Table Of Content"Nieman hat an arebeit wistuom
Sprichwörtliches
in mittelhochdeutschen Epen
Wolfgang Mieder
"Nieman hat an arebeit wistuom''
Sprichwörtliches
in mittelhochdeutschen Epen
Wolfgang Mieder
"Proverbium"
in Cooperation with the
Department ofGerman and Russian
The University ofVermont
Burlington, Vermont
2009
Supplement Series
of
Proverbium
YearbookofInternational Proverb Scholarship
EditedbyWolfgang Mieder
Volume 28
Umschlagbild:
Wolfram von Eschenbach
ManessischeLiederhandschrift
(zwischen 1300 bis 1340)
ISBN 978-0-9817122-2-2
©2009byWolfgang Mieder
Manufactured in the United States ofAmerica
by Queen City Printers Inc.
Burlington,Vermont
1
Inhalt
Vorwort v
"swazsich sol gefüegen"
Sprichwort und Schicksal imNibelungenlied 1
"liebe und leide"
Sprichwörtliche Liebesmetaphorik in Gottfrieds von Straßburg Tristan 15
"alsman daz golt sol Hütern in deresse"
Sprichwörtliche Ironie und Didaktik in Hartmanns vonAueErec 29
"hochvärtieseicunde viel"
Sprichwörtliche Lehren inWolframs vonEschenbachParzival 61
"Laborvincitomnia"
Zumersten Banddes Thesaurusproverbiorummediiaevi 10
"ParömiographischesStandardwerk mit(un)vermeidbaren
Problemen"
KritischerLobgesangaufden Thesaurusproverbiorum mediiaevi 11
"SprichwörterdesMittelalters und keinEnde"
WeitererLobgesang aufden Thesaurusproverbiorummediiaevi 125
"Perfectumopussuumlandetauctorem"
EndgültigerLobgesang aufden Thesaurusproverbiorum mediiaevi 139
Exkurs: Streitgespräch und Sprichwort-Antithetik
Ein Beitrag zurAckermann ausBöhmen- und Sprichwortforschung 153
Erstveröffentlichungen 185
Stichwörterverzeichnis 187
Vorwort
DieErforschungderSprichwörter,RedensartenundZwillingsformelndesMittel-
alterskannaufeineanhaltendeTraditionzurückblicken.ZahlreicheSammlungen,
Untersuchungen zum literarischen Sprichwortgebrauch sowie Studien überHer-
kunft, Überlieferung und Bedeutung einzelnerAusdrücke liegen vor, wobei zu
betonen ist, daß es sich oft um komparatistisch ausgerichteteArbeiten handelt,
die mehrere europäische Sprachen und Kulturen einbeziehen. Das zeigt ganz
besonders der gewaltige Thesaurus proverbiorum medii aevi. Lexikon der
Sprichwörterdes romanisch-germanischen Mittelalters (1995-2002) mit seinen
dreizehn Bänden. Hinzu kommtein zweibändigesHandbuchderSentenzen und
Sprichwörter im höfischen Roman des 12. und 13. Jahrhunderts, das sich mit
den Sprachformeln in den deutschen Artus-, Gral- und Tristanromanen befaßt,
und das im Jahre 2009 erscheinen soll. Solche Lexika und Handbücher bilden
eine ungemein wichtige Grundlage für die Herausarbeitung sprichwörtlicher
Texte und ihrerVarianten. Sie sind von besonderem Wert bei der Identifikation
weiterer Belege, und natürlich läßt sich an Hand solcher Textbelege auch die
ÜberlieferungsgeschichteeinzelnerPhraseologismen nachvollziehen.
Doch die Identifikation sprichwörtlicher Belege allein ist eigentlich nur
die eine Seite der Medaille, denn selbstverständlich kommt die Frage nach
der Interpretation hinzu. Gewiß erscheinen viele Redensarten, sprichwörtliche
Vergleiche und Zwillingsformeln als sogenannte Sprachautomatismen in der
Literatur des Mittelalters ohne tiefere Bedeutung. Doch das ist nicht immer
so, und vor allem bei Sprichwörtern und Sentenzen kommen ganz bestimme
Funktionswerte hinzu, die für ein Verständnis des literarischen Werkes von
erheblicher Bedeutung sind. So können zum Beispiel Sprichwörterwie "Keine
Liebe ohne Leid" oder "Hochmut kommt vor dem Fall" als Grundgedanken
ganzer Epen dienen, während andere als einfache Lebensregel zitiert werden.
Andere Sprichwörter wieder werden zur Charakterisierung einer Person her-
angezogen, und natürlich treten sie auch als Kommentar der Autoren auf. Im
Grunde genommen gibt es unzählige Möglichkeiten, Phraseologismen in
literarische Texte einzubauen, wo sich ihre Polysituativität, Polyfunktionalität
und Polysemantizität als äußerst aufschlußreich für ein tieferes Verständnis
mittelalterlicherLiteraturerweisen.
Während meiner fast vierzigjährigen Lehrtätgkeit habe ich etwa alle drei
JahrediewillkommeneGelegenheitgehabt,meinenStudentinnenundStudenten
ein Seminarüberdie deutsche Literaturdes Mittelalters anzubieten, wo wiruns
zusätzlichzudemMinnesangmitdemNibelungenlied,GottfriedsvonStraßburg
Tristan, Hartmanns von Aue Erec und Wolframs von Eschenbach Parzival
befaßthaben.Alsichdann 1995damitbegann,fürdenüberetlicheJahrehinweg
erscheinendenThesaurusproverbiorummediiaeviviereingehendeRezensionen
zu schreiben, machte ich mich gleichzeitig an dieArbeit zur Identifkation und
Interpretation von Sprichwörtern in den vier genannten großen Werken. Diese
acht Studien sind zwischen 1996 und 2004 mit nur zwei Ausnahmen in der
ZeitschriftMittellateinischesJahrbucherschienen(vgl.Erstveröffentlichungen).
FürmeinenAufsatz überdasNibelungenlied,derineinerFestschrifterschienen
ist,warichdamalsleiderbezüglichderLängesehreingeschränkt,undsoenthält
er weniger kontextualisierte Belege als die anderen Beiträge. Ansonsten aber
passen diese Studien sehr gut zusammen, und vor sie konnten hier in ihrer
originellenDruckfassungreproduziertwerden. DieInformationinderKopfzeile
bezieht sich also auf die Erstveröffentlichung, während die Seitenzahl in der
FußzeilediePaginierungdes vorliegenden Bandes betrifft.Als Exkurs habe ich
schließlich noch meinenAnfängerbeitrag überdenAckermann ausBöhmen aus
demJahre 1973 hinzugefügt, aufdenichheutenocheinwenig stolzbin.
MitgroßemStolzabermöchteichdiesesBuchmeinerehemaligenStudentin
OlgaTrokhimenkowidmen. SiehathierbeimiranderUniversitätvonVermont
Germanistik studiert und eine auch als Buch erschienene Magisterarbeit über
"WieeinElefantimPorzellanladen".•ZurWeltgeschichteeinerRedensart(\999)
geschrieben. Inzwischen ist sie selbst promovierte Germanistin (Duke Univer-
sität),MediävistinundParömiologin,dieauchArbeitenzumSprichwortgebrauch
in Hartmanns von Aue Der Arme Heinrich und Gregorius sowie in den
LehrgedichtenDie Winsbeckin undDerWinsbecke veröffentlicht hat. Füreinen
Professor gibt es kaum etwas Schöneres, als wenn seine Studierenden hin und
wieder die eigene Arbeit fortsetzen, und wenn sie es auch noch mit gesunder
Begeisterung undbeachtlichem Können machen, dannist die Freude groß.Auf
jeden Fall freue ich mich auf noch viele parömiologische Studien von Olga
Trokhimenko, der ich mit diesem Buch meinen Dank aussprechen und alles
LiebeundGute wünschenmöchte.
Frühjahr2009 WolfgangMieder
VI
"swaz sich sol gefüegen'.59
Sprichwort und Schicksal imNibelungenlied
Dasheutekaumnoch zu bewältigendeSchrifttumzumNibelungenliedenthält
erwartungsgemäß eine erheblicheAnzahl vonArbeiten zu Form, Stil, Sprache
und Rhetorik (Maurer 1954, Kuhn 1959, Bayer 1962, Weber und Hoffmann
1964, McCarthy 1972, Borghart 1977, von Polenz 1981, Sonderegger 1981,
Weigand 1988), die allerdings die sprichwörtliche Sprache des Heldenepos
völlig außer Betracht lassen. Umso mehr hat man Sprichwörter, Redensarten
und Sentenzen in den höfischen Epen und der mittelhochdeutschen Lyrik un-
tersucht, wo diese allerdings auch mit bedeutend höherer Frequenz auftreten
(Weise 1910,Wagner 1962,Hofmeister 1990und 1995,Mieder 1997). Immer-
hin aberhat derFrühgermanist Franz Mone in seinem grundlegenden Beitrag
ZurLiteraturundGeschichtederSprüchwörter(1^30) aufzehn sprichwörtli-
che Texte im Nibelungenlied hingewiesen, und diese spärliche Zahl auch zu
erklärenversucht: „Dasteutsche [Helden]EposbestehtnurinHandlung,eshat
keine Zeit zu reflektieren und zu räsonniren, der Dichter ist in seinem Stoff
befangen und die Darstellung derThatsachen spricht sein Urtheil aus" (Mone
1830:202). ImallgemeinenistdieserAussage zuzustimmen, doch seihierkri-
tischangemerkt,daßMonelediglichdieZeilenangabenderzehnTexteangibt,
ohnedieseinihremepischenKontextnäherzuinterpretieren (Mone 1830:209
[Strophe 17, 1234, 1521, 1554, 1680, 2264, 2268, 2323, 2345, 2378; die von
Mone ebenfalls erwähnten Strophen 2033 und 2379 sind meiner Meinung
nachnichtsprichwörtlich]).
Erwartungsgemäß hat Ignaz von Zingerle in seiner frühen Sammlung Die I
deutschen SprichwörterdesMittelalters(1864) auch Beispiele aus demNibe-
lungenliedzitiert, doch handelt es sich bei ihm um ledighch vierTexte (Zin-
gerle 1864b:50 [1680], 88 [17 und 2378], 132 [2345]), die Mone bereits ver-
zeichnethatte.ElfSprichwörterundSentenzenhatLiselotteHofmannineinem
aufschlußreichenKapitelüber„Volks-undSpruchweisheit"inmittelhochdeut-
schen Epen verzeichnet, darunterviervorhernicht identifizierte Belege (Hof-
mann 1939:78-79 [17, 150, 155, 992, 1234, 1554, 1680, 1801, 2264, 2323,
2378).EndlichlistetauchFriedrichPanzerneunTexteauf(darunterdreivorher
nicht verzeichnete), die eine gewisse Sprichwörtlichkeit aufweisen (Panzer
1955:200-201 [150, 155, 862, 1082, 1554, 1587, 1801, 2264, 2268]). Schließ-
lich hat Wolfgang Moelleken in seiner wertvollen Dissertation Gnomen im
Nibelungenlied(1965) wenigstens sieben Sprichwörterim Kontextuntersucht
166 WolfgangMieder
(Moelleken 1965:80-81 und 152-153 [1554], 98 [155], 114-115 [1587], 118-
119 [1801], 121 [1996], 134-135 [862], 145-146 [2020]; vgl. auchMoelleken
1967:141-142 und 145), wovon zwei bishernicht identifiziert worden waren.
Somit enthalten lediglich neunzehn Strophen (17, 150, 155, 862, 992, 1082,
1234, 1521, 1554, 1587, 1680, 1801, 1996, 2020, 2264, 2268, 2323, 2345,
2378) des Nibelungenlieds ein Sprichwort, wobei der eine oder andere Text
vielleicht besser als Sentenz zu bezeichnen wäre. OhneVergleichstexte ist es
schwer,diezumSprichwortdazugehörendeallgemeineVolksläufigkeiteiniger
Belege unterBeweis zu stellen. Wenn derim Entstehenbegriffene Thesaurus
proverbiorum medii aevi (Liveret al. 1995ff.) mit seinen geplanten acht oder
neun Bänden vollständig vorliegen wird, werden hoffentlich weitere Belege
dieserTexteausanderenQuellenvorliegen, die ihren Sprichwortcharakterbe-
stätigen.ZurbesserenÜbersichtseienhiervorersteinmaldieneunzehnidenti-
fiziertenTextemitderjeweiligen Strophennummeraufgelistet:
17 wieliebemitleidezejungestIonenkan
150 dasterbentwandieveigen: dieläzenligentot
155 mansol staetenfriundenklagenherzennot
862 Mansol sofrouwenziehen, sprachSifritderdegen,
daz siüppeclicheSprüche läzenunderwegen
992 dosprachderverchwunde: dazistänenot,
dazdernach schadenweinet,derinhatgetan
1082 ezenlebetso starkerniemeneme müezeligentot
1234 Wazmacergetzenleide, sprachdervilküeneman,
wanfriuntlicheliebe,
1521 üfgrozen schadenzekomene, dazherzenniene sanftetuot
1554 diu girnachgrözemguotevilboesez endegit
1587 mansolfriundenvolgen
1680 Swaz sich solgefüegen, wermac dazundersten?
1801 Wiedickeeinmandurch vorhtemanegiudinc verlät!
swäsofriuntbifriundefriuntlichen stät,
undhaterguote sinne, dazerznienetuot,
schadevil manegesmannes wirtvon sinnenwolbehuot.
1996 so solouchvride staeteguotenfriundengezemen
2020 Ezzaeme, so sprachHagene, vil wol volkestrost,
dazdieherrenvaehtenzeallervorderost
2264 Do sprachderkünec Günther: niedienestwartsoguot
sodeneinfriuntfriundenachdemtodetuot
2268 Do sprachdervidelaere: dervorhteistgarzevil,
swazmanimverblutet, derzallezläzenwil
2323 owedaz vorleideniemen sterbennemac!
2345 Do sprachderherreDietrich: dazenzimtnihtbeide lip,
dazsi sulnschelten samdiualtenwip
2378 als iediuliebeleidezeallerjungestegit