Table Of ContentMETZLER LEXIKON
ANTIKER AUTOREN
METZLER LEXIKON
ANTIKER AUTOREN
Mit 61 Abbildungen
Herausgegeben von
Oliver Schütze
J.
Verlag B. Metzler
Stuttgart . Weimar
Inhaltsverzeichnis
Vorwort V
Artikel A-Z 1
Bibliographische Abkürzungen 771
Glossar der Fachbegriffe 773
Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 774
Namenregister 779
Bildquellen 791
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Metzler-Lexikon antiker Autoren / hrsg. von Oliver Schütze.
- I. Auf!. - Stuttgart ; Weimar: Metzler, 1997
ISBN 978-3-476-01547-1
ISBN 978-3-476-01547-1
ISBN 978-3-476-05282-7 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-476-05282-7
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© 1997 Springer-Verlag GmbH Deutschland
Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung
und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1997
VORWORT V
Vorwort
Das Metzler Lexikon antiker Autoren (MLAA) ist ein Nachschlagewerk fur Leserinnen
und Leser antiker Literatur und solche, die es werden wollen. Gerade fur letztere gilt
es, Schwellen zu überwinden, die durch eine von Textstellennachweisen und Te
stimonien beschwerte lexikalische Information nicht niedriger werden. Nun ist die
Frage, wie antike Texte überliefert worden sind, von den Texten selbst nicht zu
trennen; Philologen verfolgen detektivisch Überlieferungsspuren, fugen Textreste in
Archäologenarbeit zusammen und befreien mit Hebammenkunst ganze Schriften aus
anderen Textcorpora - diese besonderen Bedingungen sollte der Leser nicht ver
gessen, wenn er eine moderne Textausgabe in der Hand hält. Die im MLAA
vorgelegten Artikel aber lassen diese Fragen zum größten Teil beiseite und versuchen
statt dessen, die Informationen zu Leben, Werk und Wirkung in ein - kürzeres oder
längeres - Porträt des jeweiligen Autors zu integrieren, das die Voraussetzungen und
Eigenarten seines Schaffens erläutert und so eine Brücke baut zu unserem heutigen
Literatur- und Kulturverständnis. Nicht selten wird hier gewertet und empfohlen -
die Verfasser, allesamt in der Philologie zu Hause, haben die Gelegenheit genutzt,
einmal etwas freier über ihre )Lieblingsautoren< zu schreiben.
Die Zielsetzung dieses Autorenlexikons bestimmt zugleich auch seine Grenzen:
Weder kann es die in einer Literaturgeschichte mögliche Beschreibung von histori
schen Prozessen, etwa der Gattungsgeschichte oder bestimmter literarischer Strö
mungen, leisten noch sind hier alle oder auch nur die meisten der Autoren der
Antike repräsentiert. Die 460 Artikel bieten aber den Großteil der Autoren, über die
sich mehr Mitteilung machen läßt als lediglich die Konstatierung spärlicher Frag
mente und Nachrichten, Autoren, deren Werk in der einen oder anderen Form
Wirkung hatte bis in unsere Tage, sei es als dauerhafter Teil der Weltliteratur,
monurnenturn aere perennius, wie es Horaz errichtet hat, sei es als Quellenwerk, das fur
die heutige historische Forschung von großem Wert ist - unter diesem Aspekt ist
beispielsweise eine größere Anzahl von nur fragmentarisch überlieferten Historikern
aufgenommen worden. Auch wurden die bedeutenden anonymen Texte und Samm
lungen berücksichtigt, etwa der Alexander- und der Trojaroman, die großen Ge
dichtanthologien, die Annales, die Panegyriker, die gnostischen, hermetischen,
orphischen und pseudopythagoreischen Schriften bis hin zu asklepischen Inschriften
und Zauberpapyri. - Auch historische Entwicklungen und literarische Traditions
bildung lassen sich, geht man den impliziten Verweisen (auf einen >Wald< von
Verweispfeilen wurde verzichtet) auf andere Artikel nach, durchaus verfolgen. Frap
pierend ist die Weltläufigkeit der antiken Literatur (erstaunlich allein schon, wie oft
und wie weit gereist wurde!), die sich in der beständigen Bezugnahme auf Früheres
und Gleichzeitiges ausdrückt - »Intertextualität«, und zwar über die ständig präsen
ten Homer und Platon, Vergil und Cicero hinaus, von der sich entfaltenden Tradition
christlicher Literatur ganz zu schweigen.
Gegenstand des Lexikons ist die Literatur der griechisch-römischen Mittelmeer
Oikumene von den Anfängen der überlieferten Literatur im 8. Jahrhundert v. Chr.
bis zum Ausgang der Spätantike (mit einigen >Ausreißern< in die byzantinische Zeit).
VI VORWORT
Neben der klassischen »belletristischen« Tradition sind die Fachschriftsteller gebüh
rend berücksichtigt; das kodifizierte Römische Recht Justinians oder Vitruvs
Architekturtheorie haben die Moderne nicht weniger geprägt als die großen Epen.
Das MLAA bringt u. a. Agrarschriftsteller, Astronomen, Enzyklopädisten, Geo
graphen, Grammatiker, Juristen, Mathematiker, Mediziner, Militärschriftsteller, Mu
siktheoretiker. - Für die Philosophen wurde auf die bewährten Texte aus dem
Metzler Philosophen Lexikon (hrsg. von Bernd Lutz, 2., aktualisierte Auflage 1995)
zurückgegriffen; sie sind hier, mit Ergänzungen zu den Literaturangaben, wiederab
gedruckt. Viele Artikel zu weiteren Philosophen sind neu hinzugekommen, u. a. zu
den Neuplatonikern und Aristoteleskommentatoren sowie zur sog. Zweiten So
phistik. - In welchem Maß Frauen in der Antike Literatur produziert haben, läßt sich
kaum beurteilen; das wenige Überlieferte steht jedenfalls in deutlichem Gegensatz
zu der häufigen Nennung von Dichterinnen und Philosophinnen zumindest in der
griechischen Frühzeit. Alle Autorinnen, von denen aussagefahige Texte bzw. Frag
mente oder wenigstens Zeugnisse vorhanden sind, werden im Lexikon vorgestellt:
Anyte, Cornelia, Egeria, Erinna, Hypatia, Korinna, Moiro, Nossis, Perpetua, Pra
xilla, Proba, Sappho, Sulpicia.
Die Trennung der klassischen antiken Tradition von der christlichen, die aus
pragmatischen Gründen und aufg rund verschiedener Forschungstraditionen meist
vollzogen wird, ist im MLAA vermieden worden. Sehr schnell wird sich dem Leser
der Artikel über die Kirchenväter, die Mönche, die Wanderprediger, die Häretiker,
die Märtyrer und die Kirchenhistoriker offenbaren, wie eng die Verbindungen
zwischen der klassischen Tradition und der um Identitätsfindung und Konsolidierung
bemühten Christenheit waren. Vielfach versuchten die christlichen Autoren (z. B.
Prudentius oder Laktanz) mit dem Rekurs auf das klassische Erbe die gebildeten,
traditionsbewußten heidnischen Römer zu gewinnen; im Neuplatonismus gab es
ohnehin fließende Übergänge von der heidnischen in die christliche Religion - oder
aber den Versuch, eine konkurrenzfahige, philosophisch untermauerte pagane Reli
giosität dem attraktiven Christentum gegenüberzustellen. Der Kreis um den römi
schen Stadtpräfekten und heftigen Traditionalisten Symmachus, aus dem heraus spät
noch einmal klassische Dichtung (Naucellius, Namatian) und die Pflege der klassi
schen Autoren (Servius, Macrobius) betrieben wurde, ist ohne die Gegnerschaft zu
den Christen - Symmachus verlor ja den Streit um die Wiederaufstellung der
Victoria-Statue im römischen Senat gegen den Bischof Ambrosius - kaum zu
verstehen. Das MLAA ermöglicht den Blick auf zahlreiche Spielarten des Christen
und des paganen Lebens in der spätantiken Welt und ihren literarischen Ausdruck.
Technisches: Die Literaturangaben der Artikel sind unterteilt in die Abschnitte »Edi
tionen« und »Literatur«. Unter »Ed.« finden sich die wichtigsten Texteditionen, aber
auch - nicht eigens von den kritischen Editionen unterschieden - zweisprachige
Ausgaben mit einem bloßen Lesetext des Originals sowie einsprachige Über
setzungen, schließlich Kommentare. Bei den Übersetzungen wurden in der Regel
die zweisprachigen Ausgaben der Reihe Tusculum (Zürich, München bzw. Düssel
dorf), der Bibliothek der Alten Welt (Zürich, Stuttgart), der Loeb Classical Library
(Cambridge, Mass. und London) und der Collection Bude (Paris) angeftihrt. Der
VORWORT VII
Erscheinungsort gilt bei den Angaben zugleich als Hinweis, in welche Sprache
übersetzt wurde. - Unter »Lit.« ist grundlegende und aktuelle Einfuhrungs- und
Forschungsliteratur in Auswahl verzeichnet.
Griechische Begriffe erscheinen im Lexikon generell in Umschrift, wobei (langes)
Eta und Omega mit Strich über dem Vokal bezeichnet sind und der Akzent,
stellvertretend für alle Formen griechischer Akzente, lediglich einen Hinweis auf die
Betonung des Wortes geben soll.
Am Schluß muß der Dank stehen: Er gilt vor allem den 150 Autorinnen und
Autoren, Fachwissenschaftlern von Graz bis Rostock, von Bern bis Dresden, die das
Anliegen dieses Lexikons bereitwillig und rasch aufgegriffen und mit Anregungen
und Empfehlungen nicht gespart haben. Ist das, in Zeiten von Sparbeschlüssen und
Fachbereichsschließungen, als Zeichen zunehmender Lebendigkeit der Altertums
wissenschaften zu nehmen? - Julia Schülli ist zu danken, die im Verlag die Redak
tionsarbeit unterstützt und die Bildredaktion innegehabt hat. Stellvertretend fur
viele, die hier genannt werden sollten, danke ich Professor Kai Brodersen, dem das
Lexikon eine ganze Reihe ausgezeichneter Verfasser verdankt und der in kritischer
Sekunde mit Rat und Tat, nämlich eigenen Texten, zur Stelle war. Dr. Peter
Habermehl danke ich ganz besonders: Er hat - ganz abgesehen von seinen eigenen
Textbeiträgen - nicht nur treffsichere Empfehlungen für viele Artikelverfasser ausge
sprochen, sondern auch die Artikelliste mahnend und ergänzend mitgestaltet. - Alle
Lücken und Unzulänglichkeiten des Lexikons hat der Herausgeber allein zu verant
worten.
Stuttgart, im August 1997 Oliver Schütze
ACCIUS I
Accius
Lucius Accius; geh. 170 v.Chr. vermutl. in Pisaurum; gest. um 80 v.Chr.
»Mag das Volk hassen, wenn es nur fürchtet!« Der Ausspruch des Atreus (frg. 203) aus
dem gleichnamigen Stück ist früh zum geflügelten Wort geworden, das u. a. im
Munde des Caligula seine zynische Kraft bewies. Er zeigt die Gabe des Tra
gödiendichters, seinen Gestalten durch rhetorische Zuspitzung pathetischer Verse
Profil zu verleihen. Auch privat hat der Sohn freigelassener Eltern die pathetische
Geste bevorzugt: Der stolze Vorsteher der Dichtergilde zu Rom lehnte es ab, sich vor
dem mächtigen Julius Caesar Strabo zu erheben, wenn dieser die Tagungshalle betrat:
schätzte er doch dessen Tragödien geringer als die eigenen. Der Selbsteinschätzung
entsprach die Achtung, die seine Stücke - wir kennen ca. 50 Tragödientitel, darunter
sicher Doppeltitel; erhalten sind etwa 700 zerstreute Verse - genossen: Das »Blut«,
nicht die technische Perfektion seiner Tragödien war es, das ihm zu seinem Rang als
größtem Tragödiendichter der römischen Republik verhalf. Das Zugespitzte der
Stücke äußert sich sprachlich in einer Vielzahl rhetorischer Kunstgriffe (besonders
der Antithese gleichklingender Begriffspaare: 4ff., 296 und 103 f.), anekdotisch in der
Frage an den Dichter, weshalb er angesichts der Überzeugungskraft seiner Verse nicht
die Laufbahn des Redners eingeschlagen habe. "Weil in der Dichtung ich selbst
bestimme, was gesagt wird«, hat er geantwortet (Quint. inst. 5, 13,43). Zum Pathos
tragen die Häufungen »dunklen< Wörter bei, wie überhaupt die Vorliebe für barocke
Überzeichnung (»Der Bruder selbst gebeut, daß ich mit eignern Zahn / Zerkauen
sollt' die Söhne« erinnert sich Thyest 229f.). Gern wählt A. vollklingende Wort
körper, denen zuliebe die Charakterisierung der Handelnden zurücktritt. Hinsicht
lich des Sujets zeigt er neben der Wahl gängiger Stoffe aus dem mykenischen (Atreus,
Aegisthus, Clytemestra), troischen (Achilles, Astyanax, Armorum Iudicium, Phi/octet, Troa
des) und thebanischen Kreis (Phoenissae, Antigona, Epigoni, Eriphyla, Bacchae) Vorliebe
für entlegenere Fabeln (Persidae, Hellenes). Zwei Stücke haben römisches Sujet
(Aeneadae sive Decius und Brutus). Hervorzuheben ist die Benutzung auch helleni
stischer Vorlagen (Stasiastae vel Tropaeum Lihen), womit das Problem der Selbständig
keit des Dichters verbunden ist. Grundsätzlich gilt, daß A. wie seine Vorgänger
griechische Vorlagen »übersetzt«. Der Grad der Selbständigkeit wird bei ihm im
allgemeinen - vielleicht nicht zu Recht - hoch angesetzt. Auch als poeta doctus
hellenistischer Prägung war A. tätig: Wir besitzen noch wenige Fragmente der
Didascalica (behandelt wurde die griechische und römische Theatergeschichte, z. T.
mit unzuverlässigen Informationen), der literarischen Streitschrift Pragmatica und der
Sotadica, aus denen ein satirisches Fragment erhalten ist. Nichts sagen läßt sich über
die Parerga, wenig über die Annales, ein historisches Epos in der Enniustradition. Die
Dramen des A. sind um die Wende zum I. Jh. allgemein bekannt, beeinflussen die
Übersetzungen Ciceros - der dem Dichter übrigens noch persönlich begegnete -
und werden zu dessen Zeit häufig aufgeführt. Ein Einfluß auf Senecas Tragödien ist
besser vorstell- als nachweisbar. In der Archaistenzeit (2. Jh. n.Chr.) wird er wieder
gelesen. Danach verliert sich die Spur. Nonius Marcellus verfügt im 4. Jh. zwar noch
über drei Sammelbände, doch darf dessen kuriose Bibliothek nicht als exemplarisch
gelten.
2 ACCIUS
Ed.: Tragödien: TRF; andere Werke: FPL; E. H. Warmington, Remains of Old Latin. Bd. 2.
Cambridge, Mass. 1936 u. ö. [Übers.]; J. DangeI, A. Oeuvres (fragments). Paris 1995 [ausf. Ein!. und
Komm.]. - Lit.: F. Leo, Geschichte der Römischen Literatur. Berlin 1913.
Klaus Lennartz
Achilleus Tatios
2./3. Jh. n. ehr.; aus Alexandria
Wie von den übrigen griechischen Romanautoren ist auch vom Leben und von der
Person des A. nichts bekannt. In dem byzantinischen Lexikon Suda wird berichtet, er
habe sich zum Christentum bekehrt, ja, er sei sogar Bischof geworden. Der Grund
fur die Legendenbildung, die sich um die Person des A. rankt, mag in der Beliebtheit
seines Romans Leukippe und Kleitophon in byzantinischer Zeit liegen und in dem
Versuch, das Werk fur den christlichen Leser zu retten. Wie Longos, der wohl sein
Zeitgenosse war, beginnt auch A. seinen Roman mit einer ausfuhrlichen Bild
beschreibung. Der Erzähler steht in der phönizischen Stadt Sidon staunend vor
einem Gemälde, auf dem die Entfuhrung Europas durch den in einen Stier ver
wandelten Zeus dargestellt ist. Er ist erschüttert von der Allgewalt der Liebe. Da
gesellt sich ein junger Mann namens Kleitophon zu ihm, der sich anbietet, ihm seine
Liebesgeschichte zu erzählen, die alles Bisherige an Verwicklungen und Gefahren
überbiete. A. arbeitet mit den stereotypen Elementen des Romans (Trennung des
Liebespaares Kleitophon und Leukippe, EntfUhrung durch Seeräuber, Gefährdung
des Lebens und der Treue der Liebenden), die er allerdings in oft überraschender
Weise verändert. Zweimal ist Kleitophon - und mit ihm der Leser - der Meinung,
daß Leukippe tatsächlich umgebracht worden sei; beide Male stellt sich jedoch das
Ganze als eine Inszenierung heraus. A. erzeugt diese Spannung, indem er den Leser
die ganze Geschichte aus der Perspektive des Haupthelden in personaler Erzählweise
miterleben läßt. Auch mit der Treue des Helden ist es nicht gut bestellt: Er erliegt
den Verfuhrungskünsten der (angeblichen) Witwe Melite, heiratet sie und muß um
sein Leben fUrchten, als der totgeglaubte Ehemann Melites heimkehrt. Doch auch
diese an Verwicklungen reiche Geschichte fuhrt zu dem fur die Gattung verpflich
tenden happyend und zur Ehe von Leukippe und Kleitophon.
A. bevorzugt einen prunkvollen (asianischen) rhetorischen Stil. Im Unterschied zu
den anderen erhaltenen Romanautoren baut er längere wissenschaftliche oder pseu
dowissenschaftliche Exkurse in seine Erzählung ein (z. B. zu den Vor- und Nach
teilen der hetero- und homosexuellen Liebe, II 35-38). Rhetorische Prunkstücke
sind seine Bildbeschreibungen mit Szenen aus bekannten Mythen (Europas EntfUh
rung, I I; Andromeda und Prometheus, III 6-8; Tereus und Philomela, V 3-5). Ein
Glanzstück ist auch die an erotischer Symbolik reiche Gartenschilderung am Ende
des ersten Buchs.
Ed.: J.-Ph. Garnaud. Paris 1991 [mit Übers.]; B. Kytzler (Ed.), Im Reiche des Eros. Bd. 2. München
1983, 174-332 [Übers.]. - Lit.: K. Plepelits, A. In: G. Schmeling (Ed.), The Novel in the Ancient
World. Leiden u. a. 1996, 387-416; S. Bartsch, Decoding the Ancient Nove!. Princeton 1989;
N. Holzberg, Der antike Roman. München, Zürich 1986, 103 ff.
Bernhard Zimmermann
ACTA 3
Acta der Scillitanischen Märtyrer -. Perpetua
Aelian
Claudius Aelianus; geb. um 170 n. Chr. in Praeneste; gest. um 230 n. Chr.
Antike und Moderne nennen A. einen Sophisten und zählen ihn zu den Vertretern
der nach Philostrat sog. Zweiten Sophistik. Diese Sophisten stammen aus den
griechischsprachigen Teilen des Römischen Reiches. Es sind virtuose Redner, die
besonders die Kunst der Stegreifrede beherrschen, fur ihre Reden vor unter
schiedlichem Publikum viele Reisen unternehmen, durch ihr Redetalent in hohe
Ämter gelangen. Ihre Reden orientieren sich stilistisch und inhaltlich an der griechi
schen Klassik. Man spricht hier von einer »Renaissance« eines Attizismus sprachlicher
und inhaltlicher Art, deren Ursache im erstarkten Selbstbewußtsein der griechischen
Städte des Ostens vermutet wird. A. hingegen ist Römer und rühmt sich, kein
anderes Land als Italien gesehen zu haben, wie Philostrats Sophistenviten (11 3 I)
berichten. Er lernt dennoch Griechisch, obwohl er Italien nie verlassen wird, und
erreicht darin die Perfektion eines Einwohners von Attika. Er ist Schüler des
Sophisten Pausanias, bewundert den Sophisten Herodes Attikus, lehnt aber die
Bezeichnung Sophist fur sich ab. Aus Bescheidenheit und im Wissen um seine
wahren Qualitäten, so Philostrat, verlegt er sich im Gegensatz zu seinen Vorbildern
aufs Schreiben. Hier setzt sich seine zwischen Attizismus und Römertum gespaltene
Haltung fort. Zwar schreibt A. sämtliche Werke in griechischer Sprache und erfullt
dabei die Maßstäbe des Attizismus, sein Selbstverständnis aber definiert sich über sein
Römertum. Er verteidigt römische Werte in einer nicht erhaltenen Schrift gegen
einen jüngst verstorbenen Princeps, womöglich Elagabal. Er kann auch nicht wider
stehen, in die Bunten Geschichten (poik{[e historfa) immer wieder stolz römische
Errungenschaften einzuflechten und als Verfechter des mos maiorum aufzutreten.
Dafür erntet er Anerkennung bei seinen Mitbürgern. - Nachdem er den Sophisten
nicht zugeordnet werden möchte, würde sich A. selbst wohl am ehesten den
Philosophen zuordnen. Zumindest weisen ihn die Titel einer oder zweier nur
fragmentarisch erhaltener Schriften (Über die Vorsehung und Über die Erscheinungs
weisen des Göttlichen) als Stoiker aus. Sowohl die Sammlung von Tiergeschichten (Perf
z6ön idi6tetos), als auch die unvollendete und unvollständig überlieferte Sammlung
von »Geschichten aus der Geschichte«, Poik{[e historfa, demonstrieren, teilweise stark
moralisierend, Prinzipien der Stoa. Der moralische Zeigefinger wird nur fur die
Bauernbriefe (Epistolar agroikikar) zugunsten frivoler Unterhaltung leicht gesenkt. -
Unterhaltung und Belehrung sind die Prinzipien, die A. innerhalb seiner Schriften
befolgt. Entlegenes suchen, Buntes bunt mischen und dabei immer der Wahrheit
dienen will er laut Prolog und Epilog seiner Tiergeschichten. Diese Prinzipien haben
seiner Nachwelt nicht immer zugesagt. Seine Werke dienten Späteren vornehmlich
als Quellen- und Zitatensammlung. Die Literaturgeschichte der Moderne hält die
Klassifikation des »Buntschriftstellers« ftir ihn bereit.
Ed.: Briefe und Fragm.: D. Domingo-Foraste. Stuttgart, Leipzig 1994; K. Treu, Aus Glykeras Garten.
Leipzig 1982 [Übers. der Briefe]; Varia Historia: M. R. Dilts. Leipzig 1974; A. Lukinovich/ A.-F.