Table Of ContentAmeisenschutz
aktuell
Berichte aus Praxis,Wissenschaft
und Organisation
sowie Mitteilungen
Verbandszeitschrift der
DeutschenAmeisenschutzwarte e.V.
und ihrer Landesverbände
ISSN0941 - 7958
Nr. 1 15. März2001 15.Jahrg.
Myrmecina graminicola^ eine versteckt lebendeAmeise
mit ungewöhnlichen Eigenschaften
vonAlfredBuschinger
Einendeutschen Namenhat sienicht, so wie die meisten derwenigerauffälligenInsektenarten.
FürdieRoteListedergefährdetenTiereBayerns warenwirangehalten, einensolchenzuerfinden,
undwirhabenunsfür"VersteckteKnotenameise"entschieden(Bauschmann&Buschinger 1992),
eine Bezeichnung, die rechtgutdas heimlicheWesenvon Myrmecinagraminicola beschreibt. So-
wohl inderRotenListefürBayernalsauch inderfürHessenstehtsie inderKategorie3 ("gefähr-
def'),wasabervielleichtnichtganzgerechtfertigtist,dennmiteinigemAufwandodermitgeeigne-
tenFallenlässtsiesichdochrechthäufignachweisen (z.B. Sonnenburg & Bahr 1995). DieVölk-
chensindklein(Titelbild),dieNesterliegenunterdickenSteinenoderaucheinfachimBoden,und
sie sindschwerzuentdecken.
WasabersindihreBesonderheiten,weshalblohntsicheinenähereBeschäftigungmitdieserArt?
-VonjapanischenKollegenerschieneineArbeit(Ohkawaraetal. 1993)überMyrmecinagraminicola
nipponica, die in Japan heimische Unterart, die gelegentlich auch als eigene Art M. nipponica
aufgefasst wird. Da wurde von einer Population aufHokkaido, dernördlichsten Insel Japans, be-
richtet, dass sienebennormal ge- bzw. entflügeltenKöniginnen auch fortpflanzungsfähige"Inter-
kasten"habe,alsoIndividuen,derenGestaltzwischenderKöniginundderArbeiterinvermittelt. Ich
bevorzugefürsolcheTieredieBezeichnung"Intermorphe"(bzw.fürdiege-/entflügeltenWeibchen
"Gynomorphe"undfürdieArbeiterinnen"Ergatomorphe"),damanvonaußennichtohneweiteres
erkennenkann, ob sie begattetund fertil sind, also die Rolle derKöniginübernehmen. Und wenn
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manKastennachihrerFunktiondefiniert,diereproduktiveKastederbegatteten, fertilenKönigin-
nen und die weitgehend sterile Kaste der unbegatteten Arbeiterinnen unterscheidet, dann gibt es
eigentlichnichtsdazwischen,keine"Interkasten"(Buschinger 1987;Buschinger&Winter 1976).
Königinnen-Polymorphismus isteines meinerForschungsthemen. ErkommtbeiAmeisennicht
allzuhäufigvor, undseine Ursachen sinderstinganzwenigen Fällenzumindestteilweisegeklärt.
So haben wir in langjährigen Kreuzungsversuchen für die einheimische Sklavenhalter-Ameise
Harpagoxenus sublaevis sowie für eine kanadische Schmalbrustameise (vorläufiger Name
Leptothoraxsp.A)gezeigt,dassderenPolymorphismusgenetischbedingtist,alsonichtetwadurch
wechselndeUmwelteinflüssezustandekommt(Buschinger 1990, Buschinger&Heinze 1992).
Myrmecinagraminicolaistmirschonlangevertraut.Bereits 1970habeichmichaufeineDiskus-
sion mit einem Schweizer Kollegen eingelassen, der für unsereArt eine funktionelle Monogynie
postulierte, während ich eindeutig polygyne Völker gefunden hatte (Baroni Urbani 1968, 1970;
Buschinger 1970). Nachdennunvorliegenden neuenBefundenhabenwirumsonstgestritten,hat-
tenbeidemehroderwenigerRecht:ErhattedasVerhaltenzweierentflügelterWeibchenbeobachtet,
dieKöniginneninmeinenpolygynenVölkernwaren,wie ichheuteweiß,Intermorphe. Unddasist
einederbesonderen,bisher sogarfasteinzigartigenEigenschaftendieserAmeise; Monogynieund
(fakultative)PolygyniesindmitderKöniginnenmorphegekoppelt.
DerGroschenfiel im Mai 1997, während einerExkursionmit Studierendennach Homburgam
Main. Stolzpräsentierte ich einVölkchenderwirklich selten zufindendenM. graminicola, führte
vor, wie sie sich bei Erschütterung zusammenrollt und tot stellt. Plötzlich sah ich, dass die zwei
Königinnen im Nest Intermorphe waren! Eingedenk der oben erwähnten Arbeit über diejapani-
schenMyrmecina ging ichbalddanach alleine wiederaufdie Suche, undbis September2000ka-
men insgesamt über 110 Kolonien zusammen, alle aus Südhessen und Nordbayern. Mittlerweile
wurdeessogarmöglich,M. graminicolaimLaborzurKopulazubringen,gezieltGynomorphemit
SöhnenvonIntermorphenzuverpaarenoderumgekehrt.DieEntwicklungderjungenKolonienbis
zur Produktion der ersten weiblichen Geschlechtstiere geht allerdings sehr langsam, und erst an
diesenwirdsicherkennenlassen,obihreGestaltgenetischvorbestimmtist.
Was wissen wir bisjetzt über Monogynie, Polygynie und Königinnen-
Polymorphismus bei Myrmecinagraminicola?
AufeinerTagung der Deutschsprachigen Sektion der Internationalen Union zum Studium der
Sozialen Insekten (lUSSI) in Stuttgart-Hohenheimgab ich im September 1999 einenerstenÜber-
blick (Buschinger 1999 a). Die dortangegebenen Zahlen fürmonogyneVölkermit gynomorpher
KöniginundfürmonogyneoderpolygyneKolonienmitintermorphenKöniginnensindinzwischen
überholt,wenngleichsichdieTendenzfortgesetzthat:NebeneinpaarweisellosenVölkern,überdie
mannatürlichnichtssagenkann,wurden21Völkermitjeweilsnureinergynomorphen(entflügelten)
Königin gefunden. Unter denVölkern mit intermorphen Königinnen waren 42 monogyn und 43,
alsopraktischgleichviele,polygyn(Tab.I).DieKöniginneneinerrepräsentativenAnzahlvonVöl-
kern wurden seziert, womit man nachweisen kann, dass sie begattet sind und Eier ablegen. Ganz
sicherlässtsichalsojetztschonsagen,dassgynomorpheKöniginnennureinzelnvorkommen,keine
Partnerinnebensichdulden.Mehrfachhabeichversucht,einegeradebegattetesgynomorphesWeib-
chen in sein Muttemest zurückzugeben. Nie blieb es lange darin. Ohne offensichtlich erkennbare
AggressionenzwischendenWeibchenodervonSeitenderArbeiterinnenverließdasJungweibchen
dasNestundwandertetagelangimFormikarumher,bisichesherausnahm.
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Intermorphe Königinnen dagegen, ob allein oder zu mehreren im Nest, akzeptieren auch neu
begattete Töchter, so weit es sich ebenfalls um Intermorphe handelt. Gynomorphe Töchter von
Intermorphendagegenverbleibenebenfalls, sowiesiebegattetsind,nichtmehrimMutternest.
Tab. 1: Myrmecinagraminicola: Monogynie und PolygyniebeiVölkernmit gynomorphenbzw.
intermorphenKöniginnen.
AnzahlVölker
Abb. 1: MorphologischeÜbergangsreihevonderErgatomorphen(E,Arbeiterin)überunterschied-
hchgestaltete,aberniegeflügelteIntermorphe(I,-1,^)zurge-bzw.entflügeltenGynomorphen
(G).Alle Intermorphen könnenwie die Gynomorphebegattetwerden undals Königinnen
fungieren.Aus: Schreiber(1999).
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Abb. 2:Ergatomorphein Seitenansicht. DieExtremitätensindabgenommen,umdenBlickaufden
Thoraxfreizuhalten.Aus: Schreiber(1999).
Abb. 3:Gynomorphe in Seitenansicht. Aus: Schreiber (1999). Abb. 2 - 6 wurden mit einem
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Photomakroskop(Wild 420)aufgenommen.
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Abb. 4- 6 (vonoben): IntermorpheunterschiedlicherThoraxausbildungundzunehmenderThorax-
wölbung, entsprechendetwadenTypen\,I,undI^ausAbb. 1
Aus: Schreiber(1999).
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Abb. 7:Intermorphe,ThoraxindorsalerAnsicht,einerErgatomorphenähnlich,derKopfwärerechts.
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Abb. 8:Intermorphe,Thorax indorsalerAnsicht,einerGynomorphenähnlich.
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Abb. 9: Gynomorphe,ThoraxindorsalerAnsicht.
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Abb. 10: Ergatomorphe,Thorax in Seitenansicht, derKopfwärelinks.
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Abb. 11: Intermorphe,Thoraxin Seitenansicht,
Abb. 12: Gynomorphe, Thorax in Seitenansicht. Abb. 7 -12 sind Aufnahmen mit dem Raster-
elektronenmikroslcop, aus Schreiber(1999).
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Abb. 13: Puppen einer Ergatomorphen (unten) und einer Gynomorplien. In diesem Stadium der
AusfärbungistderUnterscliiedinderAugengrößebesondersgutzuerkennen.
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Abb. 14: Puppe einer Intermorphen. Im \'er- Abb. 15: PuppeeinerGynomorphen.Diebereits
gleiclizuAbb. 15 fehltdieFlügelanla- dunkleFlügelanlageistdeutlichzuer-
ge.ObenaufdemKopfisteinOcellus kennen, ebenso zwei derdrei Ocellen
zuerkennen. obenaufdemKopf
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