Table Of ContentMänner und Grundschullehramt
Sabine Hastedt • Silvia Lange (Hrsg.)
Männer
und Grundschullehramt
Diskurse, Erkenntnisse, Perspektiven
Herausgeberinnen Linz, Österreich
Sabine Hastedt,
Silvia Lange, Bernhard Schmidt
Hildesheim, Deutschland Langenhagen, Deutschland
Voestalpine
ISBN 978-3-531-18767-9 ISBN 978-3-531-18768-6 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-531-18768-6
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort ................................................................................................................. 7
Hannelore Faulstich-Wieland
Sollten Grundschullehrer vor allem Vorbild für Jungen sein? –
Zusammenhänge zwischen Studienmotivation von Lehramtsstudierenden,
Diskursen um „mehr Männer in die Grundschule“ und Perspektiven guter
(Grund-)Schulen ................................................................................................. 13
Bernd Thomas
Der lange Weg der Frauen in den Lehrberuf –
von der Exotik zur Dominanz ............................................................................. 31
Ingo Niehaus
Männer in der Grundschule: Geschlechtsstereotype Erwartungen und
pädagogische Praxis – erste Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung an
Hamburger Grundschulen ................................................................................... 45
Robert Baar
Männer in der Grundschule: „Wäre nur noch ein Kollege da!“ .......................... 63
Angelika Paseka
Die „Mehr-Männer-in-die-Grundschule“-Debatte aus
professionstheoretischer Perspektive .................................................................. 83
Carolin Rotter
Lehrkräfte mit Migrationshintergrund als eine neu entdeckte Ressource im
Umgang mit schulischer Heterogenität? Wirkungsannahmen – empirische
Befunde – kritische Diskussion ........................................................................ 101
Sabine Hastedt
„Männer und Grundschullehramt“: Erfahrungen aus der Projektpraxis,
diskursive und intersektionale Betrachtungen .................................................. 119
6 Inhaltsverzeichnis
Christoph Fantini
„Männer in die Grundschule“ – Überlegungen und Bewegungen zum
Thema aus Bremen ........................................................................................... 137
Barbara Scholand
Welche Männer sollten für das Lehramt Primar-/Sekundarstufe I
interessiert werden und wie könnte sich dies gestalten? ................................... 153
AutorInnenverzeichnis ...................................................................................... 169
Vorwort
In den letzten 15 Jahren ist im Hochschulbereich die Forderung nach Gleichstel-
lung von Männern und Frauen an die Stelle der klassischen Frauenförderung
getreten. Mit diesem Paradigmenwechsel sind nun erstmals Männer explizit zu
einer potenziellen Zielgruppe von Gleichstellungspolitik geworden, ohne dass zu
Ende gedacht worden wäre, was das für die unterschiedlichen Interessengruppen
im Hochschulbereich bedeutet. Angesichts der fortdauernden Unterrepräsentanz
von Frauen in Führungspositionen in Wissenschaft und Hochschulverwaltung
sowie im wissenschaftlichen Mittelbau der Hochschulen gilt es in diesen Berei-
chen nach wie vor, Frauen zu fördern, auch wenn der Frauenanteil in Führungs-
positionen je nach Fach und Profil der Hochschule stark variiert. Überrepräsen-
tiert sind Frauen in den unteren Entgeltstufen des mittleren Dienstes im Verwal-
tungsbereich – es handelt sich oft um Teilzeitstellen, die kaum existenzsichernd
sind. Vor dem Hintergrund asymmetrischer hierarchischer Geschlechterverhält-
nisse, die Frauen immer noch einen Großteil der Reproduktionsarbeit zuweisen,
würde eine Männerquote in diesem Bereich die Erwerbschancen von Frauen
mindern und sie in prekäre Beschäftigungsverhältnisse abdrängen.
Wie sieht es in Sachen Gleichstellung bei den Studierenden aus? Der Frau-
enanteil an den Studierenden ist laut Center of Excellence Women and Science
seit der Einführung des Frauenstudiums in Preußen im Jahre 1908 bis 2011 fast
kontinuierlich von 0,6 % auf 47,3 % (CEWS Statistikportal 2012) gestiegen.1
Das bedeutet, dass mittlerweile fast die Hälfte der Studierenden weiblichen Ge-
schlechts sind. Rein quantitativ gesehen sind beide Geschlechter mehr oder we-
niger gleichgestellt. Betrachtet man das Studienwahlverhalten aus Geschlechter-
perspektive, so wird deutlich, dass Frauen sprach- und kulturwissenschaftliche
Fächer bevorzugen und Männer sich deutlich häufiger für Mathematik, Natur-
wissenschaften und Ingenieurwissenschaften entscheiden (Blättel-Mink
2002:1ff.). Lediglich Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften werden
von beiden Geschlechtern in etwa gleichem Maße studiert. Deutlich unterreprä-
sentiert sind Frauen in den Ingenieurwissenschaften und Männer zum Beispiel in
Studiengängen, die für das Lehramt qualifizieren. Innerhalb von Studiengängen
1 Deutlich rückläufig war der Frauenanteil nur in den 1930er Jahren, bedingt durch die Folgen
der Weltwirtschaftskrise und die nationalsozialistische Politik.
8 Vorwort
setzt sich der Segregationsprozess oft in Form unterschiedlicher Spezialisierun-
gen fort. Bezogen auf das Lehramt bedeutet dies, dass Männer sich vor allem für
das Lehramt an Gymnasien entscheiden, wo das Geschlechterverhältnis unter
den Lehrenden annähernd ausgeglichen ist, und Frauen sich u.a. in Studiengän-
gen, die für das Lehramt an Grundschulen qualifizieren, konzentrieren.
Aus Gleichstellungsperspektive stellt sich die Frage, ob diese Segregation
nach Geschlecht für Frauen und Männer problematisch ist oder wir das ge-
schlechtsspezifische Studienwahlverhalten im Sinne einer Geschlechterdifferenz
akzeptieren sollten. Birgit Blättel-Mink weist darauf hin, dass die „unterschiedli-
chen Studiengänge auch unterschiedliche Berufs- und Karrierechancen beinhal-
ten und damit die in der Gesellschaft zu beobachtenden geschlechtsspezifischen
Ungleichheitsstrukturen zementieren: Einkommensunterschiede, Statusunter-
schiede, Führungspositionen, politische Partizipation etc.“ (ebd.: 3). Aufgrund
asymmetrischer Geschlechterverhältnisse benachteiligen die Segregationsprozes-
se Frauen. Vor diesem Hintergrund wird die Unterrepräsentanz von Frauen in
den MINT-Fächern seit Langem problematisiert und steht im Zentrum vieler
Fördermaßnahmen und Projekte.
Die Unterrepräsentanz von Männern im Grundschullehramt und in den da-
für qualifizierenden Studiengängen wurde aus Gleichstellungsperspektive bis-
lang kaum thematisiert. Ist der geringe Männeranteil an den Studierenden prob-
lematisch oder ist das Geschlecht des späteren Lehrpersonals irrelevant, solange
der Schulunterricht professionell ist? Sollte man vielleicht einfach eine „finanzi-
elle und gesellschaftliche Aufwertung dieser Berufe“ fordern, „die … zu einer
nennenswerten Anzahl männlicher Bewerber führen könnte (…)“, wie Jutta
Dahlhoff, die Leiterin des CEWS (Dahlhoff 2009)? Die politische Forderung
nach mehr Männern im Grundschullehramt wird von manchen FeministInnen
eher kritisch gesehen, da die Gefahr bestehe, dass Frauen aus gesicherten Ar-
beitsverhältnissen und relativ gut bezahlten Positionen verdrängt werden, ohne
dass sich ihnen gleichzeitig neue Perspektiven eröffnen, die auch die Vereinbar-
keit von Beruf und Familie garantieren. Anders als die Unterrepräsentation von
Frauen in den MINT-Fächern und den entsprechenden Berufen, die auch auf
subtile und direkte Ausschlussmechanismen zurückzuführen ist, zeugt der gerin-
ge Männeranteil an GrundschullehrerInnen nicht von einer Benachteiligung von
Männern, denen gut bezahlte Positionen mit Karrierepotenzial vorenthalten wer-
den – zumal Männer auf der Ebene der Grundschulleitung überrepräsentiert sind.
Warum entscheiden sich so wenige Männer für den Beruf Grundschulleh-
rerIn? Als einer der möglichen Gründe wird häufig die geringere Bezahlung im
Grundschullehramt im Vergleich zum gymnasialen Lehramt angeführt, obwohl
die Bezahlung in Relation zu anderen sozialen Berufen gut und mit den Vortei-
len einer Verbeamtung verbunden ist. Der Beruf „GrundschullehrerIn“ ist ein
Vorwort 9
vielseitiger Beruf, der zahlreiche Kompetenzen erfordert, um den unterschiedli-
chen Anforderungen im Schulalltag gerecht zu werden. In der öffentlichen
Wahrnehmung wird er allerdings oftmals auf „Care“-Funktionen reduziert, so-
dass ein verfälschtes und zudem weiblich konnotiertes Berufsbild entsteht. Auf-
grund der weiblichen Konnotierung ist der Beruf GrundschullehrerIn nur schwer
mit hegemonialen Männlichkeitskonzepten vereinbar und daher für Männer
wenig attraktiv – so unsere Vermutung. Der geringe Anteil von Männern in
(schlechter bezahlten) sozialen Berufen wie auch der geringe Anteil von Frauen
in (besser bezahlten) MINT-Berufen hängt mit einer vergeschlechtlichten, sozio-
ökonomischen Machtverteilung zusammen, die auf tradierten Geschlechterrollen
basiert. Daraus resultieren große Unterschiede im Ansehen der Berufe. Ange-
sichts asymmetrischer hierarchischer Geschlechterverhältnisse unterscheiden
sich die Ursachen für den geringen Anteil männlicher Grundschullehrer von
jenen für den geringen Anteil weiblicher Arbeitnehmerinnen in MINT-
Bereichen. Der Schlüssel zu einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis im
Beruf GrundschullehrerIn liegt unserer Meinung nach in einem Abbau von Ge-
schlechterstereotypen, die mit dem Berufsfeld verbunden sind. Einige der vorlie-
genden Beiträge machen hierzu Vorschläge und stellen Vorgehensweisen und
Maßnahmen vor.
Wenngleich die Unterrepräsentanz von Männern nicht das Pendant zur
Ausgrenzung von Frauen aus Führungspositionen ist, gilt es, sich aus Gleichstel-
lungsperspektive damit auseinanderzusetzen. Die ungleiche Verteilung fördert
die Fortschreibung von Geschlechterstereotypen, nach denen Männer weniger
für soziale Berufe geeignet sind, und schränkt letztlich beide Geschlechter in
ihrer Berufswahl ein. Für die Erhöhung des Anteils männlicher Grundschullehrer
spricht darüber hinaus die Vision – und hier orientieren wir uns an Überlegungen
von Hannelore Faulstich-Wieland –, dass sich die Vielfalt der GrundschülerIn-
nen auch im Lehrpersonal spiegeln und dass sich im Sinne eines dem Gleich-
heitsideal verpflichteten Emanzipationskonzeptes Geschlechterparität auch in der
Grundschule durchsetzen sollte. So erhalten SchülerInnen die Möglichkeit, viel-
fältige Rollenbilder zu erleben.
Die Diskussion um die Unterrepräsentanz von Männern im Lehramt Grund-
schule entzündet sich immer wieder an den im Vergleich zu Mädchen schlechte-
ren Schulleistungen bestimmter Gruppen von Jungen. Die Bildungsleistung eini-
ger Jungen wird für die gesamte Geschlechtergruppe verallgemeinert, das Zu-
sammenspiel mit anderen Differenzkategorien wie soziale Herkunft und Migrati-
onshintergrund ausgeblendet und mit der geringen Zahl männlicher Grundschul-
lehrer in Verbindung gebracht. Es wird u.a. geschlussfolgert, dass es aufgrund
der sogenannten „Feminisierung“ der Grundschule nicht genügend männliche
Vorbilder für Jungen gäbe – ohne dass ein Zusammenhang zwischen dem Ge-
10 Vorwort
schlecht von Grundschullehrkräften und den Schulleistungen von Jungen und
Mädchen empirisch nachweisbar wäre. Die Debatte wird zum Teil sehr emotio-
nal geführt, und es fließen Auffassungen ein wie jene, dass Jungen durch Mäd-
chenförderung zu kurz gekommen seien. Diese öffentlichen Diskurse und kon-
struierten, empirisch nicht bewiesenen Zusammenhänge werden in vielen der
vorliegenden Beiträge aufgegriffen und kritisch reflektiert.
Im Projekt „Männer und Grundschule“ hat sich das Gleichstellungsbüro der
Universität Hildesheim des Themas angenommen und versucht, die Diskussion
aus Gleichstellungsperspektive voranzutreiben. Als Profiluniversität mit den
Studienschwerpunkten Bildungs- und Kulturwissenschaften übt die Universität
Hildesheim eine starke Anziehungskraft auf Studentinnen aus. Der Frauenanteil
an Studierenden betrug im Wintersemester 2011/12 ungefähr 76 %. Ein Drittel
der Studierenden sind in die Lehramtsstudiengänge für Grund- und Hauptschule
eingeschrieben. Im polyvalenten Bachelorstudiengang, der auf das Lehramt
vorbereitet, aber auch andere berufliche Orientierungen ermöglicht, betrug der
Männeranteil ca. 24 %, im direkt für das „Lehramt an Grundschulen“ qualifizie-
renden Masterstudiengang etwa 13 %. Vor diesem Hintergrund fand im Oktober
2011 eine Tagung zum Thema „Mehr Männer in die Grundschule? Chancen,
Risiken und Perspektiven“ statt. Ziel der Tagung war, das Thema in seiner Kom-
plexität aufzugreifen. Im Zentrum standen die Fragen, in welchen Kontexten die
(politische) Forderung nach mehr Männern ins Grundschullehramt betrachtet
werden muss und welche Auswirkungen geschlechtsstereotype Annahmen auf
das professionelle Handeln von Grundschullehrkräften haben. Die meisten Bei-
träge in diesem Sammelband stammen von ReferentInnen der Tagung und do-
kumentieren deren Ergebnisse; ergänzt wurde der Sammelband durch die Beiträ-
ge weiterer WissenschaftlerInnen. Die Beiträge setzen sich u.a. mit den Argu-
mentationsweisen für „mehr Männer in die Grundschule“ auseinander und be-
ziehen sich dabei auf aktuelle Forschungsergebnisse:
Welche Bedeutung hat das Geschlecht für die Schulleistungen von Schüle-
rInnen? Sollten Grundschullehrer vor allem Vorbild für Jungen sein? Hannelore
Faulstich-Wieland geht diesen Fragen nach und zeigt geschlechterstereotypisie-
rende Annahmen bezogen auf das Grundschullehramt auf. Sie legt dazu Ergeb-
nisse zur Studienwahlmotivation von SchülerInnen und Lehramtsstudierenden
vor, die Rückschlüsse auf das Bild des Berufsfeldes „Grundschule“ und auf
Konsequenzen für die Berufsorientierung ermöglichen.
Bernd Thomas beleuchtet „den langen Weg der Frauen in den Lehrberuf“
aus historischer Perspektive: Wie entwickelte er sich von einem von Männern
dominierten Berufsfeld hin zu einem Beruf, in dem Frauen überrepräsentiert
sind? Dabei geht er auch auf Aspekte der Professionsgeschichte und die Bedeu-
tung intergenerativer sozialer Mobilität durch den Volksschulberuf ein.