Table Of Contentmetzler kompakt
Heike Gfrereis (Hrsg.)
Literatur
Verlag J.B. Metzler
Stuttgart · Weimar
IV
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Inhalt
Artikel A -Z 1
Abkürzungen 189
Die wichtigsten Grundbegriffe im
systematischen Überblick 190
Absolute Dichtung 1
.........................................................................................................................................................
A
Beispiele für Variationen des Aben-
teuerroman-Schemas: die Homer zuge-
schriebene Odyssee (äEpos), die äAr-
Abenteuerroman, seit der Antike tusdichtungen des Mittelalters, die
wichtiger Typus des äRomans: eine lok- äSpielmannsdichtungen, äAmadisro-
kere Folge relativ selbständiger, um ei- mane und äVolksbücher (z.B. Fortuna-
nen Helden gruppierter Geschichten; tus, Til Eulenspiegel) der frühen Neuzeit,
oft in einen zyklischen Handlungsrah- die äSchelmenromane und äheroisch-
men (Finden/Trennen/Wiederfinden ei- galanten Romane des Barock, im 18.
nes Liebespaars o.ä.) eingebunden, Jahrhundert D. Defoes Robinson Crusoe,
meist in volkstümlich-realistischem Stil. Chr. A. Vulpius’ Rinaldo Rinaldini, im
Charakteristisch: Das Motiv der frei- 19. Jahrhundert die Indianer- und Zu-
willigen oder erzwungenen Reise, die kunftsromane (K. May, L. Stevenson,
den Helden in die unbekannte Fremde J.F. Cooper, J. Verne), im 20. Jahrhun-
(über den Ozean, in den Wilden Westen, dert die Liebes-, Ärzte-, Wildwestroma-
auf eine einsame Insel) führt und seine ne der Trivialliteratur.
zahlreichen Abenteuer begründet, wo- Beispiele für kunstvolle Weiterent-
bei ›Zeit‹ und ›Raum‹ (äChronotopos) wicklungen: Apuleius: Der Goldene Esel
nur die narrativen Funktionen ›Mit- (3.Jh. n.Chr.); M. Cervantes: Don Qui-
tel der Handlungsverknüpfung‹ und jote(1606); Chr. von Grimmelshausen:
›Schauplatz der Handlung‹ erfüllen und Simplicissimus(1669); H. Fielding: Tom
von der Antike bis ins 18. Jahrhundert Jones(1749), J.W. von Goethe: Wilhelm
außerhalb historisch, biographisch oder Meisters Lehrjahre(1795/96); J. Eichen-
geographisch bestimmbarer Raum- dorff: Taugenichts(1826).
Zeit-Vorstellungen liegen (äMotivation AbgesangäAufgesang, äEpode
von hinten). Wenn sich z.B. in Longos’ Abhandlung, im 17. Jahrhundert für
Daphnis und Chloe (Ende 2./Anfang den äAkt im Drama.
3.Jh. n.Chr.) oder Heliodors Aithiopika Absolute Dichtung[von lat. absolu-
(3.Jh. n.Chr.) die Liebenden nach einer tus= losgelöst], auch äautonome, reine
oft jahrzehntelangen Trennungszeit und oder abstrakte [von lat. abstractus= ab-
einer fast endlosen Kette von Entfüh- gezogen] Dichtung; reine Wortkunst
rungen, Kämpfen, Schiffbrüchen, Prü- (L’art pour l’art, äautonome Kunst,
fungen u.a. am Ende wiederfinden, äPoésie Pure).
dann sind sie so jung und schön wie zu Eine der Idealvorstellungen der lite-
Beginn: Die Zeit ist spurlos an ihnen rarischen äModerne: Das Wortkunst-
vorübergegangen, der Moment, in dem werk löst sprachliche Prozesse aus, die
sie sich wiederfinden, deckt sich mit nach seinen eigenen Gesetzen ablaufen,
dem Moment, in dem sie sich auf den und ist so von direkten Wirklichkeits-
ersten Blick ineinander verliebten. Im bezügen unabhängig. Im ›absoluten Ro-
Unterschied zum äDetektivroman, der man‹ (z.B. C. Einstein: Bebuquin, 1906;
mit fortlaufender Handlung ein Gesche- G. Benn: Roman des Phänotyp, 1949)
hen der Vergangenheit (den Tathergang) wird dies u.a. durch ein Minimum
enthüllt; hier ist die Zeit das Thema (der an Handlung, eine auf das Einzelwort
Mord ist ein Einschnitt in die Zeit, hin verknappte Sprache, eine Reihung
nichts ist nach ihm so, wie es vorher bestimmter Wortarten wie z.B. von
war) und der Raum Voraussetzung und Farbadjektiven oder gegenständlichen
Zeuge der Tat (der historisch, geogra- Hauptwörtern und assoziativ-lyrische
phisch und biographisch genau be- Monologe zu erreichen versucht, in der
stimmte Tat-Ort kann gegen keinen an- ›absoluten Lyrik‹ (z.B. von E.A. Poe,
deren ausgetauscht werden). Ch. Baudelaire, St. Mallarmé, A. Rim-
2 Absurdes Theater
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baud, St. George, A. Stramm) vor allem gen, dem Wind [der winterlichen Na-
durch alogische, Grammatik und Syntax tur] entgegen« (Goethe); oft durch den
scheinbar ignorierende Zusammenstel- Wortinhalt oder längere, vollklingende-
lung von Sprach- und Lautmaterial re Wörter gesteigert (äKlimax): »Ein
(akustische, visuelleDichtung usw.), im Wort – ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,
›absoluten Theater‹ u.a. durch das von ein Flammenwurf, ein Sternenstrich«
vornherein auffallend künstliche äPup- (Benn). äAdiunctio, äAmplificatio
penspiel. Richtet sich gegen die traditio- Adaption[von lat. (ad-)aptus= an-
nelle Auffassung, Literatur entspringe gepaßt], Umarbeitung eines literari-
dem Gefühlserlebnis, wäre kritisches schen Werks, um es – ohne den Gehalt
Abbild der Wirklichkeit (äMimesis) wesentlich zu verändern – den struktu-
und wolle dem Leser einen ›Sinn‹, eine rellen Bedingungen einer anderen
Moral vermitteln (äprodesse et delectare, äGattung oder eines anderen Medium
äengagierte Literatur). Höhepunkte in anzupassen, z.B. P. Tschaikowskijs Ad-
äSymbolismus (äDécadence, äFin de aption von Fr. Schillers Jungfrau von Or-
siècle, äImpressionismus, äWiener Mo- leansfür die Oper, H. von Hofmanns-
derne), äExpressionismus (äSturm- thals Adaption von E.T.A. Hoffmanns
kreis), äDadaismus, äkonkrete Dich- Novelle Die Bergwerke zu Falunfür die
tung; auch äComputerliteratur und Bühne, J. Osbornes Adaption von
äPop-Literatur. H.Fieldings Tom Jones für den Film.
Absurdes Theater[von lat. absurdus Kann auch (anders als die Bearbeitung)
= unrein klingend], Theaterform vor al- durch den Autor selbst erfolgen (äFas-
lem der 1950er Jahre, die sich gegen das sung), z.B. M. Frischs Adaptionen sei-
traditionelle äDrama wendet: Statt ei- nes Hörspiels Herr Biedermann und die
ner überschaubaren, psychologisch oder Brandstifterfür Bühne und Fernsehen.
durch göttliche ›Schicksalsmächte‹ mo- Adiunctio [lat. Anschluß, Zu-
tivierten, auf einen Höhepunkt ausge- satz], Reihung bedeutungsverschiedener
richteten Handlung bestimmen Rituale, Wortgruppen, die vom selben Satzglied
sich immer weiter reduzierende Abläufe abhängen: »Er… wird Euch aus diesem
das Geschehen, statt in spannungsrei- Neste ziehen, Eure Treu in einem hö-
chen äDialogen sprechenden Personen hern Posten glänzen lassen« (Schiller).
agieren Demonstrationsfiguren, die sich äAccumulatio, äZeugma
nicht verstehen, sinnentleerte Floskeln Adoneus[nach dem Klageruf O ton
wiederholen und oft ganz verstummen. Adoninin griechischen Totenklagen um
Beispiele schon von A. Jarry (König den schönen Jüngling Adonis], fünf-
Ubu, 1896) und G. Apollinaire, nach gliedriger antiker Versfuß, im Deut-
dem Zweiten Weltkrieg von E. Ionesco, schen mit äDaktylus und äTrochäus
S.Beckett, H. Pinter, Fr. Dürrenmatt, P. nachgebildet: –%%–%(x´ x x x´ x: »Líebe
Handke u.a. äTheater der Grausamkeit der Góttheit«, Klopstock).
Abvers, 2. Teil einer äLangzeile oder Metrisch identisch mit den beiden
eines äReimpaars, auch Schlußvers ei- letzten Versfüßen des äHexameters, in
nes äStollens, im Unterschied zum An- dem der Adoneus als wiederkehrende
vers, dem 1. Teil. rhythmische Formel jeweils das Ende ei-
Accumulatio [lat.], Häufung von ner Zeile deutlich markiert (die obliga-
Wörtern, nicht durch Wiederholung torische Einkürzung des letzten Dakty-
verschiedener Wörter für dieselbe Sache lus um eine Silbe vertritt beim münd-
(Synonyme), sondern durch Detaillie- lichen Vortrag den Punkt). Häufig in
rung eines übergeordneten, vor- oder äOdenmaßen (Schlußzeile der sapphi-
nachgestellten oder auch fehlenden Kol- schen Strophe) und als rhythmische
lektivbegriffs: »Dem Schnee, dem Re- Formel in der äKunstprosa (äKlausel).
Akzentuierendes Versprinzip 3
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Ad spectatores[lat. an die Zuschau- wohl mit magischer Funktion, später
er], im Theater: 1. Vorrede, äProlog; vor allem als Hinweis auf Autor oder
2.direkte Hinwendung einer Bühnenfi- Empfänger und als Schutz gegen Ver-
gur zum Publikum, die – von den übri- fälschungen (äInterpolationen) und
gen Bühnenfiguren scheinbar unbe- Auslassungen.
merkt – damit die Illusion stört, die Welt Akt[lat. Vorgang, Handlung], im Dt.
der Bühne wäre eine geschlossene und auch Aufzug, Abhandlung: größerer, in
in sich quasi wirkliche Welt. Häufig in sich geschlossener Handlungsabschnitt
äKomödie (äParabase) und modernem eines äDramas, ursprünglich durch den
Drama (z.B. in Brechts äepischem äChor (äReyen), seit dem 17. Jahrhun-
Theater). dert vor allem durch den Vorhang mar-
Agitprop-Theater [Kurzwort aus kiert.
Agitation und Propaganda], besonders Besteht meist aus mehreren Szenen,
in sozialistischen Staaten verbreitete Bildern o.ä. und bestimmt den Aufbau
Form politischer Dichtung, die der Ver- eines Dramas entscheidend mit. Beson-
breitung der marxistisch-leninistischen ders das an der Antike (vor allem den
Lehre dienen wollte und zu konkreten äPoetiken von Aristoteles und Horaz)
politischen Aktionen aufrief. In orientierte Drama folgt einer strengen,
Deutschland in den 1920er Jahren von gattungsabhängigen Akteinteilung (für
kommunistischen (Jugend)verbänden die äKomödie sind 3, für die äTragödie
vor allem als Straßentheater praktiziert 5 Akte üblich), die den Gang der Hand-
(gesammelt z.B. in Das rote Sprachrohr, lung schematisch gliedert in: 1. äprotasis
1929). In den westlichen Staaten in den (Exposition, Einführung der Figuren,
1960er Jahren populär (z.B. P. Weiss: Vorbereitung des Konflikts), 2. äepitasis
Viet Nam Diskurs, 1968). (Entfaltung des Konflikts), 3. äkrisis
Agon[gr.], 1. in der griechischen An- (Höhepunkt des Konflikts), 4. äkatasta-
tike: sportlicher Wettkampf oder musi- sis(Ausgangspunkt der äPeripetie, des
scher Wettstreit, besonders bei Festspie- plötzlichen Umschlagens der Hand-
len (Olympiade) und kultischen Festen lung), 5. äkatastrophe (abschließender
(an den äDionysien in Athen z.B. wur- Wendepunkt); im Dreiakter konzen-
den seit Ende des 6. Jahrhunderts an triert: 1. protasis, 2. epitasis, 3. katastro-
drei aufeinanderfolgenden Tagen die phe.
äTetralogien dreier konkurrierender Akzent [lat. Lehnübersetzung. von
Dichter aufgeführt, seit 486 v.Chr. zu- gr. prosodia = Tongebung], Hervorhe-
sätzlich fünf Komödien, und anschlie- bung einer Silbe im Wort oder eines
ßend prämiert); 2. Streitgespräch, als Worts im Satz durch größere Schallfülle
selbständige Gattung oder Einlage in ei- (dynamischer oder expiratorischer Ak-
nem größeren Werk (Hauptbestandteil zent) oder höhere Tonlage (musikali-
der klassischen griechischen äKomö- scherAkzent).
die). Akzentuierendes Versprinzip,
Akatalektisch [gr. nicht (vorher) rhythmische Gliederung der Sprache
aufhörend], Bezeichnung für Verse, de- durch den (freien oder geregelten)
ren letzter Versfuß vollständig ausgefüllt Wechsel betonter und unbetonter Sil-
ist. Dagegen äkatalektisch, ähyperkata- ben.
lektisch. Liegt vor allem den Dichtungen der
Akrostichon[gr. Spitze eines Verses], germanischen Völker zugrunde (äStab-
ein aus den ersten Buchstaben (Silben, reimvers, äVolksliedstrophe). Anders
Wörtern) aufeinanderfolgender Verse als im äquantitierenden (Wechsel lan-
oder Strophen gebildetes Wort (oft ein ger und kurzer Silben) und äsilbenzäh-
Name, auch ganze Sätze); ursprünglich lenden Versprinzip (Anzahl der Silben)
4 Alba
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fallen im akzentuierenden Versprinzip entschlüsseln (mehrfacher äSchrift-
Wort- und Versakzent zusammen; der sinn); auch auf Gegenstände, Situatio-
gleichmäßige Wechsel betonter und un- nen usw. der außerliterarischen Wirk-
betonter Silben (Alternation) oder eine lichkeit angewandt, die als Zeichen, als
Reihung stark betonter Silben kann je- ›Schrift Gottes‹ verstanden wurden
doch zur Unterdrückung des Wortak- (›Buch der Natur‹, ›Lesbarkeit der
zents und zur Hervorhebung auch un- Welt‹). In der Antike zur Erhellung
betonter Silben führen, z.B. »Dies íst die dunkler Textstellen, aber auch zur Ver-
Zéit der Kö´nigé nicht méhr« (Hölder- teidigung von Texten gegen philosophi-
lin), »Gott scháfft, erzéucht, trägt, sche, moralische oder religiöse Einwän-
spéist, tränkt, lábt, stärkt, nä´hrt, er- de entwickelt. äExegese, äHermeneu-
quíckt« (Logau). tik, äTypologie
Alba, Gattung der provenzalischen Allegorie[gr. allo agoreuein= etwas
äTrobadorlyrik, vergleichbar mit dem anderes sagen], in äRhetorik, äPoetik,
mittelhochdeutschen äTagelied. Literatur- und Kunsttheorie: Veran-
Aleatorische Dichtung[von lat. alea schaulichung a) eines Begriffes durch
= Würfel(spiel)], Sammelbezeichnung ein rational faßbares Bild (Begriffsallego-
für Literatur, deren Kompositionsprin- rie):Justitia als Frauengestalt mit Waage,
zip vom ›Gesetz des Zufalls‹ bestimmt Schwert und Augenbinde (äPersoni-
wird. Ansätze in der deutschen äRo- fikation) oder der Staat als Schiff, b) ei-
mantik, Höhepunkte im äDadaismus nes abstrakten Vorstellungskomplexes
und äSurrealismus (äÉcriture automa- durch eine Bild- und Handlungsfolge:
tique). z.B. Kampf zwischen den Tugenden und
Alexandriner [nach dem afrz. Ale- Lastern als episch ausgeführter Kampf
xanderroman, 1180], wichtigster franzö- menschlicher Gestalten. Kann Bestand-
sischer Sprechvers: aus 12 bzw. 13 Sil- teil eines längeren Texts oder selbstän-
ben, mit männlichem oder weiblichem dige literarische bzw. bildkünstlerische
äReim und fester äZäsur nach der 6. Gattung sein (z.B. Martianus Capellas
Silbe; nach Art der obligatorischen Allegorie der äArtes liberales: De nuptiis
Reimbindung unterschieden in heroi- Mercurii et Philologiae, 5.Jh.).
schen Alexandriner (aabb) und elegi- Im Gegensatz zur äMetapher ist die
schenAlexandriner (abab). Bedeutung der Allegorie nicht unmittel-
Im 12. Jahrhundert in Frankreich aus- bar im Bild anschaulich, da die Bezie-
gebildet, im äBarock auch in Deutsch- hung zwischen Bild und Bedeutung
land vorherrschend (besonders in äTra- willkürlich gewählt ist; rationale Erklä-
gödie, äEpos, äLehrgedicht, äSonett): rungen (entweder im Bildprogramm
nachgebildet durch sechshebige Jamben der Allegorie selbst enthalten, Allegoria
mit Zäsur nach der 3. Hebung (»Was permixta, oder nur aus dem literari-
díeser héute báut, / reißt jéner mórgen schen, religiösen, sozial- und kulturge-
éin«, Gryphius); seit dem 18. Jahrhun- schichtlichen Kontext zu entwickeln, Al-
dert durch die reimlosen Versmaße legoria tota) müssen nachgereicht wer-
äHexameter und äBlankvers zurückge- den (äAllegorese, äExegese), wobei
drängt. Gleichsetzungen oft bis ins Detail mög-
Alkäische StropheäOdenmaße lich sind (wie in der Minnegrotte-Alle-
Allegorese, ein vor allem im Mittel- gorie in Gottfrieds Tristan). Von P. de
alter ausgeprägtes Verfahren der Text- Man (äPoststrukturalismus, äWir-
auslegung, das darauf zielt, eine hinter kungsästhetik) als Modell für die Unein-
dem Wortsinn (Sensus litteralis) verbor- holbarkeit der Bedeutung eines Textes,
gene, nicht unmittelbar zugängliche tie- die Unabschließbarkeit der Lektüre ver-
fere Bedeutung (Sensus spiritualis) zu standen. äEmblem
Amphitheater 5
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Alliteration[von lat. ad + littera= zu langer und kurzer Silben (z.B. äJambus,
+ Buchstabe], gleicher Anlaut aufeinan- äTrochäus im Gegensatz zu äDaktylus,
derfolgender Wörter: »Das Lernen ohne äAnapäst).
Lust ist eine läre Last / Dann Lehre wird Amadisroman, im 16. Jahrhundert
durch Geist und Lieb ein lieber Gast« weit verbreiteter Typus des (Prosa)-Rit-
(G. Ph. Harsdörffer). terromans um die Figur des Amadis de
Ursprünglich Mittel magisch-religiö- Gaula (›von Wales‹), der Strukturen des
ser Beschwörungs- und Gebetsformeln antiken äAbenteuerromans mit Sagen-
(z.B. im 2. Merseburger Zauberspruch: gut des Mittelalters verbindet: Der nach
»ben zi bena, bluot zi bluoda, lid zi ge- seiner Geburt ausgesetzte Held besteht
liden«); verbindet Wörter über die Satz- zahllose Abenteuer an exotischen
struktur hinaus, hebt z.B. koordinierte Schauplätzen, bis er endlich mit seiner
Begriffe hervor (»das Lernen ohne Geliebten Oriana wieder vereint wird.
Lust«) oder ordnet einem Substantiv das Erste erhaltene Fassung von G.R. de
zugehörige Adjektiv fest zu (»eine läre Montalvo (1508), Einfluß auf Tasso, Ari-
Last«, äEpitheton), dient der Einpräg- ost, Cervantes (Don Quijote, 1605/1615,
samkeit und besitzt eine sprachmusika- als äParodie des Amadisromans): im
lische Bedeutung: »Komm Kühle, äBarock neben Heliodors Aithiopika
komm küsse den Kummer, / süß säu- und H. d’Urfés Schäferroman L’Astrée
selnd von sinnender Stirn« (C.Brenta- (1607–27) wichtigste Grundlage des
no). In der altgermanischen, altnordi- äheroisch-galanten Romans; auch noch
schen Dichtung verskonstituierendes im 18. Jahrhundert aufgegriffen (z.B. in
Prinzip (äStabreimvers). Händels Oper Amadigi und Wielands
Allusion [lat.], Anspielung auf be- Verserzählung Der neue Amadis).
stimmte Personen, Sachverhalte, litera- Ambiguität [lat. Zweideutigkeit,
rische Texte, äZitate usw. Soll vom Wis- Doppelsinn], 1. allgemein: Mehrdeutig-
sen, auch vom äWitz des Autors zeugen, keit von Wörtern, Werten, Motiven,
errichtet eine zusätzliche Bedeutungs- Charakteren und Sachverhalten (äPoly-
ebene (äCamouflage) und macht den semie), im Unterschied zur Unbe-
Leser, falls er die Allusion versteht, zum stimmtheit; 2. in der äRhetorik: lexika-
Eingeweihten. lische oder syntaktische Mehrdeutigkeit
Almanach [mlat.], ursprünglich im (z.B. durch Homonyme: Bank = Sitzge-
Orient verwendete astronomische Ta- legenheit/Geldinstitut, oder unge-
feln, dann Kalender, im 18. und 19. schickte Anordnung: »Er gab ihm sein
Jahrhundert ein Jahrbuch, das sich vor Buch«. Konstitutiv für viele literarische
allem mit Mode, schöngeistiger Litera- Kleinformen, z.B. äWitz, äRätsel, Ora-
tur und Theater befaßt (Musenalma- kel, Scherzgedicht, äWortspiel.
nach, Gothaischer Theateralmanach), ein Amphibrachys[gr. beidseitig kurz],
wichtiger Ort für Erstpublikationen, Re- dreisilbiger antiker Versfuß, im Dt. als
zensionen und Kunstdiskussionen und Folge von Senkung/Hebung/Senkung
häufig zentrales Organ von Dichterkrei- nachgebildet: %–% (»Die Sónne mit
sen (z.B. äGöttinger Hain) ist. Im 20. Wónne den Tágeswachs míndert«, J.
Jahrhundert als Verlags-Almanach auch Klaj).
Werbemittel. Amphitheater[gr. rings, ringsum +
Alternierende Versmaße[lat. alter- Theater], Form des antiken römischen
nare = wechseln], beruhen beim äak- Theaterbaus: stufenweise ansteigende
zentuierendem Versprinzip auf dem re- Sitzreihen um eine runde Arena (lat.
gelmäßigen Wechsel betonter und unbe- Arena= Sandplatz, gr. äOrchestra) un-
tonter, beim äquantitierendem Vers- ter freiem Himmel; meist in natürliches
prinzip auf dem regelmäßigen Wechsel Gelände eingefügt, auch freistehende
6 Amplificatio
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Holz-, später Steinbauten. Die heute be- x-mal passiert ist (iterativeErzählung),
kannten ringsum geschlossenen Amphi- oder x-mal erzählen, was x-mal passiert
theater wurden ursprünglich nur für ist (anaphorischeErzählung), im Gegen-
sportliche Wettkämpfe, Gladiatoren- satz, zur singulativenErzählung, die ein-
kämpfe, Tierhetzen usw. genutzt (z.B. mal erzählt, was einmal passiert ist. Ver-
das Kolosseum in Rom mit 50 000 Plät- weist auf die Differenz von äFabel und
zen); berühmt: die Amphitheater von äSujet.
Taormina, Arles, Verona. Anachronismus[gr.], zeitlich falsche
Amplificatio[lat.], in der äRhetorik: Einordnung von Vorstellungen, Sachen,
kunstvolle Erweiterung einer Aussage Personen. Absichtlich (z.B. bei Aktuali-
über das zur unmittelbaren Verständi- sierungen im Theater: Hamlet im Frack)
gung Nötige hinaus; vor allem erreicht oder versehentlich (so schlagen in
durch Variation der Gedanken und ver- Shakespeares Julius Caesar die erst im
schiedene rhetorische Figuren der Häu- 14.Jahrhundert erfundenen Uhren).
fung (wie äAccumulatio, äEnumeratio, Anadiplose [gr., lat. reduplicatio],
äSynonymie, äPeriphrase, äExkurs, Wiederholung des letzten Wort der letz-
äLitotes, äOppositio); Gegenteil der ten Wortgruppe eines Verses/Satzes am
Abbreviatio, der Verknappung einer Anfang des folgenden Verses/Satzes,
Aussage durch Auslassung oder Abkür- z.B.: »(Euphorion:) Laß mich in dü-
zung. sterm Reich, / Mutter, mich nicht allein!
Beliebt besonders in antiker äKunst- (Chor:) Nicht allein!– wo du auch wei-
prosa, mittelalterlicher Versdichtung lest« (Goethe: Faust II). Sonderform der
und komisch-humoristischen äRoma- äGemination.
nen (z.B. F. Rabelais, Jean Paul). Dient Anagnorisis[gr. Erkennen, Wieder-
u.a. der Wirkungs- und Spannungsstei- erkennen], in der antiken äTragödie:
gerung, der Befreiung der Literatur von Umschlag von Unwissenheit in Erkennt-
der Darstellungspflicht (Verlust von Be- nis, z.B. durch das Erkennen von Ver-
deutungen durch Wiederholung, vgl. wandten und Freunden (z.B. in So-
auch äabsolute Dichtung), aber auch phokles’ König Ödipus). In Aristoteles’
der systematischen Vergrößerung des Poetikneben äPeripetie und äkatastro-
Textumfangs. phewichtigster Bestandteil einer drama-
Anachronie [gr.], von G. Genette tischen Handlung.
(Discours du récit. Figures III, 1972) ge- Anagramm[gr. Umstellung, Vertau-
prägter Begriff der Erzähltextanalyse: schung], Umstellung der Buchstaben ei-
Abweichung der Erzählung von der fak- nes Worts/Namens/Wortgruppe zu ei-
tischen, chronologischen Abfolge der zu ner neuen, sinnvollen Lautfolge, z.B.
erzählenden Ereignisse. Amor – Roma(Goethe), Ave – Eva.Oft
Verursacht durch: Analepse(Rückgriff zur Aufdeckung bzw. Herstellung ver-
auf frühere Ereignisse) oder Prolepse borgener Beziehungen, als Mittel der
(Vorwegnahme eines künftigen Ereig- Verschlüsselung und Geheimhaltung,
nisses) auf der Ebene der ›Ordnung‹ der der Texterzeugung (vgl. J. Starobinski:
Ereignisse, Unstimmigkeiten zwischen Les mots sous les mots, 1971), häufig auch
der ›Dauer‹ der Erzählung und der als Pseudonym verwendet, z.B. Chri-
›Dauer‹ der Ereignisse (mittels Pause, stoffel von Grimmelshausen – German
äEllipse, äSzene, Summary: Zeitraf- Schleifheim von Sulsfort, Melchior
fung), Wiederholungen von Aussagen Sternfels von Fuchshaim; Arouet l(e)
oder Ereignissen auf der Ebene der ›Fre- j(eune) – Voltaire. äPalindrom
quenz‹ einer Erzählung, z.B. x-mal er- Anakoluth, n. [zu gr. an-akolouthon:
zählen, was einmal passiert ist (repetitive nicht folgerichtig], Satzbruch, falsche
Erzählung), oder einmal erzählen, was oder veränderte Fortführung eines be-