Mein Geist ist offen: Die mathematischen Reisen des Paul Erdös

289 Pages·1999·7.791 MB·German

by  Bruce Schechter (auth.)

Bruce Schechter
Mein Geist ist offen
Die mathematischen
Reisen des Paul Erdös
Aus dem Amerikanischen von Christof Menzel
Springer Basel AG
Die amerikanische Ausgabe erschien 1998 unter dem Titel "My Brain Is
Open. The Mathematical Journeys of Paul Erdös" bei Sirnon & Schuster
lnc., New York, USA.
German language edition published by arrangement with the original pu
blisher Sirnon & Schuster Inc.
Copyright © 1998 by Bruce Schechter
All Rights Reserved.
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Schechter, Bruce:
Mein Geist ist offen : die mathematischen Reisen des Paul Erdös /
Bruce Schechter. Aus dem Amerikan. von Christof Menzel. -Basel ;
Boston ; Berlin : Birkhäuser, 1999
Einheitssacht.: My brain is open <dt.>
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rech
te, insbesondere die des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Ab
bildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der
Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverar
beitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbe
halten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes
ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen
des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie
ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den
Strafbestimmungen des Urheberrechts.
©
Springer Basel AG 1999
Ursprünglich erschienen bei Birkhäuser Verlag, Postfach 133, CH-4010 Basel, Schweiz 1999
Umschlaggestaltung: Michael Accordino, USA, Micha Lotrovsky, Therwil
Umschlagphoto: Christopher Barker
Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zell
stoff. TCF oo
ISBN 978-3-7643-6083-2 ISBN 978-3-0348-6362-9 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-0348-6362-9
9 8 7 6 5 4 3 2 1
Inhaltsverzeichnis
Danksagung 9
1 Reisen 11
2 Beweise 19
3 Kontakt 53
4 Das Happy-End-Problem 79
5 Erdös und der Untergang des Abendlandes 113
6 Das verlorene Paradies 127
7 The J oy of Sets 151
8 Paul Erdös und die Primzahlen 171
9 Sam und J oe und Onkel Paul 195
10 Sechs Grade der Zusammenarbeit 227
Anmerkung zu den Quellen 265
Literaturverzeichnis 269
Register 277
Für meinen Vater,
Irving B. Schechter
Danksagung
Zum ersten Mal härte ich von Paul Erdös durch seinen guten
Freund Ronald Graham, über den ich 1982 einen Artikel für
die Zeitschrift Discover schrieb. Seit damals wünschte ich mir,
Erdös einmal zu treffen, fand aber nie die Gelegenheit dazu. Als
ich dann von Erdös' Tod härte, erinnerte ich mich an Grahams
Geschichten und beschloß, mehr über diesen geistreichen Ma
thematiker herauszufinden. Ich möchte besonders Ron, der die
persönliche Habe von Erdös aufbewahrt, dafür danken, daß er
mich mit so vielen Mitgliedern der mathematischen community
bekannt gemacht hat.
Erdös' Leben ging viele Menschen etwas an, und ich habe
mich auf ihre niedergeschriebenen und erzählten Erinnerungen
gestützt, um sein Portrait auf den folgenden Seiten zu zeich
nen. Darunter waren Yousef Alavi, Krishna Alladi, Laszl6 Ba
bai, Bela Bollobas, Neil Calkin, George Csisery, Martin Gard
ner, Janos Geliert, Dorian Goldfeld, Ronald Graham, Andrew
Granville, Jerrold Grossman, George Helischauer, Melvin Hen
riksen, Shizuo Kakutani, Melvyn Nathanson, Janos Pach, Carl
Pomerance, Bruce Rothschild, Richard Schelp, Allen Schwenk,
John Selfridge, Mikl6s Simonovits, Alexander Soifer, Vera S6s,
Joel Spencer, Esther Szekeres, George Szekeres, Andrew Vaz
sonyi und Laura Vazsonyi. Ich schulde Joel Spencer und Neil
Calkin Dank für ihre sorgfältige Lektüre des Manuskripts und
die durchdachten Verbesserungsvorschläge.
10 Danksagung
Dank schulde ich auch Nona Yates und Eszter Reti für her
vorragende Recherchen sowie J udi Sarossy für Übersetzungen.
Robert Schechter, Susannah Greenberg, Jason Starr und Ca
therine Keller gewährten mir unschätzbaren Rat, Unterstüt
zung und Gastfreundschaft, die ich oft übermäßig strapazierte.
Besonders dankbar bin ich Bob Bender, meinem Lektor bei Si
mon & Schuster, für seinen Enthusiasmus für dieses Projekt
und seine stets klugen Ratschläge sowie meinem hervorragen
den Agenten Kris Dahl dafür, daß tatsächlich etwas daraus
wurde.
Mein tiefster Dank und meine Liebe schließlich gelten mei
ner Frau Carmela Federico für ihre Brillanz, ihre Einsicht, ihre
editorischen Fertigkeiten und ihre unerschütterliche Unterstüt
zung.
Kapitel 1
Reisen
Der Anruf kommt meist um Mitternacht oder eine Stunde vor
dem Morgengrauen - Mathematiker sind bemerkenswert un
fähig, mit der Arithmetik der Zeitzonen fertigzuwerden. Am
anderen Ende der Leitung sagt dann eine Stimme mit starkem
Akzent unvermittelt: "Ich rufe aus Berlin an. Ich will Erdös
sprechen."
"Er ist noch nicht hier."
"Wo ist er?"
"Ich weiß es nicht."
"Warum wissen Sie das nicht?" Klick!
Die Regeln des guten Benehmens beachten sie auch nicht
immer.
Mehr als sechzig Jahre lang wurden Mathematiker in aller
Welt von einem solchen Anruf aus ihren abstrakten Träumen
aufgestört, der ersten von vielen Störungen, die ein Besuch von
Paul Erdös mit sich brachte. Im Verlauf der nächsten Tage sollte
die Häufigkeit solcher Anrufe dann jeweils zunehmen und in der
Aufforderung kulminieren, sich am Flughafen einzufinden, wo
Erdös selbst erschien, ein kleiner, gebrechlicher Mann in einem
unscheinbaren alten Anzug und mit zwei kleinen Koffern, die
12 Reisen
seine weltlichen Besitztümer beherbergten. Er stieg aus dem
Flugzeug und rief der ihn begrüßenden Gruppe von Mathema
tikern zu: "My brain is open!" - "Mein Geist ist offen!", aber
auch: "Mein Gehirn hat jetzt geöffnet!"
Als es noch geöffnet hatte, das Gehirn von Paul Erdös, war es
eines der Wunder dieser Welt, eine Schatzhöhle wie die von Ali
Baba, voll von glitzernden mathematischen Kostbarkeiten, vol
ler fein geschliffener Juwelen von unübertrefflicher Schönheit.
Anders aber als die Höhle von Ali Baba, die hinter einem rie
sigen Stein in einer entlegenen Wüstenei versteckt war, befan
den sich Erdös und sein Gehirn in ständiger Bewegung. Er zog
von mathematischen Tagungen zu Universitäten und von da zu
Denkfabriken und legte dabei Hunderttausende von Kilometern
zurück. ,,Another roof, another proof", wie er oft sagte - "ein
anderes Dach, ein anderer Beweis". "Sie wollenErdös treffen?"
fragten die Mathematiker. "Bleiben Sie einfach hier und warten
Sie ab. Irgendwann kommt er vorbei." Und auf dieser Reise, in
fremden Büros, in Hotelzimmern und Flugzeugkabinen schrieb
Erdös mehr als eintausendfünfhundert Paper1, Bücher und Ar
tikel, mehr als je ein anderer Mathematiker. Darunter befinden
sich einige der großen Klassiker des zwanzigsten Jahrhunderts,
die ganz neue Forschungsgebiete eröffneten und zur Quelle der
Inspiration und Besessenheit von Generationen von Mathema
tikern wurden.
Der Sinn des Lebens, so sagteErdös oft, sei zu beweisen und
zu vermuten. Beweis und Vermutung sind die Hilfsmittel, mit
denen Mathematiker das platonische Universum der reinen For
men erkunden, ein Universum, das für viele von ihnen genauso
real ist wie dasjenige, in dem sie widerwillig beheimatet sind,
nur sehr viel schöner. "Wenn Zahlen nichts Schönes sind, dann
weiß ich nicht, was schön sein soll", bemerkte Erdös des öfte
ren. Zwar mußte er sich wie alle Mathematiker im Zeitlichen
1Die Bezeichung Paper für eine wissenschaftliche Arbeit hat sich mitt
lerweile auch im deutschen Sprachraum verbreitet. A.d.Ü.