Table Of ContentGerechter Frieden
Ines-Jacqueline Werkner
Thomas Hoppe Hrsg.
Nukleare
Abschreckung in
friedensethischer
Perspektive
Fragen zur Gewalt • Band 7
Gerechter Frieden
Reihe herausgegeben von
Ines-Jacqueline Werkner, Heidelberg, Deutschland
Sarah Jäger, Heidelberg, Deutschland
„Si vis pacem para pacem“ (Wenn du den Frieden willst, bereite
den Frieden vor.) – unter dieser Maxime steht das Leitbild des
gerechten Friedens, das in Deutschland, aber auch in großen Tei-
len der ökumenischen Bewegung weltweit als friedensethischer
Konsens gelten kann. Damit verbunden ist ein Perspektivenwech-
sel: Nicht mehr der Krieg, sondern der Frieden steht im Fokus des
neuen Konzeptes. Dennoch bleibt die Frage nach der Anwendung
von Waffengewalt auch für den gerechten Frieden virulent, gilt
diese nach wie vor als Ultima Ratio. Das Paradigma des gerechten
Friedens einschließlich der rechtserhaltenden Gewalt steht auch
im Mittelpunkt der Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche
in Deutschland (EKD) von 2007. Seitdem hat sich die politische
Weltlage erheblich verändert; es stellen sich neue friedens- und
sicherheitspolitische Anforderungen. Zudem fordern qualita-
tiv neuartige Entwicklungen wie autonome Waffensysteme im
Bereich der Rüstung oder auch der Cyberwar als eine neue Form
der Kriegsführung die Friedensethik heraus. Damit ergibt sich
die Notwendigkeit, Analysen fortzuführen, sie um neue Problem-
lagen zu erweitern sowie Konkretionen vorzunehmen. Im Rah-
men eines dreijährigen Konsultationsprozesses, der vom Rat der
EKD und der Evangelischen Friedensarbeit unterstützt und von
der Evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr gefördert wird,
stellen sich vier interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgru-
ppen dieser Aufgabe. Die Reihe präsentiert die Ergebnisse dieses
Prozesses. Sie behandelt Grundsatzfragen (I), Fragen zur Gewalt
(II), Frieden und Recht (III) sowie politisch-ethische Herausfor-
derungen (IV).
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/15668
Ines-Jacqueline Werkner ·
Thomas Hoppe
(Hrsg.)
Nukleare
Abschreckung in
friedensethischer
Perspektive
Fragen zur Gewalt • Band 7
Hrsg.
Ines-Jacqueline Werkner Thomas Hoppe
Forschungsstätte der Evangelischen Fakultat für Geistes- und
Studiengemeinschaft e.V. Sozialwissenschaften
Heidelberg, Deutschland Helmut-Schmidt-Universität,
Universität der Bundeswehr
Hamburg
Hamburg, Deutschland
ISSN 2662-2726 ISSN 2662-2734 (electronic)
Gerechter Frieden
ISBN 978-3-658-28058-1 ISBN 978-3-658-28059-8 (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-658-28059-8
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http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Inhalt
Nukleare Abschreckung – eine „heute noch mögliche“
ethische Option? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Ines-Jacqueline Werkner
Zur Aktualität der Heidelberger Thesen in der
Nuklearfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Wolfgang Lienemann
Zur Aktualität der Heidelberger Thesen in der
Nuklearfrage – ein Kontrapunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Ines-Jacqueline Werkner
Nukleare Abschreckung – zur Perspektive der römisch-
katholischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
Klaus Ebeling
Zur Politik und Ethik nuklearer Abschreckung unter
veränderten internationalen Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . 85
Peter Rudolf
V
VI Inhalt
Neue Typen von Kernwaffen und ihren Trägern .
Gefahren für die strategische Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Jürgen Altmann
Die völkerrechtliche Dimension von
Massenvernichtungswaffen und nuklearer
Abschreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
Hans-Joachim Heintze
Der Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen
und negative Sicherheitsgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
Heinz Gärtner
Nukleare Abschreckung in der Kritik politischer Ethik . . . 159
Thomas Hoppe
Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
Nukleare Abschreckung –
eine „heute noch mögliche“
ethische Option?
Ines-Jacqueline Werkner
Einführung
1 Einleitung
Fragen nach der Legitimität militärischer Gewaltanwendung
sind der Friedensethik inhärent . Das trifft in besonderem Maße
auf Waffen zu, deren Einsatz das Ende der Menschheit bedeuten
könnte . So galten Kriege unter den Bedingungen des atomaren
Zeitalters als nicht mehr führbar .1 Dementsprechend lehnten die
Kirchen zwar einhellig den Atomkrieg ab, nicht jedoch in gleicher
Weise die nukleare Abschreckung .
Die Wiederbewaffnung Deutschlands in den 1950er Jahren
und damit einhergehende Pläne einer atomaren Bewaffnung der
Bundeswehr im Rahmen der NATO-Strategie drohten die evan-
gelische Kirche zu spalten (vgl . u . a . Howe 1959; Eisenbart 2012) .
1 Für die dramatische Wirkung nuklearer Waffen sind drei Hauptzer-
störungsformen verantwortlich: die Hitzestrahlung (35 Prozent der
Energie), die Druckwelle (50 Prozent) sowie die radioaktive Strahlung
(5 Prozent Sofortstrahlung und 10 Prozent verzögerte radioaktive
Strahlung) (ausführlicher hierzu Altmann et al . 2017, S . 76ff .) .
1
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
I.-J. Werkner und T. Hoppe (Hrsg.), Nukleare Abschreckung in
friedensethischer Perspektive, Gerechter Frieden,
https://doi.org/10.1007/978-3-658-28059-8_1
2 Ines-Jacqueline Werkner
Dabei standen sich Vertreterinnen und Vertreter zweier christlicher
Grundpositionen unversöhnlich gegenüber: zum einen diejenigen,
die es für notwendig erachteten, angesichts der noch nicht erlösten
Welt den Frieden notfalls auch mit militärischen Mitteln zu sichern
– dies schloss (mit Ausnahme der Nuklearpazifisten) die atomare
Abschreckung mit ein; zum anderen jene, die im Hinblick auf die
Botschaft des Evangeliums und um ihrer Unmittelbarkeit und
Deutlichkeit willen schon im Hier und Jetzt jegliche militärische
Gewaltanwendung ablehnten . Angesichts der damaligen Kontro-
versen galt es, „unter dem Evangelium zusammen [zu bleiben]“
(EKD-Synode 1958, zit . nach Härle 2011, S . 396) . Dies gelang mit
den Heidelberger Thesen (1959) . Die dort entwickelte Kompro-
missformel bestand darin, beide Positionen als „komplementär“
zu betrachten (vgl . auch Werkner 2013) .
Die Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutsch-
land (EKD) von 2007 stellt diese seit 60 Jahren in der evangelischen
Friedensethik dominierende Denkfigur der Komplementarität
infrage: So könne für die einen „die Drohung mit Nuklearwaffen
heute nicht mehr als Mittel legitimer Selbstverteidigung betrachtet
werden“ (EKD 2007, Ziff . 162, Hervorh . im Original) . Für die ande-
ren bleibe dagegen „die Abschreckung gültiges Prinzip“ (EKD 2007,
Ziff . 164) . Erstere Position findet sich auch im Vorwort zu dieser
Denkschrift . So konstatiert der damalige Ratsvorsitzende der EKD
Wolfgang Huber: „[D]ie Drohung mit dem Einsatz nuklearer Waffen
sei in der Gegenwart friedensethisch nicht mehr zu rechtfertigen“
(EKD 2007, S . 9) . Befriedigen kann dies insofern nicht, als sich die
Friedensdenkschrift in keinerlei Weise zu den friedenspolitischen
Konsequenzen einer möglichen Aufgabe nuklearer Abschreckung
äußert . Das ist nicht unerheblich, sind Soldatinnen und Soldaten
der Bundeswehr im Rahmen der nuklearen Teilhabe genau dieser
„friedensethisch nicht mehr zu rechtfertigen[den]“ Situation aus-
gesetzt . Das belegt dezidiert auch die aktuelle NATO-Strategie:
Einführung 3
„Die Abschreckung auf der Grundlage einer geeigneten Mischung
aus nuklearen und konventionellen Fähigkeiten bleibt ein Kernele-
ment unserer Gesamtstrategie . […] Der oberste Garant für die
Sicherheit der Bündnispartner sind die strategischen nuklearen
Kräfte unseres Bündnisses“ (NATO 2010, Ziff . 17f .) .
Ohne jeden Zweifel haben sich die weltpolitischen Konstellatio-
nen, die zu den Heidelberger Thesen führten, mit dem Ende des
Kalten Krieges verändert: Die Bipolarität ist einer Multilateralität
gewichen; das macht Abschreckungsstrategien per se unsicherer .
Nichtsdestotrotz erleben die alten Großmachtrivalitäten und die
nukleare Abschreckung eine Renaissance (vgl . Rudolf 2018) . „Auch
wenn die ideologische Auseinandersetzung fehlt, auf militärischer
Ebene ist man zurück im Kalten Krieg“ (Kühn 2016) . Die nuklearen
Arsenale der klassischen Nuklearwaffenstaaten werden fortlaufend
modernisiert . Dazu wurden auch umfassende Forschungs- und
Simulationsprogramme eingerichtet . Mit der Weiterentwicklung
insbesondere der taktischen Nuklearwaffen scheinen Nuklearkriege
führbar und gewinnbar . So setzen auch aktuelle Militärstrategien
– sei es von Russland, den USA oder der NATO – nicht nur auf
nukleare Abschreckung, diese beinhalten Optionen des nuklearen
Erstschlages, und das auch im Falle nichtnuklearer Bedrohungen
(zum Beispiel bei Cyberangriffen) . Zugleich stagnieren Rüstungs-
kontroll- und Abrüstungsverhandlungen . Quantitative Abrüstung
geht mit einer qualitativen Aufrüstung einher (vgl . u . a . Kankeleit
und Ratsch 2012) . Bestehende Verträge sind „entweder veraltet,
porös oder hinfällig“ (Kühn 2016) . Erst jüngst haben die USA
und Russland den INF-Vertrag aufgekündigt . Dem 2017 in Kraft
getretenen Atomwaffenverbotsvertrag, bisher von 122 Staaten
unterzeichnet, fehlt es an politischer Relevanz, distanzieren sich
sämtliche Nuklear- und NATO-Staaten von ihm . Ein weiteres
Risiko stellen die inoffiziellen Nuklearstaaten (Israel, Indien,
Pakistan, Nordkorea) dar . Im April 2017 eskalierte die Situation