Table Of ContentNichteheliche Lebensgemeinschaften
Thomas KleinIWolfgang Lauterbach (Hrsg.)
Nichteheliche
Lebens gemeinschaften
Analysen zum Wandel
partnerschaftlicher Lebensformen
Leske + Budrich, Opladen 1999
Gedruckt auf säurefreiem und altersbeständigem Papier.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Nichteheliche Lebensgemeinschaften. Analysen zum Wandel partnerschaftlicher Lebens
formen / Thomas Klein; Wolfgang Lauterbach (Hrsg.). - Opladen : Leske + Budrich,
1999
NE: Klein, Thomas [GT]
ISBN 978-3-8100-2344-5 ISBN 978-3-322-99869-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-99869-9
© 1999 Leske + Budrich, Opladen
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort .............................................................................................................. 7
THEORETISCHE ZUGÄNGE
Paul B. Hill und Johannes Kopp
Nichteheliche Lebensgemeinschaften -
theoretische Aspekte zur Wahl von Lebensformen ..................................... 11
Rosemarie Nave-Herz
Die Nichteheliche Lebensgemeinschaft
als Beispiel gesellschaftlicher Differenzierung .............................................. 37
VERBREITUNG UND EN'IWICKLUNG NICHTEHEUCHER
LEBENSGEMEINSCHAFTEN - Dm SOZIALSTRUKTURELLE PERSPEKTIVE
Thomas Klein
Verbreitung und Entwicklung Nichtehelicher Lebensgemeinschaften
im Kontext des Wandels partnerschaftlicher Lebensformen ...................... 63
Stefan Gruber
Verbreitung und Entwicklung Nichtehelicher Lebensgemeinschaften
im früheren Bundesgebiet und in den neuen Ländern
im Spiegel amtlicher Statistik .......................................................................... 95
Johannes Huinink
Die Entscheidung zur Nichtehelichen Lebensgemeinschaft
als Lebensform - Ein Vergleich zwischen Ost-und Westdeutschland .... 113
Andrea Lengerer
Regionale Disparitäten der Verbreitung und Entwicklung
Nichtehelicher Lebensgemeinschaften ......................................................... 139
5
Franfois Höpjlinger
Nichteheliche Lebensgemeinschaften im internationalen Vergleich ......... 167
Sylvia Möhle
Nichtehliche Lebensgemeinschaft in historischer Perspektive .................. 183
VERGLEICHE UND ZUSAMMENHÄNGE ZWISCHEN EHEN UND
NICHTEHEUCHEN LEBENSGEMEINSCHAFI'EN -
DIE INDIVIDUALPERSPEK'TIVE
Thomas Klein
Partnerwahl in Ehen und Nichtehelichen Lebensgemeinschaften ............ 207
fan Künzler
Arbeitsteilung in Ehen und Nichtehelichen Lebensgemeinschaften ......... 235
Wolfgang Lauterbach
Die Dauer Nichtehelicher Lebensgemeinschaften.
Alternative oder Vorphase zur Ehe? ............................................................ 269
Thomas Klein
Der Einfluß vorehelichen Zusammenlebens auf die spätere
Ehestabilität ..................................................................................................... 309
Autorenverzeichnis ........................................................................................ 325
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Vorwort
Nichteheliche Lebensgemeinschaften finden in Deutschland zunehmende
Verbreitung. Das vorliegende Buch diskutiert auf der Basis theoretischer
Perspektiven die Hintergründe dieser Entwicklung (1), es beschreibt an
schließend mit zahlreichen Beiträgen im Detail die Ausbreitung Nichtehe
licher Lebensgemeinschaften in verschiedenen Altersklassen und Bevölke
rungsgruppen (2) und es vergleicht in einigen abschließenden Beiträgen die
Nichteheliche Lebensgemeinschaft mit der Ehe (3).
Dabei werden in den Einzelbeiträgen des vorliegenden Buchs sehr ver
schiedene Fragestellungen untersucht: Läßt sich beispielsweise die zuneh
mende Verbreitung Nichtehelicher Lebensgemeinschaften auch konkreter
erklären als mit dem pauschalen Verweis auf Schlagwörter wie Individuali
sierung und Pluralisierung? Ist die Zunahme Nichtehelicher Lebensgemein
schaften Teil eines generellen Wandels partnerschaftlicher Lebensformen -
oder ist sie einfach als Ersatz der zurückgehenden Heiratsneigung zu inter
pretieren? Wie erklärt sich die unterschiedliche Verbreitung Nichtehelicher
Lebensgemeinschaften im Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland,
im Stadt-Land-Vergleich und im internationalen Vergleich? Sind Nichteheli
che Lebensgemeinschaften eine historische Neuheit? Wie unterscheiden sich
Ehen und Nichteheliche Lebensgemeinschaften in bezug auf Partnerwahl
und Arbeitsteilung? Auf diese und weitere Fragen versucht der vorliegende
Band möglichst konkrete Antworten zu geben.
Wir bedanken uns bei einer Vielzahl von Kollegen und Kolleginnen, die
uns mit Rat und Tat, Kritik und Hilfe zur Seite gestanden haben. Im beson
deren gilt unser Dank darüber hinaus Ulrike Weber und Inge Moosmann,
die die nicht immer einfachen Typoskripte in die vorliegende Form gebracht
haben.
Heidelberg und Konstanz, im Mai 1999
Thomas Klein und Wolfgang Lauterbach
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THEORETISCHE ZUGÄNGE
Nichteheliche Lebensgemeinschaften - theoretische
Aspekte zur Wahl von Lebensformen
Paul B. Hili, Johannes Kopp
1. Einleitung
Die Zunahme nicht- oder vorehelicher Lebensgemeinschaften und der zu
mindest vorläufige Verzicht auf die Eheschließung stellt, zusammen mit
dem Wandel des Fertilitätsverhaltens, sicher eine der wichtigsten Verände
rungen der privaten Lebensführung der letzten 25 Jahre dar.1 Dies zeigt sich
nicht nur bei Querschnittbetrachtungen (vgl. Niemeyer 1994), sondern vor
allem auch bei einer Längsschnittanalyse verschiedener Geburtsjahrgänge.
Der Anteil der Personen, die bis etwa zu ihrem 30. Lebensjahr mindestens
einmal in einer längeren Nichtehelichen Lebensgemeinschaft gelebt haben,
hat sich, wenn man etwa die Familiensurveys 1988 und 1994 als Daten
grundlage heranzieht (vgl. Bertram 1991; Bien 1996), von weniger als 3 Pro
zent für den Geburtsjahrgang 1940 auf circa ein Drittel für die um 1960 he
rum Geborenen vervielfacht (vgl. für eine genauere Analyse den Beitrag von
Gruber sowie die betreffende Arbeit von Klein in diesem Band).
Nichteheliche Lebensgemeinschaften haben dabei, wie immer wieder zu
Recht betont wird (Vaskovics et al. 1997: 12ft), vielgestaltige historische
Vorformen (vgl. den Beitrag von Möhle in diesem Band). Um überhaupt
von Nichtehelichen Lebensgemeinschaften sprechen zu können, muß die
gesellschaftliche Institution der Ehe gelebt und anerkannt sein. Innerhalb
der kulturanthropologischen Forschung wird die gesellschaftliche Funktion
der Ehe als Bindeglied verschiedener Gruppen und als Kriterium, die Legiti
mität der Kinder zu sichern, betont (vgl. Vivelo 1981: 234ft). Historische
Studien zeigen auch die bedeutsame Rolle von Heiratsverboten (Goody
1989; Sieder 1991) und elterlicher Arrangements (Schröter 1990). Nicht
eheliche Gemeinschaften traten unter diesen Umständen wohl meist nur in
ökonomischen Notsituationen und als Übergangslösung auf, waren aber,
wenn auch regional und zeitlich beschränkt, relativ häufig (Mitterauer 1983:
106ft).
I Unter einer Nichtehelichen Lebensgemeinschaft wird hier das Zusanunenleben und gemeinsa
me Haushalten eines Paares bezeichnet Vor allem in der englischsprachigen Literatur hat sich dafür
der Begriff der Kohabitation durchgesetzt, der hier synonym zur Nichtehelichen lebensgemein
schaft verwendet wird.
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Erst in den letzten Jahrzehnten findet sich aber eine nennenswerte Ver
breitung der Nichtehelichen Lebensgemeinschaften als freiwillig eingegan
gene Lebensform (vgl. aber für schon um die Jahrhundertwende auftreten
den Ausnahmen in Skandinavien Trost 1989; zur internationalen Entwick
lung siehe auch Goode 1993: 43ft). Über die Bedeutung dieser neuen Ent
wicklung für die Familie wird indes kontrovers diskutiert.
So ist für Cherlin (1981: 15) die Kohabitation lediglich ein (neuer) Weg,
einen geeigneten Partner zu finden, den man dann zumeist heiratet. Empi
risch hat diese Sicht der Kohabitation als Vorform der Ehe eine gewisse
Bestätigung gefunden, da in der Tat ein großer Teil dieser Verbindungen in
einer Ehe mündet; für die USA, bei deutlichen Unterschieden für die einzel
nen ethnischen Gruppen (Loomis/Landale 1994), wird dieser Anteil auf
etwa 60 Prozent geschätzt (Bumpass/Sweet 1989). Bei der Partnerwahl für
Nichteheliche Lebensgemeinschaften scheinen jedoch nicht die gleichen
Regeln zu gelten wie bei der Ehe: "Compared to marriages, cohabitating
couples are more homogamaus with respect to education, are less homoga
rnaus with respect to age and religion, and show less educational hyper
gamy" (Schoen/Weinick 1993: 413). Dies könnte dafür sprechen, daß sie,
verglichen mit Ehen, ein "looser bond" (Schoen/Weinick 1993) darstellen.
Andererseits gibt es auch Zweifel an dieser theoretischen Einordnung des
Phänomens, da die Zahl und die Beständigkeit dieser Gemeinschaften vor
allem in einigen nordeuropäischen Staaten ein Ausmaß erreicht hat, das es
nur schwerlich zuläßt, von einer temporären Erscheinung zu sprechen
(Meyer/Schulze 1983; Bumpass/Sweet 1989). Dafür sprechen auch die em
pirischen Daten, nach denen ein, wenn auch kleiner, Teil der Kohabitieren
den dies als dauerhafte Beziehungsform sieht (Vaskovics et al. 1997). Nicht
eheliche Lebensgemeinschaften scheinen sich zumindest für eine Teilgruppe
als eigenständige Lebensform, als Alternative zur Ehe, zu etablieren. Für
diese allerdings wohl kleine Gruppe kann in der Tat von einem bewußt ge
wählten "looser bond" gesprochen werden.2 Ob damit gleich eine Deinsti
tutionalisierung der Ehe einhergeht (Tyrell 1988), ist in Anbetracht der ins
gesamt durchaus positiven Einschätzung der Ehe jedoch sehr fraglich. Es
scheint zudem müßig, generell über diese Entwicklungen zu spekulieren,
ohne vorab die Gründe auszumachen, die für oder gegen die Wahl einer
entsprechenden Lebensform sprechen.
Insgesamt bleibt festzuhalten, daß die derzeitige Verbreitung Nichteheli
cher Lebensgemeinschaften, trotz zweifellos zu findender historischer Vor-
2 Empirisch wird entsprechend von den Kohabitierenden, insbesondere den Männem, ein Ver
lust an persönlicher Freiheit durch eine Heirat be furchtet (Bumpass et al. 1991: 920).
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läufer, ein neuartiges Phänomen ist. Noch nie haben so viele Personen, zu
mindest für eine gewisse Spanne ihres Lebenslaufes, auf die formale Ehe
schließung verzichtet und statt dessen die Kohabitation gewählt. Die indivi
duellen Lebensentwürfe und mittlerweile gar die Standardbiographie, als
verbreitetes und normativ akzeptiertes soziales Muster, scheinen wie selbst
verständlich, zumindest als (Übergangs-) Phase, eine voreheliche Lebensge
meinschaft zu beinhalten. Warum dies so ist, soll im folgenden diskutiert
werden.
2. Familie und Lebensplanung in der Moderne
Innerhalb der neueren Familienforschung befassen sich vor allem individua
lisierungs- und modernisierungstheoretische Ansätze mit der Verbreitung
nichtehelicher Lebensformen. Je nach konkreter Ausgestaltung werden diese
Lebensgemeinschaften dann als Zeichen der Individualisierung, der Singula
risierung, der zunehmenden Pluralisierung, des Bedeutungswandels der Ehe
und der Familie oder schlicht als Zeichen der Modernisierung gesehen (vgl.
als ersten Überblick Vaskovics et al. 1997: 11-37).
So begrundetJan Trost (1989) die zunehmende Verbreitung der Nicht
ehelichen Lebensgemeinschaften in allen westlichen Staaten, fast schon
exemplarisch, wie folgt: "Die einleuchtendste Erklärung ist, daß im Zuge
der Modernisierung die einzelnen Staaten die postmoderne Phase zu unter
schiedlichen Zeiten erreichen, daß aber überall Liberalität und/oder Ano
nymität und damit verbunden die sog. Säkularisierung zunimmt. Alle diese
Prozesse wirken in die gleiche Richtung: zu geringerer sozialer Kontrolle
und zu geringerem sozialen Druck" (frost 1989: 372). Für Axel Honneth
(1994) scheint das familiale Leben in der Moderne gar gänzlich zur Dispo
sition zu stehen: "Was vor einem Vierteljahrhundert noch als das intakte
Herzstück der modernen Gesellschaft gelten konnte, die private Sphäre von
Vater, Mutter und mindestens einem Kind, ist binnen weniger Jahre nicht
nur zu einem Experimentierfeld für neue Formen des privaten Lebens ge
worden, sondern auch zum Schlachtfeld für die Neufestlegung von Ver
wandtschaftsbeziehungen" (Honneth 1994: 90). Der Wandel in der Wahl
der Lebensformen ist in dieser Perspektive im Kern auf eine Veränderung
der normativen Kontrolle zurückzuführen, die bislang, warum auch immer,
die Ehe bevorteilt hat. Überspitzt könnte man sagen: Ohne sozialen Druck
keine Ehe. Ein Wegfall dieser positiven, die Ehe fördernden, und hinsicht
lich der Nichtehelichen Lebensgemeinschaften negativen Sanktionen führt
zu der beschriebenen Dynamik in den präferierten familialen Lebensformen.
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