurch klären,
daß dezidierter als -grosso modo -bisher geschehen auf die analytische Dif
ferenz zwischen einem (die Debatte teils explizit, überwiegend aber implizit
prägenden) definitionstheoretischen und einem handlungstheoretis9hen An
satz zu Bestimmung von Gewalt, und damit, vereinfacht ausgedrückt, zwi
schen Gewalt-Erfahrung hie und Gewalt-Tätigkeit da rekurriert würde.
1. Annäherungen an Gewalt-Fragen
Nachgerade allerorten auch und gerade in ,zivilisierten' spätmodernen Ge
sellschaften kündigen, so Hans Magnus Enzensberger (1993), winzige und
stumme ,Kriegserklärungen' gegenwärtig eine gewalttätige Zukunft an, in
der sich die Menschen in wachsendem Maße wechselseitig gefährden (vgl.
dazu auch Gross/Hitzler 1996). Was hat es mit dieser wechselseitigen Ge
fährdung, mit dieser Gewaltspirale, diesseits, vielleicht auch: noch diesseits
von Enzensbergers apokalyptischem Bürgerkriegsszenario auf sich?
Das, was neuerdings immer mehr Menschen aufschreckt und zu unter
schiedlichen Reaktionen veranlaßt, hat sehr oft mit dem Thema ,Gewalt' zu
tun: mit Krieg, mit Folter, mit Mord und Totschlag, mit Brutalität im Alltag,
in der Familie, zwischen Jugendlichen, Verkehrsteilnehmern, Kollegen, mit
Verstümmelungen, Vergewaltigungen, Verwüstungen und vielem anderen
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mehr. Wo kommt diese (scheinbare) Allgegenwart von Gewalt her? Wer
oder was produziert sie? Was ist sie? Eine tagtägliche Normal-Erfahrung?
Eine politische Inszenierung? Eine Erfmdung der Medien? Alles zusammen?
Dieser Art sind die symptomatischen Fragestellungen soziologischer
Gewaltforschung. Soziologische Gewaltforschung umfaßt zahlreiche Studi
en, die sich mit der Häufigkeit von Gewalt befassen, zahlreiche andere, die
sich mit den historischen und/oder kontextuellen Entstehungsbedingungen
und der sozialen ,Verteilung' von Gewalt beschäftigen, und insbesondere
solche, die sich mit sozialen und individuellen Ursachen von Gewalt ausein
andersetzen (wobei wir uns hier auf einem großen gemeinsamen Terrain mit
der Sozialpsychologie bewegen).
Exemplarisch fiir eine gelungene neuere Arbeit in dieser Tradition mag
hier Manuel Eisners Untersuchung der Auswirkungen von Modernisierung
und urbaner Krise auf Gewaltdelinquenz stehen, die 1997 unter dem Titel
"Das Ende der zivilisierten Stadt?" erschienen ist: Eisner widerspricht zu
nächst der Annahme, daß städtisches Leben per se schon zu mehr Gewalt im
Umgang miteinander fiihre. Vielmehr habe über lange Zeiträume das urbane
Miteinander gewaltärmer funktioniert als das Leben auf dem Land. Also
fragt er sich, warum die Gewalt in den Städten seit den sechziger Jahren so
signifikant ansteige. Eisner antwortet darauf mit dem Verweis auf allgemeine
sozialstruktureile Veränderungen einerseits und mit dem Verweis auf spezifi
sche Stadtentwicklungen andererseits. Das Zusammentreffen und Zusam
menwirken beider Prozesse in den Städten bewirkt eine abnehmende soziale
Integration, steigende soziale Spannungen durch W ohlstandsverluste, Zu
nahme marginalisierter Gruppen, generelle Segregation usw. Sein Datenma
terial diskutiert Eisner anhand verschiedener theoretischer Variablen, die ihm
dazu dienen, die Entstehung und die Verteilung der gestiegenen Gewaltde
linquenz in den Städten zu erklären.
Unbeschadet einer Reihe interessanter und wichtiger Befunde streift je
doch auch Manuel Eisner nur am Rande jene Frage, die in der Soziologie
wenigstens seit den sechziger Jahren anhaltend diskutiert wird - die Frage,
was mit ,Gewalt' eigentlich gemeint sei bzw. was gemeint sein solle: Die
physische Verletzung eines personalen Subjektes? Die psychische Beein
trächtigung eines Menschen? Die Verhinderung von Möglichkeiten der
(Selbst-)Verwirklichung? Impliziert der Begriff der Gewalt individuelle Ag
gressivität? Impliziert er kollektive Interessendurchsetzung? Impliziert er alle
möglichen Formen der relativen Benachteiligung? Soll ,Gewalt' das Einbre
chen zivilisatorischer Normalität bezeichnen? Oder ist eben diese Normalität
immer schon -latent -gewaltförmig?
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Description:Der Band nähert sich einer Soziologie der Gewalt und des Kriegesüber empirische und theoretische Untersuchungen zum Phänomen der Gewalt in seinen historischen und kulturellen Varianten. Der thematische Bogen der Beiträge umspannt handlungs- und kulturtheoretische Analysen der Gewalt, Vorschläge