Table Of ContentAgnes Elting (Hrsg.)
Menschliches Handeln und Sozialstruktur
Menschliches Handeln
und Sozialstruktur
Leonhard Lowinski zum 60. Geburtstag
Agnes Elting (Hrsg.)
Leske Verlag + Budrich GmbH, Opladen 1986
CIP-Kurztite1aufnahme der Deutschen Bibliothek
Menschliches Handeln und Sozialstruktur:
Leonhard Lowinski zum 60. Geburtstag IAgnes Elting (Hrsg.).
- Opladen: Leske + Budrich, 1986.
ISBN 978-3-322-93770-4 ISBN 978-3-322-93769-8 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-322-93769-8
NE: Elting, Agnes [Hrsg.]; Lowinski, Leonhard: Festschrift
© 1986 by Leske Verlag + Budrich GmbH, Leverkusen
Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1986
Gesamtherstellung: Beltz Offsetdruck. Hemsbach/Bergstraße
Vorwort
Der akademische Brauch, die Verdienste eines Gelehrten durch eine wissenschaftliche
Festschrift zu ehren, gibt Freunden, Kollegen und Schülern Gelegenheit, ihre besonde
re Wertschätzung und Hochachtung gegenüber der Persönlichkeit des Jubilars und seines
beruflichen Lebenswerkes durch eine Festgabe, in die sie Beiträge mitten aus ihrem ei
genen Schaffen einbringen, öffentlich zu bekunden.
In den Leonhard Lowinski aus Anlaß seines sechzigsten Geburtstages gewidmeten
Aufsätzen der vorliegenden Festschrift offenbaren sich das breite Spektrum des wissen
schaftlichen Interesses und die weitgespannten Forschungsgebiete des Jubilars. Zugleich
gewinnen jene gesellschaftlichen Bereiche mIt ihren sozialen Problemfeldern deutlich
Konturen, auf die sein soziologisches Denken konzentriert ist und auf die er durch sein
sozialpolitisches Handeln Einfluß nimmt.
Wenngleich auch aufgrund seiner vieIfliltigen Forschungstätigkeit nur schwerlich
möglich, so lassen sich doch mit den Arbeitsgebieten Wohnungs- und Siedlungssozio
logie, Erziehungs- und Familiensoziologie und Fragen der Wirtschaftsordnung und
Wirtschaftspolitik einige Schwerpunkte des wissenschaftlichen Werkes Leonhard
Lowinskis markieren. Den Ausgangspunkt seiner ideenreichen, differenzierten und
systematischen Analysen bilden stets die sozialen, politischen und ökonomischen
Strukturen der Realität.
Wissenschaft und Forschung mit praktischem Wirken zu verbinden, dies ist die
zentrale handlungsleitende Maxime Leonhard Lowinskis und bestimmt entscheidend
sein umfassendes, vielseitiges und reiches Schaffen, sie kennzeichnet seinen persönli
chen und beruflichen Lebensweg. Insbesondere über sein engagiertes gesellschaftspoli
tisches Wirken transferiert er seine theoretischen Erkenntnisse unmittelbar in die
soziale Praxis. Trotz seiner zahlreichen, verantwortungsvollen Aufgaben in Forschung
und Lehre und seinem aktiven Mitwirken in der akademischen Selbstverwaltung
erübrigt Leonhard Lowinski in bewundernswerter Einsatzfreude die Zeit ftir sein ent
schiedenes sozial poli tisches Engagement.
Mit hohem Sachverstand, einem Blick ftir die übergreifenden Fragestellungen und
einem sicheren Gespür ftir das Erreichbare und Durchsetzbare erkennt und durchdringt
er die anstehenden Aufgaben· und Problemstellungen, wobei ihm enges Fachdenken
zutiefst fremd ist.
Seinen Mitmenschen begegnet Leonhard Lowinski mit großer Toleranz und tiefer
Liberalität, mit Achtung und Freundlichkeit, charakteristisch ist vor allem sein ver
mittelndes und ausgleichendes Wesen sowie sein ausgewogenes und dezidiertes Urteils
vermögen.
VI Vorwort
Leonhard Lowinski ist ein engagierter akademischer Lehrer mit einer besonderen
Anziehungskraft auf junge Menschen. Bestechend sind seine außergewöhnlichen
didaktischen Fähigkeiten, mit denen er seine Studenten für wissenschaftliche Frage
stellungen zu begeistern und sie in den Forschungsprozeß zu integrieren vermag. Die
Beziehungen zwischen ihm und seinen Studenten sind sehr persönlich und zwanglos,
oftmals geradezu herzlich gestaltet, ihren speziellen Problemen zeigt er sich stets
aufgeschlossen und um Rat und Hilfe bemüht.
Mit selbstlosem Einsatz und großem diplomatischen Geschick tritt Leonhard
Lowinski beharrlich und ftirsorglich ftir die Belange und Anliegen seiner Mitarbeiter,
aber auch vieler seiner jüngeren Kollegen ein. Gleichzeitig ist er ihnen Initiator neuer
Gedanken und Ideen und versteht es, durch kritische Anregungen und gezielte Fragen
auf die Beachtung weiterer Aspekte und Perspektiven hinzu wirken und somit einen
wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung ihrer Forschungsarbeit zu leisten. Die weitere
persönliche Entwicklung seiner Schüler und Mitarbeiter verfolgt er mit regem Interesse
und innerer Anteilnahme. Nicht wenige seiner Schüler haben heute einflußreiche
Positionen in Wissenschaft, Forschung, Schule, Industrie, Verwaltung und Politik inne.
Die von tiefer Menschlichkeit und geistiger Ausstrahlung getragene Persönlichkeit
Leonhard Lowinskis hat seine Schüler besonders nachhaltig beeindruckt. Ihrem Lehrer
flihlen sie sich noch heute in Dankbarkeit verbunden, seine Persönlichkeit ist ihnen stets
ein Vorbild.
Mit dem Titel des Festbandes Menschliches Handeln und Sozialstruktur wurde ledig
lich der thematische Rahmen ftir die Festschriftaufsätze vorgegeben, die einzelnen Bei
träge entfalten ihre eigene Besonderheit. Gleichwohl stehen sie in einer sehr persönlichen
Beziehung zum Jubilar, da in jeder Abhandlung trotz ihrer differenten Problemstellun
gen und heterogenen Theorieinteressen der nachhaltige Einfluß und die. prägende
Wirkung Leonhard Lowinskis auf die Autoren deutlich spürbar ist und einen Eindruck
der umfassenden Anregungen und intensiven Förderungen, die der Jubilar jedem Mit
arbeiter zugute kommen läßt, vermittelt.
Die Vielfalt der sich in den Einzelbeiträgen manifestierenden Forschungsinteressen
kann nur einen begrenzten Ausschnitt der Breite des Geistes und der Weite des Hori
zonts des Jubilars widerspiegeln. Bei weitem kann nicht der Anspruch erhoben werden,
alle Bereiche und Intentionen des wissenschaftlichen Werkes Leonhard Lowinskis zu
umspannen, vielmehr legt die Festschrift ihren Hauptakzent auf die Diskussion sozial
wissenschaftlicher Grundprobleme, auf Fragen der Erziehungs-und Familiensoziologie
sowie auf praktische Wirkungsbereiche der Soziologie.
Im vorangestellten Festschriftbeitrag Leonhard Lowinski - Der Mensch und sein
Werk würdigt Heribert 1. Becher den Lebensweg und das Lebenswerk des Jubilars und
stellt eindrucksvoll heraus, daß sich der Schüler Alfred Müller-Armacks und Joseph
Höffners, getragen von seiner sozialethischen Grundhaltung und von nationalökono
mischen Überlegungen, brennenden sozialen Problemen zuwendet und auf der Crundlage
differenzierter soziologischer und ökonomischer Strukturanalysen sowie breit ange
legter empirischer Forschungen sozialpolitische Programme und Initiativen entwickelt.
Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse und Arbeitsergebnisse fließen über die zahlrei
chen von ihm wahrgenommenen beraterischen und politischen Tätigkeiten unmittelbar
in Entscheidungs-und Handlungsprozesse ein.
Vorwort VII
Zugleich wirken seine gesellschaftspolitischen Aktivitäten und die dabei erworbenen
praktischen Kenntnisse direkt zurück auf seine in wissenschaftlichen Fachkreisen viel
beachtete und hoch geschätzte publizistische Arbeit, in die das umfangreiche, im An
schluß an die Würdigung zusammengestellte Verzeichnis seiner Schriften einen Einblick
vermittelt. Sein gehaltvolles und weitgespanntes publizistisches Werk stellt eine Synthese
seiner fundierten wissenschaftlichen und praktischen Erfahrungen dar und ist ein Be
weis der Fruchtbarkeit seiner wissenschaftlichen Tätigkeit und der Aktualität der
Fragestellungen, denen er sich widmet.
Im Abschnitt Sozialwissenschaftliche Grundprobleme und soziale Struktur wird die
gegenwärtige soziologische Theoriediskussion durch neue Aspekte und Perspektiven
bereichert. Trotz der Unterschiedlichkeit der bearbeiteten Themenstellungen läßt sich
tendenziell eine Gemeinsamkeit in der Argumentation der Beiträge konstatieren:
zur Weiterentwicklung sozialwissenschaftlicher Theoriekonzeptionen wird von den
Verfassern, wenn auch auf verschiedenen Ebenen der Theorienbildung, die Forderung
nach Theorienintegration erhoben, bzw. deren Implikationen analysiert.
Für Alois G. Brandenburg nimmt das Identitätskonzept, in das im wesentlichen
Theorieelemente des Symbolischen Interaktionismus und der Psychoanalyse einfließen,
in verschiedenen Bereichen soziologischer Forschung eine Schlüsselstellung ein. Die
Relevanz des Konzeptes der Identität für die aktuelle Theoriebildung sieht Brandenburg
in seinem Beitrag Wertorientierung und soziale Integration. Bemerkungen zur Diskus
sion des Identitätskonzepts in der Soziologie eng verknüpft mit der traditionsreichen
Frage nach den theoretischen und praktischen Bedingungen einzelmenschlicher Auto
nomie und individueller Selbstbestimmung im Rahmen sozialer Systeme, welche er
hier erneut aufgreift und mit Hilfe des Begriffs der Ich-Identität neu konzipiert. Wäh
rend einige Theoretiker die Balance zwischen dem je gegebenen Horizont normativer
Erwartungen und den lebensgeschichtlich erworbenen Besonderheiten der individuellen
Handlungsorientierung in den Vordergrund stellen, wird von anderer Seite dieser Ba
lanceakt vehement als das Bemühen eines "Fassadenarbeiters" , der mit vorgefertigten
Versatzstücken vergeblich eine brüchige Originalität herzustellen sucht, kritisiert.
Brandenburg hingegen verdeutlicht, daß beide Ansätze einen Kernbereich sozialen
HandeIns, der für das Verständnis sowohl personaler als auch sozialer Identitätsprozesse
unerläßlich ist, undiskutiert lassen: die Notwendigkeit, das kulturelle Wertsystem als
Bezugsgröße sozialen HandeIns, die nicht in zweckrationalem und adaptivem Handeln
aufgeht, zu berücksichtigen. Generelle Wertbindungen jenseits institutionalisierter
Handlungsnormen müssen als wichtige Determinanten des sozialen Wandels begriffen
werden, wobei die Kompetenz, unabhängig von Gruppenzugehörigkeiten. individuelle
Antriebsstrukturen in die Interpretation allgemeingültiger Wertmuster einzubeziehen,
als Voraussetzung einer authentischen und stabilen Ich-Identität gilt.
In ihrem Beitrag Symbolsysteme und Handlungsmuster. Elemente /Ur eine semio
logische Pragmatik verfolgt Brigitte Nerlich die Intention, die Theorieelemente zweier
komplementärer, sprachphilosophiseher lind soziologischer Ansätze zu einer integrierten
Theorie symbolischen Handeins zu verarbeiten. Dabei bezieht sie sich zum einen auf
die Sprachanalysen Saussures und Wittgensteins, zum anderen auf die Gesellschafts
analysen in der Tradition Durkheims und des Symbolischen Interaktionismus und
erbringt den Nachweis, daß gesellschaftliches wie auch sprachliches Handeln nur unter
sucht werden kann, wenn Gesellschaft bzw. Sprache nicht allein als integriertes System,
VIII Vorwort
sondern auch als symbolische Interaktion betrachtet wird. Sprachliches Handeln in
seinem synchronen Funktionieren und in seinem diachronischen Wandel ist folglich
nur als soziales bzw. rituelles Handeln, soziales Handeln nur als symbolisches Handeln
analysierbar. Diese Betrachtungsweise führt Nerlich konsequenterweise zu einem Plä
doyer ftir eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Soziologie, Psy
ch~logie und Linguistik im Rahmen einer semiologischen Pragmatik, einer soziologischen
und linguistischen Handlungs-und Zeichentheorie. .
Vor dem Hintergrund neuerer Erkenntnisse der Life Sciences entwirft Heiner Flohr
ein Konzept, das zugunsten einer weitgehenden Konzentration auf kulturelle Aspekte
zum Verständnis menschlichen Sozialverhaltens eine Integration biologischer und kul
tureller Momente anstrebt. In seinem Aufsatz Unsere biokulturelle Natur. Für die
Beachtung der Biologie bei der Erklärung menschlichen Sozialverhaltens konstatiert
Flohr, daß die Sozialwissenschaften, indem sie menschliches Sozialverhalten überwie
gend durch Hinweise auf kulturelle Faktoren erklären, biologischen Faktoren, die
ebenso auf das Sozialverhalten einwirken, dagegen weniger Beachtung schenken. Eine
angemessene Erklärung menschlichen Verhaltens ist rur ihn oft nur möglich unter
Einbeziehung biokultureller Theorieansätze, die sozialwissenschaftliehe und biowissen
schaftliche Arbeitsweisen gleichermaßen einbeziehen. Allein durch eine solche Verbin
dung läßt sich eine extrem einseitige Sichtweise menschlichen Sozialverhaitens, wie sie
sich im "Biologismus" und "Kulturismus" äußert, vermeiden. Anhand von Beispielen
aus verschiedenen Bereichen der Sozialwissenschaften zeigt Flohr die Möglichkeit und
Fruchtbarkeit dieser biokulturellen Perspektiven auf.
In ihrem Beitrag über die Bedeutung des Paradigmakonzepts für eine integrative
Vermittlung ätiologischer und definitorischer Erklärungsansätze in der Devianzjor
schung konstatieren Jiirgen Camus und Agnes Elting für die derzeitige Devianzforschung
eine weite Bereiche tangierende Stagnation, die sich ihrer Ansicht nach nur mittels ver
stärkter Bestrebungen um eine integrative Vermittlung ätiologischer und definitorischer
Deutungskonzeptionen überwinden läßt. Wie dargelegt wird, ist die Analyse einer sol
chen integrationstheoretischen Fragestellung aufgrund der grundlagentheoretischen Ver
schiedenartigkeit der Erklärungsbeiträge nur leist bar auf der Basis einer systematischen
Auseinandersetzung mit dem ftir die einzelnen Ansätze konstitutiven theoretischen
und methodologischen Grundverständnis. Die unterschiedlichen, sich teilweise kon
trovers und unversöhnlich gegenüberstehenden Erklärungsmodelle abweichenden
Verhaltens werden hierbei zwei zugrundeliegenden wissenschaftstheoretischen inter
pretations- und Bezugssystemen subsumiert, womit der jeweils charakteristische
theoretische Argumentationsrahmen und die jeweils spezifische methodische Vorge
hensweise weitgehend determiniert wird. Zur Differenzierung und Charakterisierung
der kontroversen Diskussion zwischen den Vertretern ätiologischer und definitorischer
Theorieansätze um eine inhaltlich und methodisch adäquate Analyse im Bereich der
Abweichungsforschung und zur Verdeutlichung des aktuellen Problemstandes und der
gegenwärtigen Entwicklungstendenzen der divergierenden Grundstrukturen der heiden
konstitutiven wissenschaftlichen Konzt!ptionen und Ansätze wird hiernach auf das von
Kuhn formulierte Paradigmakonzept rekurriert. Basierend auf diesen Grundlagen
zeigen die Autoren - den theoretischen und forschungspraktischen Implikationen des
Paradigmakonzepts Kuhns folgend - Möglichkeiten und Grenzen einer integrativen
Vermittlung, Ergänzung und Verknüpfung differenter Theorieelemente und -aspekte
Vorwort IX
der alternativen devianztheoretischen Erklärungsbeiträge auf und erarbeiten einen
umfassenden Kriterienkatalog zur Analyse und Beurteilung integrationstheoretischer
Konzeptionen und Modelle.
Die Beiträge des folgenden Kapitels sind von der Absicht getragen, die Relevanz von
Bildung, Erziehung und pädagogischem Handeln im Kontext unterschiedlicher Deu
tungskonzeptionen der pädagogischen Soziologie zu diskutieren.
In seinem Aufsatz Bildungsinteresse und funktionaler Zwang. Nachträge zur Päd
agogischen Soziologie Emile Durkheims und Max Webers analysiert Klaus Plake die
erziehungssoziologischen Vorlesungen Durkheims und die Ausführungen zum chinesi
schen und modernen Bildungs- und Prüfungssystem Webers, um Ähnlichkeiten und
Unterschiede in den Denkmustern dieser beiden soziologischen Klassiker deutlich zu
machen. Es zeigt sich, daß sowohl Durkheims als auch Webers Soziologieverständnis
nicht auf konträre axiomatische Raster projiziert werden dürfen. Webers Theorie des
Anstaltsstaates läßt eine, allerdings historisch relativierte, Affinität zum "Funktiona
lismus" Durkheims erkennen. Entgegen weithin akzeptierter Kategorisierungen geht
Weber bei seinen Studien zur Entwicklung des modernen Bildungswesens von einem
objektivistischen Standpunkt aus, während Durkheim auf die Bedeutung interpretativer
Prozesse verweist. Mit seiner Analyse des Verhältnisses von trügerischer Übereinstim
mung und scheinbarer Gegensätzlichkeit, das nach Auffassung des Verfassers das
Lebenswerk beider kennzeichnet, wird eine neue Interpretation der gegenseitigen
Nichtbeachtung dieser beiden großen Soziologen nahegelegt.
Fragen der Theorie pädagogischen HandeIns aus der Sicht des späteren erziehungs
philosophischen Ansatzes von Cohn erörtert Wolfgang K. Schulz in seinen Ausftihrungen
zur Bedeutung der Erziehungstheorie Jonas Cohns fiir die gegenwärtige Diskussion der
Pädagogik. Durch den von ihm vorgenommenen Vergleich mit der Erziehungs- und
Bildungstheorie, die Litt in seiner Studie, Führen oder Wachsenlassen, vorgelegt hat,
arbeitet Schulz die philosophischen' Grundlagen der Cohnschen Theoriekonzeption
heraus. In der daran anschließenden Auseinandersetzung mit aktuellen Bestrebungen
um eine pädagogische Handlungstheorie wird offenkundig, welcher Stellenwert dem
erziehungsphilosophischen Theorieentwurf Cohns in der erziehungswissenschaftlichen
Diskussion gegenwärtig zukommt. Seine Relevanz besteht flir Schulz unter anderem in
der werttheoretischen Fundierung der pädagogischen Handlungstheorie, in der Vermitt
lung von makro-und mikroanalytischen Betrachtungsweisen und in der darin eingebet
teten Strukturanalyse pädagogischer Prozesse, die sowohl genetisch als auch kulturspe
zifisch angelegt ist.
Mit der Problematik der Theorie und Praxis des sozialen Lernens im Bereich der
schulischen Sozialisation beschäftigt sich Arthur Kühn. Dabei betrachtet er das schuli
sche Leben als ein komplexes Phänomen, das sich aus vielen persönlichen und sozialen
Faktoren zusammensetzt. Die Soziologie wendet sich den sozialen Lernfeldern dieses
Geschehens mittels der Kategorie Sozialisation zu. Nach Meinung des Verfassers hat
die Erziehungswissenschaft die pädagogische Reflexion über soziale Lernfelder des
schulischen Lebens, über soziales Lernen, inzwischen als Herausforderung zu neuen
und wichtigen Ansätzen erkannt, bei deren Analyse Soziologie und Pädagogik nach
Möglichkeit zusammenwirken sollen. Die vorliegende Abhandlung, die zugleich einen
Überblick über aktuelle Literatur zur Thematik des sozialen Lernens vermittelt, gibt
eine Zusammenschau dieser Kooperation sowohl auf theoretischer als auch auf prak-
x
Vorwort
tischer Ebene und verdeutlicht, daß der umfassenden theoretischen Vorarbeit teilweise
die übersetzung in die Praxis fehlt bzw. noch folgen muß. Zum Zwecke einer inten
siveren und bewußteren Förderung des sozialen Lernens in der Schule fordert Kühn
eine engere Zusammenftihrung der theoretischen und praktischen Erkenntnisse dieses
Forschungsbereiches.
Der abschließende Beitrag zu diesem Themenkomplex mit dem Titel Zur didakti
schen Transformation von Handlungsplänen geht von der Feststellung aus, daß der
Begriff des Planes in der sozialwissenschaftlichen Forschung Anwendung findet, um
zukünftiges menschlich-gesellschaftliches Handeln zu erklären. Auf einer weitgehend
wissenssoziologischen Ebene argumentiert Horst Stephan, daß Handlungspläne zukunfts
offen strukturiert und zielbezogen sind und eine interpretative, integrative und identi
fizierende Bedeutung besitzen. Der Terminus didaktische Transformation kennzeichnet
hierbei den Versuch einer Bearbeitung dieser Elemente platlenden HandeIns auf einer
unterrichtlichen Ebene. So werden beispielsweise die Planungskategorien des Zieles
und der Zukunft herangezogen, um die Forderung nach operationalisierten Lernzielen
und wissensorientiertem Unterricht kritisch zu beleuchten, wobei der Rückgriff auf
die integrative Wirkung des Planes zur Reflexion der Prinzipien unterrichtlicher Wissens
vermittlung und notwendiger Informationsüberziehung veranlaßt. In seiner ausftihrli
chen Erörterung der Möglichkeit der Identitätsförderung im Unterricht weist Stephan
auf die Problematik der Vermittlung zwischen den Identitätskategorien Krappmanns
und den unterrichtlichen Qualifikationen hin.
Die Theorie des HandeIns bildet den theoretischen Bezugsrahmen ftir die folgenden
drei Arbeiten, die unter dem Kapitel Sozialisation, Interaktion und das soziale System
Universität zusammengefaßt sind und die Beziehungen zwischen Hochschullehrern und
Studenten thematisieren.
Richard Münch behandelt in seinem Essay Identitätsprobleme der Universität jene
Identitätsprobleme, die sich der deutschen Universität in ihrem Humboldtschen Selbst
verständnis angesichts der veränderten Bedingungen stellen, unter denen heute For
schung und Lehre betrieben werden. Von zentralem Interesse ist dabei die Beziehung
zwischen Lehrenden und Lernenden. Zunächst betrachtet Münch das Verhältnis zwi
schen Wissenschaft und Sinndeutung: soweit die Studenten Bedürfnisse der Sinnver
mittlung an die Universität herantragen, kann sie diese mit den Mitteln der modernen
Wissenschaft nicht befriedigen, sie vermag jedoch aufklärerisch zu wirken. Im weiteren
untersucht der Verfasser die Strukturveränderungen, die sich aus dem Massenzustrom
von Studenten an die Hochschulen ftir Forschung und Lehre ergeben. Im Ergebnis
haben diese Veränderungen nach Ansicht des Autors eine zunehmende Erschwerung
der Integration der Studenten in die Universität und eine Behinderung der gegenseitigen
Verständigung der Beteiligten sowie der Vermittlung des adäquaten Wissens zur Folge.
Diese Veränderungen werden als ein Prozeß der Inflation von Expertise analysiert. In
seinen Schlußbetrachtungen stellt Münch einige Überlegungen über mögliche Neustruk
turierungen der Organisation von Forschung und Lehre in den Universitäten an, die
den Hochschulen eine neue Identität und zugleich eine bessere Integration ihrer Ange
bote mit den Erwartungen von Studierenden und Praktikern verleihen können.
Gegenstand der folgenden Analyse sind Sozialhistorische und professionelle Aspekte
der Interaktion zwischen Hochschullehrern und Studenten. Das interaktionistische
Modell der Identitätsbildung und die strukturalistischen Konzepte des Habitus- und