Table Of ContentIrrngard Ja nsen
Mädchen in Haft
Reihe: Focus Soziale Arbeit
Herausgegeben von Nando Belardi
Materialien - Band 7
Irmgard J ansen
Mädchen in Haft
Devianzpädagogische Konzepte
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1999
Gedruckt auf säurefreiem und altersbeständigem Papier.
ISBN 978-3-8100-2287-5 ISBN 978-3-663-10700-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-10700-2
© 1999 Springer Fachmedien Wiesbaden
Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1999.
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Inhalt
VORBEMERKUNG ...................................................................................... 9
VORWORT .................................................................................................. 13
I. ZUR SITUATION JUGENDLICHER FRAUEN IN HAFT .............. 15
1. AUSGANGSLAGE .........•.•........•.................•..•........................................ 15
2. JUGENDHAFT IN EINER FRAUENSTRAFANSTALT ................................... 21
2.1. Die Unterbringung der Mädchen ........................................................ 21
2.2. Fehlende Bildungsmöglichkeiten ........................................................ 22
2.3. Fehlende Differenzierungsmöglichkeiten ........................................... 25
2.4. Defizitäre pädagogisch/therapeutische Versorgung ............................ 26
2.5. Problematik des Teams ....................................................................... 28
3. INTERAKTIONSMUSTER IM RAHMEN DER HAFT ................................... 31
3.1. Zur theoretischen Orientierung ........................................................... 31
3.2. Interaktionsmuster .............................................................................. 34
3.2.1. Abwehr ........................................................................................................... 35
3.2.2. Bedürftigkeit .................................................................................................. 40
3.2.3. Grenze und Grenzstörungen ........................................................................... 42
3.2.4. Sexueller Mißbrauch ...................................................................................... 49
4. ZUR BEDEUTUNG VON DROGENKONSUM IM RAHMEN DER HAFf ........ 52
4.1. Das äußere Erscheinungsbild .............................................................. 52
4.2. Aktionale Suchtphänomene ................................................................ 54
4.3. Stoffe im Strafvollzug ......................................................................... 55
4.4. Drogenbestimmte Umgangsformen .................................................... 57
5
4.5. Die Drogenszene ................................................................................ 58
4.6. Erlebnisqualitäten im Drogenkonsum ................................................. 60
4.7. Drogenerfahrungen und Einstellungen zu Drogen .............................. 60
4.8. Einstellungen des Personals zur Drogenproblematik .......................... 62
11. PROBLEMKONSTELLATIONEN IN DER
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DER MÄDCHEN ...................... 67
1. SOZIAUSATIONSERFAHRUNGEN UND WEIBUCHE IDENTITÄT ............... 67
2. SELBSTENTWICKLUNG UND BINDUNGSPROBLEMATIK .•..•.................... 72
2.1. Petzolds integratives Modell zur Selbstentwicklung .......................... 72
ill. DEVIANZPÄDAGOGIK. ..................................................................... 81
1. RAHMENBEDINGUNGEN FÜR PÄDAGOGISCHITHERAPEUTISCHE
INTERVENTIONEN IM STRAFVOllZUG. .........•..•....•....•..•..•............•....... 81
2. ERZIEHUNG IM ,,REDUZIERTEN BUCK" ................................................ 82
2.1. Abwehrmuster .................................................................................... 82
2.2. Fehlverhalten und Disziplinierung von Fehlverhalten als
Beziehungsfigur .................................................................................. 83
3. ERZIEHUNG IM ,,NICHT-REDUZIERTEN" BUCK ..•...........•.....•..•............ 86
3.1. Fehlverhalten und Disziplinierung als Coping-Angebot .................... 86
3.2. Nähe, Respekt und Distanz im Umgang mit strafgefangenen
Frauen ................................................................................................. 90
4. ZUR NOTWENDIGKEIT EINER VERSTEHENDEN DIAGNOSTIK ................. 94
4.1. DER BEZUGSRAHMEN ......•..•........•.•...•..•....•......•...••...................•.•.••••• 95
4.1.1. Die Ich - Strukturanalyse ............................................................................... 96
4.2. Abwertung als elementare Abwehrfigur im Bereich
von Devianz .................................•.................................................... 102
4.3. Widerstand als Ausdruck von ,,Restautonomie" ............................... 104
6
4.4. Verstehende Diagnostik am FalL. ................................................... 107
4.4.1. T's Bezugsrahmen ........................................................................................ 109
4.4.2. 1's Ich-Struktur ............................................................................................ 111
4.4.3. 1's Abwertungsmuster .................................................................................. 113
4.4.4. 1's Widerstand ............................................................................................. 115
4.5. Devianzpädagogische Umsetzung .................................................... 116
4.5.1. Positive Anerkennung und Zeugenschaft ..................................................... 117
4.5.2 Nachsozialisation - Reparenting .................................................................. 117
5. PÄDAGOGISCHE INTERVENTIONEN .................................................... 120
5.1. Beiläufigkeit als Beziehungsform in der Arbeit mit
Strafgefangenen ................................................................................ 120
5.2. BehandlungsklimalBehandlungsmilieu. ............................................ 124
6. UMGANG MIT REGRESSIVEN SYMPTOMEN IM RAHMEN DER lIAFr ..... 127
6.1. Krisensituation und direkte Intervention .......................................... 129
6.2. Pädagogische Langzeitinterventionen .............................................. 131
NACHWORT ........•..................................................................••.......•......•...... 137
LITERATURVERZEICHNIS ....•...................•......................•.•.......••••...•.•••.•••...•• 139
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Vorbemerkung
Sie sind nun wirklich auch das Allerletzte: Großgewordene minder
jährige Drogenprostituierte mit kriminellem Background. In der
Wurzel verdorben, durch leicht(f?€ rtigen) Gewinn verführt, den Dro
gen verfallen und dann noch im Ubergriff auf die so männliche Do
mäne der Kriminalität. Da lobe ich doch die kinderliebe Hausfrau, die
weiß, wohin sie gehört.
Oder sind sie vielleicht doch das feminine fascinosum, die wahre
Eva-Hure, die wir Männer patriarchalisch-zölibatär hinter der jung
fräulichen Maria schon immer gesucht und gefürchtet haben?
Auf jeden Fall schicken Richter und auch Richterinnen, sie hin
ter Gitter, gelegentlich in der (vergeblichen) Hoffnung, daß sie dort
resozialisiert würden; zumeist, weil sie hilflos das Gesetz anwenden
müssen und andere Alternativen in unserer Gesellschaft nicht zur
Verfügung stehen. So oder so verurteilen sie diese jungen Frauen zu
einer nach unten gerichteten Karriere, die eigentlich nur im gesell
schaftlichen out enden kann.
Junge Frauen, die uns, den LeserInnen, als das ganz Andere er
scheinen. Als abstrakte Abziehbilder unserer Vorurteile. Die aber
doch, ebenso wie wir, ein personales Individuum sind, jemand, die
über sich nachdenkt, die versucht, eine eigene ganz individuelle Iden
tität zu finden, die von anderen anerkannt werden möchte, die also
eigentlich gar nicht so anders ist als wir, die VertreterInnen dieser
Gesellschaft.
Es sind nur wenige junge Frauen, die diesen Weg gehen müssen;
wenige unter den ohnehin wenigen weiblichen Strafgefangenen, wes
wegen wir so gar nicht wissen, wo wir sie eigentlich unterbringen
sollen. In Jugendstrafanstalten, wohin sie dem Gesetz nach gehörten?,
doch bitte nicht zusammen mit jungen Männern, man weiß doch, was
dann passiert. Also zusammen mit allen anderen weiblichen Unterge
brachten? Doch dann werden sie ja noch mehr verdorben. In beson
deren Abteilungen, wie im vorliegenden Fall?, doch dann gehen die
Heimat-Kontakte verloren. Es sind so wenige, daß die Kosten einer
individuellen Betreuung kaum ins Gewicht fallen dürften; doch sind
es zu wenige, um wirklich gehört zu werden. Weswegen wir sie ver
gessen.
Ebenso vergessen, wie alle anderen jugendlichen Strafgefange
nen, die wir getrost (und neuerdings wieder möglichst früh) auf die
Liste der Unheilbaren setzen oder gar ins Ausland abschieben dürfen,
haben sie doch alle früheren hilfreichen Angebote in Pflegefamilie,
Sonderschule und Heim in den Wind geschlagen. In Jugend-Strafan-
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stalten, die vielleicht gelegentlich etwas besser ausgestattet sind, als
die Gefängnisse für Erwachsene, die im besten Fall Ausdruck unserer
pädagogischen Hilflosigkeit sind, im normalen Fall dagegen eher das
produzieren, was sie eigentlich heilen sollten, als selektive Verstärker
derjenigen Probleme, die die Jugendlichen bei ihrem Eintritt in diese
Hochschulen des Verbrechens, wie man sie früher nannte, mit ein
bringen mußten.
Unser pädagogisches Versagen wurzelt nicht nur in diesen insti
tutionellen Mängeln, in den Finanznöten, im Sicherheits- und Ord
nungsdenken, in der wachsenden Betriebsblindheit eines ausge
brannten Personals, sondern vor allem auch in unserer Unfähigkeit,
diese jungen Frauen (und jungen Männer) in ihrem Sosein richtig zu
verstehen.
Ein pädagogisches Problemfeld, in dem sich unsere vorurteils
haften Einstellungen mit dem widersprüchlich verstörten Verhalten
dieser jungen Frauen zu einem unglückseligen Teufelskreis aufknäu
eIn, in dem beide Seiten sich fast zwangsläufig aneinander hoch
schaukeln, um letztendlich in Resignation zu enden.
Für uns ist ihr Verhalten - ihr Drogenkonsum, ihre Kriminalität,
die Art ihrer Sexualität, ihr Trotz, Widerstand, Weglaufen, ihre Ver
weigerung, ihr augenblicksbezqgener Hedonismus, ihre Verwahrlo
sung .... - etwas, das wir ändern, beseitigen, resozialisieren sollen.
Für sie ist es der Versuch, unter uns zu überleben - nicht nur in der
restriktiven Atmosphäre der Strafanstalt, sondern im Rahmen derjeni
gen Nischen, die wir ihnen draußen noch ließen. Ein Versuch,jemand
zu sein, Anerkennung zu finden, zu wissen, wer m~ ist. Und zwar
ein Versuch, der einerseits mit den bisher erlernten Uberlebenstech
niken arbeitet - mit Aggressions-Ausbrüchen, mit Manipulation, mit
Weglaufen und "Nicht-an-morgen-denken". Und der andererseits
eben diejenigen Mittel einsetzt, die unsere Gesellschaft ihnen vorgibt:
Den jungen Frauen die Sexualität, den jungen Männern die Aggressi
vität, und beiden die "illegalisierten" Drogen mit ihrem Nimbus, die
Gegenwart vergessen zu können ("Sucht ist Flucht"), und ihrem Flair,
im Kaputtsein sich selbst noch fühlen zu dürfen.
Wenn wir ihnen das wegnehmen - ohne dafür etwas anderes bie
ten zu können - dann nehmen wir ihnen diese Überlebens-Technik
und stoßen sie noch eine Stufe tiefer. Wenn wir ungelenkt ganz nor
mal auf ihr Störverhalten reagieren, also strafen, uns abwenden, Lok
kerungen streichen etc., verstärken wir ihre Abwehrstrukturen. Wenn
wir sie im laissez-faire grenzenlos agieren lassen, werden sie sich im
überbordenden Selbstlauf zugrunde richten.
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