Table Of ContentMorphologie: Morphologie der Argumentkodierung
Optimalit¨atstheoretische Analysen des Plurals im Deutschen
Gereon Mu¨ller
Institutf¨urLinguistik
Universit¨atLeipzig
WiSe 2011
www.uni-leipzig.de/∼muellerg
GereonM¨uller (Institutf¨urLinguistik) 04-006-1006 1/41
GeordneteBeschr¨ankungenunddeutschePluralbildungbeiWurzel
Wurzels pr¨aoptimalit¨atstheoretische Analyse
Lit.:
Wurzel, Wolfgang Ullrich. 1998. Drei Ebenen derStrukturvon Flexionsparadigmen. In
Models of Inflection, eds. RayFabri, Albert Ortmann & Teresa Parodi. Tu¨bingen:
Niemeyer.
Behauptung:
Diedeutsche Pluralbildungergibt sich ausdem Zusammenspiel von geordneten sog.
Paradigmenstrukturbedingungen.Es gilt ein Defaultprinzip: Eine Bedingungspezifiziert
nurdanneinePluralendung,wennnochkeineanderePluralendungspezifiziert ist.Ist eine
Pluralendungspezifiziert, kannsie nicht mehr ¨uberschrieben werden.
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GeordneteBeschr¨ankungenunddeutschePluralbildungbeiWurzel
Das System
(1) A:Lexikonspezifikationen:
[n/Pl]:TypVilla,Drama,unmarkiertTypOma,Teddy,Kino
[e/Pl]:TypGans;unmarkiertTypBahn
[Ø/Pl]:TypMutter;unmarkiertTypSchwester
[s/Pl]:TypBand,Single(fem);unmarkiertTypBahn,Schwester
[er/Pl]:TypMann,Rind;unmarkiertTypWolf,Bein
[s/Pl]:TypPark;unmarkiertTypWolf;TypRaffke;unmarkiertTypBote
[n/Pl]:TypB¨ar,Staat,Muskel;unmarkiertTypWolf;TypUntertan;unmarkiertTypHerold
[Ø/Pl]:EinzelfallK¨ase;unmarkiertTypAuge,Funke
[Uml/Pl]:Einzelf¨alleFloß,Lager,Kloster;unmarkiertBrot,Polster
[ØUml/Pl]:TypHund,Sommer;unmarkiertWolf,Vater
(2) B:Pluralsuffixe:
a. [-VV#]→[s/Pl] TypOma,Teddy,Kino
Bemerkung:“-VV”stehthierfu¨rWortausgangaufVollvokal.
b. [Fem]→[n/Pl] TypKatze,Bahn,Schwester
c. [Neut∧#ge+−+e#]]∨[V...eL]→[Ø/Pl]TypGebirge(vs.Geselle);TypVater,Wagen,Segel,
M¨adchen,Bu¨chlein
Bemerkung:“L”stehthierfu¨rNasaloderLiquid.
d. [-e#]→[n/Pl] TypBote,Auge,Funke
e. [ ]→[e/Pl] TypWolf,Bein
(3) C:Pluralumlaut:
f. [er/Pl]→[Uml/Pl] TypMann,Lamm
g. [Neut]∨[+er#]→[ØUml/Pl] TypBrot,Polster,TypFahrer
h. [e/Pl]∨[Ø/Pl]→[Uml/Pl] TypWolf,Gans;TypVater,Mutter
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Optimalit¨atstheorieunddeutschePluralbildungbeiWegener Grundannahmen
Wegeners optimalit¨atstheoretische Analyse
Lit.:
Wegener, Heide. 1999. Die Pluralbildungim Deutschen – ein Versuch im Rahmender
Optimalit¨atstheorie. Linguistik Online 4, 3/99.
These:
Pluralbildung im Deutschenist nicht arbitr¨ar, sondern vorhersagbar. Verletzbare und
zueinandergeordnete Beschr¨ankungen ermitteln fu¨r ein gegebenes Substantivdie
optimale Pluralendung.
(4) Pluralsuffixe:
a. -(e) Fl¨oh-e, V¨ogel-Ø
b. -(e)n Bank-en,Ampel-n
c. -er W¨ald-er, Kind-er
d. -s Oma-s, LKW-s
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Optimalit¨atstheorieunddeutschePluralbildungbeiWegener Grundannahmen
Flexionsklassen
(5) Drei Flexionsklassen (Nom Sg. vs. Gen Sg.):
a. 1. Klasse: Feminina Frau-Ø,Frau-Ø
b. 2. Klasse: SchwacheMaskulina Patient-Ø,Patient-en;Bote-Ø, Bote-n
c. 3. Klasse: StarkeMaskulina, Neutra Mann-Ø,Mann-es; Muster-Ø,Muster-s
(6) Default-Plurale fu¨r Flexionsklassen, statistisch ermittelt:
a. Feminina auf -(e)n:96,6 % Uhr-en, Bluse-n vs. Oma-s, H¨and-e
b. SchwacheMaskulina auf -(e)n:100 % Poet-en, Junge-n vs. –
c. StarkeMaskulina bzw. Neutra auf-(e), -”(e) bzw. -”er: 78,7 %
Fu¨ß-e,V¨ater-Ø, Tag-e, Wagen-Øvs. Opa-s;Kind-er, Bu¨ch-er vs. Ohr-en,
Auge-n
Schluss:
Anders als vielfach behauptetist -s keineswegs derDefault-Plural im Deutschen.
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Optimalit¨atstheorieunddeutschePluralbildungbeiWegener Grundannahmen
Flexionsklassen 2
Nebenbemerkung:
Diestatistischen Angaben (nach Pavlov (1995)) beziehen sich aufTypes (W¨orterbuch).
“Irregul¨are” Plurale schneiden beiToken-Untersuchungen(Texte) z.T. sehr viel besser
ab.“Die Tokenfrequenzwerte halte ich in Bezug aufSpacherwerb, Sprachentwicklung,
Exemplarit¨at derPluralformen fu¨r die wichtigeren.”
Flexions- vs. Genusklassen:
Die3. Flexionsklasse muss nochmals aufgespalten werden in zwei Genusklassen. Bei -”(e)
sind 93,9 % der Types, 69,2 % der Tokens Maskulina;bei -”er sind 85,4 % derTypes,
74,4 % derTokens Neutra.
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Optimalit¨atstheorieunddeutschePluralbildungbeiWegener Beschr¨ankungen
Beschr¨ankungen
(7) FK (“Flexionsklassenkorrespondenz”):
Die Pluralform korrespondiert mit derFlexionsklasse des Singularstamms: 1./2.
Klasse auf -(e)n;3. Klasse auf-(e), -”(e) oder -”er.
(8) GK (“Genusklassenkorrespondenz”):
Die Pluralform korrespondiert mit derGenusklasse des Singularstamms: 1./2.
Klasse auf -(e)n;Maskulina der3. Klasse auf-”(e); Neutra der3. Klasse auf -”er.
Bemerkung:
Jede FK-Verletzung impliziert eine GK-Verletzung (abernicht umgekehrt). Die
Beschr¨ankungen stehen in einer sog. Stringenzrelation. Hypothese: Auf FK kannman
zugunsten von GK vielleicht ganzverzichten. (Die Beschr¨ankungen sind auch immer
zusammen geordnet).
(Außerdemsind die Termini FK und GK nicht vollkommen glu¨cklich gew¨ahlt.
Korrespondenzbeschr¨ankungen sind Treuebeschr¨ankungen.FK undGK sind aber (anders
als die Ident- undDep-Beschr¨ankungen,s.u.) keineTreuebeschr¨ankungen,sondern
Markiertheitsbeschr¨ankungen.)
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Optimalit¨atstheorieunddeutschePluralbildungbeiWegener Beschr¨ankungen
Beschr¨ankungen 2
(9) Fuss:
Die Pluralform realisiert den Troch¨aus.
(Allgemeiner: den unmarkierten Fuß einer Sprache;das ist im Deutschender
Troch¨aus.)
(10) Ident(“Identit¨at”):
a. Ident-V:
Der Vokaldes Singularstamms darf nicht umgelautet werden.
b. Ident-K:
Der Endkonsonantdes Singularstamms darf nicht sonorisiert oder
palatalisiert werden (wie in Hund, Hunde;Buch, Bu¨cher).1
c. Ident-µ:
Die Morphemgrenze des Singularstamms darf nicht verschoben werden (wie
in Termin, Termi.ne).2 Die Integrit¨at eines Morphems darf nicht verletzt
werden (wie in Villa, Villen).
(11) Dep(“Dependenz”):
Es darfvom Singularzum Plural nichts hinzugefu¨gt werden.
1Dieskommtmirmerkwu¨rdigvor,dennderSingularstammendetbeiHundjaaufd,nichtauft,d.h.,
Auslautverh¨artungistselbstschondemInputuntreu.
2Miristnichtklar,inwieweithiereineMorphemgrenzege¨andertwird.WasdieBeschr¨ankungwohlverbieten
soll,istdieResyllabifizierungmiteinhergehendemAuseinanderklaffenvonMorphem-undSilbengrenzen.
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Optimalit¨atstheorieunddeutschePluralbildungbeiWegener Beschr¨ankungen
Beschr¨ankungen 3
(12) Dist(“Distinktheit”):
Pluralformen sind distinkt von Singularformen.
(13) KK (“Keine Koda”):
EineSilbe hat keineKoda. (Achtung:Pluralformen auf -(e)nverletzen KK per
Annahmenicht, da sie aufeinen Sonoranten enden.)
(14) Par (“Paradigmatizit¨at”):
Als Pluralsuffixe dienen nurparadigmatische Flexive.
(15) *Hom: (“Homonymieverbot”):
Homonyme Formen sind zu vermeiden.3
3DieseBeschr¨ankunghateinenunklarenStatus.Umherauszufinden,obeineOutputformhomonymmit
eineranderenist,mussmantranslokalvorgehenund,etwaimVergleichzueinerSingularform,einenanderen
WettbewerbbeiderOptimierungmiteinbeziehen.
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Optimalit¨atstheorieunddeutschePluralbildungbeiWegener Optimalit¨atstheoretischeAnalyse
Vorbemerkung
Annahmender Optimalit¨atstheorie (Prince & Smolensky (1993)):
1 Eine Beschr¨ankungsordnung legt eine Grammatik fest. Zwei
Beschr¨ankungsordnungen, die simultan in einer Sprachegelten (vgl. manche
Konzepte von Kopplungen zur Ableitung von Optionalit¨at),ergeben zwei
Grammatiken in dieser Sprache.DieAnnahmevon vielen simultan existierenden
Grammatiken fu¨r ein und dieselbe Spracheist zu vermeiden, da dannzu viele
Kandidaten optimal werden k¨onnen:U¨bergenerierung.
2 Ein optimaler Kandidat ist grammatisch; ein suboptimaler Kandidat ist immer
ungrammatisch.
GereonM¨uller (Institutf¨urLinguistik) 04-006-1006 10/41
Description:[Uml/Pl]: Einzelfälle Floß, Lager, Kloster; unmarkiert Brot, Polster. [ØUml/Pl]: Typ .. Vogel, Vögel-Ø (Appellativum), Vogel-s (Eigenname) b. Koch