Table Of ContentKommunikation und Kybernetik in Ernzeldarstellungen
Herausgegeben von H. Wolter und W. D. Keidel
BandS
Linguistische Einheiten
im Rahmen
cler moclernen Sprachwissenschaft
Von
GOran Hammarstrom
Mit 5 Abbildungen
Springer-Verlag
Berlin . Heidelberg . N ew York 1966
ISBN-13: 978-3-642-49105-4 e-ISBN-13: 978-3-642-87364-5
DOl: 10.10071978-3-642-87364-5
Alle Rechte, insbesondere das der Obersetzung in Iremde Spraehen, vorbehalten.
Qhne ausdriickliehe Genebmigung des Verlages ist es aueh nieht gestattet.
dieses Bueh oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie,
Mikrokopie) oder auf andere Art zu vervieHiltigen. © by Springer-Verlag
Berlin· Heidelberg 1966.
Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1966
Library 01 Congress Catalog Card Number 66-20639
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen
usw. in diesem Werk berechtigt aueh ohne besondere Kennzeichnung niehl
zu der Annahme, daB Holehe Namen im Sinn der Warenzeiehen-und Marken
sehutz-Gesetzgebung als Irei zu betrachten waren und daher von iedermann
benutzt werden diirlten
Tite1-Nr.6134
VOlWort
Als ich 1957 zum erstenmal das Bonner Institut fur Phonetik und
Kommunikationsforschung besuchte, traf ich GEROLD UNGEHEUER, heute
Dozent in Bonn und Leiter des Instituts fur Kommunikationsforschung.
Da wir uns beide fur ahnliche Probleme, aber mit verschiedenen Aus
gangspunkten und mit unterschiedlichen Kenntnissen, interessierten, be
schlossen wir, ein Buch uber grundlegende Probleme der Kommunika
tionswissenschaft im allgemeinen und der Linguistik im besonderen zu
verfassen.
Der damalige Leiter des Instituts fur Phonetik und Kommunika
tionsforschung in Bonn, Professor Dr. W. MEYER-EpPLER, schlug uns vor,
das Buch in der Reihe »Kommunikation und Kybernetik in Einzeldar
stellungen« zu veroffentlichen, und es wurde beschlossen, daB es den
Titel Grundlagen einer Wissenschaft vom Sprachkorper tragen sollte. Die Arbeit
wurde optimistisch angefangen. Es stellte sich indessen heraus, daB die
Leitung der wissenschaftlichen Institute, die man uns anvertraut hatte,
zeitraubender war, als wir uns vorgestellt hatten. Vor ein paar Jahren
glaubten wir trotz allem, das Ende unserer Muhen spuren zu konnen.
Es war aber eine Tauschung. Besonders fur G. UNGEHEUER nahmen die
beruflichen Pflichten in unvorhersehbarer Weise zu. Gleichzeitig fingen,
wie er glaubte, gewisse seiner bereits verfaBten Abschnitte schon an, ihre
Aktualitat zu verlieren. Deshalb wurde im Fruhjahr 1965 beschlossen,
daB ich allein die von mir verfaBten Seiten (nach gewissen Anderungen)
unter dem Titel Linguistische Einheiten im Rahmen der modernen Sprachwissen
schaft veroffentlichen sollte.
Die freundschaftlichen Diskussionen, die ich mit GEROLD UNGEHEUER
fast jedes Jahr, seit ich ihn kenne, entweder in Bonn oder in Uppsala,
gehabt habe, waren fur meine Ansichten und Stellungnahmen, so wie sie
in diesem Buch widergespiegelt werden, von einer Bedeutung, die von
nichts anderem ubertroffen wird.
Von Anfang an hatte ich die Absicht, eine verhaltnismaBig unpar
teiische Dbersicht zu schreihen. Das Buch kann meines Erachtens auch
als Handbuch der modernen Linguistik verwendet werden. Bis auf weni
ge Seiten fordert es yom Anfanger nicht mehr als andere Handbucher.
Grundsatzlich empfiehlt es sich jedoch, daB ein Anfanger mehr als eine
einzige Einfuhrung studiert, z. B. neb en der vorliegenden Arbeit H. A.
GLEASONS, Introduction to descriptive linguistics.
IV Vorwort
Das vorliegende Manuskript indessen ist person1ieher geworden, als
ieh zuerst beabsiehtigt hatte. Wo das geUiufige Gebaude der Vorstellungen
und Termini nieht ausreiehte oder unzulanglieh sehien, habe ieh eigenes
hinzugefiigt. Es ist iiberhaupt meinen eigenen Ansiehten und Zitaten
aus eigenen Arbeiten ein Platz eingeraumt worden, der ihnen in einer
unparteiisehen Dbersieht nieht zukommen wiirde.
Ieh sehlieBe mieh der »modernen Linguistik« oder dem »Struktura
lismus« an, was u. a. bedeutet, daB ich es vor aHem fiir wiehtig halte, die
Struktur der Systeme, die die Spreehakte ermogliehen, in mogliehst
expliziter Weise zu besehreiben.
Ieh habe mieh besonders bemiiht, dem Leser eine konsequente und
gesehlossene Darstellung zu bieten. Die »generative Grammatik« und
andere Riehtungen der aHerletzten Jahre sind nieht beriieksiehtigt wor
den. Dieses Verhalten impliziert kein Werturteil.
Fraulein ERNA BOEHME und Fraulein LYDIA FRANKENSTEIN haben
mein handgesehriebenes Manuskript ins reine gesehrieben und stilisti
sehe Verbesserungen vorgenommen.
Herr fiI. kand. THOMAS RONSTROM hat das Manuskript gelesen und
ist mir dureh einige kritisehe Bemerkungen behilflieh gewesen.
Herr MANs MAGNUSSON, Bibliothekar des Phonetisehen Instituts der
Universitat Uppsala, hat die Literaturangaben naehgepriift.
Fraulein MEGAN HANNAY, Department of Modern Languages,
Monash University, hat das Manuskript noeh einmal durehgesehen und
das Sachverzeichnis vorbereitet.
Ieh bin allen diesen Mithelfern zu groBem Dank verpfliehtet.
Herr Dr. phil. HANS GUNTHER TILLMANN, Institut fiir Kommuni
kationsforsehung der Universitat Bonn, hat vor dem Druck den Text
nieht nur spraehlieh durehgesehen, sondern aueh hier und da inhaltlieh
verbessert. Seine eigenen Kenntnisse zusammen mit seiner besonderen
Vertrautheit mit meinen eigenen Gedankengangen haben es ihm er
moglieht, wertvolle und zugleieh vorsiehtige Anderungen zu unterneh
men. Ieh bin ihm tiefen Dank sehuldig.
Es ist meine Hoffnung, daB. dieses Bueh unter Spraehstudenten,
Spraehwissensehaftlern, Spreeherziehern, Teehnikern und anderen, die
sieh fiir Spraehe interessieren, Leser finden wird.
Monash University, Melbourne
Juli 1965 GCiRAN HAMMARSTROM
Inhaltsverzeichnis
I. Sprechakt und linguistische Einheiten.
II. Linguistische Einheiten . 7
A. Gesprochene Sprache 7
a) Die Funktion der Sprache. Die Einheiten der fJ- und y-Ebenen 7
b) Die Einheiten der <x-Ebene • 14
1. Das Phonem und das Phon. 14
2. Das Prosodem und das Prosod 33
3. Das Syllabem und das Syllab. 37
4. Das Morphem und das Morph . 40
5. Das Lexem und das Lex . . . . 42
6. AuBerungen, Perioden und Satze . 44
7. Das Syntagmem und das Syntagm . 46
8. Einteilung der linguistischen Einheiten . 51
B. Geschriebene Sprache . . . 51
1. Das Typem und das Typ 52
2. Das Graphem und das Graph 57
3. Dbrige Einheiten . . . . . . . 59
4. Sekundare Systeme . 59
III. Synchronische Linguistik 60
IV. Diachronische Linguistik 64
V. Diatopische Linguistik 93
Ausgewiihlte Arbeiten 102
Namenverzeichnis 104
Sachverzeichnis. . 105
Linguistische Einheiten
im Rahmen
cler moclernen Sprachwissenschaft
I. Sprechakt und linguistische Einheiten
Die Linguistik hat es zu ihrer Aufgabe gemacht, die von den Spre
chern verwendeten sprachlichen Systeme mit ihren Einheiten zu be
schreiben. Diese linguistischen Einheiten sind nicht die konkreten AuBe
rungen selbst oder Teile davon, sondern (wie die Phoneme, die Mor
pheme, usw.) »Abstraktionen«, von denen jede eine groBe Zahl von
gesprochenen Beispielen, die in bestimmten Punkten mehr oder weniger
variieren, umfaBtl•
Urn in adaquater Weise zu den genannten Einheiten zu gelangen,
muB man die sprachlichen AuBerungen und die an dem sprachlichen
Kommunikationsakt teilnehmenden Individuen sehr genau studieren2•
Der moderne »Strukturalismus«3 (dem sich im ubrigen der Verfasser
anschlieBt) hat dies bisweilen unterlassen.
1.1. Sowohl der Sprecher als auch der Horer besitzen Kenntnisse von
den sprachlichen Zeichenkorpern oder dem Sprachkorper (den »Wor
tern« mit ihren »Lauten« usw.) und den Zeichensinnen oder dem
Sprachsinn (den »Bedeutungen« oder dem »Inhalt«). 1m Kommunika
tionsakt werden nur die Zeichenkorper materiell (als Luftschwingungen)
ubertragen. Die Verknupfung bestimmter Zeichenkorper mit bestimm
ten Zeichensinnen erfolgt bei den Kommunikationspartnern.
1.2. Wie bisher in der Linguistik ublich, werden sich auch die folgen
den Seiten hauptsachlich mit den Zeichenkorpern und nur wenig mit
den Zeichensinnen beschaftigen4•
1.3. Es ist fUr die von den Menschen verwendeten Zeichensysteme
charakteristisch, daB die Zuordnung von gewissen Zeichenkorpern zu
gewissen Zeichensinnen, mit einem Terminus SAUSSURES, »arbitrar« ist6•
Ein gewisses Tier z. B. heiBt auf Deutsch Ochse. Dieser Zeichenkorper ist
nicht »naturgegeben«, denn das Tier heiBt z. B. auf Franzosisch bfEzif, und
dieser Zeichenkorper funktioniert im Prinzip ebensogut wie der deutsche.
2. Es ist - unter anderem - die moderne Instrumentalphonetik, die
uns die modern en strukturalistischen Ideen aufzwingt, indem sie uns
1 Vgl. besonders S. 16 und 2l.
2 F. DE SAUSSURE, Cours de linguistique generale, S. 19-35, hat besonders froh (1916)
den Sprechakt genau und richtig erklart und sein Verhaltnis zu dem System darge
legt (sein Unterschied: la parole -La Langue).
3 S. Vorwort und S. 2.
• Vgl. jedoch S. 9, 40-41 und 51.
5 Vgl. op. cit., S. 100-102 und unten, S. 2, 87, 89.
Hammarstrom) Linguistische Einheiten
2 Sprechakt und linguistische Einheiten
eine Menge von artikulatorischen und akustischen Details liefert, die
ohne die Abstraktionen der »Phonologen« unmoglich zu bearbeiten ist.
Zweifellos hat man innerhalb der Phonometrie am deutlichsten ge
sehen, daB phonetische Messungen allein keine interessanten Einheiten
liefern. Bei einer groBen Anzahl vorliegender Messungen sah man z. B.
die Lautdauern der »kurzen Vokale« sich mit denen der »langen Vo
kale« uberlappen und man konnte den von E. ZWIRNER formulierten
SchluBsatz ziehen: »[ ...J gerade die Phonometrie war es, die gezeigt hat,
daB man phonologische Klassen nicht durch Messungen gewinnen, son
dern den Messungen zugrunde legen musse6.«
Man kann hinzufugen, daB seit etwa fUnfzehn Jahren Dialektologen,
die eine »indirekte« Methode (d. h. Verwendung von Tonbandgeraten)
vorziehen, die gleiche Erfahrung gemacht haben. Angesichts der groBen
Menge von Varianten, die man bei einer indirekten phonetischen U nter
suchung feststellt, wurde man von der absoluten Notwendigkeit einer
strukturalistischen (phonologischen) Methode7 uberzeugt: es gibt auditiv
recht verschiedene Varianten, die man als eine Einheit klassifizieren muB
(der bloBe auditive Eindruck gestattet uns noch nicht, es zu tun), und es
gibt fur das Ohr identische Formen, die man nicht als eine einzige Ein
heit klassifizieren darf, wei! sie zu verschiedenen Phonemen gehoren. In
beiden Fallen erlauben einzig und allein die Prinzipien der Phonologie,
eine ffir das Material adaquate Klassifikation zu finden. Das ist einer der
Grunde, warum B. MALMBERG sagen kann: »La phonetique experimen
tale et la dite phonologie ne s'opposent plus. 11 serait meme insuffisant de
dire qu'elles se completent. Je suis enclin a aller jusqu'a dire que l'une
est impossible sans I' autre8.«
Die instrumentellen Messungen der Phonetik oder die Aufzeichnun
gen des geschulten Phonetikers sind an und fUr sich nicht interessant.
Man muB sie deuten - und es ist das Verdienst des Strukturalismus, dies
klar gesagt zu haben: mit Hilfe eines Schemas, eines geeigneten Sy
stems.
Die Sprecher von verschiedenen Sprachen besitzen nicht dasselbe
Referenzsystem, um die auditiven Eindrucke zu deuten. MALMBERG
demonstriert das sehr uberzeugend anhand von zwei Spektrogrammen
»d'une suite de qualites vocaliques allant de [iJ a raJ, prononcees avec
6 S. 39 in Institut fiir Phonometrie (in S. POP, Instituts de phonetique et archives
phonographiques. Louvain 1956).
1 Dies begegnete mir selbst, als ich 1952 die Dialekte Siidportugals studierte. Vgl. S. 17
in Inqueritos lingufsticos II, Revista de Portugal A, 26, 9-32 (1961). Nach mir hat
z. B. J. G. C. HERCULANO DE CARVALHO analoge Erfahrungen in Fonologia
mirandesa, Coimbra 1958, gemacht.
8 S. 74 in La linguistique structurale et la phonetique experimentale, Acta conventus
romani, Romae 1959. Kopenhagen 1961.