Table Of ContentNelle Methoden
del'
Wundheil ung.
lhre Bedingungen und Vereinfaohung fOr die Praxis.
Von
Dr. C. L. Schleich.
Zweite vel'bessel'te Auflage.
Berlin.
V e rIa g von J u 1 ius S p r i n g e r.
1900.
Meinem Vater
clem
G-eheimen Sanitatsrath Schleich
In
Ehrfurcht und Dankbarkeit
gewiclmet.
Vorwort.
In dem vorliegenden Buche sind die Erfahrungen nieder
gelegt, welche ich seit dem Jahre 1889 in meiner Privatklinik
mit einer Reihe von Methoden und Praparaten gewonnen habe,
die von mir selbst ersonnen sind, um das bisherige unangefoch
tene Schema del' chirurgischen Prophylaxe und Therapie da zu
durchbrechen resp. umzugestalten, wo es vermoge seiner Kompli
cirtheit sich offenbar nicht mehr eignet, Allgemeingut sammtlicher
Aerzte zu werden. Diese Maassnahmen entsprangen keineswegs
etwa einer Neigung, durchaus Neues auszutiifteln, sondern haben
sich aus del' dira necessitas enger privateI' Verhaltnisse und aus
dem klaffenden Kontrast, in welchen sich die "grosse" Chirurgie
immer mehr gegen die taglichen Bediirfnisse allgemeiner arzt
licher Thatigkeit zu setzen beginnt, fast wie eine unabweisbare
Konsequenz ergeben. Wer als Einzelner konkurrenzfahig bleiben
will mit den Resultaten der chirurgischen Centralstellen, muss
in der Praxis ebenbii.rtige Methoden an die Stelle der sonst un
durchfiihrbaren Maassnahmen offentlicher Institute, denen die
Munificenz des Staates oder del' Stadt stets hii.lfbereit zur Seite
steht, treten lassen konnen. Mit einem Wort, die praktischen
Aerzte miissen sich, wenigstens was die haufigeren und land
laufigen Eingriffe betrifft, unter allen U mstanden chirurgisch
therapeutisch den wissenschaftlichen Postulaten del' immer ge
schlossener vorrii.ckenden Phalanx der Specialisten gegenii.ber
leis.tungsfahiger ausrii.sten, als sie es bisher waren. Dass das
und wo das moglich ist, solI in diesem Buche seinen Nachweis
VI Vorwort.
erfahren. - Dnrch merne gerade den praktischen Aerzten zn
Gute kommenc1e Reform in der Anasthesie-Frage bin ich belehrt,
dass der Segen irgend einer arztlichen lVIethode am sichersten
dann del' lVIehrzahl del' Leidenden zu gute kommt, wenn eine
moglichst grosse Allgemeinheit der legitimen Vertreter del'
Heilkunde sie in Anwendnng ziehen kann. Del' Weg, den die
moderne Ohirurgie in iibrigens dmchaus idealem Streb en zu
nehmen droht, ist del' del' Monopolisirung HiT grosse Institute
und del' allmahlichen Abdrangnng des Arztes von del' gegen
ii.ber anderen Zweigen der Medicin doch so dankbaren chirur
gischen Thatigkeit. Durch nichts vermag abel' unserer lVIeinung
nach del' Arzt erfolgreicher den Sieg tiber die illegalen Ve1'
treter sogen. natiirlicher odeI' unnattirlicher Heilmethoden im
Urtheil seiner lVIitmenschen zu erringen, als dmch eine moglichst
weit vorgeschobene, erfolgreiche Benutzung derjenigen chinu'
gischen Handhaben, welche so fest begriindet und so sichel' im
Erfolge sind,· wie kein anderes Gebiet del' lVIedicin. Kann es
selbst dem sachgemass-kritischen Urtheil schwer werden, zu
entscheiden, ob auf dem Gebiete innerer Leiden die Gesundung
trotz oder wegen des Heilmittels erfolgt ist, so ist auch dem
blodesten Auge del' meist spontane und plotzliche Umschlag
zum Guten nach chirurgischen Eingriffen als ein Erfolg eines
zielbewussten, meisterhaften Konnens ohne Weiteres erkennbar.
Das ist eine Waffe, die sich gerade del' Arzt del' Grossstadt nie
und nimmer aus der Hand wind en lassen sollte in einer Zeit, in
welcher das allgemeine Vertrauen nicht gerade im Wachsen ist.
Hat doch del' Landarzt, del' zum Heile seiner Position der Aus
tibung der Ohirurgie ja von jeher treu geblieben ist, viel
weniger zn leiden und zu klagen tiber Riickgang seines Prestige
als del' Arzt del' Oentrale. Die Abdrangung del' praktischen
Aerzte namentlich unserer Grossstadte von del' chirurgischen
Thatigkeit geschieht nun keineswegs absichtlich und in einer
etwa deutlich erkennbaren Tendenz seitens del' Specialisten,
sondern es ist die ganz von selbst resultirende Folge einer
Vorwort. VII
meiner Empfindung nach angreifbaren und falschen Bewegungs
richtung del' allgemeinen chirurgischen Entwicklung. Wenn es
einmal wissenschaftliches F.rforderniss werden soUte - was
nicht so ausser del' Welt ist - dass man nul' umgeben von
Glaswanden im Priestergewand, behandschuht und bekranzt
mit Kapuze und Bartbinde sich den Wunden nahern darf, so
ist es aus mit del' Chirurgie des Arztes als solchen, und nul'
del' von den Verpflichtungen des Gewissens freie Kurpfuscher
bleibt del' monopolisirten und centralisirten Chirurgie gegeniiber
konkurrenzfahig.
Ich habe versucht, bei dies em Sachverhalt den Herren Kol
lege n durch eine neue Methodik del' Wundbehandlung neue
Kampfmittel darzubieten, und bin mir bewusst, dass aIle diese
Mittel an sich diskutabel sind und dass sie zunachst nur den
erste n Versuch zur Vereinfachung des modernen, aIlzu kompli
cirten chirurgischen Apparates bedeuten. Aber es ist Zeit, auf
die principielle N othw endigkeit dieser Vereinfachung und ihre
Durchfiihrbarkeit in Privatraumen hinzuweisen.
Die grosse Anzahl von Aerzten aller Lander, welche mil'
seit sechs J ahren zwecks Erlernung meiner Infiltrationsanasthesie
die Ehre ihres Besuches erwiesen haben, hat einstimmig die
grosse Brauchbarkeit auch diesel' meiner anderen Reformvor
schlage anerkannt und stets lebhaft bedauert, dass diese Me
thoden bisher nicht AIlgemeingut seien. Ich kabe mich daher
entschlossen, alles dazu Gehorige inkl. del' V orschriften zur
Herstellung der Praparate in einem besonderen Buche zu publi
ciren. Dabei konnte ich es nicht umgehen, auch die besonderen,
von den aIlgemeingtiItigen Anschauungen hier und da ab
weichenden Ansichten ti.ber die Theorie del' Wundheilnng und
ihre Storungen etwas breiter zn entwickeln.
Berlin, JannaI' 1899.
C. L. Schleich.
Vo rwort zur zweiten Auflage.
Die schnell nothig gewordene zweite Auflage dieses Buches
beweist mir, dass die darin entwickelten Anschauungen und
Methoden bei den Herrn Kollegen einiges Interesse gefunden
haben, und ich schliesse wohl nicht fehl, wenn ich diesen Erfolg
wesentlich den praktischen Aerzten verdanken zu miissen glaube.
Das ware nach der Meinung jenes Kritikus des "Centralblattes
fliT Chirurgie" kein Ruhmestitel fur mich, weil nach seiner
Ansicht der praktische Arzt als der "ungeeignetste" Beurtheiler
wissenschaftlicher Fortschritte anzusehen ist. Zum Gh'tck lehrt
die Geschichte der Medicin unserer Tage unzweideutig, dass in
positivem wie negativem Sinne gerade del' allgemein gebildete
Arzt stets den Ausschlag fur oder gegen N euerungen gegeben
hat, wofur zahlreiche Belege in J edermanns Erinnerung sein
diirften. Ich selbst bin mit dem einfachen Arzt als selbst
gewahlter oberster Richterinstanz vollauf zufrieden und habe
nach ihrem Votum in Sachen der Infiltrationsanasthesie gewiss
keinen Grund, durchaus Anerkennung bei J enen zu suchen, die
sich mehr als praktische Aerzte diinken.
Berlin, Januar 1900.
C. L. Schleich.
InlIal tsverzeichniss.
Chirmogische Sauberkeit.
Theorie der chirurgischen Infektion und Desinfektion. Seile
A. Chemismus und Bakterien . 5
a) Kausalitat und Bakterien . 5
b) Multiplicitat des Krankheitsbildes bei gleichem Bakterienbefund 8
c) Virulenz und Zahl del' mykotischen Einzelindividllen 9
d) Atrium und Art del' Infektion 12
e) Berufsart und Gruppenbilder del' Infektiono Kasllistik. 13
f) Ranziges Fett und Schmierol als Faktor typischer Krankheitsbilder
nach Infektion . . 20
g) Die typische, progrediente Fettnekrose mit Phlegmone . 21
h) Die toxische Lymphangoitis diffusa 24
Kasuistik 24
Fischgift 26
Insektenstich 27
Jodfurunkulose 28
Fettgenuss . 28
Diabetes. 28
Giftige Nagel 28
Schweissiiberproduktion 28
Wildinfektion . 29
i) Aerzteinfektionen. Kasuistik 31
k) Gonorrhoisches Sekret und eine besondere Aerzte-Lymphangoitis 42
I) Mischinfektion und der Kampf von Zelle gegen Zelle. Der Noso-
parasitismus in der Chirurgie 42
B. Wundschadigung durch physikalische Einfliisse 44
a) Luft ais pathologischer Gewebsreiz. 44
b) Irrespirable Gase . 46
c) Del' Staub 47
d) Menge des suspendirten Luftstaubes 50
e) Mechanische Lasion der Theile . 52
Augenheilkunde und Asepsis. Plastiken. Zartes Operiren . 53
x InhaItsverzeichniss.
C. Individualitat und Wundheilung . 57
a) Die falsche "Primasucht" der Operateure 58
b) Individualitat des Falles und Anpassung der Wundbehandlung. 60
c) Individuelle Sauberung. Bakteriologische Kontrolle 65
D. Principien der rein mechanischen Siiuberung. Asepsis auf
mechanischem Wege . 66
Kritik der chemischen und gemischt chemischen Verfahren. Die
Bakterienvernichtung eine falsche Tendenz. 66
a) Fort mit der Burste. Grober Schmutz. Bakterien 67
b) Unzulanglichkeit d. chemischen Desinfektion. Vorgetauschte Asepsis 74
1. Sublimat . 74
2. Alkohol 80
c) Bedeutung des Rautfettes als Rinderung der Asepsis. Experimente 83
d) Der Chemismus in der Chirurgie . 87
e) Fordernngen zur Methode der Sterilisation der Raut und Hande 94
1. Keimfreies Material . 95
2. Epidermisschuppen 96
3. Fliessendes steriles Wasser 97
4. Der sterilisirte Marmorstaub 99
5. Ammoniakgehalt der Seife nothwendig 102
6. Fettemulgirungsprincip in der Seife 104
7. Unltislicher Wachsiiberzug der Raut 106
8. Unschiidlichkeit der Seife 109
9. Ein Akt del' Desinfektion . 113
f) Meine Marmorseife . 114
1. Herstellung und Zusammensetzung . 114
2. Rerstellung der Wachspasta 117
3. Rerstellung der Stearinpasta . 118
Methodischer Beweis fiir die Wlrksamkeit der Marmorstanbseife
zwecks Sterilisation der Hiinde.
A. Schule der praktischeu Asepsis . 119
a) Werth der bakteriologischen Methodik . 120
b) Aseptische Kurse 121
c) Die bakterielle "Kassenrevision·'. Bereitung der Nahrgelatine 124
B. Experimente 128
C. Reagensglas und Wunde 137
D. Klinischer Beweis der Zulanglichkeit der Methode. Umge-
kehrte Reihenfolge der Operationen .... 140
E. Undurchfiihrbarkeit der Abstinenz von infektitisemMaterial,
namentlich fiir uen Arzt 145
1. Die Zeit gleicht die bakterielle Verunreinigung nicht aus 147
2. Sauberkeit in arbeitsfreier Zeit 148
Inhaltsverzeichniss. XI
F. Weiteres z ur Asepsis. 149
1. Desinfektion des Operationsfeldes. Haare und die Rasur 149
2. Intrakutane Schmarotzer und ihre Entfernung 150
3. Heisswasser-Spray als Shubfanger 151
4. Antisepsis gegen todtes Material . 153
5. Fort mit dem Catgut . 153
6. Nahteiterung und "chirurgische Ehre" 154
7. Mundhiihle und Bart des Operateurs 157
8. Instrumente 159
9. Riickblick auf die Seife . 159
Das meebaniscbe PrinciI) ais HauptwaJfe gegeu intercellulare
BakterienansiedIuug.
1. Parasitismus im Gewebe. Syntoxischer Parasitismus 161
2. Chemismus und del' Parasitismus . 162
3. Die Incision als bakterienfeindlichstes Mittel . 163
4. Indikationen zur Incision del' Eiterungen. U nterstiitzung natiir-
licher Eliminationsbestrebungen. 164
5. Umkehr del' Stromrichtung im Gewebe. Del' Ort des geringsten
Widerstandes. 168
6. Typische Operation einer Hohlhandphlegmone. Ein Paradigma 172
7. Abfluss und Gazetamponade. Kein Drain! 179
Natiirlicbe Wuudbelluug.
A. Verwendung homogener 'Vundmittel 181
1. Schnelles Operiren. Luft und Heilung . 182
2. Wundplasma und Wundkitt 183
3. Hochste biologische Probleme bei der Granulationsheilung . 185
4. Phasen und Komponenten del' W undheilung . 186
5. Wichtigkeit des fibronolytischen Fermentes 187
6. Sekretion, Vaskularisation, Granulation (Organisation) 190
7. Harmonie und Anarchie del' Baumaterialien . 196
8. Gewiihnung del' Granulationen an Reize. Anpassung 197
9. Die intermediare Plasmaschicht als Nahrmittel . 198
10. Das G I u to I als kiinstlicher W undleim und homogene W undhiille 199
11. Anfange del' homogenen Wundbehandlung. Schede's Blutschorf. 201
12. Die Gelatine als aseptischer W undschorf und als Haemostaticum 202
13. Selbstthatige Desinfektion 203
14. Die luxuriirende Zellproliferation. Princip del' geopferten NahrbOden 208
15. Glutol undSerumpulver. Fibronolyse, C.hemotaxis und Gewebsaufbau 210
16. Jodkalium und Emigration . 212
17. Fli1ssige Formalingelatine 214
18. Serumstrom und Bakterienausschwemmung 217
19. Andere homogene Wundmittel und ihre Verwendung 219
XII Inhalts ve rzeichniss.
a) 'vVachspasta und Hautcreme I
b) Wachsgelatine. Glutincerat-Creme Therapeutische Verwen-
c) Steralvaseline ) dung derselben 222
d) Wachsvaselinbinden
B. Die Peptonpaste und die Vereinfachung derVerbandtechnik 230
1. Pasta peptonata, ihre Herstellung und Verwendung 232
2. Okklusivverbande ohne Binden 233
3. Verbande am Kopf, Scrotum; Labien, Anus, Penis 234
4. Schienen und Kompressionsverbande 237
5. Extensionsyerbande 238
C. Nene Inunktionskur durch Pinselung 239
1. Quecksilberpepton . 239
2. V orziige der Pinselung 240
3. Principien der Quecksilberanwendung 245
4. AntipWogose mit Ql1ecksilberpepton. Pruritus 247
D. Serum paste und Serumpul ver . 247
1. Einiges zur Geschichte der kiinstlichen Eiweisspraparate Zllr Wund
behandlllng. Annaherung des Chemismus an die Gewebskonstitution 247
2. Herstellung del' chirllrgischen und dermatologischen Serumpraparate 250
3. Wirkungsweise del' Sernmpaste. Ekzem, Dermatitis, Verbrennungen 252
Znsiitze.
1. Selbstbereitllng der Verbandstoffe 256
~~~. ~
b) W llndtllpfer 259
c) Wundkissen 259
d) Salbenbinden 262
2. Aufbewahrllng del' Seide in Nahrgelatine. Liisung der Seiden-
frage . 262
a) Die Nahrgelatine als Testobjekt der Keimfreiheit der Seide 262
b) Methodik del' Gelatinen-Seide-Verwendllng . 262
3. Reinigung del' Instrllmente, ihr Transport und Operationen
ausser clem Hause 264
4. Verba nd we chsel . 267
BehamUnng del' Grannlationell nnd Ulceratiollell (Ulcns cruris).
A. Die Gran ula ti on en 269
1. Die Antisepsis und die Ablenkung del' Aufmerksamkeit von del'
Heilung per secundam intentionem . 269
2. Stiirungen del' primaren W llndheilung, ihre Verhutung resp. ihr
Ausgleich . 271