Table Of ContentStockholms universitet
Institutionen för baltiska språk, finska och tyska
Avdelning för tyska
Literaturanalyse und Literaturtheorie
Eine Einführung in die Literaturwissenschaft
Brigitte Kaute und Beate Schirrmacher
© Brigitte Kaute, überarbeitet und erweitert von
Beate Schirrmacher 2014
Inhalt
I Einführung in die Literaturwissenschaft ..........................................................................5
Literatur und Fiktion ................................................................................................................... 5
Was ist Literatur? .................................................................................................................. 5
Was ist Fiktion? .................................................................................................................... 5
Metafiktion ................................................................................................................ 6
Literatur und Literaturwissenschaft ....................................................................................... 6
II Einführung in die Textanalyse und Textinterpretation .................................................9
Textanalyse ........................................................................................................................... 9
Textinterpretation .................................................................................................................. 9
Handlungsanalyse ............................................................................................................... 13
Konflikt ......................................................................................................................... 13
Die Figuren ................................................................................................................... 14
Stoff – Thema – Motiv .................................................................................................. 14
Das Leitmotiv .................................................................................................... 16
Literarische Textgattungen .................................................................................................. 17
Epik ............................................................................................................................... 17
Dramatik ....................................................................................................................... 17
Lyrik.............................................................................................................................. 18
1 Narratologie: Erzähltextanalyse ......................................................................................... 19
Was wird erzählt? ................................................................................................................ 19
Geschichte –Erzählung – Narration ............................................................................... 19
Diegese .......................................................................................................................... 20
Wann wird erzählt? – Zeit ................................................................................................... 21
Grammatisches Tempus ................................................................................................ 21
Rückgriff – Vorgriff ...................................................................................................... 21
Erzählzeit – erzählte Zeit ............................................................................................... 23
Wer erzählt? Stimme – Perspektive .................................................................................... 23
Erzählinstanzen ............................................................................................................. 23
Heterodiegetische Erzählinstanz .............................................................................. 25
Homodiegetische Erzählfigur .................................................................................. 26
Unzuverlässiger Erzähler ........................................................................................ 26
Erzählhaltung ................................................................................................................ 27
Wie wird erzählt? Perspektive und Distanz ......................................................................... 27
Fokalisierung ................................................................................................................. 27
Distanz – Dialog und Rede ............................................................................................ 30
Direkte Rede ........................................................................................................... 30
Indirekte Rede. ........................................................................................................ 31
Erlebte Rede. ........................................................................................................... 32
Innerer Monolog ...................................................................................................... 32
Bewusstseinsstrom: stream of consciousness .......................................................... 32
2 Dramenanalyse ..................................................................................................................... 34
Dramentext und Aufführung. ........................................................................................ 34
Haupttext – Nebentext ................................................................................................... 35
Auftritt – Szene – Akt ................................................................................................... 35
Informationsvergabe ..................................................................................................... 36
Konflikt ......................................................................................................................... 36
Formen des (abendländischen) Dramas ............................................................................... 37
Antikes Drama. ............................................................................................................. 37
Spiele im Mittelalter und in der Reformationszeit ......................................................... 37
Klassisches Drama ........................................................................................................ 37
Dramenformen .............................................................................................................. 38
Tragödie .................................................................................................................. 39
Komödie: ................................................................................................................. 39
Das epische Theater. ............................................................................................... 40
Offene Form – geschlossene Form .......................................................................... 41
3 Lyrikanalyse ......................................................................................................................... 42
Klang ................................................................................................................................... 43
Rhythmus und Metrum .................................................................................................. 43
Vers ............................................................................................................................... 45
Enjambement und Zäsur .......................................................................................... 46
Reim .............................................................................................................................. 47
Klangfarbe der Vokale ............................................................................................ 48
Klassische Strophen- und Gedichtformen ............................................................... 48
Rhetorische Figuren ...................................................................................................... 49
Bild ..................................................................................................................................... 50
Graphische Gestaltung .................................................................................................. 50
Metaphorik und Tropen ................................................................................................. 52
Inhalt ................................................................................................................................... 53
Das lyrische Subjekt ................................................................................................ 53
Reflexionsgegenstand .............................................................................................. 53
Lyrische Rede und Reflexionsgegenstand ......................................................... 54
Metaphorik ........................................................................................................ 55
Semantische Wortfeldanalyse ............................................................................ 56
Literatur .............................................................................................................................. 59
Lexika ........................................................................................................................... 59
Auf schwedisch ............................................................................................................. 59
I Einführung in die Literaturwissenschaft
Literatur und Fiktion
Was ist Literatur?
Gegenstand von Literaturwissenschaft ist Literatur. Nur: Was ist Literatur?
Literatur wird (meistens, aber nicht mehr ausschließlich) über das Medium
Buch verbreitet. Es gibt aber auch mündlich überlieferte Literatur und inzwi-
schen kann man einen neuen Roman als Hörbuch hören oder auf das Handy
als E-Book herunterladen. Literatur besteht aus Text. Aber nicht jeder Text
ist Literatur im Sinne der Literaturwissenschaft. Ein Großteil der Texte, mit
denen die Literaturwissenschaft sich beschäftigt, ist fiktiv. Ehe wir weiter
beschreiben können, was Literatur ist, müssen wir deshalb wissen, was Fik-
tion ist.
Was ist Fiktion?
Fiktion kommt vom lat. ficta (gemacht). Fiktion steht im Gegensatz zu Fak-
ten. Fakten sind etwas, das „tatsächlich und nachweisbar geschehen ist“.1
Fiktion beschreibt also etwas, das nie „tatsächlich und nachweisbar“ gesche-
hen ist. Selbst wenn historische Ereignisse geschildert werden, erscheinen
sie in der Fiktion nicht notwendigerweise so, wie sie „tatsächlich und nach-
weisbar“ geschehen sind. Der griechische Philosoph Aristoteles schreibt in
seiner Poetik, dass es nicht Aufgabe der Dichter sei, zu schreiben, „was
wirklich geschehen ist, sondern vielmehr, was geschehen könnte“.2 Der Lite-
raturtherotiker Terry Eagleton beschreibt Fiktion als ein „Schreiben, das
nicht im wörtlichen Sinne ‚wahr‘ ist“.3 Ist Fiktion also Lüge, also eine „ab-
sichtlich, wissentlich geäußerte Unwahrheit“?4 Doch Fiktion will, im Unter-
schied zur Lüge, den Empfänger nicht absichtlich täuschen. Fiktion macht
die Zuhörer/Leser sozusagen zu Komplizen, die sich darüber im Klaren sind,
dass sie eine fiktive, erfundene Geschichte hören.
Fiktionen schaffen eigene Welten, die unserer alltäglichen Welt sehr ähnlich
sein können, aber nicht sein müssen. Doch innerhalb dieses fiktiven Univer-
sums werden Aussagen so bewertet, als ob sie Aussagen über Tatsachen
1 „Fakt“ in Duden. Deutsches Universalwörterbuch. http://www.duden.de/woerterbuch. Ein-
gesehen am 14.06.2014.
2 Aristoteles, Poetik. Stuttgart: Reclam 1994, Kap. 9, 1451a36–38.
3 Terry Eagleton: Einführung in die Literaturtheorie. Stuttgart: Metzler 1994, 1.
4 „Lüge“ in Duden. http://www.duden.de/woerterbuch. Eingesehen am 14.06.2014.
5
wären. Gemeinsam tun ein Geschichtenerzähler/Autor und Zuhörer/Leser
dasselbe wie spielende Kinder: Sie „tun so, als ob“ es möglich wäre. Zu-
sammen mit Henning Mankell tun wir so, als ob es einen deprimierten Poli-
zeikommissar in Ystad gäbe, mit Joanne K. Rowling, als ob es ein Zauberer-
Internat namens Hogwarts gäbe oder zusammen mit Franz Kafka, als ob man
sich in einen riesigen Käfer verwandeln könnte („Die Verwandlung“). Diese
fiktiven Welten sind vom Autor geschaffene Welten. Sie bestehen aus Text,
das heißt aus Sprache, niedergeschrieben in einem linearen Zeichensystem,
zusammengesetzt aus Wörtern und Buchstaben. Um nur aus Worten Welten
entstehen zu lassen, braucht man gewisse Techniken. Die Literaturwissen-
schaft interessiert sich unter anderem dafür, mit welchen Mitteln diese fikti-
ven Welten erschaffen werden.
Metafiktion
Fiktive Texte sind auf unsere Mitarbeit als Leser angewiesen, wir müssen
(so tun, als ob wir) ihnen Glauben schenken. In vielen literarischen Texten
wird mit dieser Diskrepanz gespielt. Metafiktion ist die Bezeichnung für
fiktive Texte, die über ihre Eigenschaften als Fiktion nachdenken und mit
ihnen spielen. Häufig geschieht das, indem die Illusion der fiktiven Welt
durchbrochen wird. Schon Miguel Cervantes Don Quijotte (1605), der erste
moderne Roman, ist eine metafiktive Geschichte. Denn die Hauptperson ist
ein Edelmann, der glaubt, tatsächlich durch die fantastische Welt der Ritter-
romane voller Monster, Zauberer und Prinzessinnen zu reisen. Literarische
Texte können auf sehr unterschiedliche Weise auf ihren fiktiven Charakter
aufmerksam machen. Sie heben dabei hervor, dass Literatur uns zwar ganze
Welten eröffnet, aber letztlich nur aus Text, aus Buchstaben und Wörtern,
gemacht ist (lat. ficta est) – fiktiv eben.
Literatur und Literaturwissenschaft
Ein Großteil von dem, was die Literaturwissenschaft untersucht, sind fiktive
Texte, also Schilderungen einer vom Autor geschaffenen fiktiven Welt, z.B.
in Form von Dramen, Romanen, Gedichten und Epen. Aber die Literaturwis-
senschaft interessiert sich auch für Michel Montaignes Essays, Martin Lu-
thers Predigten, Friedrich Schillers Geschichtsstudien, Paulus’ Briefe in der
Bibel, mittelalterliche Gesetzestexte, philosophische Texte von Platon bis
Michel Foucault, für die neue Art von Texten, die im Internet entstehen wie
Blogs oder Forumstexte. Gegenstand von Literaturwissenschaft ist Literatur.
Als Literatur lässt sich allerdings alles verstehen, was Gegenstand von Lite-
raturwissenschaft ist.
Diese Definition erklärt mehr, als auf den ersten Blick deutlich wird. Denn
was als Literatur gilt, ist Konvention. Im Laufe der Zeit kann sich ändern,
was Literaturwissenschaftler meinen, wenn sie von „der“ Literatur sprechen.
6
Alte Gebrauchstexte – von juristischen Reden bis zu Kochrezepten – werden
literaturwissenschaftlich untersucht. Umgekehrt gibt es auch fiktive Texte,
wie Trivial- oder Kriminalromane, Comics, die nicht immer als Literatur im
Sinne der Literaturwissenschaft verstanden wurden, die inzwischen aber
immer öfter auch im Fokus der Literaturwissenschaft stehen.
Literatur zeichnet häufig auch durch eine besondere Verwendung von Spra-
che aus. Die Sprache der Literatur ist nicht nur Kommunikationsmittel. Lite-
rarische Sprache richtet unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf ihren Inhalt,
sondern auf ihre Form. Literarische Sprache zielt darauf ab, Sprache, die wir
sonst ohne nachzudenken gebrauchen, erfahrbar zu machen.
Eine literaturwissenschaftliche Perspektive auf einen Text stellt nicht nur die
Frage, was geschildert wird, sondern wie es geschildert wird. Die Inhaltsan-
gabe eines Textes ist nur der erste Schritt einer Analyse, die sich dafür inte-
ressiert, wie der Text gemacht ist. Das erklärt auch, warum wir in Texten,
die als Gebrauchstexte entstanden (z. B. mittelalterliche Gesetzestexte), zu-
nehmend literarische Qualitäten sehen, weil sie sich weiter von unserer All-
tagssprache entfernen. Deshalb ist Literatur auch eine Art soziale Praxis:
Literatur ist das, was wir als Literatur behandeln. Der Kontext entscheidet
mit darüber, was Literatur ist.
Literatur ist deshalb auch, was im Literaturseminar behandelt wird, was in
bestimmten Verlagen erscheint, was bestimmte Genrebezeichnungen wie
„Roman“, „Erzählung“ „Gedicht“ trägt. Und diese Kriterien sind veränder-
lich: Die Regeln dafür, was als ein Gedicht gelten kann, sehen im 17. Jahr-
hundert anders aus als im 21. Jahrhundert.
John M. Ellis erklärt den Begriff von Literatur deshalb als funktional, ver-
gleichbar mit dem Wort „Unkraut“. „Unkraut“ bezeichnet keine biologische
Pflanzenart, sondern eine Art von Pflanze, die man nicht an einer bestimm-
ten Stelle haben will. Literatur ist keine bestimmte Art von Text, sondern
eine „Art von Text, für die man sich besonders interessiert“.5
Daraus ergibt sich die Frage, welche Literatur man für besonders interessant
hält – oder Professoren, Rezensenten, Wissenschaftler für besonders interes-
sant halten: Das führt zu der Entstehung eines Literaturkanons, d.h. einer
Sammlung von Texten, die als besonders wichtig, bedeutsam, lesenswert
betrachtet werden und deren Kenntnis in bestimmten Kreisen als bekannt
vorausgesetzt wird.6 Der Kanon als die Sammlung der Werke, „die man ge-
lesen haben muss“ stellt einen absoluten Anspruch dar. Gleichzeitig ist der
Kanon aber von Zeit und Raum abhängig und veränderlich. Für seine Be-
5 John M. Ellis: The Theory of Literary Criticism: A Logical Analysis. Berkeley: Univ. of
California Press 1974, S. 37ff.
6 Gero von Wilpert: „Kanon“ in Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart: Kröner, 2001, 8.
verbesserte und erweiterte Auflage, S. 396.
7
fürworter ist er Bildung und Ausdruck kultureller Tradition. Ältere Werke
bewahrt er vor dem Vergessen. Für seine Kritiker ist er elitär, exklusiv, re-
pressiv. Ein Kanon ist immer eine Auswahl, die Werte, Geschmack, Macht-
verhältnisse und Literaturbegriff einer Gesellschaft spiegelt: Deshalb sollte
er sich mit der Gesellschaft auch verändern oder hinterfragt werden.
8
II Einführung in die Textanalyse und
Textinterpretation
Was ist ein Text? Der Text ist ein „Objekt aus Sprache“, das wir inhaltlich
als zusammenhängend (kohärent) auffassen. Literarische Texte sind nur eine
Sorte von Text, neben Fachtexten, Gebrauchstexten etc. Text ist der neutrals-
te Begriff, um den Forschungsgegenstand der Literaturwissenschaft zu be-
schreiben. Andere Begriffe bringen schon Wertungen mit sich: Der Begriff
„Roman“ bezeichnet z.B. ein Genre und damit eine bestimmte Art von Text.
Der Begriff „Werk“ bezeichnet ein Produkt kreativer Arbeit, und in dieser
Bezeichnung schwingt schon eine ästhetische Wertung (z.B. abgeschlosse-
nen, bewusst strukturiert, ästhetisch wertvoll) mit, deshalb ist er nicht unum-
stritten.
Textanalyse
So wie der Chemiker die Bestandteile einer chemischen Lösung analysiert,
untersucht die Textanalyse, aus welchen Bestandteilen der Text aufgebaut
(cid:1) (cid:1)
ist. Die Erzähltextanalyse (Narratologie), die Dramenanalyse, die
(cid:1)
Lyrikanalyse streben zunächst eine Bestandsaufnahme an, eine kontrol-
lierte und methodische Beschreibung des Textes, ohne ihn inhaltlich zu in-
terpretieren.
Gerade längere Texte werden nicht immer vollständig analysiert. Während
man ein Gedicht in wenigen Sätzen vielleicht noch in seiner Gesamtheit
formal analysieren kann, wird in den meisten narrativen Texten das heraus-
gegriffen, was besonders auffällig erscheint. In der Praxis ist die Analyse
häufig punktuell und konzentriert sich auf auffällige Stellen und bestimmte
Aspekte. Die Analysekategorien, die in den folgenden Kapiteln präsentiert
werden, funktionieren deshalb wie ein Werkzeugkasten. In diesem Werk-
zeugkasten sind Standardformen narrativer, dramatischer und lyrischer Texte
wie ein Satz Schraubenzieher zusammengestellt sind. Selten braucht man als
Handwerker die Schraubenzieher aller Größen gleichzeitig, sondern man
wählt diejenigen Kategorien, die zum Beschreiben des jeweiligen Textes am
vielversprechendsten erscheinen. Die Textanalyse interessiert sich dafür, wie
in Wörtern und Sätzen etwas dargestellt wird, eine Handlung, eine Szene,
ein Vers. In der Analyse stellt sich die Frage: Was steht im Text und wie
finden wir es zusammengesetzt?
Textinterpretation
Die Analyse zerlegt den Text in seine Bestandteile. Die Interpretation strebt
danach, diese Bestandteile zu erklären und zu einer zusammenhängenden
9
Deutung zusammenzufügen. Die Textinterpretation handelt davon Hand-
lung, Szene, Vers nicht in Bestandteile zu zerlegen, sondern ihren Zusam-
menhang zu erklären. Die Frage der Interpretation ist eher: Warum so und
nicht anders?
Analyse und Interpretation folgen häufig aufeinander und gehen auseinander
hervor. Entweder bieten die Ergebnisse einer Analyse Hinweise für eine
schlüssige Interpretation. Oder aber man hat eine (vielleicht spontane) Inter-
pretation eines Textes, die durch eine genauere Analyse bestätigt werden
kann, die vielleicht den entscheidenden Anhaltspunkt geben kann, auf wel-
cher formalen Ebene eine Analyse sinnvoll ist. Je nach Perspektive, histori-
schem Kontext und Interesse kann ein literarischer Text sehr unterschiedlich
interpretiert werden. Auch wenn viele unterschiedliche Interpretationen
möglich sind, ist die Interpretation nicht völlig beliebig. Jede Interpretation
muss im Text verankert sein, d.h. bestimmte Elemente im Text erklären
können.
Was lässt sich also interpretieren? Das kann sehr unterschiedlich sein. Der
Text ist ein Konstrukt. Der Autor wählt in der Konstruktion seines Textes
aus unzähligen Möglichkeiten eine Möglichkeit, bestimmte Namen, Orte,
Beschreibungen, Wörter und diese Wahl lässt sich interpretieren. Warum hat
die Hauptfigur diesen Namen? Wieso trägt der Text diesen Titel und keinen
anderen? Wieso heißt Alfred Anderschs Roman Sansibar oder Der letzte
Grund und nicht Raus aus Rerik?
Das bedeutet nicht, dass es in der modernen Literaturwissenschaft darum
geht, die Absichten (Intention) des Autors zu erraten oder zu beweisen.
Vielmehr geht es um die Frage, welche Zusammenhänge sich im Text oder
mit anderen Texten (Intertextualität) auftun, ob die Interpretation dieses oder
jenes Elements des Textes Licht auf andere Elemente im Text wirft oder mit
anderen Elementen zusammenhängt. Die ständig wiederkehrende Frage der
Interpretation ist: Warum wird das so geschildert? Warum so und nicht an-
ders?
Dabei bestimmt häufig der Text die Wahl der Methode und entscheidet, wel-
che Theorie, welche Interpretationstechnik, welches Textniveau geeignet ist,
um interessante Aussagen über den Text zu machen. Oder die Wahl ist be-
stimmt durch das Interesse des Forscher: Wie diese Fragen beantwortet wer-
den, nach welchen Methoden und mit Hilfe welcher Theorien, kann sehr
unterschiedlich sein, kann von Interesse und Zeitgeist abhängen. In der In-
terpretation gibt es unterschiedliche Annäherungsweisen. Man kann vom
Text selbst ausgehen, von seinem Kontext oder von seinem Empfänger, dem
Leser. Die Entwicklung moderner Literaturtheorien lässt sich als eine Pen-
delbewegung zwischen den Schwerpunkten Text und Kontext verstehen.
Allen ist jedoch gemeinsam, dass man es seit Beginn moderne Literaturtheo-
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