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Landwehr - Syſtem .
Dem deutſchen Volke gewidmet
von
einem Veteranen
von 1813 und 1814.
Bweite Auflage mit Buſätzen und Verbeſſerungen vom Verfaſſer, nebſt
einem Sendſchreiben an denſelben vom General-Lieutenant Valentini
und einem Anhang über das deutſche Heer.
Mit 4 Plånen.
Hamburg.
Hoffmann und Camp e.
1848.
22.9.53
BIBLIOTHECA
REGIA
MONACENSIS.
N. G. Voigt's Buchdruđerei in Hamburg.
Vorwort zur zweiten Auflage.
Ais por 17 Jahren der Verfaffer die nachfolgenden Blätter, die
Frucht langjährigen Nachdenkens, ans Licht treten ließ, glaubte er das
Vaterland von einem, wie gewöhnlich mit Zerſtörung des Familien
glüdes von Tauſenden verbundenen, allgemeinen Kriege bedroht,
der vielleicht erſt nach unzähligen Opfern des Volkes an Blut und
Habe den Sieg über die Eindringlinge zur Folge baben, an welchen
/
aber auch nach den ſeit 1815 gemachten Erfahrungen, zugleich die
Wiederholung des bis dahin von den neubefeſtigten Regierungen bes
folgten Syſtems einer möglichſt abſoluten, die geiſtige und materielle
Entwidelung des Bolfølebens beminenden Herrſchaft über die Bölfer
fich knüpfen würde.
In der Einführung eines allgemeinen Landwehr-Syſtems nad
feinen Grundfäßen glaubte er dem deutſchen Bolfe ein Mittel barzus
bieten, zur Befiegung jedes eindringenden Feindes, ſodann eine feſte
Baſis für die allmählige Entwickelung eines zeitgemäßen Volfslebens.
Dies klarer auszuſprechen, hielt er damals noch nicht an der Zeit;
weshalb er es bei bloßen Andeutungen bewenden ließ.
Die Gewandheit und lift des durch die Gutmüthigkeit und Popu:
larität eines Lafajette, Lafitte und Perier 26. auf den franzöſiſchen
Thron geführten Bürger-Königs Louis Philipp erhielt den Weltfrieden.
Die Monarchen faßten bald das Vertrauen, daß er eben kein anderes
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Intereſſe haben würde, als ſie ſelbſt und ließen ihn gewähren; doch
ſchnell genug warb dieſe Klugheit von dem franzöſiſchen Volf durch
(daut. Die Pathen ſelbſt, welche dies Königskind zur Taufe gehalten
hatten, und als redliche Männer ſchon mit deſſen erſten Entwidelung
nicht einverſtanden ſein fonnten, wurden bald auf feine Weiſe entfernt.
Mehr oder weniger geſchmeidige Höflinge und Miniſter löſeten fich eins
ander ab, immer flarer ward es den Franzoſen, daß nur dynaſtiſche
und Privatintereſſen die politiſchen Maaßnahmen des Königs und ſeiner
Miniſter beſtiminten, daß dieſen Intereſſen ſowohl die Finanzen des
landes, als dieWohlfahrt verbrüderter Völfer, der Polen, der Spanier,
der Schweizer geopfert werden ſollten, gleichwie die Ehre und der
Rubin der franzöſiſchen Nation. As lift und Trug nun nicht mehr
gegen den tabelnden Ausſpruch der öffentlichen Meinung ſchüßen fonnten,
wollte man fich auf die bezahlte Dienſtverpflichtete erecutive Gewalt,
auf die Polizei, das ſtehende Heer und ihre Bajonette ftüßen; die
größte Macht aber, die öffentliche Meinung, zertrümmerte dieſe, und
der Königsthron verſanf in Aſche.
Dieſe Rataſtrophe erſchütterte Europa, indem ſie die abſoluten Hes
gierungen umſtürzte; ſie zeigt, daß die fittliche Erkenntniß eines, durch
unpaſſende Geſeße unterdrüdten Volkes, daß die öffentliche Meinung
die große Kraft ift, vor welcher alle derſelben entgegen ſtehende geſeks
liche Beſchränkungen einer vernünftigen individuellen Freiheit, welche
der Verſtand und die Lift Einzelner, faſt immer in Verbindung mit
dem Egoismus, erſann und ins Leben rief, fidh beugen müſſen: Mögen
dieſe noch ſo flug erſonnen, noch ſo feſt im Boden gewurzelt, nod ſo
fünftlich durch verſuchte Täuſchung der öffentlichen Meinung, mittelſt
erfaufter Preſſe, geſtüßt ſein.
Ade dieſe Stüßen werden morſd und unbaltbar, wenn ſie nicht
auf die öffentliche Meinung baſirt find. Sobald die Staatsbewohner
in der Mehrzahl fühlen, daß dieſe Gefeße und Einrichtungen, ftatt das
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öffentliche und individuelle Wohl zu fichern und zu befördern, es viels
mehr gefährden oder ganz unterbrüden ſobald das Gefühl dieſes
Druces fich allgemein verbreitet, mithin öffentliche Meinung wird,
beginnt der Rampf dagegen. Werden dieſe nicht mehr paſſenden Ges
reße und Einrichtungen nicht zeit- und vernunftgemäß im Intereſſe
der Staatsbewohner abgeändert, ſo werden ſie am Ende umgeſtürzt,
und man ſtrebt neue, als zeit- und vernunftgemäß anerkannte geſell.
ſchaftliche Einrichtungen und Geſeke an ihre Stelle treten zu laſſen.
Der Kampf aber des beſtehenden Alten gegen die Entwidelung
neuer volfsthümlicher Ideen und Einrichtungen dauert um ſo länger
und wird um ſo hartnädiger geführt, da die Privat- Intereſſen der
Staatslenker gewöhnlich mit dem Fortbeſtehen des Alten enge verbuns
den find, und dieſen die organiſirten Staatskräfte, Juſtiz-Gewalt,
Polizei- und Heeresmacht zur Verfügung ſtehen.
Wie unzulänglich aber alle dieſe Mittel find, die öffentliche Meis
nung, die Kraft des Volfes, fiegreich zu befämpfen, haben die neueſten
Ereigniſſe bewieſen; vor der Kraft der Volfsmeinung beugte fid in
Frankreichs Hauptſtadt das Heer, verſank das Königthum! vor dieſer
Kraft zerſplitterte das öftreichiſche Heer in der Lombardei von
150,000 Mann (nach eigenen Angaben), und die Ueberrefte mit ihrem
greiſen Feldhauptmann Radezky ſuchen ſich durch die Flucht zu retten;
vor dieſer Kraft ſank in Berlin die Heeresmacht und der abſolute
Königswille; in Wien desgleichen, ſo in Neapel, Palermo, Meſſina.
Blutig find dieſe Kämpfe des Abſolutismus gegen ein in der
Regel unorganiſirtes, in den Waffen unerfahrenes Volf, aber kurz von
Dauer; fie fönnen da nicht ſtattfinden, wo fein ftehendes Heer zur
Ausführung des abſoluten Willens vorhanden iſt.
In allen Gauen des Vaterlandes ertönt jeßt der Ruf nad Volfe.
bewaffnung; das Gefühl, nur in ihr ſei die Bürgſchaft enthalten zur
fiegreichen Vertheidigung des theuren Vaterlandes gegen äußere Feinde
Vi
wie gegen innere, hat nach und nach die ungetheiltefte Adgemeinheit
erlangt.
So empfange denn, mein geliebtes Vaterland, zu Deiner Wieder
geburt in nadfolgenden Blättern die zweite Auflage der Ideen, welche
ſchon vor 17 Jahren zur Mitbeförderung Deiner Wohlfahrt erſonnen
und ausgearbeitet waren ; mache Dich wehrhaft nach den Grundideen,
welche hier ausgeſprochen ſind, und laß Dich nicht irren durch den ets
waigen Widerſpruch oder Tabel der gelernten oder geſchulten Soldaten
der Stehenden Heere; dieſe Blätter enthalten etwas ganz anderes, als
was die Schule bisher gelehrt hat; aber ſie machen Dich in der That
wehrhaft, ohne Deine Söhne zu Sclaven und zu willenloſen Maſchinen
herabzuwürdigen, ſie ſind nicht für die Parade erſonnen von Deinem
/
treuen Sohn
Hamburg, den 28. März 1848.
Mettlerkamp,
1813StifterundFührerderhanſeatiſchen Bürgergarden,
jeßtBefißer einerEiſengießereiamUferderElbe
zuHamburg.
Inhalt
Seite 1 1
Einleitung. 2
Die Landwehr 4
Eintheilung des Landes 11
12
Die Landwehrmänner... I1
15
Kleidung, Stellung, Bewaffnung-
17
Die Bewaffnung 17
Die Pite .. 22
Die Parallel-Colonne.
27
Die Reiterei.. 28
Die Artillerie.... 30
Das Fuhrweſen 30
Die Diviſion ... 32
Ordre de Bataille..
37
Marſ -Ordnung. 38
MarſchLager 39
Das Diviſions-Quarré.
41
UKeubrezre SUeoblearſcihcthotrddneurngBeolntszahl auer zum Deutſchen Bunde gerechneten
45
Staaten 46
SSoenlduſßør.eiben des General-lieutenant Valentini an den Berfaffer.... 50
54
Anhang 60
Das deutſche Seer..
2
theidigung des Vaterlandes und des eigenen Heerdes, die tödtende
Waffe ergreifen, weder vorausſegen, noch in kurzer Zeit einüben.
Euc Vaterlandsvertheidigern aber eine Waffe zu geben, wodurch
eure Sdlachtreiben im Stande find, dem erderſdütternden Angriff
einer Reitermaſſe zu widerſtehen, euch zu lehren dem mörderiſchen
Kanonenfeuer euch zu entziehen, ohne eure linien zu verlaſſen, eure
Marſ- und Schlachtordnung auf die einfachſten Bewegungen zurüd
zuführen, welche jeder Menſd ohne lange Vorübung ausführen kann;
der Unordnung und der Verwirrung, den Vorboten der gewiſſen
Niederlage, vorzubeugen, und endlich am Tage der Súlacht eurem
Angriff entſcheidende Kraft zu geben, iſt der Zwed dieſer Mittheilung.
Ob dieſer Zwed durch die vorgeſchlagenen Mittel ganz oder zum
Theil erreicht werden kann, mögen erfahrne vorurtheilsfreie Kriegs
fünſtler beurtheilen *); mir, ſeit 16 Jahren vom Kriegshandwerf zurüd
getretenen Veteranen, würde es die reinſte Freude gewähren, durch
Beobachtung und Nachdenken zur Kunſt der Vertheidigung des Vaters
landes, wenn auch nur Weniges, beigetragen zu haben.
3d habe nicht ohne Abſicht es vermieden, bei meinen Vorſchlägen,
da wo ſie dem langbeſtandenen Herkömmlichen entgegen treten, das
Legtere zu tadeln. Mag das Beſſere für ſich ſelbſt reden.
Die Landwehr.
Die Benennung „landwehr" bezeichnet nicht bloß die Wehrmänner,
welche durch geſchidte Benubung ihres Waffenapparats die (relative)
Fähigkeit erhalten haben, auf dem Raum , welchen ſie einnehmen, ſich
mehr oder minder gut vertheidigen zu fönnen; es bezeichnet dies Wort
auch diejenigen Vorkehrungen hinſichtlich des vaterländiſchen Bodens,
wodurch es dem Feinde ſchwer wird, auf demſelben vorzubringen.
Daber iſt die Landwehr nur alsbann als volftändig und ihrem
Zwede, der Landesvertheidigung, entſprechend zu betrachten, wenn in
allen Landesmarken, durch Vorbereitung des Bodens zu dieſem Zw
*) im Anhang: Søreiben des General lieut. Valentini.
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die Einrichtungen vorhanden ſind, wodurch dem Feind das Eindringen
verwehrt wird.
Feſtungen befinden ſich nicht immer an den Gränzen des Landes
oder in der Nähe derſelben, auch nicht Flüſſe, Sümpfe, Wälder ober
ſonſtige Terrain -Hinderniſſe, welche den Einbruch einer Kriegerſchaar
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erſchweren : es ſteht dem Feinde vielleicht frei, ſelbſt mit Vermeidung
der Kunſtſtraßen zuerſt in ein Cand einrüden zu fönnen; jedoch wird
er an jeder Gränze gar bald auf ein Terrain ſtoßen, wo wadere
Wehrmänner, wenn ſolche dort aufgeſtellt ſind, ihn mit Erfolg auf
halten und zur Beſinnung bringen können; vorausgeſeßt, daß die
natürliche vertheidigungsfähige Beſchaffenheit des Bodens, von ſach
kundigen Militairs in Friedenszeit erfannt, und durch wenige natürs
liche Mittel erhöht iſt.
Die Anwohner einer Gränze ſind die nächſten und natürlichſten
Bertheidiger derſelben; ſo wie ſämmtlide männliche Einwohner eines
Landes die natürlichſten Bertheidiger des Landes ſind. Ihre theuerſten
Intereſſen werden zunächſt bedroht, wer ſollte dieſe ſo warm und
muthig vertheidigen als ſie ſelbſt?
Jedoch gehört zum muthigſten Willen auch das Bewußtſein der
Fähigkeit, ſich gegen friegsgeübte Schaaren mit Erfolg vertheidigen
zu können; dazu find nun Einrichtungen und Vorübungen erforderlich,
welche Vertrauen einflößen müſſen, welche nie vernachläſſigt werben
dürfen, um im Augenblick der Gefahr bereit und gerüſtet zn ſein.
Dennoch dürfen dieſe Einrichtungen, dieſe Vorübungen nicht läſtig,
nicht beſchwerlich ſein, nicht ſtörend auf die gewöhnlichen, nothwendigen
und nüßlichen Beſchäftigungen des Lebens einwirken. Denn es liegt
in der menſchlichen Natur, augenblicklichen unangenehmen Eindrüden,
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ſelbſt auf die Gefahr ſpäterer nachtheiliger Folgen hin auszuweichen.
Nad der mir vorſchwebenden Idee einer vollſtändigen Landwehr
gehört dazu, außer der berührten Vorbereitung des Landes, die Drs
ganiſation aller männlichen Bewohner deſſelben, von ihrem 20ſten bis
zum 60ften Jahre, und zwar in den Bezirken ihrer Wohnfiße.
Die Tatif, das Zuſammenwirken der Einzelnen, zur Vertheidigung wie
zum Angriff, welche io vorlege, iſt ſo einfach, daß fie feiner beſondern
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Kriegsſchule in entfernten Städten und Garniſonen bedarf, fie trennt
den Landinann nicht von ſeinem Beruf das Feld zu bauen, noch den
Städter von ſeinem Studiuin, Handel oder Gewerbe, fie wird alſo,
wenn ſie dieſe Bedingung erfüllt, ohne die Kriegsfertigkeit zu vers
mindern, den jeßt beſtehenden Landwehr-Einrichtungen vorzuziehen ſein.
Es wird dadurch die Gränze des Landes ſtets von einem ſchlag
fertigen Heere bewacht, deſſen Erhaltung dem Staat wenig foſtet, deſſen
Daſein man erſt nad erſchalter Lärmtrommel bemerkt.
Eintheilung des Landes,
von den Gränzen an, in Militair:Bezirke.
Nach meinem Syſtem bildet ein Diftrift von circa 200,000 Ein
wohnern jedes Alters und Geſchlechts, einen Diviſions-Bezirk.
Derſelbe iſt abgetheilt in 16 Bataillons-Diftrifte, wovon jeder
circa 12,500 Einwohner enthält, und welche nach der No. von 1 -
16 benannt werden. Eine ſolche Bevölferung wird die nach meinem
Syſtem gewünſchte Anzahl der Landesvertheidiger leicht darbieten.
Bevor ich jedoch zur nähern Darlegung der Organiſation meiner
Wehrmänner übergebe, mag es mir erlaubt ſein, den Gegenſtand der,
Eingangs erwähnten, Vorbereitung des Landes zur Vertheidigung
deſſelben, etwas ausführlicher anzubeuten.
Da ein Heer mit ſeiner Ambulance hauptſädlich der Kunſt-,
früher auch Heerſtraßen genannt, welche von einem Lande in das
Andere führen, ſich bedienen muß, ſo iſt es wichtig, auf dieſe ein bes
ſonderes Augenmerk zu richten *); zunäoſt alſo in den Gränzmarken,
*) Die feit 1831 ins Leben getretenen Eiſenbahnen erfordern eine beſondere
Berücfictigung in Betreff der Landesvertheidigung.
Es würde ausreichen, wenn an jedem Bahnhof in der Entfernung von circa
300 Schritt von demſelben ein gemauertes Blodhaus eingeſchnitten und wohl taſe:
mattirt würde, alſo daß es ohneBelagerung nicht genommen werden könnte; armirt
müßte es werden mit 4 Zwölfpfündern und 1 Mörſer; die Befaßung deſſelben
müßte im nächſten Dorf oder Fleden anſäßig ſein, und bei einem feindlichen Ein:
marſch dieBahnenſchienen auf eine Strede von 200 Schritt aufgenommen werden.