Table Of ContentH.-H. Böhm
Nichtlineare Programmplanung
Nichtlineare Programmplanung
Die kalkulatorische Steuerung erfolgsoptimaler Produktionsprogramme
bei nichtlinearen V erkauherträgen
von
Dip I.-log. H.-H. Böhm
Beratender Wirtschaftsingenieur
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
ISBN 978-3-663-12579-2 ISBN 978-3-663-13169-4 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-13169-4
Erweiterter Sonderdrude aus der .Zeitschrift für Betriebswirtschaft". • Verlags-Nr. 344
Copyright by Springer Fachmedien Wiesbaden 1959
Ursprünglich erschienen bei Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden 1959 5
Vorwort
Das wesentliche kalkulatorische Instrument der nichtlinearen Programmplanung
ist die Aufteilung von Grenzerfolgswerten auf die Betriebsleistungen. Man hat
dieses Z u r e c h nun g s p r ob 1 e m lange Zeit für unlösbar gehalten. Ich habe
mich daher bemüht, die Wertzurechnung als wesentlichen Bestandteil der Kon
zeption Eugen S c h m a 1 e n b a c h s von der "Pretialen Betriebslenkung",
dann der von Otto B r e d t praktizierten "Preisplanung" nachzuweisen, die er
zur Leistungsbewertung (Kostenbewertung) den "Plankosten" (Standardkosten)
entgegensetzt. Im "praktischen Teil" wird außerdem gezeigt, daß sich eine infor
male Wertzurechnung unter verschiedenen Verkleidungen in den üblichen Prak
tiken der Kostenrechnung nachweisen läßt.
Ihre aktuelle Bedeutung erhält die Wertzurechnung durch die Beziehungen zu
der heute unter verschiedenen Bezeichnungen propagierten Kalkulation mit
standardisierten Grenzkosten (Direkten Kosten) und zum Rechnen mit Deckungs
beiträgen (Gewinnbeiträgen). Diese Methoden bilden erst nach Ergänzung um
die hier vertretene Kalkulation mit ertragsabhängigen Leistungswerten und
Standard-Grenzerfolgen der Erzeugnisse v o 11 s t ä n d i g e S y s t e m e des
internen Rechnungswesens.
Die Abhandlung erschien ursprünglich als Aufsatz in der Zeitschrift für Betriebs
wirtschaft. Das große Interesse, das sie in Wirtschaft und Praxis fand, veranlaßt
mich, diese Abhandlung als erweiterten Sonderdruck herauszubringen.
Bad Harzburg, im August 1959 Hans-Hermann Böhm
Inhalts-Verzeichnis
Einführung: Programmplanung mit Grenzpreisen . . 9
I. Die Wertzurechnung als Kalkulationsmittel der nichtlinearen
Programmplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Anwendungsgrenzen der mathematischen Programmplanung . 13
Nichtlineare Programmplanung durch pretiale Betriebslenkung 14
II. Die theoretische Lösung
Die Wertzurechnung als Maximalbedingung für den Deckungsbeitrag 17
Das Erfolgsmaximum als Minimum des zugerechneten Leistungserfolges
der Fertigungsstufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
III. Die praktische Lösung
Die bisherigen "Lösungen" der Wertzurechnung in der Praxis 23
Der Ansatz zu einer rationalen Lösung . . . . . . . 25
Die statistische Ausgleichsrechnung nach der Methode
der kleinsten Fehlerquadrate . . . . . . . . . . . . 26
Die exakte Ausgleichsrechnung nach der Methode des Bedarfs-
Deckungs-Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Die Genauigkeit der Zurechnung und der erforderliche Datenumfang 32
Die Lösung des Ausgleichsproblems als lineares Programm 33
Die Arbeitsgänge zur praktischen Wertzurechnung . . . . . . . . . 35
Rechnungspraxis: Ein Rechnungsbeispiel . . . . . . . . . . . . . 36
Die Anpassung der Ausgleichsrechnung an dynamische Veränderungen
der Kapazitätenbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
IV. Die Wertzurechnung als Bestimmung der Grenzproduktivität (Exkurs) 43
V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
Einführung
Programmplanung mit Grenzpreisen
Die Diskussion um die Fortentwicklung der Kalkulation ist in den letzten Jahren
ein Gespräch über die Grenzkosten geworden. Von diesem Thema in den
Schatten gestellt, hat sich aber seit etwa fünf Jahren eine Revolution des
kalkulatorischen Denkens und der Kalkulationspraxis vollzogen: Die Renaissance
der G r e n z nutz e n r e c h nun g in der Entwicklung der m a t h e m a -
t i s c h e n Programm p l an u n g und den von ihr abgeleiteten Kalku
lationsverfahren. War die Kostenbewertung bisher praktisch ausschließlich
durch ein Denken von der Aufwandsseite der Gewinn- und Verlustrechnung her
gekennzeichnet, so tritt heute dazu ergänzend die Ab 1 e i tun g der Werte
der elementaren Betriebsleistungen von der Ertrags
s e i t e , und zwar in allen Fällen voll genutzter Teil-Kapazitäten. Die Kalku
lation des Wertverzehrs einer erwogenen Aktion durch Erfassung der Aufwands
zunahme und der Opferung alternativ möglicher Gewinne beherrscht heute nicht
nur die Kalkulation im traditionellen Sinne, sie ist typisch für die in schneller
Entwicklung begriffenen Entscheidungsmodelle der 0 p e r a t i o n e n f o r
s eh ung.
Nach dieser Erkenntnis setzt sich der "Wertverzehr für die Produktion von
Gütern" aus zwei Komponenten zusammen:
1. dem zuwachsenden Aufwand, in der Stück-Kalkulation errechnet als
Standard-Grenzkosten,
2. dem verdrängten, alternativ realisierbarem Gewinn, in der Stück
Kalkulation errechnet als
S t a n d a r d - G r e n z e r f o 1 g.
Die Summe nennen wir den S t an d a r d -G r e n z p r e i s ; er wird als Ein
standspreis (Verrechnungspreis) der Verkaufsabteilungen gesetzt.
Die Standard-Grenzkosten werden in einfacher Weise aus den flexiblen Kosten
budgets der Stellen abgeleitet. Diese Budgets schreiben außer den Bereitschafts
kosten für die Bereitstellung der Leistungskapazität als Ganzes der Stelle
proportional zu den gelieferten Leistungen die Leistungskosten gut. Aus ihnen
errechnen sich die Leistungskostensätze als planmäßige Aufwandsmehrung pro
Leistungseinheit; sie werden als Standard-Grenzkosten auf die Erzeugnisein
heiten verrechnet.
Zur Ableitung der Standard-Grenzerfolge aus den Ertragsdaten muß zunächst
der Grenzerfolg festgestellt werden, der für die Leistungseinheit einer wirt
schaftlich knappen Kapazität mindestens erzielt werden kann, mit anderen
Worten diebewerteteGrenz produktivitätdes knappen kapazitäts
bildenden Faktors. Als Leistungseinheit ist hier regelmäßig die Standard
Belegungszeit des Engpaßfaktors zu verwenden. Analog zum Leistungskosten-
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satz, dem planmäßig zuwachsenden Aufwand der Leistungseinheit, nennen wir
den ihr zugerechneten, bei ihrer Verwendung verdrängten Gewinn den
Leistungserfolgssatz. Damit gilt für den planmäßig mit der Leistung zuwach
senden Stellen-Ertrag:
+
Leistungsertrag = Leistungskosten Leistungserfolg
Aus dem Leistungsertrag oder dem Leistungserfolg läßt sich eine leistungs
abhängige Komponente des Stellen-Erfolges neben der üblichen Kosten- oder
Verbrauchsabweichung des Kostenbudgets ableiten; eine Sicherung gegen eine
unwirtschaftliche Ansteuerung nicht-erfolgsoptimaler Leistungsintensitäten in
der Fertigung.
Vor dem Hintergrunde dieser Kalkulation mit Mindest-Grenzerfolgen klären
sich viele, bisher umstrittene Probleme der Grenzkostenrechnung; gleichzeitig
werden deutlich die Bedingungen und Grenzen ihrer Anwendung sichtbar. Nach
dem ursprünglich von E u g e n S c h m a 1 e n b a c h eingeführten Kalkulations
modell der Grenzkostenrechnung mußte in der "Vollbeschäftigung" mit den
steigenden Grenzkosten der "Proportionalität" oder "Progression" kalkuliert
werden; in dieser Veränderung des Grenzkostenansatzes kam das wir t
s c h a f t l i c h e U r p h ä n o m e n d e r K n a p p h e i t zum Ausdruck. Abge
sehen von Ausnahmefällen beherrschte die praktische Kostenrechnung das
Kalkulieren mit den gestiegenen Grenzkosten dieser Ausnutzungszonen nicht.
Man amputierte daher das Denkmodell Schmalenbachs durch Beschränkung des
Grenzkostenansatzes auf die konstanten Grenzkosten der degressiven Zone, mit
neuerer Terminologie: der zeitlichen Anpassung der Totalkosten bei der Normal
Intensität minimaler durchschnittlicher veränderlicher Kosten. Es entstand das
Rechnen mit Standard-Grenzkosten (Direct Costing).
D a m i t b I i e b aber das F a k t u m d e r w i r t s c h a f t 1 i c h e n K n a p p -
h e i t "vollbeschäftigter" Teil-Kapazitäten u n b e r ü c k s i c h t i g t ; die
Standard-Grenzkosten gelten eben nur für diejenige Ausnutzungszone, für die
sie abgeleitet wurden, für die "Unterbeschäftigung". In der Tat läßt sich zeigen,
daß eine Kalkulationssystematik durchgängiger Bewertung mit Standard-Grenz
kosten in einem völlig untergenutzten Betriebe nicht nut ausreicht, sondern auch
als einzig sinnvoll empfohlen werden muß. Sie versagt aber mit Sicherheit in
allen Situationen voller Ausnutzung einzelner Teil-Kapazitäten (Engpässe).
Symptom dafür ist regelmäßig die Beibehaltung der Kalkulation mit vollen
durchschnittlichen Stückkosten auf der Basis einer Normal-Beschäftigung mit
allen Folgen der damit geschaffenen kalkulatorischen Zwiespältigkeit und
Unsicherheit. Die einseitige Kalkulation mit Standard-Grenzkosten allein leistet
weder die Bestimmung des mindestens n o t w e n d i g e n S t ü c k -G e w i n -
n es noch die in allen Vollbeschäftigungslagen wirtschaftlich notwendige Fest
stellung der L e i s t u n g s e i n f 1 ü s s e (Ausnutzungsgrade, Nutzeffekte) auf
den Unternehmungserfolg.
Eine Kalkulation, die sich einseitig auf die Standard-Grenzkosten stützt, ist also
niemals ein vollständiges, für die üblichen praktischen Fälle der Betriebe geeig
netes Kalkulationssystem. Nur im Paar verbunden mit einer Kalkulation der
Mindest- oder Standard-Grenzerfolge gewinnt sie Sinn; allein hat sie nicht mehr
Wert wie ein linker Schuh.
Die Methoden für die notwendige kalkulatorische Zurechnung von Grenzerfolgs
werten reichen von der einfachen Schlußrechnung über die Nachahmung einer
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Marktpreisbildung bis zu den Verfahren der mathematischen Programmplanung.
Die Fälle linearer Verkaufserträge (Erlöse minus Verkaufskosten), wie sie dem
Modell der Linearen Programmplanung eigentlich entsprechen, sind praktisch
kaum zu finden; in seltenen Fällen ist dieses Planungsmodell wenigstens nähe
rungsweise anwendbar. Die Regelfälle der Praxis mit nichtlinearen Verkaufs
erträgen (differenzierte Marktpreise, aktive Preis~ und Verkaufspolitik, Sorti
mentsverbundenheit) lassen sich jedoch nur durch eine Si m u 1 a t i o n d e r
B i 1 d u n g k o n k u r r e n z w i r t s c h a f t 1 i c h e r M a r k t p r e i s e für die
knappen Betriebsleistungen beherrschen. In komplizierten Fällen läßt sich diese
kalkulatorische Preisbildung oder Wertzurechnung durch ein berechenbares
mathematisches Modell erheblich vereinfachen und abkürzen. Diese Methode
wird mit ihren Grundlagen im folgenden dargestellt.
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I. Die Wertzurechnung als Kalkulationsmittel
der nichtlinearen Programmplanung
Von den Methoden der Planung erfolgsoptimaler Produktionsprogramme hat
die 1 in e a r e Pro g r a m m p l an u n g (linear programming) in letzter Zeit
wachsende Beachtung in der Praxis und Lehre gefunden. Ihre betriebswirt
schaftliche Bedeutung liegt m. E. vor allem im Beweis für die praktische Not
wendigkeit und Durchführbarkeit der Zurechnung von Grenzertragswerten auf
die im Verbunde wirkenden Leistungseinheiten des Betriebes; ein Problem, das
bisher meistens als ein unlösbares Scheinproblem abgetan wurde1). Weiterhin
lieferte die Analyse der linearen Programmplanung gewisse Rechnungsmethoden,
die auch für andersartige, wenn auch verwandte Problemstellungen vorteilhaft
benutzt werden können, so das vielbeachtete Simplex-Tableau.
Die praktische N o t w e n d i g k e i t e i n e r E r t r a g s z u r e c h n u n g auf
Einheiten betrieblicher Leistungen-der Wert-oder Preiszurechnung2)-wurde
in letzter Zeit auch ohne ausdrückliche Beziehung auf die neueren mathe
matischen Untersuchungen zur Programmplanung erneut behauptet. Ohne
allerdings den Fachausdruck "Zurechnung" zu gebrauchen, räumt ihr Otto
B red t eine zentrale Stellung in seinem "System" des innerbetrieblichen Rech
nungswesens ein:
"Im Banne der Kostenrechnung hat die Betriebswirtschaftslehre dem Teil des
Rechnungswesens, der sich mit der Leistung und dem Leistungsertrag befaßt,
stets sehr wenig Beachtung, geschweige denn Verständnis entgegengebracht"
(S. 153) 3). Bredt verlangt den "Anschluß der Rechnung an den Preis und damit
an den im Markt tatsächlich erzielten Ertrag", (S. 140) denn "wertbildend im
aktiven Sinne wirkt allein der E r t r a g s w e r t der an einen Dritten geliefer
ten Leistung, ..." (S. 129). "Von dem Gesamtertrag des Betriebes entfällt also
auf jede Betriebseinheit gemäß dem mengenmäßigen Ausmaß und Teilpreis ihrer
Teilleistung ein Ertragsteil (Teilertrag)" (S. 156).
Er sieht "eine der wichtigsten k o n s t r u k t i v e n Aufgaben" der Kalku
lation in der "Auf g 1 i e d e r u n g" des Ertrages "rück w ä r t s , d. h. vom
Ganzen zu seinen Teilen". Mit der Durchführung dieser Aufgabe wird nach ihm
die Kalkulation zur "maßgebenden Konstruktion des Kaufmanns": "Im Rahmen
1) Deshalb betonte ich diesen Aspekt der linearen Programmplanung in meinem
Referat auf der Pfingsttagung 1957 der Deutschen Gesellschaft für Betriebswirtschaft.
Vgl. H.-H. Böhm, Lineare Programmplanung als Spezialproblem der Planung interner
Verrechnungspreise, in "Neue Wege zur Fortführung der Automation", Berlin 1957,
S. 78 ff., bes. S. 87.
2) Man unterschied gewöhnlich die "moralische" Zurechnung von der Ertragszurech
nung und der Wert- oder Preiszurechnung. Nur die letztere interessiert hier. Einer der
letzten betriebswirtschaftliehen Bearbeiter der Z. bezeichnete bereits die von Schmalen
bach propagierte Grenznutzenrechnung als eine Wertzurechnung.-Vgl. F. Stapelberg,
Zurechnungstheorien in der Betriebswirtschaftslehre, Freiburg 1929, S. 265.
1) 0. Bredt, Die Krise der Betriebswirtschaftslehre, Düsseldorf 1956.
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