Table Of ContentMaterialprüfung
mit Röntgenstrahlen
unter besonderer Berücksichtigung
der Röntgenmetallkunde
Von
Dr. Richard Glocker
Professor für Röntgentechnik
an der Technischen Hochschule Stuttgart
Zweite umgearbeitete Auflage
Mit 315 Abbildungen
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
1936
ISBN 978-3-662-26959-6 ISBN 978-3-662-28436-0 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-28436-0
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung
in fremde Sprachen, vorbehalten.
Copyright 1936 by Springer-Verlag Berlin Heide1berg
Ursprünglich erschienen bei Julius Springer in Berlin 1936.
Vo rwort zur zweiten Auflage.
Seit dem Erscheinen der ersten Auflage hat sich das Anwendungs
gebiet der Werkstoffprüfung mit Röntgenstrahlen sehr stark vergrößert.
Wenn der Zweck dieses Buches, den Leser in das Gebiet so weit ein
zuführen, daß er selbst imstande ist diese Verfahren auszuüben, erreicht
werden soll, ohne daß der Umfang des Buches sich verdoppelt, so war
dies nur durch eine vollständige Umarbeitung zu ermöglichen. Durch
Kürzung von Teilgebieten, die sich im Laufe der Entwicklung als weniger
wichtig erwiesen haben, wurde Raum geschaffen für das viele Neue.
Wie in der ersten Auflage, wurden die physikalischen Grundlagen nur
kurz behandelt und das Schwergewicht auf die Beschreibung der An
wendungsweise der Verfahren an Hand von praktischen Beispielen
gelegt.
Eine Zusammenstellung der Legierungsstrukturen nach dem neuesten
Stand hat in dankenswerter Weise Herr Professor Dr. U. D ehlinger für
das Buch angefertigt. Meinem Mitarbeiter Herrn Dr. habil. H. Kiessig
habe ich für freundliche Unterstützung beim Lesen der Korrekturen zu
danken.
Den Firmen Koch & Sterzel in Dresden, Müller in Hamburg, Osram
werke in Berlin, Sanitas in Berlin, Seemann-Laboratorium in Frei
burg i. Br., Seifert in Hamburg, Siemens & Halske in Berlin-Siemens
stadt, Siemens-Reiniger-Werke in Erlangen danke ich auch an dieser
Stelle bestens für die überlassung von Druckstöcken.
Stuttgart, im September 1936.
Röntgeninstitut der Techn. Hochschule und Institut
für Röntgenmetallkunde am Kaiser Wilhelm-Institut
für Metallforschung.
R. Glocker.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Einleitung ..... 1
1. Die Natur der Röntgenstrahlen und die verschiedenen Verfahren der
Werkstoffprüfung mittels Röntgenstrahlen 1
I. Erzeugung der Röntgenstrahlen. . . 3
2. Allgemeines über Röntgenröhren. . . 3
3. Ausführungsformen von Röntgenröhren und Glühventilröhren . 8
4. Röntgenapparate . . . . . . . . . . 22
5. Strahlenschutz . . . . . . . . . . . 35
11. Eigenschaften der Röntgenstrahlen. 40
6. Absorption und Sekundärstrahlung . . 40
7. Beugung und Brechung . . . . . . . 48
8. Ionisation und photographische Wirkung 55
IH. Grobstrukturuntersuchung ..... . 63
9. Allgemeine Grundlagen der Grobstrukturuntersuchung 63
10. Praktische Anwendung der Grobstrukturuntersuchung 77
IV. Spektralanalyse . . . . . . . . . . . . . 88
11. Röntgenspektroskopische Apparate . . . . 88
12. Gesetzmäßigkeiten des Röntgenspektrums. 100
A. Emissionsspektrum. . . . . . . . . . 101
B. Absorptionsspektrum. . . . . . . . . III
C. Röntgenspektrum und chemische Bindung III
13. Qualitative Röntgenspektralanalyse. ll3
14. Quantitative Röntgenspektralanalyse 120
A. Emissionsanalyse . . . . 120
B. Absorptionsanalyse. . . . . . . 128
V. Feinstrukturuntersuchung 133
15. Überblick über die verschiedenen Verfahren der Feinstrukturunter-
suchung und ihre Anwendungsgebiete . . . . 133
16. Kristallographische Grundlagen I. . . . . . . 135
A. Eigenschaften und Einteilung der Kristalle. 135
B. Der innere Aufbau der Kristalle. 141
17. Kristallographische Grundlagen II . . . . 146
A. Symmetriegesetze . . . . . . . . . . 146
B. Raumgruppen und Translationsgruppen 152
18. Debye-Scherrer-Aufnahmen (Pulverdiagramme) 154
A. Allgemeine Grundlagen. . . . . . . . . . . . 154
B. Technische Apparaturen und Sonderausführungen . 165
C. Auswertung von Debye-Scherrer-Aufnahmen . 169
Inhaltsverzeichnis. v
Seite
19. Laue-Aufnahmen 180
20. Drehkristallverfahren und Spektrometerverfahren . . . . 185
A. Aufnahmetechnik und allgemeine Gesetzmäßigkeiten. 185
B. Verwendung des Drehkristallverfahrens zur Strukturbestimmung 193
C. Verwendung des Drehkristallverfahrens zur Bestimmung der
Kristallorientierung 199
D. Spektrometerverfahren . . . . . . . . 201
21. Röntgengoniometerverfahren . . . . . . . 204
A. Röntgengoniometer nach We iss e nb erg -B öhm 204
B. Schiebold-Sauter-Röntgengoniometer . . . 209
22. Intensitätsgesetze der Röntgeninterferenzen . . . . 215
23. Überblick über den Gang einer Strukturbestimmung . 224
24. Beschreibung von Kristallstrukturen anorganischer und organischer
chemischer Stoffe und Grundzüge der Kristallchemie. 227
A. Beschreibung von Kristallstrukturen . 227
B. Grundzüge der Kristallchemie . 257
25. Struktur von Legierungen . . . . . . . 265
A. Gleichgewichtszustände . . . . . . . 265
B. Zwischenzustände und Umwandlungsvorgänge. 277
C. Tafel der Strukturen der wichtigsten Legierungen. 284
26. Verbreiterung der Röntgeninterferenzen und Bestimmung der Kristall-
größe . . . . . . . . . . . . 296
A. Verbreiterung der Interferenzen . 296
B. Bestimmung der Kristallgröße . . 300
27. Messung von elastischen Spannungen 304
28. Kristalltexturen . . . . . . . . . . . 321
A. Allgemeines über Texturaufnahmen 321
B. Auswertung von Fasertexturen und Walztexturen . 325
C. Beispiele für die verschiedenen Texturarten . 332
29. Mathematischer" Anhang. . . . . . . . . 343
A. Beispiele für Absorptionsberechnungen . 343
B. Kristallographische Formeln. . . . . . 345
C. Reziprokes Gitter . . . . . . . . . . 351
D. Gnomonische Projektion einer Laue-Aufnahme 355
E. Stereogrnphische Projektion. 358
Schrifttums verzeichnis 367
Sachverzeichnis .... 383
Einleitung.
1. Die Natur der Röntgenstrahlen und die
verschiedenen Verfahren der Werkstotfprüfung
mittels Röntgenstrahlen.
Die Röntgenstrahlen gehören zu der großen Klasse der elektro
magnetischen Schwingungen, deren Vertreter, entsprechend der großen
Verschiedenheit der W.ellenlänge, außerordentliche Unterschiede in ihren
Eigenschaften aufweisen.
Zahlen tafel 1.
Name der Strahlung Wellenlänge
Drahtlose Telegraphie und Rundfunk. einige cm bis km
Wärmestrahlen (ultrarote Strahlen). . 0,001 bis 0,5 mm
Optisch sichtbares Licht . . . . . . 0,4 bis 0,8 . 1Q-3 mm
Ultraviolettes Licht . . . . . . . . . . . . 0,1 bis 0,4' 10-3 mm
Röntgenstrahlen 1 (röntgentechnisches Gebiet) . 2 bis 0,02 .10-7 mm
Durchdringungsfähigste y-Strahlen des R!l.diums 2 etwa 0,005 .10-7 mm
Zur Bezeichnung der Röntgenstrahlenqualität sind verschiedene
Benennungen üblich; die in der gleichen Horizontalreihe der Zahlen
tafel 2 aufgeführten Namen sind gleichbedeutend.
Zahlentafel 2.
Wellenlänge Durchdringungsvermögen Härte Absorption
langweIlig wenig durchdringungsfähig weich leicht absorbierbar
kurzweIlig I sehr durchdringungsfähig hart schwer absorbierbar
Trotzdem Röntgen in seinen drei grundlegenden Mitteilungen
(1895-1898) bereits alle wesentlichen Eigenschaften dieser Strahlung
beschrieben hatte, wurde doch erst 1912 durch v. Laue, Friedrich
und Knipping der unmittelbare experimentelle Beweis für die elektro
magnetische Natur der Strahlen erbracht durch die Entdeckung der
Beugung der Röntgenstrahlen beim Durchgang durch Kristalle. Dieser
Versuch war von größter Bedeutung für die weitere Entwicklung der
1 Die unter besonderen Versuchsbedingungen hergestellten Röntgenstrahlen
von viel größerer Wellenlänge finden noch keine technische Anwendung.
2 Die y-Strahlen der radioaktiven Stoffe haben die gleichen Eigenschaften wie
Röntgenstrahlen, die mit außerordentlich hohen Spannungen erzeugt werden.
Glocker ,Materia,)prüfung, 2. Aufl. 1
2 Einleitung.
Röntgenstrahlenforschung ; er ermöglichte einerseits eine Messung der
Wellenlängen der Röntgenstrahlen, andererseits eine Untersuchung des
Atomaufbaues der Kristalle.
Drei verschiedene Eigenschaften der Röntgenstrahlen bilden die
Grundlage von Werkstoffprüfverfahren :
1. Die Absorption 1 (Grobstrukturuntersuchung).
2. Die Erregung von Eigenstrahlung (Spektralanalyse).
3. Die Beugung in Kristallgittern (Feinstrukturuntersuchung).
Die "Grobstrukturuntersuchung" hat die Aufgabe, makro
skopische Fehlstellen und Einschlüsse in Werkstücken nachzuweisen.
Bei dicken Stücken sind Röntgenstrahlen von größtem Durchdringungs
vermögen, also Apparate und Röhren für höchste Spannungen, notwendig.
Die obere Grenze liegt zur Zeit bei 600 kV. Werden Strahlen von noch
größerem Durchdringungsvermögen benötigt, so kommen die harten
y-Strahlen von Radium und Mesothorium zur Anwendung.
Die "Spektralanalyse" benützt die Eigenschaft der Atome unter
bestimmten Bedingungen eine für jede Atomart charakteristische
Röntgenstrahlung (Eigenstrahlung) auszusenden; sie dient zur quali
tativen und quantitativen Bestimmung der chemischen Zusammen
setzung. eines Stoffes. Das Verfahren erfordert besondere Röntgenröhren
mit auswechselbarer Antikathode zum Aufbringen des zu analysierenden
Stoffes. Höhere Spannungen als 100 kV werden im allgemeinen nicht
benötigt. .
Die "Feinstrukturuntersuchung" beruht auf der in allen
kristallinen Stoffen auftretenden Beugung der Röntgenstrahlen. Sie
liefert Aufschlüsse über die Atomahordnung im Kristall (Kristallstruktur)
und über die Lage der Kristalle im Werkstoff (Fasertextur) ; sie ermög
licht ferner eine Bestimmung der Größe von submikroskopisch kleinen
Kriställchen und eine Messung der elastischen Spannungen in einem
Werkstück. Erforderlich sind Röntgenröhren, welche eine homogene
Strahlung, d. h. eine Strahlung einheitlicher Wellenlänge liefern. Die
Spannung ist ziemlich niedrig (20--50 kV).
1 Auf der Absorption beruht ferner die "Absorptionsanalyse"; aus den Ab
sorptionskanten im Spektrum wird die chemische Zusammensetzung erschlossen
(vgl. Abschnitt 14 B).
1. Die Erzeugung der Röntgenstrahlen.
2. Allgemeines über Röntgenröhren.
Röntgenstrahlen entstehen, wenn Kathodenstrahlen (rasch fliegende
Elektronenl) auf einen festen Körper auftreffen und abgebremst werden.
Für die technische Erzeugung von Kathodenstrahlen kommen zwei Ver
fahren in Betracht:
1. Die Ionisierung eines verdünnten Gases.
2. Die Elektronenemission eines Glühdrahtes im Hochvakuum.
Demgemäß sind zu unterscheiden:
1. gashaltige Röhren oder Ionenröhren,
2. gasfreie Röhre-n oder Elektronenröhren (Glühkathoden
röhren).
Die erstere Art von Röhren, zu der die von Röntgen bei seiner
Entdeckung im Jahre 1895 benützte Röhre gehört, wurde im Laufe des
letzten Jahrzehntes völlig durch die zweite Art verdrängt. Ionenröhren
werden nur noch zu Sonderzwecken be-
nützt, und zwar als "offene", dauernd
an einer Luftpumpe betriebene Röhren. a
Das Prinzipb ild einer Röntgenröhre
ist in Abb. 1 enthalten. In einem eva G--EB=--
b - -
kuierten Glasgefäß sind 2 Elektroden +
eingeschmolzen, an die eme gleichgerich Abb. la und b.
tete Hochspannung angelegt wird. Die a Gashaltige Röntgenröhre,.schematisch.
b Gasfreie Röntgenröhre, schematisch.
mit dem --Pol verbundene Elektrode
heißt "Kathode", die mit dem +-Pol verbundene "Anode" oder
"Antikathode". Die Kathode sendet unter bestimmten Umständen,
die noch näher zu besprechen sind, Elektronen (Kathodenstrahlen) aus;
diese Elektronen werden durch das angelegte elektrische Feld beschleu
nigt und treffen mit großer Geschwindigkeit auf die "Antikathode" auf.
Bei der raschen Abbremsung wird der größte Teil der Bewegungsenergie
der Elektronen in Wärme verwandelt, der Rest (weniger als ein Prozent)
wird in Röntgenstrahlenenergie umgesetzt.
Die Erzeugung freier Elektronen erfolgt bei den Ionenröhren
durch Stoßionisation : Die in einem Vakuum von etwa 1/1000 mm Queck
silberdruck immer vorhandenen spärlichen Ionen 2 werden in dem
1 Elektronen sind die Bausteine der Atome; ein Elektron ist mit einem Ele
mentarquantum negativer Elektrizität geladen; seine Masse ist etwa 2000mal kleiner
als die des leichtesten Atomes.
2 Elektrisch geladene Moleküle bzw. Atome.
1*
4 Die Erzeugung der Röntgenstrahlen.
Hochspannungsfeld beschleunigt und erzeugen beim Auftreffen auf Gas
moleküle neue Ionen. Der Stromtransport in dem verdünnten Gas
erfolgt so, daß die +-Ionen zur Kathode, die --Ionen zur Anode
wandern. Die auf die Kathode aufprallenden +-Ionen lösen aus den
Metallatomen Elektronen aus.
Bei den Elektronenröhren wird das Vakuum so weit gesteigert, bis
zu einem Druck von etwas 10-7 mm Quecksilber, daß die geringen Gas
reste den Entladungsvorgang nicht mehr beeinflussen können. Die von
Richardson entdeckte Elektronenaussendung eines im Hochvakuum
befindlichen glühenden Körpers wurde von Lilienfeld (1912) und
Coolidge (1913) für die Röntgenstrahlenerzeugung nutzbar gemacht.
Das von Coolidge angegebene Verfahren, das die Grundlage für die
weitere Entwicklung der Elektronen-Röntgenröhren bildete, ist in Abb. 1 b
schematisch dargestellt. Die Kathode besteht aus einer Wolframspirale,
die durch Stromzufuhr von außen bis zur Weißglut erhitzt wird.
Der über den Glühdraht vorstehende Zylinder heißt "Richtungs
zylinder" oder "Sammelvorrichtung". Er befindet sich auf dem
gleichen Potential wie der Glühdraht; die seitlich austretenden Elek
tronen werden abgestoßen und je nach der Form des Zylinders wird
das Elektronenbündel auf eine kleine Fläche der Antikathode kon
zentriert. Bei Ionenröhren (Abb. 1a) gibt man der Kathode zu diesem
Zweck eine hohlspiegelförmige Form. Da die Kathodenstrahlen senk
recht zur Oberfläche der Kathode austreten, so werden sie, wie das Licht
von einem Hohlspiegel, in dem Brennpunkt vereinigt. Daher stammt
die Bezeichnung "Brennfleck" oder "Fokus" für die AuftreffsteIle der
Kathodenstrahlen auf der Antikathode. Je kleiner der Brennfleck einer
Röhre ist, desto punktförmiger ist der Entstehungsort der Röntgen
strahlen und desto ~esser ist die Zeichenschärfe des erhaltenen Röntgen
schattenbildes!. Besonders günstig ist in vielen Fällen ein strichförmiger
Brennfleck ( G ö t z e -Pr i n z i p). Beträgt seine Breite b' cm und seine
Länge z. B. 3 X b cm, so ist seine Zeichenschärfe für Richtungen in der
Nähe der Strichachse so groß wie die eines quadratischen Brennfleckes
mit der Seitenlänge b cm. Die Fläche des strichförmigen Brennfleckes
und demgemäß seine Strombelastbarkeit ist dann aber 3mal größer.
Die Belastbarkeit einer Röntgenröhre in Watt hängt von der Größe
des Brennfleckes, der Art des Anodenstoffes und der Kühlung ab. Unter
günstigsten Bedingungen (Wolframanode mit Wasserkühlung) dürfen
auf die Dauer 200 Watt pro 1 qmm Brennfleckfläche nicht überschritten
werden.
Als Material der Antikathode wird meist Wolfram verwendet, einmal
wegen der mit dem Atomgewicht zunehmenden Ausbeute an Röntgen-
1 Auch für Anordnungen mit enger Ausblendung des Strahlenbündels, z. B.
für Kristallstrukturuntersuchungen, ist ein scharfer Brennfleck vorteilhaft, da er
besser ausgenutzt wird als ein großer Brennfleck.