Table Of ContentModellunterstiitztes
RoUentraining (MURT)
Verhaltensmodifikation bei
Jugenddelinquenz
lIerausgegeben von
Max Steller Wilfried lIommers
lIans Joachim Zienert
Geleitwort von
Johannes C. Brengelmann
Springer-Verlag
Berlin lIeidelberg New York 1978
Dr. Max Steller
Dr. WHfrled Hommers
Dr. Hans Joachim Zienert
Institut ftir Psychologie der
Chrlstian-Albrechts-Universitat, Neue Universitat
OlshausenstraBe 40/60
0-2300 Kiel
ISBN-13: 978-3-540-08956-8 e-ISBN-13: 978-3-642-67025-1
DOl: 10.1007/978-3-642-67025-1
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek. Modellunterstutztes Ro//entraining: MURT;
Verhaltensmodifikation bei Jugenddelinquenz/hn;g. von M. Steller ... - Berlin, Heidelberg, New
York: Springer, 1978.
NE: Steller, Max [Hrsg.]; MURT
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© by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1978
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daber von jedermann benutzl werden diirften.
2126/3140-543210
Geleitwort
Delinquenz oder Dissozialitat ist lange als eine Verhaltensstorung an
gesehen worden, die in der Person begriindet liegt und aus der Person
heraus wirkt. Die Institutionen der Gesellschaft bestimmen, welche
Verhaltensweisen »antisozial« und unter Strafe zu stellen sind. Eine
zunehmende Anzahl von Verhaltensweisen wurde so im Laufe der
Geschichte bei gleiehzeitiger Einengung der Freiheit der Biirger in den
Kodex der Kriminalitat aufgenommen, sodaB die Rate der Kriminalitat
und die damit verbundenen Kosten enorm anstiegen und noch weiter
ansteigen. Unsere Gesellschaft war und ist willens, exorbitante Preise
fiir ein ineffizientes Rechtssystem zu zahlen.
Die humanitaren EinfIiisse des 19. und 20. Jahrhunderts fiihrten zwar
zu Reformen des Strafvollzugs, aber das Hauptmittel der Verhaltens
korrektur blieb Strafe in der einen oder anderen Form. Dies kann
natiirlich nieht den gewiinschten Effekt zeigen, wie uns die Verhaltens
wissenschaften seit langem lehren. Der unterschiedslose oder nieht
kontingente Gebrauch von Strafe wird aus wenigstens drei Griinden
ineffektiv bleiben. Erstens wird der Delinquent riickfallig, weil die Be
lohnung bei der Begehung des Verbrechens eine sofortige angenehme
Konsequenz hat (Gesetz der positiven Verstarkung). Zweitens liegen
die negativen Konsequenzen (Strafe) zu weit in der Zukunft bzw. be
steht eine annehmbare Chance, daB sie iiberhaupt nieht erfolgen (Ge
setz der zeitlichen Kontingenz, nach dem nur baldige Konsequenzen
das Verhalten effektiv andern). Drittens rufen in der Erwartung des
Delinquenten unangemessene StrafmaBnahmen emotionelle Gegenre
aktionen gegen die strafende Autoritat hervor. Die korrektiven MaB
nahmen miissen in den Augen des Delinquenten angemessen sein (Ge
setz der Fairness). Z. B. ist es hochst unfair, wenn die Bestrafung nach
AbbiiBung der Straftat weiter andauert.
Mit der jiingeren Liberalisierung des Strafvollzugs ist die Delinquenz
korrekterweise zwar mit weniger diskriminierenden Bezeichnungen
wie »Dissozialitat« oder »Fehlanpassung« belegt worden, aber das de
linquente Verhalten blieb eine Verantwortliehkeit des Missetaters.
Dies zeigt sich in der Tendenz, dem Delinquenten das sog. medizini
sche Krankheitsmodell zuzugestehen und ihn zu behandeln. Der Delin
quent wurde diagnostiziert, Symptome wurden festgestellt, die Atiolo
gie wurde geklart und eine Heilung wurde versucht, als ob eine Krank
heit vorlage. Ein solches Vorgehen muBte fehlschlagen, weil der Disso
zialitat weder einheitliche Ursache noch progressiver Verlauf zugrunde
liegen. Wir haben es vielmehr mit einem multidimensionalen, nieht
v
prinzipiell progressiven Problem zu tun, dessen Ursachen nur begrenzt
in der dissozialen Person liegen.
In der Gegenwart werden die Vorstellungen tiber das delinquente Ver
halten zunehmend von der Lerntheorie bestimmt, die von den experi
mentalpsychologisch ausgerichteten Psychologen und Arzten zugrunde
gelegt wird. Hiernach ist delinquentes Verhalten primar erlernt. Die
Existenz vorher bestehender psychobiologischer Determinanten wird
nattirlich nicht abgelehnt, aber dies hat keine Konsequenz in Bezug auf
die einzuschlagende Behandlung. Durch Anwendung von Lernprinzi
pien kann das abweiehende Verhalten also entlernt oder gelOscht wer
den und durch angemessenes Verhalten ersetzt werden. Reduktion der
Angst, effizientere Leistung, geselligeres Verhalten, groBere Anerken
nung und angemessenerer Umgang mit anderen Personen gehoren zu
den Zielen der Verhaltensmodifikation, die dem Dissozialen betracht
liche personliche Vorteile verschaffen. Durch Aufbau von Verhaltens
weisen, die sich nicht mit dem »delinquenten« Verhalten vertragen,
aber in sich selbst belohnend wirken, wird »umgelernt«.
Das vorliegende Trainingsbuch ist ein Beispiel daftir, wie man vorge
hen kann.
Nun gibt es aber noch eine andere Ansieht tiber die Natur der Krimina
litat, namlich daB die Abweichung nieht im Verhalten selbst liegt son
dern in der Wechselwirkung zwischen der Person, die den dissozialen
Akt begeht und denjenigen Personen, die darauf reagieren. Die bf
fentlichkeit entscheidet dariiber, ob ein abweiehendes Verhalten delin
quent ist oder nicht. So kommt es, daB ein Verhalten in einer Umge
bung akzeptiert und in einer anderen als delinquent angesehen wird,
etwa nackt umherzulaufen; oder daB man friiher in ein und demselben
Land ftir das Rauchen enthauptet und spater daftir angesehen wurde;
oder daB zur selben Zeit in benachbarten Landern stark unterschiedli
che Standards herrschten. Es ist nieht lange her, daB in einem Bundes
staat der USA geschatzte 80-95% der gesamten erwachsenen BevOl
kerung aufgrund gewisser sexueller Praktiken als Delinquente oder
Kriminelle zu gelten hatten und in einem anderen Staat praktisch
niemand.
So schafft sich die Gesellschaft ihre Delinquenz. Manche Theoretiker
meinen aufgrund so1cher Beobachtungen, daB es keine echten Delin
quenten gibt, sondem daB sie ktinstlich durch die Bezeichnungen der
reagierenden Umwelt geschaffen wurden. Dies ist eine extreme Aus
sage, denn es gibt in der Tat Delinquenz und schuldige Delinquenten.
Sicher ist aber auch, daB die Gesellschaft und deren Institutionen kraf
tig mithelfen, das Phanomen der Delinquenz zu schaffen. Die Gesell
schaft ist immer ein sehr aktiver Partner in der Produktion der Delin-
VI
quenz gewesen. Durch die Art der Behandlung, die ein junger Mensch
in der Familie, Schule und seitens gesellschaftlicher Institutionen er
fahrt, werden Reaktionen in dem Jugendlichen hervorgerufen, die
dann durch Diktat der Gesellschaft ungerechterweise zu »seinem« Pro
blem werden.
Man muB sich also sehr genau iiberlegen, wie man Jugendliche zu
behandeln hat. Ein Weg ware, in der Gesellschaft nur das bare Mini
mum an Regeln aufzustellen, gegen das man verstoBen kann. Dies mag
fiir einige Personen in besonderen Situationen gut sein, sicher aber
nieht fiir die Aligemeinheit, die eine feste und verniinftige Anleitung
braucht, aufgebaut nach Verhaltensgesichtspunkten, die die geringsten
Probleme schaffen. Ein zweiter Weg ware, jede diskriminierend er
scheinende Bezeichnung des Delinquenten zu verhindern und ihn zu
akzeptieren, aber dieser Weg ist weder in absehbarer Zeit gangbar,
noch versprieht er den gewiinschten Erfolg, weil keine verhaltensan
dernde MaBnahme vorgesehen ist. Ein dritter Weg ware, die Umwelt
so zu gestalten, daB sie ihre Jugendlichen unter Ausnutzung der experi
mentell erarbeiteten Lernprinzipien behandelt, anstatt selbst in gesetz
lichen Vorschriften gegen die psychologischen Grundgesetze zu versto
Ben, die nun einmal das Verhalten regieren. Dies ist zwar nieht Gegen
stand des vorliegenden Programms, aber die Autoren haben die Pro
blematik sehr wohl erkannt, indem sie auch eine Verhaltensanderung
des Vollzugsbeamten durch entsprechende DbungsmaBnahmen vor
schlagen. Dies ist eine Forderung von groBter Bedeutung. Man kann
nieht einen Therapeuten in das Gefangnis oder in die Erziehungsan
stalt schicken, urn nur den Delinquenten andern zu wollen. Jeder, der
zur Delinquenz beitragt, muB umlernen: Eltern, Lehrer, Gleiehaltrige,
Behorden usw.
Der Gesetzgeber muB sich iiber diese psychologische Grundlegung der
Delinquenz klar sein. Es wird wenig niitzen, im guten Glauben eine
hurnanere Behandlung zu verordnen, ohne darauf zu bestehen, daB
diese Behandlung nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten durchzu
fiihren sei, denn sonst niitzt die beste Verordnung niehts. Der Gesetz
geber sollte sieh also nicht allein darauf beschranken, eine Behandlung
oder Rehabilitation vorzusehen, sondern sollte sich schon bei der Ab
fassung seiner Vorschriften Gedanken iiber das Wie der MaBnahmen
machen.
Das MURT-Programm weist in dieser Hinsieht den richtigen Weg und
ist deshalb langst iiberfallig. Fiir die Notwendigkeit der Verhaltensmo
difikation bei dissozialen Jugendliehen in Deutschland haben sich Ver
haltenstherapeuten nun schon seit einigen Jahren eingesetzt. Es ist
aber eine Sache, solche Forderungen zu stellen und eine andere, prakti-
VII
sche Hilfsmittel zu ihrer Erfullung anzubieten, denn ohne diese wird
sich nichts andem. Dies ist das erste klar formulierte Programm, das
die benotigte Anleitung in solcher Form anbietet, daB Verhaltensspe
zialisten es direkt benutzen konnen. Diese konnen das Programm wie
derum fur die Mediatorenausbildung, d. h. fur die Ausbildung von pa
raprofessionellen und Laientherapeuten benutzen, wodurch die not
wendige Breitenwirkung erzielt wird. Dann wird es notwendig sein,
auch das nichttherapeutische Personal, z. B. StrafvoIlzugsbeamten, in
der Verhaltensflihrung so zu unterweisen, daB sie mit der Behandlung
konform gehen oder sie wenigstens nicht storen. SchlieBlich wird es
auch Anweisungen fur die Klienten selbst geben mussen. Es besteht
also noch allerhand Raum flir die Ausarbeitung eines umfassenden
Programms, das den jeweiligen sprachlichen und Verhaltensanforde
rungen gerecht wird.
Das MURT-Programm ist fur aIle Jugendlichen gedacht, die Probleme
mit den Gesetzen haben, sei es in StrafvoIlzugsanstalten, Erziehungs
heimen oder Beratungsstellen. Es befaBt sich mit dem Ausgleich defizi
tarer Sozialverhaltensweisen und der Korrektur von Einstellungen mit
dem Ziel der Reduktion von Ereignissen, die Probleme schaffen. Der
jeweilige Gegenstand des Trainings ist mitten aus dem taglichen Leben
genommen, befaBt sich also mit Arbeit, Freizeit, Personen und Institu
tionen. Dazu sind 18 Situationskonzepte entwickelt worden, mit deren
Hilfe man lemt, wie man mit Sauberhalten, Kneipe, Bewahrungshelfer,
Hobbies, SchIagereien und dergleichen umgehen kann. Diese decken
einen groBen Teil des fur den Dissozialen unmittelbar relevanten Ver
haltens ab, ohne Anspruch auf Vollstandigkeit zu erheben.
Diese Lebensnahe der Trainingsbezuge, die genaue Ausformulierung
des Vorgehens, die Einbeziehung der Umwelt und die Durchfuhrung
der Prozeduren unter Anleitung von als hinlanglich wirksam bekann
ten Lemprinzipien wird jedem eine meBbare Erfolgsverbesserung in
seinen therapeutischen Bemuhungen bringen, der das Programm kon
sequent durchflihrt.
Munchen, Man 1978 Johannes C. Brengelmann
VIII
Vorbemerkung
Das hier vorgestellte »Modellunterstiitzte Rollentraining« (MURT)
wurde im Rahmen eines wissenschaftlich kontrollierten Vollzugsver
suchs im Jugendvollzug der Justizvollzugsanstalt Neumiinster (Schles
wig-Holstein) entwickelt. Es wurde dort zur psychologischen Entlas
sungsvorbereitung im Sinne der Erhohung sozialer Kompetenz von
jugendlichen Strafgefangenen eingesetzt. Praktikabilitat und Effektivi
tat des MURT wurden empirisch iiberpriift. Der Forschungsplan des
Gesamtprojekts »Vollzugsversuch Entlassungsabteilung« und Ergeb
nisse zu Teilfragestellungen wurden an anderer Stelle publiziert (HOM
MERS, STELLER u. ZIENERT 1976a, b, 1978; HOMMERS u. STELLER 1976).
Die hier vorliegende Arbeit hat nicht den Vollzugsversuch insgesamt,
sondem ausschlieBlich die Beschreibung der verhaltenstherapeutischen
Methode »MURT« zum Gegenstand. Wegen des spezifischen Bezugs
des Trainings zu der Strafvollzugssituation erschien es dennoch notig,
in einem Vorwort den Stellenwert psychologischer Behandlungsver
fahren im Rahmen eines auf (Re-)Sozialisation des inhaftierten
Rechtsbrechers ausgerichteten Strafvollzuges kurz zu problematisie
reno 1m ersten Kapitel werden dann Ziele, Aufgaben und Durchftih
rung des MURT im einzelnen dargestellt. Es werden die Therapieziele,
die Trainingsbereiche und die therapeutische Prozedur aufgrund vor
liegender empirischer Befunde begriindet, und es wird die praktische
Vorgehensweise beim MURT im Sinne einer allgemeinen Traineran
leitung geschildert. 1m folgenden Kapitel wird ein Ausbildungspro
gramm fiir MURT- Trainer begriindet und beschrieben. Es zielt auf die
Heranziehung von Laientherapeuten als MURT-Trainer. Vorteile und
Realisierbarkeit der Obertragung der MURT- Trainerfunktionen auf
Laientherapeuten werden am Beispiel der Ausbildung von Vollzugsbe
amten ftir diese Tatigkeiten dargestellt. Dieses Kapitel enthiilt neben
der theoretischen Curriculurnbegriindung konkretes Arbeitsmaterial
ftir die Ausbildung von Laientherapeuten 1.
1m letzten Kapitel werden achtzehn »Sitzungskonzepte« ftir ein mo
delluntersttitztes Rollentraining mit jugendlichen Delinquenten darge
stellt. Es handelt sich dabei urn Leitfaden flir die Durchflihrung einzel
ner Trainingssitzungen1• Die Sitzungskonzepte enthalten neben einer
einleitenden Begriindung des Trainings Anregungen flir die Entwick-
1 Die Infonnationen und das Trainingsmaterial sind als Arbeitsheft zu diesem Buch
gesondert publiziert.
IX
lung der Lernziele in einer Diskussion zwischen Trainern und Klienten,
einen Beispieldialog flir das Rollentraining und Anweisungen flir die
MURT-Trainer.
Die Entwicklung des MURT ware nicht moglich gewesen ohne die
Mitarbeit zahlreicher Personen und Institutionen. Dem Justizministe
rium des Landes Schleswig-Holstein und der Anstaltsleitung der Justiz
vollzugsanstalt Neumlinster wird an dieser Stelle dafiir gedankt, daB sie
flir Innovationen in ihrem Bereich offen waren. Der Leiterin des Ju
gendvollzuges der JVA Neumlinster, Regierungsratin MAIER-REIMER,
wird besonders flir ihr Verstandnis und ihre weitgehende Unterstlit
zung unserer Arbeit in den zwei Jahren (1974-1976) des Vollzugsver
suchs »Entlassungsabteilung« gedankt, als wir Unruhe in den Bereich
ihrer Verantwortung brachten.
Zahlreiche Studenten des Instituts flir Psychologie der Universitat Kiel
arbeiteten mit uns im Rahmen des Vollzugsversuchs zusammen. Ihnen
allen sei flir die Mitarbeit gedankt. Zwei ehemalige studentische Mitar
beiter sind maBgeblich als Autoren an diesem Buch beteiligt: MAREN
LANGLOTZ, die jetzt als Diplom-Psychologin in der Psychologischen
Abteilung des Max-Planck-Instituts flir Psychiatrie in Mlinchen arbei
tet, und JORG AUSCH, der als Diplom-Psychologe in der N A Neumlin
ster unsere Arbeit in erweitertem Rahmen fortsetzt. Besonders er
wahnt werden solI DOROTHEA HILLEBRAND-KINDLER (jetzt als Diplom
Psychologin in Freiburg tatig), die intensiv an Vorarbeiten zur Ent
wicklung des MURT beteiligt war, das MURT in zwei Erprobungs
halbjahren selbst durchfiihrte und im Rahmen ihrer Diplomarbeit eine
erste Kontrolle der Effekte des MURT vornahm. Wir danken ihr fiir
ihren erheblichen Beitrag zur Konstruktion des MURT und bedauern,
daB er nicht durch eine Autorenschaft in diesem Band deutlich wird, da
DOROTHEA HILLEBRAND-KINDLER unsere Arbeitsgruppe durch ihren
Umzug vor ErstellUng des Manuskripts verlassen muBte.
Nicht zuletzt bedanken wir uns bei den sechs Vollzugsbeamten, die
trotz aller Schwierigkeiten in den Anfiingen (vgl. ihre Erfahrungsbe
richte bei STELLER 1976a) halfen, den Vollzugsversuch »Entlassungs
abteilung« in der Vollzugspraxis der N A Neumlinster fest zu veran
kern. Wir hoffen, daB die 60 Gefangenen, die wahrend des Vollzugs
versuchs am MURT teilnahmen, durch den Kontakt mit ihren Betreu
ungsbeamten und uns Hilfen zur BewaItigung ihrer schwierigen Le
benssituationen erfahren haben.
x
Vorwort der Herausgeber
Nach § 2 des am 1. 1. 77 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetzes
(StVollzG) besteht die vordringliche Aufgabe des Strafvollzuges neben
dem Schutz der Aligemeinheit vor weiteren Straftaten in der Wieder
eingliederung des Verurteilten in die Rechtsgemeinschaft1• Fiir den
Jugendstrafvollzug wurde das Ziel der Wiedereingliederung bereits
1953 im § 91 (1) des Jugendgerichtgesetzes (JGG) ohne Einschran
kungen postuliert2• Riickfallstatistiken und Analysen des Strafvollzu
ges in der Bundesrepublik Deutschland (z. B. MULLER-DIETZ, 1974;
SCHULER-SPRINGORUM, 1969) zeigen, daB der Strafvollzug dieser Auf
gabe zur Zeit nieht gerecht wird. Sie weisen vielmehr darauf hin, daB
der Strafvollzug eher eine kriminogene als eine (re-)sozialisierende
Wirkung auf viele Strafgefangene hat. Die kriminogene Wirkung des
Freiheitsentzuges kann einerseits darin bestehen, daB der Verurteilte
nach seiner Entlassung beziiglich seiner Lebensbedingungen (Beruf,
mitmenschliche Kontakte, Wohnung, finanzielle Sieherung u. a.)
schlechter gestellt ist als vor seiner Inhaftierung. Andererseits kann der
Vollzug einer Freiheitsstrafe dazu fiihren, daB der Gefangene wahrend
der Haft Lebensbewaltigungstechniken erlemt, durch die er zur legalen
Daseinsbewliltigung auBerhalb der Strafhaft schlechter in der Lage ist
als vor seiner Inhaftierung.
Das Strafvollzugsgesetz tragt einem Teil der negativen Folgen des Frei
heitsentzuges Rechnung, indem es eine griindliche Entlassungsvorbe
reitung im Sinne fiirsorgerischer MaBnahmen vorschreibt (§§ 74 und
75 StVollzG). Die psychischen Schaden eines Freiheitsentzuges wer
den yom Gesetzgeber weitgehend ignoriert. Infolgedessen fehlen auch
konkrete Vorschriften zu ihrer Verhiitung. Andererseits hat die Er
kenntnis kriminogener Wirkungen des Strafvollzuges offenbar dazu
gefiihrt, daB das Strafvollzugsgesetz selbst trotz des erklarten Resozia
lisierungsanspruchs (§ 2) auch noch die Vorschrift enthalt, daB »schad
lichen Folgen des Freiheitsentzuges« entgegenzuwirken ist (so in § 3
(2) StVollzG). AuBerdem findet sieh im Strafvollzugsgesetz (§ 147) die
Forderung, offene Anstalten bzw. Abteilungen zur Entlassungsvorbe-
1 § 2 StVollzG (Aufgaben des Vollzuges) lautet: »Im Vollzug der Freiheitsstrafe soIl der
Gefangene fiihig werden, kiinftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten
zu fiihren (Vollzugsziel). Der VoIlzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der
Allgemeinheit von weiteren Straftaten.«
2 § 91 (1) JGG (Aufgabe des Jugendstrafvollzugs) lautet: »Durch den Vollzug der Ju
gendstrafe soIl der Verurteilte dazu erwgen werden, kiinftig einen rechtschaffenen
und verantwortungsbewuBten LebenswandeI zu fiihren.«
XI