Table Of ContentElena Höpfner
Menschen auf
der Flucht und die
Bedeutung ihrer Dinge
Eine gegenstandsbezogene
Theoriebildung im doppelten Sinne
Menschen auf der Flucht und die
Bedeutung ihrer Dinge
Elena Höpfner
Menschen auf
der Flucht und die
Bedeutung ihrer Dinge
Eine gegenstandsbezogene
Theoriebildung im doppelten Sinne
Elena Höpfner
Berlin, Deutschland
Masterarbeit Freie Universität Berlin, 2016
ISBN 978-3-658-20756-4 ISBN 978-3-658-20757-1 (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20757-1
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Danksagung
Zum Gelingen dieser Arbeit haben viele Menschen auf unterschiedliche Weise
beigetragen.AndieserStellemöchteichdafürvonganzemHerzenDankesagen.
ZuerstgebührtmeinDankallenMenschen,dieichindieserStudiebefragthabe.
Sie haben mir Vertrauen geschenkt, mir Einblicke in ihre Lebenswelt und ihre
DingweltgegebenundmirihreGeschichte,ihreHoffnungenundWünscheanvertraut.
OhnedieseMenschenwäredasSchreibendieserArbeitnichtmöglichgewesen.
EinbesondererDankgehtanLück,Karo,Ceyda,Leonor,Benne,Christa,Jonas,
Louisa,Rabea,Marle,Miri,MiriFree,Zulfia,Nic,meinegroßartigeWGundmeine
wundervolleFamilie,diemirwährenddergesamtenZeitmitihremWissen,ihrer
Tiefgründigkeit,ihremOptimismus,ihrerHilfsbereitschaft,ihrenAnregungenund
DenkanstößenzurSeitestanden.
Ebenfalls möchte ich mich bei meinen Erst- und Zweitgutachter*innen, Prof.
Dr.AidaBoschundProf.Dr.MarkusKienscherfbedanken,dieanmichundmei-
ne Ideen geglaubt, mich stets mit Ratschlägen und Tipps unterstützt und mir die
Möglichkeitgebotenhaben,andiesemThemazuarbeiten.
Nichtzuletztbedankeichmichbeiallen,diediePublikationdieserArbeitfinanzi-
ellunterstütztundsomitermöglichthaben.
v
Inhaltsverzeichnis
VorwortundVor-Bilder:SensibilisierendeProjekte .................... 1
1 Einleitung:EinegeplanteReiseinsUngewisse ..................... 5
2 GesellschaftlicheundwissenschaftlicheKontexte:Menschenund
DingeaufderFlucht............................................ 9
2.1 Zu:Flucht,FlüchtenundFlüchtlingen ......................... 9
2.2 ZurRelevanzderDingeindenSozialwissenschaften:Sozialeund
symbolischeFunktionenderDinge............................ 13
2.2.1 DimensionenderMensch-Ding-Beziehungen............. 14
2.2.2 DingeinBewegung:Umzug,MigrationundExil.......... 19
3 Die Methoden der gegenstandsbezogenen Theoriebildung im
doppeltenSinne................................................ 23
3.1 DieinduktiveMethodikderGroundedTheory .................. 24
3.2 DingealsSchlüssel ......................................... 26
3.3 ZudenInterviewsunddenFotografien......................... 28
3.4 AbwartenundTeetrinken:WichtigeEindrückeundProblemeimFeld 31
4 EmpirischeErgebnisseaufdreiEbenen........................... 35
4.1 AuswahlkriterienundBeschreibungsmusterderBefragten ........ 35
4.2 Fallbeispiele:SprechendeFälle ............................... 37
4.2.1 Abdul,Indira undihre Söhne– „Weil wirsind esin
Russlandgewöhnt,dasssichfürunsniemandinteressiert.“ . 38
4.2.2 FawadausAfghanistan–„(...)abermanwillmanchmal
auchwieeinMenschleben.“........................... 44
vii
viii Inhaltsverzeichnis
4.2.3 ZaynapundihreFamilie–„IneinnormalesLebenkanner
wohlnichtmehrzurück.“ ............................. 51
4.3 DingeundihreRolleaufderFlucht ........................... 54
4.3.1 MobiltelefonalsNavigator,Kommunikationsmittelund
Fotoalbum .......................................... 54
4.3.2 Kleidung,TaschenundSchmuck:ZwischenNebensache
undFluchthelfer ..................................... 57
4.3.3 DingealsZeugen:Fotos,DokumenteundKörper ......... 64
4.3.4 DingedesGlaubens,derGeschichteundderBiografie ..... 67
4.3.5 AlltäglicheDinge,welchedieFluchterträglichermachen .. 72
4.3.6 Existenziellundschnellaufgebraucht:Essen,Trinkenund
Geld ............................................... 74
5 EinordnungundErgänzungderempirischenBefunde.............. 81
5.1 EsgehtumdieIdentität ..................................... 83
5.2 EsgehtumErwartungen..................................... 89
5.3 EsgehtumdieErhaltungalltäglicherRituale ................... 93
5.4 EsgehtumsÜberleben...................................... 96
6 DingealsSchlüsselzuFluchtgeschichten?......................... 99
6.1 FlüchtenalskomplexerProzess...............................100
6.2 ZumobjektsoziologischenZugang ............................109
Literatur-undQuellenverzeichnis.................................... 111
Vorwort und Vor-Bilder: Sensibilisierende
Projekte
Abb.1 links:BilderausHuntingtonsProjekt;rechts:BilderausJumpsProjekt
DieFotosaufderletztenSeitehabeichauszweiFotoprojektenzumThemaFlucht
ausgewähltundeinandergegenübergestellt.DielinkeSpaltezeigtFotografienaus
dem“burninghouse”Projekt.DerFotokünstlerundBloggerFosterHuntingtonfragte:
“Ifyourhousewasburning,whatwouldyoutakewithyou?”(Huntington2014)und
2 VorwortundVor-Bilder:SensibilisierendeProjekte
ließMenschen1dieseFragebeantworten,indemsieFotosvonihrenausgewählten
DingenaufseinenBloghochladen.MansiehtaufdenFotoseineDecke,eineFo-
tografieineinemBilderrahmen,eineprofessionelleKameraausrüstung,Schlüssel,
einReisepass,Bücher,einNotizheftundeinGeldbeutel.AufanderenBildernwur-
denKuscheltiere,Skateboards,E-Gitarren,persönlicheFotos,ausgefalleneBrillen,
Buntstifte,LaptopsundanderewichtigeGegenständearrangiertundabgelichtet(vgl.
Huntington2014).HuntingtonschreibtandieLeser*innendesBlogs:“It’saconflict
betweenwhat’spractical,valuableandsentimental.Whatyouwouldtakereflects
yourinterests,backgroundandpriorities.Thinkofitasaninterviewcondensedinto
onequestion.”DochwasnehmenMenschenmit,wennihrHauswirklichbrenntund
nichtnurdaseigene,sondernauchdasNachbarhaus,dieStraße,dieStadtodersogar
dasganzeLand;wennessichnichtnurumeinefiktiveFragehandelt:wenndasLe-
benaneinembestimmtenOrtlangfristigbedrohtistundMenschengezwungensind,
ihreHeimataufunbestimmteZeitzuverlassen?DierechteSpaltebestehtausBildern
ausdemFotoprojekt“What’sinMyBag?WhatRefugeesBringWhenTheyRunfor
TheirLives”(Jump2015).DiePersonen,derenGegenständeabgebildetwurden,sind
Migrierende,Flüchtende,Asylsuchende.Angesichtsdessenistdavonausgehen,dass
dieAuswahldermitzunehmendenDingeandersausfälltalsdiedeserstenProjekts(s.
Bild1).DasInternationalRescueCommitee2zusammenmitdemFotografenTyler
JumpdokumentiertenGeschichtenundTascheninhaltederflüchtendenMenschen.
Zu sehen sind u.a. Hygiene- und Arzneimittel, Handys, Kleidungsstücke, Essen,
aberauchkleineErinnerungenanundGeschenkevonFreunde(n)oderFamilien-
mitglieder(n)(vgl.Jump2015).ImGegensatzzudenvonHuntingtongesammelten
GegenständenhandeltessichhierhauptsächlichumDinge,welchefürdiePersonen
speziellaufihrerReiseundimExilvonBedeutungsind.IhrBesitzerzähltaberauch
GeschichtenüberihreVergangenheitundihreHoffnungfürdieZukunft,berichtete
dasProjektteam.EinjungerMannausAfghanistannahmeineHautaufhellungscreme
und Haargel mit und erzählte dazu Folgendes “I want my skin to be white and
hairtobespiked–Idon’twantthemtoknowI’marefugee.Ithinkthatsomeone
willspotmeandcallthepolicebecauseI’millegal(sic!)”(ebd.).3 DieserBeitrag
zeigt,dassAngstvorderZukunftbzw.AnkunftsichindenDingendergeflüchteten
Menschenwiderspiegelt,ebensowiedasBewusstseinüberrassistischeVorurteile
undderWunsch,nichtals„Flüchtling”erkanntzuwerden.DieBerlinerFotografin
1AndieserStellemöchteichmichbeiAlbertoundDeedrabedanken,diemirerlaubten,ihreBilder
indieserArbeitzuzitieren.
2AndieserStellemöchteichmichbeidemInternationalRescueCommiteebedanken,dasmir
erlaubte,ihreBilderindieserArbeitzuzitieren.
3DieseAussagezeigt,dassdieFremdbezeichnungdurchdasAdjektiv„illegal“vonderbefragten
PersonbereitszurSelbstbezeichnungübernommenwurde.DennwieSevimDagdelen(2011)von
dieLinketreffendzusammenfasst:„EsgibtkeineMenschen,dieillegalsind.EsgibtnurMenschen,
dieillegalisiertunddamitkriminalisiertwerden.“
VorwortundVor-Bilder:SensibilisierendeProjekte 3
JuliaSchönstädtkreierteebenfallseineFotoseriezudenDingendergeflüchteten
Menschen.Siefragtenach„Dingenausihrer(dergeflüchtetenMenschen)Heimat,
[nach]Dinge[n],diesieanihrZuhauseerinnern“(Schönstädt2015).DieFotografien
zeigen Dinge, die auf der Reise nicht behindern, oder solche, die den Menschen
vielbedeuten:SymboleihresGlaubenswieeineKettemiteinemKreuzoderFotos
vonzurückgebliebenenVerwandten.EinjungerManntrugseinAndenkenaufder
Haut in Form eines Tattoos. Andere haben nichts mehr, weil alles auf dem Weg
verloren ging oder verkauft werden musste (vgl. ebd.). Die Dokumentation „My
Escape/MeineFlucht.DokumentederVertreibung“vonElkeSasse(2015)zeigteine
Collage,dievorallemausHandyaufnahmen,dieMenschenwährendihrerFlucht
gemachthaben,zusammengeschnittenwurde.DasSmartphonemitseinenvielen
FunktionenwareinzentralerGegenstanddesFilms,dieVideosundFotos,diedamit
gemachtwurden,bestimmendenInhalt.ZusehensindAufnahmenvonderReise
nachDeutschland.DieHerausforderungenderFluchtwurdenausderPerspektiveder
flüchtendenbzw.geflüchtetenPersonendargestellt.AuchhierwurdenDingegezeigt,
dieausdemHerkunftslandmitgenommenwurdenwieeinSchalderMutterodereine
HandvollErdeausderHeimatstadt.EbensobesorgtwurdenpraktischeDingewie
einRettungsringfürdieÜberquerungdesMeeresmitdenSchlauchbootenodereine
SchwimmbrillealsSchutzgegendenwehendenSandfürdenWegdurchdieWüste
(vgl.Sasse2015).
Alle vorgestellten Projekte ergründeten das Phänomen der Flucht, indem sie
sichmitden„materiellen“DingenderMenschenaufderFluchtauseinandersetzten.
Durch die Abbildung von Gegenständen haben die Künstler*innen4 potenzielle
Rezipient*innen zum Thema Flucht und zu den Geschichten der Menschen, die
flüchten mussten, zu informieren und ein Stück weit zu sensibilisieren versucht.
DasistauchdasZielmeinerArbeit:IchmöchtedarindenVersuchunternehmen
anhanddermitgebrachtenDingedasPhänomenFluchtundihrevielenGesichter
zuergründenundaufdiese–ausmeinerSicht–eindringlicheArtundWeiseden
Leser*inneneinenEinblick5indiekomplexeThematikzuverschaffen.
4Das*stehtfüralleMenschen,diesichnichtindieheteronormativeGeschlechterordnungeinordnen
lassen.
5WeitereauthentischeEinblickeindieseThematikermöglichenPräsentationenundVideosvon
undübergeflüchteteMenschenbzw.dasLebenals„Flüchtling“;z.B.derFilm“Thelongway
toGermany“(2016)vondenBrüdernAchmedundHamed,URL:https://www.youtube.
com/watch?v=t9ErmAnl5Pc(letzterAbrufam13.03.2017)oderdieZDFDokuüberdenKla-
vierspielerAehamAhmad,URL:https://www.youtube.com/watch?v=IFSGqeAIIyc
(letzterAbrufam13.03.2017).