Table Of ContentMathematik Kompakt
Martin Brokate
Götz Kersting
Maß
und Integral
2. Auflage
Mathematik Kompakt
Mathematik Kompakt
Herausgegeben von:
Martin Brokate, Garching, Deutschland
Aiso Heinze, Kiel, Deutschland
Karl-Heinz Hoffmann, Garching, Deutschland
Mihyun Kang, Graz, Österreich
Götz Kersting, Frankfurt, Deutschland
Moritz Kerz, Regensburg, Deutschland
Otmar Scherzer, Wien, Österreich
Die Lehrbuchreihe Mathematik Kompakt ist eine Reaktion auf die Umstellung der Dip-
lomstudiengänge in Mathematik zu Bachelor- und Masterabschlüssen. Inhaltlich werden
unter Berücksichtigung der neuen Studienstrukturen die aktuellen Entwicklungen des
Faches aufgegriffen und kompakt dargestellt. Die modular aufgebaute Reihe richtet sich
an Dozenten und ihre Studierenden in Bachelor- und Masterstudiengängen und alle, die
einen kompakten Einstieg in aktuelle Themenfelder der Mathematik suchen. Zahlreiche
Beispiele und Übungsaufgaben stehen zur Verfügung, um die Anwendung der Inhalte zu
veranschaulichen.
• Kompakt: relevantes Wissen auf 150 Seiten
• Lernen leicht gemacht: Beispiele und Übungsaufgaben veranschaulichen die
Anwendung der Inhalte
• Praktisch für Dozenten: jeder Band dient als Vorlage für eine 2-stündige Lehrveran-
staltung
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/7786
Martin Brokate · Götz Kersting
Maß und Integral
2. Auflage
Martin Brokate Götz Kersting
Fakultät für Mathematik Institut für Mathematik
Technische Universität München Goethe-Universität Frankfurt
München, Deutschland Frankfurt am Main, Deutschland
ISSN 2504-3846 ISSN 2504-3854 (electronic)
Mathematik Kompakt
ISBN 978-3-0348-0987-0 ISBN 978-3-0348-0988-7 (eBook)
https://doi.org/10.1007/978-3-0348-0988-7
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Vorwort
Die moderne Maß- und Integrationstheorie ist ein prominenter Abkömmling der Can-
torschen Mengenlehre, auch spielte sie für deren Ausformung eine wichtige Rolle.
Die Wurzeln der Maß- und Integrationstheorie finden sich also in Bereichen, die man
gemeinhin der Reinen Mathematik zurechnete. Gleichwohl hat sie Bedeutung gewonnen
gerade auch für solche Gebiete der Mathematik, die schon lange Anwendungsbezüge
pflegen – für die Funktionalanalysis, die Theorie der partiellen Differentialgleichungen,
die angewandte Analysis und Steuerungstheorie, die Numerik, die Potentialtheorie, die
Ergodentheorie, die Wahrscheinlichkeitstheorie und die Statistik. Die Maß- und Integra-
tionstheorie lässt sich also nicht recht in das Schema Reine versus Angewandte Mathe-
matik einpassen (ein Schema, das heutzutage ja auch zunehmend an Überzeugungskraft
verliert).
Unter diesem Eindruck haben wir unser Lehrbuch geschrieben. Wir haben sehr wohl
Leser im Blick, die die Theorie anderswo einsetzen wollen und sich eine konzentrierte
Darstellung der wichtigsten Resultate wünschen. Dabei liegt uns aber am Herzen, die
Maß- und Integrationstheorie als ein in sich stimmiges, abgerundetes und durchsichtiges
System von Aussagen über Flächen, Volumina und Integrale zu präsentieren. Wir mei-
nen, dass sich dies in kompakter Weise realisieren lässt, so dass sie ihren Platz im Bache-
lor für Mathematik bekommt.
Mathematisch gesehen hat die Maß- und Integrationstheorie in ihrem Kernbereich
weitgehend ihre Form gefunden. Doch denken wir, dass sich in der Darstellung des Stof-
fes noch Akzente setzen lassen. Unsere Anordnung des Stoffes folgt nicht dem von ver-
schiedenen Autoren gewählten Aufbau. Dazu seien ein paar Hinweise gegeben.
Anders als sonst behandeln wir die Existenz- und Eindeutigkeitssätze für Maße nicht
gleich am Anfang. Wir meinen, dass damit den Bedürfnissen der Studierenden eher
gedient ist: Zunächst einmal sind die Konvergenzsätze für Integrale wichtig, die Kons-
truktion von Maßen, so schön sie auch nach Carathéodory gelingt, kann demgegenüber
erst einmal zurückstehen. Deswegen behandeln wir diese Konstruktionen erst gegen
Ende unseres Lehrbuches (was nicht ausschließt, das ein Dozent sie in seiner Vorlesung
doch vorzieht). Hier haben wir eine Darstellung gewählt, die übliche Erörterungen von
V
VI Vorwort
Mengensystemen wie Mengenalgebren, Halbringe etc. vermeidet und direkt zum Ziel
führt. Auch an einigen anderen Stellen gibt es neue Akzente.
Dabei haben wir nicht im Sinn, die Theorie in allen ihren Verästelungen vorzuführen.
Wir konzentrieren uns auf ihren Kern (so wie wir ihn sehen) und stellen darüber hinaus
Resultate dar, die Verbindungen zu anderen Gebieten der Mathematik herstellen. Für die
Analysis betrifft das z. B. das Glätten von Funktionen durch Faltung oder die Transfor-
mationsformel von Jacobi. Für die geometrische Maßtheorie gehen wir auf Hausdorff-
maße und -dimensionen ein. Für die Wahrscheinlichkeitstheorie behandeln wir u. a.
Kerne sowie Maße auf unendlichen Produkträumen nach Kolmogorov. Am Ende versu-
chen wir, in zwei Kapiteln Bezüge zur Funktionalanalysis herzustellen, so wie uns das
für ein Verständnis der Theorie nützlich erscheint. Zur Orientierung des Lesers haben wir
manche Abschnitte mit einem * markiert, sie können erst einmal überschlagen werden.
An Kenntnissen setzen wir den Stoff voraus, der in den Anfängervorlesungen für
Mathematik an den Universitäten behandelt wird. Aus der Topologie benutzen wir kom-
mentarlos nur elementare Konzepte (offen, abgeschlossen, kompakt, Umgebung, Stetig-
keit, alles in metrischen Räumen). Was darüber hinausgeht, erörtern wir in der einen oder
anderen Weise. Historische Anmerkungen finden sich in Fußnoten.
Ein konziser Text, wie wir in angestrebt haben, kann nicht an die Stelle umfassen-
der Werke treten. Wir wollen deswegen auch nicht ein bewährtes Lehrbuch wie das von
Elstrodt ersetzen, ganz zu schweigen klassische Texte wie die von Halmos oder Bauer.
Im Anhang nennen wir noch weitere Einführungen in die Theorie, von allen haben wir
wesentlich profitiert. Wir erlauben uns, dies im Einzelnen nicht weiter zu belegen, wie
das in einem Lehrbuch wohl gestattet ist. Was die ursprüngliche erste Auflage angeht,
haben wir gerne Vorschläge zum Text und Korrekturhinweise von Christian Böinghoff
und Henning Sulzbach übernommen. Für die vorliegende zweite Auflage bedanken wir
uns bei Folkmar Bornemann für einige Hinweise. Dem Birkhäuser Verlag danken wir
zum wiederholten Male für die angenehme und reibungslose Zusammenarbeit.
München und Frankfurt/Main Martin Brokate
Dezember 2018 Götz Kersting
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ...................................................... 1
2 Messbarkeit .................................................... 7
3 Maße .......................................................... 19
4 Das Integral von nichtnegativen Funktionen ......................... 29
5 Integrierbare Funktionen ......................................... 41
6 Konvergenz .................................................... 53
7 Eindeutigkeit und Regularität von Maßen ........................... 63
8 Mehrfachintegrale und Produktmaße .............................. 73
9 Absolute Stetigkeit .............................................. 89
10 Die Transformationsformel von Jacobi .............................. 111
11 Konstruktion von Maßen ......................................... 117
12 Hilberträume ................................................... 135
13 Banachräume ................................................... 153
Literatur ........................................................... 169
Stichwortverzeichnis ................................................. 171
VII
1
Einleitung
DieBestimmungspeziellerFlächeninhalte,VoluminaundIntegraleisteinuraltesThemader
Mathematik.UnübertroffensinddieLeistungendesArchimedes,namentlichseineBestim-
mung von Kugelvolumen und -oberfläche als 4π/3 bzw. 4π. Später war man dann in der
Lage,mitverschiedenenHilfsmittelndenWertimmer(cid:2)neuerspeziellerIntegralezuberech-
nen.AufgabenwiedieBestimmungdesWertesvon ∞ sinx dx (nämlichπ/2)habendie
0 x
AnalysisseitEulerbeschäftigt.
Ende des 19. Jahrhunderts verlor das Thema an Bedeutung, es gab da nicht mehr viel
Neueszuentdecken.DiesistderZeitpunkt,zudemdieMaß-undIntegrationstheorieauf
denPlantrat.AuchsiebefasstsichmitInhaltenoder(wiewirimFolgendensagenwerden)
Maßen von Mengen und mit Integralen von Funktionen, ihre Fragestellung hat sich aber
gewandelt. Sie lautet nicht mehr „Was ist das Maß dieser oder jener Menge?“ sondern
„WelcheMengensindmessbar,welcheFunktionenintegrierbar?“.WelchenMengenkann
manalsoinstimmigerWeiseeinMaßzuordnen,welchenFunktioneneinIntegral.Wasderen
WertimEinzelnenist,wirdzweitrangig,indenVordergrundtretenallgemeineRegelndes
Integrierens. Der Zusammenhang zum Differenzieren, der seit Newton und Leibniz über
einenlangenZeitraumimVordergrundstand,verliertseinebeherrschendeStellung.
SolchePerspektivwechselsindinderMathematiknichtungewöhnlich.InunseremFall
hatteermitderEntwicklungzutun,dassmanIntegralenichtmehrumihrerselbstwillen
betrachtete,sondernsiealsHilfsmittelinanderweitigenmathematischenUntersuchungen
brauchte.HistorischistdainsbesonderedieFourier-AnalysevonFunktionenzunennen,die
ZerlegungvonreellenFunktioneninSinus-Schwingungen.DerenKoeffizienten(Amplitu-
den) lassen sich durch gewisse Integrale ausdrücken – dabei merkte man bald, dass man
dafürEigenschaftenderIntegrationbenötigte,diediedamalszurVerfügungstehendenInte-
gralbegriffenichtbietenkonnten.
©SpringerBaselAG2019 1
M.BrokateundG.Kersting,MaßundIntegral,MathematikKompakt,
https://doi.org/10.1007/978-3-0348-0988-7_1
2 1 Einleitung
DieMaß-undIntegrationstheorienachLebesgueentstandimGroßenundGanzenzwi-
schen den Jahren 1900 und 1915, mit wesentlicher Vorarbeit von Borel1 aus dem Jahre
1894. Die Pioniere von damals hatten von Anfang an ihren Blick auf die grundlegenden
Eigenschaftenvon Maß und Integralgelenkt.Borel war dererste,der fürMaße nichtnur
die Additivität, sondern auch die σ-Additivität forderte. Dies bedeutet, dass nicht nur für
endlichvieledisjunktemessbareMengenB , B , ... ⊂ Rd mitMaßenλ(B ), λ(B ), ...
1 2 1 2
dieVereinigungB=B ∪B ∪··· messbaristunddasMaß
1 2
λ(B)=λ(B )+λ(B )+···
1 2
besitzt,sonderndassdieseEigenschaftauchfürjedeunendlicheFolgeB , B , ...disjunkter
1 2
messbarerMengengilt.Borelerkannte,dasssichnurmitdieserAnnahmeeinefruchtbare
mathematischeTheorieergibt.ImEinzelfall,wieimBildbeimKreis,
ergab sich natürlich nichts Neues. Lebesgue2, der Begründer der modernen Integrations-
theorie,gingdanninseinergrundlegendenAbhandlungzurIntegrationausdemJahre1901
vonsechsEigenschaftenaus,dieIntegralevernünftigerweiseerfüllenmüssen.
DieMaß-undIntegrationstheoriebautaufderMengenlehreaufundkommtnichtohnederen
Schlussweisenaus.ErstmitHilfederMengenlehrefandsicheinWegzumvollenSystem
dermessbarenTeilmengendesRd undandererRäume.DabeierweistsichdieserWegals
vergleichsweiseabstraktundindirekt.UmseineBerechtigungzuerkennen,istesvielleicht
angebracht,ersteinmaleinenBlickaufanschaulichereAnsätzezuwerfen,auchwenndiese
letztlichnichtzielführendwaren.
1Émile Borel,1871–1956,geb.inSaint-Affrique,tätiginParisanderÉcoleNormaleSupérieure
und der Sorbonne. Seine bedeutenden Beiträge betreffen nicht nur die Begründung der Maßtheo-
rie,sondernauchFunktionentheorie,Mengenlehre,Wahrscheinlichkeitstheorieundmathematische
Anwendungen.DiesesWirkenverbandermiteinerpolitischenKarriere,alsParlamentsabgeordneter,
MarineministerundschließlichMitgliedderRésistance.
2Henri Lebesgue,1875–1941,geb.inBeauvais,inParistätiganderSorbonneundamCollègede
France.SeineBegründungderIntegrationstheorieisteinMarksteininderMathematik,dabeikonnte
eraufVorarbeitenvonBorelundBairezurückgreifen.MitseinenMethodenerzielteerdannResultate
überFourier-Reihen.